Beim FC Ingolstadt 04 stottert der Motor momentan etwas, doch die Schanzer liegen in der 2. Liga weiterhin klar auf Aufstiegskurs. Einer der Erfolgsgaranten ist Coach Ralph Hasenhüttl, der den FCI einst auf dem letzten Tabellenplatz übernahm. Hasenhüttl spricht im Interview über seinen Start ins Trainergeschäft bei der SpVgg Unterhaching, die mysteriöse Erkrankung am Hanta-Virus und die Kritik von Mainz-Manager Christian Heidel in der Debatte um Werks- gegen Traditionsvereine.
SPOX: Herr Hasenhüttl, Sie sind direkt nach Ihrer Spielerkarriere als Coach eingestiegen und trainierten ab 2004 die A2-Jugend der SpVgg Unterhaching. Ihren B- und A-Schein haben Sie aber noch während Ihrer aktiven Zeit als Spieler bei den Amateuren des FC Bayern gemacht. Wie war das überhaupt möglich?
Ralph Hasenhüttl: Das war die Grundbedingung dafür, dass ich überhaupt noch zwei weitere Jahre gespielt habe. Ich war damals ja schon 36. Ich hatte deshalb mit Hermann Gerland ein Abkommen getroffen, dass ich jeweils zwei Wochen nicht da sein werde, um der Sache auch vernünftig nachgehen zu können. Der Fußballlehrer kam dann während meiner Zeit bei der A2 hinzu.
SPOX: War Ihnen damals schon klar, wohin der Weg führen sollte?
Hasenhüttl: Nein. Eine Trainerkarriere ist nicht planbar. Da gehört so viel Glück dazu, man muss auch im richtigen Moment die Chance dazu bekommen. Letztlich macht man seine Trainerscheine ohne zu wissen, ob man jemals auch tatsächlich irgendwo als Trainer arbeiten darf. Mir persönlich war schnell klar, dass ich als Österreicher in Deutschland eine einzige Chance bekomme - und wenn ich die in den Sand setze, dann wäre es das hier gewesen. Ich hatte ja weder Reputation, noch einen großen Namen.
SPOX: Nach der Entlassung von Harry Deutinger im März 2007 sind Sie in Unterhaching Co-Trainer von Werner Lorant geworden. War Deutinger der Trainer, von dem Sie sich am meisten abgeschaut haben?
spoxHasenhüttl: Ja, Harry war mein Lehrmeister. Er war der Einzige, der mir gezeigt hat, wie man Fußball arbeitet. Als Spieler hat man ja keinerlei Vorstellung davon, was alles hinter diesem Job steckt und wie groß der Aufwand ist - gerade bei einem relativ kleinen Verein.
SPOX: Hat Sie dieses neue Wissen am Anfang auch abgeschreckt?
Hasenhüttl: Gar nicht. Man muss diesen Job einfach im klassischen Sinne in der Praxis erlernen. Als aktiver Fußballer hat man kaum etwas damit zu tun. Als Trainer reicht es nicht, nur zum Training zu fahren und danach wieder abzuhauen. Man muss sich viele Gedanken machen, akribisch zu Werke gehen. Du wachst um 6 Uhr morgens auf und denkst als erstes an deine Mannschaft - und wenn du abends ins Bett gehst, gehört der letzte Gedanke wohl auch deiner Mannschaft. (Pause) Meine Frau darf das Interview nicht lesen! (lacht)
SPOX: Sie wird hoffentlich verstehen, was Sie damit ausdrücken möchten. Im Oktober 2007 trat Lorant zurück und Sie starteten Ihren ersten längeren Posten als Cheftrainer. Wie bewerten Sie im Rücklick Ihren Start?
Hasenhüttl: Meine Spielphilosophie war noch nicht sehr ausgeprägt, weil ich zuvor ja noch keine Mannschaft trainiert hatte. Wir haben damals eine tolle Saison gespielt, sind mit 66 Punkten Vierter geworden - beim VfR Aalen sind wir mit weniger Zählern aufgestiegen. Mir ist vieles, aber längst nicht alles gelungen.
SPOX: Zum Beispiel?
Hasenhüttl: Es gab während des Saisonverlaufs ein paar Situationen, die für mich als Trainerneuling gar nicht richtig handzuhaben waren, weil mir die Reputation fehlte. Ich bin teilweise an meine Grenzen gestoßen. Mit Vorstand, Aufsichtsrat und Sponsoren musste man ziemliche Gefechte austragen und Woche für Woche erklären, weshalb Spieler X in der letzten Partie einen Fehlpass fabriziert hat. Das war letztlich eine super Schule, die mich diplomatisch und vorsichtig werden ließ.
SPOX: Nachdem Sie vom Co- zum Cheftrainer gemacht wurden, haben Sie relativ schnell zwei Spieler suspendiert.
Hasenhüttl: Ich wollte mir Respekt schaffen, weil ich auch gemerkt habe, dass ich zu Beginn nicht die komplette Rückendeckung der Mannschaft hatte. Man nahm mich nicht für voll. Ich habe es in diesem Fall mit einer solchen unpopulären Maßnahme versucht. Das würde ich heute nicht mehr machen, weil ich es auch nicht mehr brauche, um Ordnung und Ruhe in meine Mannschaft zu bekommen.
SPOX: In Unterhaching wurden Sie in Ihrer ersten Saison Sechster, danach Vierter und mussten dann auf Platz 10 stehend gehen. Seitdem hat Haching diese Platzierungen nicht einmal im Ansatz erreicht.
Hasenhüttl: Der Sponsor hat damals ständig vom Aufstieg geredet, nebenbei sollten wir aber noch ein mit jungen Spielern arbeitender Ausbildungsverein sein. Platz zehn nach Platz vier war deshalb eine Katastrophe. Ich bin sogar dankbar gewesen, dass es vorbei war. Ich habe danach erst einmal acht Monate gar nichts gemacht und diese Zeit auch total genossen, weil ich die ganzen Eindrücke sacken lassen musste. Das konnte ich bis dato ja gar nicht.
SPOX: Die Pause war Ihre erste längere Abstinenz vom Profifußball. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Hasenhüttl: Etwas, das ich schon immer gerne einmal machen wollte: Zu beobachten, wie andere arbeiten. Ich bin zu den Bayern oder zu 1860 geradelt, fast jeden Tag. In Unterhaching habe ich meinem Nachfolger zugeschaut. Im Sommer war ich dann hier im Süden bei allen möglichen Vereinen und habe die Trainingslager inspiziert. Beim BVB stand ich mit Helm und Mountainbike neben dem Trainingsplatz, da hat mich keiner erkannt (lacht).
SPOX: Im Januar 2011 stiegen Sie dann beim VfR Aalen ein. Haben Sie dort dann nach Ihren Beobachtungen der Konkurrenz Ihre Rolle als Trainer anders interpretiert?
Hasenhüttl: Teilweise. Als ich im Winter übernahm, steckte der Verein tief im Abstiegskampf der 3. Liga. Ich war allerdings nicht sehr gut auf die Situation vorbereitet, die Rückrunde war richtig hart. Ich habe damals einen komplett falschen Spielansatz gewählt. Ich wollte mit Fußball vorwärts kommen und war der festen Überzeugung, dass dies auch funktioniert, wenn man es nur oft genug trainiert. Das war allerdings ein Irrglaube (lacht).
SPOX: Den Klassenerhalt haben Sie aber trotzdem drei Spieltage vor Saisonende geschafft.
Hasenhüttl: Ich habe das auch relativ schnell revidiert, weil ich eingesehen habe, dass man als Trainer nicht von vornherein sagen kann, ich lasse jetzt beispielsweise Angriffspressing spielen. Man muss schnell einen Blick dafür bekommen, was die Mannschaft überhaupt hergibt. Letztlich zählen einzig die Ergebnisse, wie man sie erreicht, ist erst einmal nebensächlich.
SPOX: Im Jahr darauf stiegen Sie sensationell auf.
Hasenhüttl: Wir haben die Mannschaft verändert, hatten mehr Qualität im Kader und konnten anders Fußball spielen. Allerdings sind wir ein wenig in Schönheit gestorben. Man hat uns immer wieder für die Spielkultur gelobt, doch der Gegner hatte die Punkte. Daher entschied ich, künftig etwas ekliger spielen und mehr gegen den Ball arbeiten zu lassen. Daraufhin gewannen wir acht Mal in Folge. Sich Fehler einzugestehen beziehungsweise seine Spielweise zu überdenken halte ich in diesem Job für überlebenswichtig. Niemand hat Erfolg gepachtet, man muss immer reflektieren, wie man für den Gegner unangenehm zu spielen ist.
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SPOX: Nach dem Aufstieg erkrankten Sie während der Saisonvorbereitung plötzlich am Hantavirus und plagten sich wochenlang mit hohem Fieber herum. Der Verein stand kurz davor, Sie zu entlassen, weil niemand wusste, wie es mit Ihnen weiterging. Wie sind Sie psychisch mit dieser plötzlichen Veränderung umgegangen?
Hasenhüttl: Es war eine Extremsituation mit großen Schmerzen, die ich in der Form noch nie erlebt habe. Ich wusste eine Woche lang nicht, was mit mir los ist, konnte nachts kein Auge zudrücken und hatte unerträgliche Kopfschmerzen. Das war abartig und hat mich so kaputt gemacht, dass ich über die berufliche Seite gar nicht mehr nachdenken konnte. Mir war die Mannschaft scheißegal, um das einmal so deutlich zu sagen. Ich war so weit, dass mir auch eine Entlassung vollkommen wurscht gewesen wäre. Ich wollte einfach nur wieder gesund werden.
SPOX: Wie kam es denn überhaupt zu der Erkrankung?
Hasenhüttl: Aalen ist ein Inkubationsgebiet, da die Rötelmaus dort sehr verbreitet ist. Wenn der ausgetrocknete Kot der Rötelmaus zerbröselt, kann der Staub in die Atemwege des Menschen gelangen und den Virus auslösen. Ich kann nicht genau sagen, wie ich mir das eingefangen habe. Ich weiß nur, dass wir in unserem Garten immer eine Katze hatten und ich eines Tages einmal den Fußabtreter auf der Terrasse ausgeklopft habe. Da könnte es passiert sein.
SPOX: Wann haben sich die Symptome das erste Mal bemerkbar gemacht?
Hasenhüttl: Als ich im Trainingslager an unserem freien Nachmittag mit meinem Trainerteam einen Berg hinauf geradelt bin. Am Abend war mir bereits schwindlig, dann kam das Fieber. Ich dachte zunächst, ich Idiot habe mich einfach überanstrengt, doch nach ein paar Tagen im Bett musste ich ins Krankenhaus gebracht werden. Ein Aalener Arzt erkannte die Symptome und fand heraus, dass es der Hantavirus ist. Ab dann musste ich im Endeffekt nur noch warten, bis der Körper die Antikörper bildet, danach war das Thema gottseidank erledigt.
SPOX: Diese Zeit war auch für den Verein nicht leicht, er musste sich parallel auf die Suche nach einem Nachfolger machen.
Hasenhüttl: Man war im Klub vor der ersten Zweitligasaison der Geschichte natürlich auch etwas nervös, erst Recht nach dieser Geschichte. Ich war eigentlich schon entlassen, mein Nachfolger stand bereits parat. Hätte ich nicht noch ein Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden geführt, wäre ich nicht mehr Trainer gewesen. Ich wollte das Erarbeitete aber unbedingt fortführen.
SPOX: Obwohl Sie mit Aalen als Neunter der beste Aufsteiger der Liga wurden, lösten Sie nach der Saison Ihren Vertrag auf. Lag das am Sparkurs, den sich der Klub dann auferlegte?
Hasenhüttl: Ein Weitermachen hatte keinen Sinn mehr. Nach zweieinhalb Jahren sehr erfolgreicher Arbeit mit dieser Mannschaft war der Moment gekommen, wo man neuen personellen Input brauchte, um den nächsten Schritt gehen zu können. Da dies aber nicht möglich war, stand für mich fest, dass der Input dann eben auf Trainerseite kommen muss. Außerdem war ich ein Stück weit leer, konnte mich auch nicht damit motivieren, nach Platz neun nun gegen den Abstieg spielen zu müssen.
SPOX: Das mussten Sie aber in Ingolstadt, wo Sie im Oktober 2013. Der Klub stand auf dem letzten Tabellenplatz. Wieso haben Sie sich das angetan?
Hasenhüttl: Ich führte auch Gespräche mit 1860 München, bin aber sehr froh, dass es dann der FCI geworden ist. Einen Tabellenletzten übernehmen zu können ist das Beste, das einem als Trainer passieren kann. Natürlich kann es auch nach hinten losgehen, aber das Potential, dass das Gegenteil eintritt, ist deutlich größer.
SPOX: Der Erfolg mit dem FCI gibt Ihnen recht: Sie führten das Team zunächst auf Platz 10 und sind jetzt Tabellenführer der 2. Liga. Die deutschlandweite Aufmerksamkeit ist zwar gestiegen, wäre aber an anderen Standorten sicherlich größer. Wird Ihnen die Entwicklung beim FCI genug wertgeschätzt?
Hasenhüttl: Absolut, das passt wunderbar. Würden wir jede Woche von allen Seiten hören, wie super wir sind, wäre das hinderlich für die Fokussierung auf die essentiellen Aufgaben eines Fußballspielers. Es war sehr angenehm, dass wir lange Zeit ein bisschen unter dem Radar geflogen sind. Man merkt aber, dass wir jetzt an Euphorie zugelegt haben. Im Winter haben wir fast doppelt so viele Dauerkarten verkauft wie noch im Sommer.
SPOX: Mainz-Manager Christian Heidel äußerte die Befürchtung, dass eine Bundesligapartie zwischen Ingolstadt und Hoffenheim das Land nicht elektrisieren würde. Was sagen Sie dazu?
Hasenhüttl: Diese Aussage liegt ja schon etwas zurück, da ging es Mainz auch noch etwas besser. Von Christian Heidel höre ich jetzt nichts mehr. Ich weiß noch, wie ich mit Köln in Mainz im Bruchwegstadion gespielt habe und keine 2000 Zuschauer da waren, weil das dort keinen Menschen interessiert hat. Und als Mainz das erste Mal in die Bundesliga aufstieg, verloren mit Frankfurt, München und Köln drei Traditionsvereine für das kleine Mainz ihren Platz im Oberhaus. Dennoch freut es mich natürlich, welche Entwicklung dieser Verein in den letzten 15 Jahren durchgemacht hat. Das ist doch schön. Daher sollen sie uns doch bitte auch die Chance geben, einen ähnlichen Weg bestreiten zu dürfen.
SPOX: Welche Relevanz hat die ewige Diskussion zwischen Traditions- und Werksklubs für Sie?
Hasenhüttl: Ich kann damit nur wenig anfangen. Wir sind kein Werksklub, aber auch kein Traditionsverein. Wir gehören in meinen Augen keiner dieser Kategorien wirklich an. Es geht für mich in dieser Debatte vielmehr um den gesellschaftlichen Widerspruch: Tradition auf der einen, Modernisierung auf der anderen Seite. Derzeit wird beispielsweise über mögliche neue Spieltermine der Bundesliga gesprochen, um mehr Fernsehgeld zu generieren. Diese Diskussion wird für meine Begriffe niemals enden.
SPOX: Die Frage ist, wie massenkompatibel die Meinung ist, dass Ingolstadt gegen Hoffenheim die Menschen nicht elektrisieren würde.
Hasenhüttl: Eben. Ich persönlich lasse mich in erster Linie von gutem Fußball elektrisieren, weil ich diesen Sport liebe. Welches Trikot die Mannschaften dann anhaben oder von welchem Sponsor sie bezahlt werden, das ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal.
SPOX: Dass der FCI nächste Saison in der Bundesliga spielt, ist aktuell mehr als wahrscheinlich. Käme für Sie im Sinne von Ralf Rangnick ein Aufstieg niemals zu früh?
Hasenhüttl: Ja, Ralf Rangnick hat Recht. Wenn man richtig damit umgeht und nicht plötzlich verrückt wird, ist ein Aufstieg für jeden Verein eine wahnsinnig große Chance. Ich denke, wir sind hier bodenständig genug, können uns beruhigt zurücklehnen und schauen, ob wir es am Ende tatsächlich schaffen. Falls es nicht klappt, bricht hier auch nichts zusammen.
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