Einmal im Jahr fastet die islamische Welt für einen Monat lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Besonders herausfordernd ist die Situation für professionelle Sportlerinnen und Sportler. Während Beteiligte bei SPOX und GOAL Toleranz fordern, ist man nicht überall so entspannt.
Ümit Özat schien erst kurz zu zögern, aber der frühere Profi des 1. FC Köln wollte dann - wie immer - nicht um den heißen Brei herum reden. 2019 war Özat Trainer von Adana Demirspor. Adana, eine Stadt im Süden der Türkei, hat ein mediterranes Klima. Die Sommer sind sehr heiß und trocken. Schon im Mai sind Temperaturen um die 30 Grad Celsius keine Ausnahme.
Dass unter diesen Umständen sein Stürmer Mickael Pote, der zwischen 2011 und 2014 auch bei Dynamo Dresden kickte, im Ramadan keine Ausnahme machte und trotz aller Warnungen am Spieltag fastete, konnte Özat nicht verstehen.
Özat sagte: "Ich habe ihm gesagt, dass er nicht fasten soll, aber er hat es leider getan. Das Nicht-Fasten kann man entschädigen, ein verlorenes Spiel nicht. Nichts ist wichtiger als dein Arbeitgeber, der dir dein Abendbrot bezahlt. Faste halt ein Tag dann nicht, Junge! So schwer kann das nicht sein. Ich lasse es nicht zu, dass man mit dem Schicksal einer Stadt spielt."
Özat löste damals eine Welle der Diskussionen in der Türkei aus. Der Ex-Kölner bekam viel Unterstützung, aber auch viel Ablehnung für seine Haltung.
"Das könnte dann auch leistungsfördernd sein"
Kenan Kocak tickt da ein bisschen anders. Der frühere Trainer vom SV Sandhausen und Hannover 96 und aktuell Co-Trainer von Stefan Kuntz in der türkischen Nationalmannschaft sagt bei SPOX und GOAL: "Das ist jedem Spieler frei überlassen und man muss es auch differenzieren können. Nicht jeder Spieler tickt da gleich. Es gab bisher auch noch keinen gravierenden Fall, an den ich mich erinnern kann."
Von einem Verbot hält der 41-Jährige nichts - er sieht sogar darin einen Vorteil: "Bei dem einen oder anderen Spieler könnte das Glückshormone freisetzen und diese Zufriedenheit, weil man es durchzieht, könnte dann auch leistungsfördernd sein."
Spricht man mit Beteiligten und Betroffenen, lässt sich tatsächlich kein ultimatives Urteil darüber fällen, inwiefern das Fasten Einfluss auf die Leistung eines Hochleistungssportlers hat. Es gibt viele Experten, die viele Argumente bringen. Abschließen konnte das Thema aus gesundheitlicher Sicht noch keiner.
Der Faktor der mentalen Ebene ist dabei nicht zu unterschätzen. Das Fasten im Ramadan hat für die islamische Welt eine hohe Bedeutung. Viele Musliminnen und Muslime, die sonst nicht fünf Mal am Tag beten, nicht nach Mekka pilgern oder auch Alkohol trinken, versuchen, sich im Ramadan an das Fasten zu halten, um zumindest einmal im Jahr einen Ausgleich zu finden.
gettyMergim Mavraj: "Ramadan ist wichtiger als die EM"
Doch manchmal wiegt der Glaube dann so schwer, dass der Beruf komplett in den Hintergrund gerät. Der langjährige Bundesliga-Profi Mergim Mavraj hatte während der EURO 2016, an der er mit Albanien teilnahm, eine klare Haltung: "Ich weiß, dass es viele andere Jungs bei uns gibt, die nicht so denken, das ist jedem freigestellt. Aber für mich ist der Ramadan wichtiger als die Europameisterschaft, deswegen ist das für mich keine große Frage."
Damals fiel der Fastenmonat ausgerechnet auf die Europameisterschaft - für viele damals auch ein Grund, weshalb die islamisch geprägte Türkei die gelungene Bewerbung für die EURO 2016 an Frankreich verlor. Während Mavraj da keine Diskussionsgrundlage sah, war es für das vorwiegend muslimische Team aus der Türkei anders.
"Wenn das Spiel weiter weg ist, kann man von mir aus fasten, aber wenn der Ernst der Arbeit ansteht, sollte und kann man das Fasten auch später nachholen. Das ist wichtig für die Gesundheit. Wenn es sein muss, fasten wir dann für die Spieler", sagte Ex-Nationaltrainer Fatih Terim, der es aber grundsätzlich auch seinen Spielern überließ, wie sie vorgehen, wie man aus seinem Umfeld hört.
Auch in der Bundesliga ist das Thema Ramadan allgegenwärtig und schon längst in Automatismen der Klubs verewigt. Wichtig ist da vor allem die Kommunikation zwischen betroffenen Spielern und den Trainern, die zumindest im Profibereich ausnahmslos den Spielern die Entscheidung überlassen, ob sie fasten wollen oder nicht.
Einen Fall "FSV Frankfurt" hat es laut Aktenkunde nicht mehr gegeben. Der damalige Zweitligist mahnte im Oktober 2009 seine drei Profis Soumaila Coulibaly, Pa Saikou Kujabi und Oualid Mokhtari ab, weil sie fasteten. "Durch Ihr Verhalten haben Sie Ihr sportliches Leistungsvermögen in erheblicher Weise gefährdet. Dies stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen § 2 j) Ihres Arbeitsvertrags dar", hieß es damals von Vereinsseite in der Abmahnung.
Selbst im strengen Iran gibt es Auswege
Der FSV baute damals in die Verträge der Spieler einen Passus ein, dass sie im Ramadan nicht fasten dürfen, verstieß damit aber gegen die Rechtsgrundlage. Der Sportrechtler und Anwalt der Spielergewerkschaft VDV, Dr. Frank Rybak, sagte: "Pauschal das Fasten oder Diät zu verbieten, ist rechtswidrig." Die Spieler klagten und bekamen recht.
Damals haben sich DFL, DFB und der Zentralrat der Muslime in Deutschland zusammengesetzt, um über Lösungen zu sprechen. Die ist im Prinzip eigentlich sehr einfach, denn der Islam erlaubt den Gläubigen das Fasten auszusetzen, wenn es das Arbeiten für den Lebensunterhalt beeinträchtigt oder es die Gesundheit nicht zulässt.
Man kann das Fasten dann nachholen oder durch eine sogenannte Fitr-Zahlung - eine Art Spende für Bedürftige in angemessener Höhe - die Nichteinhaltung des Gebots ausgleichen. Doch das Problem ist, dass es im Islam keine letzte Instanz gibt, die wie der Papst in der römisch-katholischen Kirche, ungeklärte Fragen beantwortet und ultimative Lösungen predigt. So werden viele Gebote der Religion unterschiedlich aufgenommen und praktiziert.
In eher moderat-islamischen Ländern wie in der Türkei sind Nachholen und Fitr weit verbreitet. In eher strengeren Gebieten und damit bei ihren Völkern nicht. So fasten viele Profis auch trotz der Möglichkeit, es nicht zu tun. Interessant: Selbst im strengen Iran haben sich die Fußballer darauf geeinigt, im Ligabetrieb größtenteils nicht zu fasten. In der Türkei hat man für einen Monat die gängigen Abendspiele nach hinten verlegt, um das Fastenbrechen hinter sich zu bringen, wenn angestoßen wird.
DFB-Lehrwart Lutz Wagner begrüßt Schiedsrichter-Toleranz
In der Bundesliga findet der Spielbetrieb zumeist vor dem Fastenbrechen am Sonnenuntergang statt. In der Regel ist in dieser Saison nur das späte Spiel am Sonntag betroffen oder wie zuletzt das Nachholspiel FC Augsburg - Mainz 05, als der Gäste-Kapitän Moussa Niakhate den Unparteiischen Matthias Jöllenbeck in der Halbzeit fragte, ob es möglich wäre, um die 62. Minute herum, eine Trinkpause einzulegen.
Die gleiche Anfrage gab es beim Spiel RB Leipzig - 1899 Hoffenheim, als Leipzigs Mohamed Simakan von Bastian Dankert die Freigabe bekam, sich ein Energiegetränk und einen Energieriegel zu genehmigen. Nach Informationen von SPOX und GOAL gibt es von Seiten der DFL und des DFB keine allgemeine Vorgabe für die Trinkpausen im Ramadan, sondern sind rein im Ermessen der Schiedsrichter aufgehoben. Die Liga und der Verband begrüßen jedoch das Vorgehen von Jöllenbeck und Dankert.
Auch DFB-Lehrwart Lutz Wagner sagt bei SPOX und GOAL, dass man die Trinkpausen "unterstützt", wenn Spieler danach fragen, und verweist auf die Pausen in heißen Sommermonaten, in denen die Erfrischungspausen für alle Beteiligten im Ermessen des Schiedsrichters auch längst zum gewohnten Bild gehören.
Eine gute Sache hat der Ramadan dann vielleicht für alle Beteiligten. Traditionell gehört es zum guten Ton, dass man zum Fastenbrechen so viele Gäste wie möglich einlädt, um den Augenblick des Brechens zu feiern.
Bei der Frauenfußball-Abteilung des SC Freiburg ist aus dem Fastenbrechen eine Teambuildung-Maßnahme geworden. "Wenn du den ganzen Tag gefastet hast, lädst du Leute ein und dann essen alle zusammen. Das ist eigentlich eine coole Sache", sagt Freiburg-Kapitänin Hasret Kayikci im SWR. Vielleicht hätte Mickael Pote Ümit Özat ja auch einfach nur mal zum Essen einladen sollen.