Ralph Hasenhüttl stieg 2012 als Trainer des VfR Aalen in die 2. Liga auf, drei Jahre später gelang ihm beim FC Ingolstadt 04 der Sprung in die Bundesliga. Seit Sommer ist der Österreicher Coach bei RB Leipzig - und steht mit dem Aufsteiger kurz vor der Vizemeisterschaft. Im Interview spricht Hasenhüttl über seinen Taktik-Crashkurs in Leipzig, den Austausch mit Ralf Rangnick und die Herausforderung Champions League.
SPOX: Herr Hasenhüttl, als Jürgen Klopp mit Borussia Dortmund vor einigen Jahren die Bundesliga mit seinem draufgängerischen Underdog-Fußball aufmischte, war das laut eigener Aussage eine Orientierung für Ihre Spielphilosophie. Was wäre gewesen, wenn der BVB damals einen vollkommen anders gearteten Fußball gespielt hätte?
Ralph Hasenhüttl: Das weiß ich nicht. Man orientiert sich ja zwangsläufig an erfolgreichen Mannschaften. Es gibt Trainer, für die gibt es nur Ballbesitz und welche, für die gibt es nur die Jagd nach dem Ball. Ich bin keiner von beiden, denn ich habe schon alles mit meinen Mannschaften gespielt - auch die Extreme. Ich habe mit verschiedenen Systemen mittlerweile genügend Erfahrungen gesammelt, so dass ich gut einschätzen kann, womit sich meine aktuelle Mannschaft am wohlsten fühlt. In der Flexibilität und Breite der taktischen Herangehensweise liegt die größte Stärke.
SPOX: Haben Sie zu Ihrer Anfangszeit, in der Sie unterschiedliche Einflüsse aufsaugten, darüber gegrübelt, welche Art von Fußball Sie letztlich am meisten überzeugt?
spoxHasenhüttl: Nein, ich wollte immer alles probieren. Ich habe auch bei Louis van Gaal zugeschaut und er war nur auf Ballbesitz aus. Das hat mich auf eine gewisse Art und Weise auch fasziniert - herauszufinden, wie weit man mit diesem Fußball bei einer schwächeren Mannschaft kommen kann. Mich haben Systeme schon immer begeistert. Ich wollte mit jedem meine Erfahrungen machen. Unter dem Strich muss es auf lange Sicht aber einfach erfolgreich sein, ansonsten bringt das Herumtüfteln alles nichts.
SPOX: Im vorangegangenen SPOX-Interview vor zwei Jahren als Ingolstadt-Trainer haben Sie gesagt, dass Sie anfangs beim VfR Aalen einen falschen Spielansatz gewählt hätten und es überlebensnotwendig sei, die eigene Spielweise zu überdenken. Mussten Sie sich nun vor Ihrer Zusage vom kontrollierten Pressing in Leipzig überzeugen lassen?
Hasenhüttl: Nein. Es gab nicht viele Trainer, die so exzessiv haben pressen lassen wie ich in Ingolstadt. Ich habe dort aber auch schon die Schwächen dieses Systems erkannt. Bis zu einer bestimmten Stufe ist es möglich, dann wird es aber auch schnell schwieriger. Es war aber für mich die taktisch einzige Möglichkeit, mit dieser Mannschaft souverän die Klasse zu halten. In Leipzig sind die Grundvoraussetzungen für diesen Fußball andere.
SPOX: Inwiefern ist das Leipziger Pressing extremer als jenes beim FCI?
Hasenhüttl: Es ist breiter angelegt. Wir haben uns mittlerweile selbst auch viel Neues in unserer Herangehensweise erarbeitet. Wir haben eine mit vielen jungen Spielern gespickte Mannschaft,die aus der 2. Liga kam und schon dort einige Herausforderungen zu bewältigen hatte. Doch die Qualität, auf die man in der Bundesliga trifft, ist noch einmal deutlich schwieriger zu verteidigen. Da gilt es, einige Abläufe zu perfektionieren und Spielprinzipien zu Recht zu legen, damit das nicht komplett in die Hose geht.
SPOX: In Ingolstadt haben Sie dieselbe Art von Fußball spielen lassen wie nun in Leipzig, nur das System ist unterschiedlich. Wäre es für Sie überhaupt denkbar, eines Tages eine Mannschaft zu trainieren, mit der man kein derartiges Pressing spielen lassen kann?
Hasenhüttl: Das kann durchaus passieren, wenn man nicht die entsprechenden Spieler dazu hat. Ich bin einen sehr steinigen Weg durch unterklassige Ligen gegangen. Ich habe nun schon viele verschiedene Mannschaften trainiert und kein Pressing spielen lassen, weil ich nicht die Spieler dazu hatte. Und es hat trotzdem Erfolg gebracht. Es gibt einfach nicht nur den einen erfolgreichen Weg ans Ziel.
SPOX: Als Sie mit dem VfR Aalen aufstiegen, ließen Sie noch den Fußball spielen, den nun viele Gegner RB Leipzig entgegen setzen: tief in der Defensive, Fokus auf Konter.
Hasenhüttl: Das ist nicht mehr mein Ding. Eine solche Spielweise ist absolut legitim und kann genug Punkte bringen, aber sie hat mir keine persönliche Befriedigung gebracht. Im Moment ist es ganz anders, denn der Fußball, den wir in Leipzig spielen, begeistert und erfüllt mich wesentlich mehr. Was man mittlerweile sagen kann: Meine Mannschaften sollen immer aktiv sein.
SPOX: Was haben Sie in Leipzig unter taktischen Gesichtspunkten gelernt?
Hasenhüttl: Sehr viel. Ich war in den ersten Wochen ein Lernender, es war für mich wie ein Taktik-Crashkurs. Ich habe zuvor noch nie ein 4-2-2-2 spielen lassen und musste mir den Blick für dieses System aneignen, da sich die Mannschaft darin sehr wohl gefühlt hat. Beispielsweise die Abläufe, wo die freien Spieler bei Balleroberung stehen. Wir spielen mittlerweile auch immer mal wieder ein 4-3-3, so wie ich es in Ingolstadt bevorzugt habe. Daraus ist letztlich diese Mischung entstanden, die uns heute zu Großteilen auszeichnet.
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SPOX: Welche Überlegungen sind es, die bei Ihnen die Wahl zwischen 4-3-3 und 4-2-2-2 entscheiden?
Hasenhüttl: Es kommt darauf an, wie weit vorne wir pressen und attackieren wollen, wie kontrolliert wir das Pressing haben wollen. Selbst eine Fünferkette haben wir schon ausprobiert, obwohl das weder ich noch jemand zuvor in Leipzig getan haben. Es gibt fast tagtäglich Veränderungen im Fußball, gerade bei der Frage, wie man gegen gewisse Systeme eine Lösung findet. Das zeigt für mich, wie offen wir für Neuerungen sind und diese auch mit vorantreiben.
SPOX: Neuerungen in der Leipziger Spielweise hängen auch damit zusammen, dass die Gegner sich mittlerweile besser auf Ihre Mannschaft eingestellt haben und nicht mehr so sehr überrumpelt werden.
Hasenhüttl: Das stimmt. Durch die Entwicklungsschritte und unsere bislang sehr erfolgreiche Saison werden wir mit neuen Situationen konfrontiert. Unsere Gegner tun uns nicht mehr den Gefallen, den Ball in der Abwehrreihe zu verlieren, sondern sie zwingen uns verstärkt mehr Ballbesitz und Eigeninitiative auf. Zudem operieren einige dann auch vermehrt mit vielen langen Bällen. Da hieß es ja zwischenzeitlich schon, wir seien entschlüsselt, weil wir kaum noch in unser Umschaltspiel gekommen sind. Mittlerweile haben wir auch gegen solche Gegner Lösungen gefunden - vor allem aufgrund unseres besseren Spiels in Ballbesitz.
SPOX: Ist dieser Schritt einzig gegnerbedingt oder muss er gewissermaßen erfolgen, weil man nun in der Mehrzahl der Partien der Favorit ist?
Hasenhüttl: Das muss jetzt einfach der nächste Schritt sein. Wir müssen in Ballbesitz bereits in der Defensive noch cooler und dominanter werden. Das haben wir phasenweise schon sehr gut gemacht und sind gegen fast alle Mannschaften zu hochkarätigen Torchancen gekommen. Das hört sich vielleicht banal an, ist für uns aber ein riesiger Schritt nach vorne.
SPOX: Besprechen Sie eigentlich mit Ralf Rangnick die Spiele auf Trainer-Augenhöhe nach?
Hasenhüttl: Nein. Ralf Rangnick hat gar keine Zeit für mich. (lacht) Durch seine Rückkehr auf den Posten des Sportdirektors ist das in diesem Maße nicht möglich, aber natürlich tauschen wir uns regelmäßig aus. Die Aufarbeitung erfolgt mit dem Trainerteam und den Videoanalysten. Wir sind diejenigen, die jeden Tag intensiv über den Videos hängen und uns Gedanken machen. Fast jede Woche hat man dabei das Gefühl, etwas Neues zu entdecken.
SPOX: 2015 sagten Sie auch, dass der ehemalige Unterhaching-Chefcoach Harry Deutinger während Ihrer Anfänge als Trainer Ihr Lehrmeister war. Wer ist für das aktuelle Niveau Ihr Lehrmeister?
Hasenhüttl: Harry war der erste Chefcoach, unter dem ich als Co-Trainer gearbeitet habe. Er hat mir gezeigt, was es heißt, Trainer zu sein und als Trainer auch richtig zu arbeiten. Das musst du als ehemaliger Spieler erst einmal verstehen, bevor du dich in diesen Beruf begibst. Bei allem, was danach kam, war und bin ich mein eigener Lehrmeister. Ich habe vieles aus Versuch und Irrtum gelernt. Das ist bis heute so geblieben. Mein Lehrmeister ist mittlerweile der tägliche Job, da ich dabei sehr viele Entscheidungen treffe und erst später sehe, welchen wirklichen Nutzen sie hatten. spox
SPOX: Welche Rolle spielt Rangnicks Mentor Helmut Groß?
Hasenhüttl: Ich habe ihn hier erstmals kennengelernt. Er ist der Urvater der Philosophie des Pressings und Gegen-den-Ball-Spielens. Wir stehen mit ihm in regelmäßigem Austausch, sprechen über unsere letzten Spiele und reflektieren die taktischen Herangehensweisen. Er ist für uns ein gern gesehener Diskussionspartner, wir schätzen seine Meinung.
SPOX: Unmittelbar nachdem Sie in Ingolstadt mitteilten, den Verein zu verlassen, erfuhren Sie Ihre bislang längste Niederlagenserie als Trainer mit drei Pleiten in Serie. Wie groß glauben Sie wäre der Kontrollverlust gegenüber der Mannschaft, sollten Sie einmal eine längere Durststrecke durchstehen müssen?
Hasenhüttl: Ich stelle es mir sehr schwierig vor, denn mit jeder Pleite verlierst du vor der Mannschaft weitere Argumente. Eine Mannschaft immer wieder neu vorzubereiten, ihr den Glauben an sich zu vermitteln und dann trotzdem fünf Mal in Serie zu verlieren, dieses Gefühl hatte ich noch nie. Das wirkungsvollste Argument im Fußball sind immer Siege und dabei wird es auch bleiben.
SPOX: Wie würden Sie in einem solchen Fall vorgehen: Weiter predigen, die Linie beizubehalten oder notfalls auch einschneidend einwirken?
Hasenhüttl: Ich bin ein Feind von Aktionismus. Das wäre der erste Fehler überhaupt, wenn man gleich alles in Frage stellen würde. Dazu müssten die Spiele wirklich dauerhaft richtig schlecht sein, um von Grund auf alles neu zu überdenken. Ich analysiere immer sehr losgelöst vom Ergebnis, ob Sieg oder Niederlage, ob gute oder schlechte Dinge.
SPOX: Von einer Niederlagenserie sind Sie in Leipzig weit entfernt, eine Champions-League-Teilnahme ist dagegen sehr nah. Inwiefern könnte es für die Entwicklung der Mannschaft auch gefährlich sein, wenn man so früh schon so weit ist?
Hasenhüttl: Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht wissen. Ich glaube dennoch daran: Erfolg kommt nie zu früh. Der internationale Wettbewerb wird für uns in der nächste Saison eine beträchtliche Umstellung und Herausforderung. Es wird das nächste Jahr, in dem wir bislang unbekannte Erfahrungen machen werden. Weder Verein, noch viele Spieler, noch ich als Trainer haben eine Ahnung, wie sich regelmäßige englische Wochen anfühlen.
SPOX: Die Ausgangslage in der Bundesliga wird für Leipzig in Zukunft eine andere sein. Wo sehen Sie den größten Optimierungsbedarf im Team?
Hasenhüttl: Ich glaube nicht, dass wir ökonomischer spielen müssen. Damit kommt man heutzutage nicht mehr weiter. Wir werden uns taktisch nicht großartig verändern. Der Kader muss sich aber noch etwas vergrößern, weil wir häufiger und mehr rotieren werden. Es wird sicherlich wie nach jeder Saison auch Abgänge geben. Diejenigen, die wir dazu holen, müssen eine hohe Qualität und ein besseres Niveau mitbringen. Ansonsten sehe ich aber nichts, dass wir mit dieser Truppe nicht leisten könnten. Bei uns stehen manchmal bis zu acht Spieler in der Startelf, die letzte Saison noch in der 2. Liga gekickt haben und bei denen ich zu keinem Zeitpunkt merke, dass es für die Bundesliga nicht reichen könnte. Daher wüsste ich nicht, wieso es für die Champions League nicht auch reichen könnte. An einem guten Tag können wir fast jeden Gegner schlagen, davon bin ich überzeugt.
SPOX: Was glauben Sie welche Gefühle Sie beim Hören der Champions-League-Hymne an der Seitenlinie durchleben werden?
Hasenhüttl: Es wird sich bestimmt nicht ganz so schlecht anfühlen. (lacht) Ich habe mir irgendwann mal das Ziel gesetzt, als Trainer so viel erreichen zu wollen wie als Spieler. Ich habe auch als Spieler schon in der Champions League gespielt, aber als Trainer dorthin zu kommen, ist natürlich ungleich schwerer. Ich habe als Coach schnell gemerkt, dass es mich einengt, wenn die Grenzen eines Vereins erreicht sind. Dann habe ich mich dazu hingezogen gefühlt, den nächstgrößeren Schritt zu gehen. Bis jetzt war mein Werdegang eine stete Aufwärtsentwicklung und die einzelnen Stationen eine perfekte Schule. Ich glaube, dass mich das die kommenden Jahre tragen wird.