Unter Thomas Tuchel gehörte Raphael Guerreiro bei Borussia Dortmund noch zu den Überfliegern, in der vergangenen Saison sank sein Stern auch aufgrund permanenter Verletzungen jedoch gehörig. Aktuell gehört der portugiesische Nationalspieler wieder zu den formstärksten Akteuren beim BVB.
Dass bei Borussia Dortmund in der letzten Saison wenig bis gar nichts zusammenpasste, ist hinlänglich bekannt und erzählt. Kaum ein anderer Spieler symbolisierte damals den Widerspruch zwischen sportlicher Klasse und tatsächlichem Ertrag so sehr wie Raphael Guerreiro.
Der gebürtige Franzose, in seinem ersten Jahr bei den Westfalen noch einer der Überflieger unter Thomas Tuchel (7 Tore, 9 Assists in 35 Pflichtspielen), erlebte im Vorjahr das schwärzeste Jahr seiner Karriere.
Guerreiro startete mit einem Knöchelbruch in die Saison, verletzte sich an immer verschiedenen Stellen an seiner Muskulatur, kam am Ende nur auf 820 Pflichtspielminuten und fehlte damit zwei Drittel der gesamten Spielzeit.
Guerreiro beim BVB: "Überragend, wenn er Bock hat"
Da mag man meinen, dass jemand, der so selten auf dem Feld steht, nicht zum Sündenbock in Krisenzeiten taugt. Doch potentielle Sündenböcke gab es im letzten Jahr in Dortmund viele - und auch Guerreiro wurde hinterfragt, in erster Linie sein Arbeitsethos.
Eine mangelnde Professionalität soll ihm seitens der BVB-Verantwortlichen unterstellt worden sein, hieß es. Im Training fehle ihm die richtige Einstellung, die Verletzungsprävention sei verbesserungswürdig und auch mit der Ernährung habe es angeblich gehapert. Hinzu kam eine in den wenigen Partien vermeintlich augenscheinlich lasche Körpersprache.
"Außen vor zu sein, war sehr schwierig", sagte Guerreiro im vergangenen Januar zu seinem Absturz und das glaubte man ihm gleich. Im Juli äußerte sich Jan Siewert, in diesen Tagen von der zweiten Mannschaft des BVB nach Huddersfield gewechselt, und auch ihm glaubte man: "Rapha ist ja überragend, wenn er Bock hat."
Guerreiro gehört zu den formstärksten BVB-Akteuren
Daran schieden sich letztlich die Geister, sowohl unter den schwarzgelben Anhängern, als in freilich abgeschwächter Form bei den Entscheidungsträgern: Wo ist die Batterie hin, wie Guerreiros Spitzname seit seiner Jugend lautet, weil sein Spiel eine hohe Energie ausmachte? War der taktisch flexibel einsetzbare und offensivstarke Tuchel-Guerreiro womöglich nur ein One-Hit-Wonder?
Blickt man auf Guerreiros Leistungen seit der zweiten Hälfte der Hinrunde, lautet die Antwort ganz simpel: Nein. Die Batterie ist vielmehr zurück, aktuell gehört der portugiesische Nationalspieler zu Dortmunds formstärksten Akteuren.
"Rapha ist ein toller Fußballer, der im vergangenen Jahr unheimlich viele kleinere Verletzungen hatte und dadurch nie in den Rhythmus kam. Jetzt ist er in einer außergewöhnlich guten Verfassung", lobte der bei Lob eher zurückhaltende Sportdirektor Michael Zorc und ergänzte am Donnerstag auf der PK vor dem kommenden Bundesliga-Spiel gegen Hannover 98 (Samstag, ab 15.30 Uhr im LIVETICKER): "Jetzt sieht man ihm wieder die Freude an, da hat der Trainer auch eine gewisse Rolle gespielt."
Favre spielt die Hauptrolle - wie einst Tuchel
Und trifft damit den Nagel auf den Punkt. Denn auch in diese Spielzeit erwischte Guerreiro, der aufgrund seiner WM-Teilnahme erst spät in die Vorbereitung einstieg, keinen Traumstart. Erneut waren es wiederkehrende muskuläre Probleme, die ihn zwischenzeitlich ausbremsten und fünf Pflichtspiele kosteten.
Als der 25-Jährige vor einem Jahr über sein Dasein im Verletztenlager referierte, äußerte er auch folgenden Satz: "Wir brauchen einen Trainer, der uns peitscht." Diesen hat der BVB in Favre gefunden: Der Schweizer hat bei den Westfalen vor allem (taktische) Disziplin, Trainingsschärfe und eine neue Gier implementiert.
Es liegt somit auf der Hand, dass für Guerreiros Aufschwung der Trainer die Hauptrolle spielt - so wie es auch einst bei Tuchel der Fall war. "Er kommt seit ein paar Wochen peu a peu", lautet eine typische Favre-Einschätzung zum Zustand seines Schützlings.
Doch kaum hatte der Coach diesen Satz kundgetan, entpuppte er sich als wahr, denn Guerreiro wurde tatsächlich immer besser und stand in drei der letzten vier Pflichtspiele von Beginn an auf dem Feld. Die Stärken, die Guerreiro dabei aus dem linken Mittelfeld heraus einbringt, sind dieselben wie unter Tuchel. "Er hat mir beigebracht, wie ich im zentralen Mittelfeld spielen soll, das kannte ich vorher nicht", sagte er einmal über den heutigen PSG-Trainer.
Guerreiro bringt seine vielseitigen Stärken ein
So taucht Guerreiro nun mal im Halbraum auf, mal an der Außenlinie, geht mit schnellen Dribblings in die Tiefe, wechselt die Seite, kombiniert gut in engen Räumen, löst sich technisch stark vom Ball, sucht den Abschluss und tritt ordentliche Standards. Zwei davon führten bereits zu Toren. Auch den Siegtreffer im Derby auf Schalke bereitete er vor. Dank seiner Doppelpacks gegen Atletico und Monaco ist er zudem Dortmunds bester Torschütze in der Königsklasse.
Und Guerreiros Körpersprache? Die hat sich dabei im Vergleich zur letzten Saison eigentlich gar nicht verändert. Vielmehr ist er ein weiteres von zahlreichen Exempeln dafür, welch großen Anteil ein gestiegenes Selbstvertrauen und ein dank einer erfolgreichen Mannschaft freier Kopf für einen Profifußballer haben können.
"Wir haben eine sehr gute Mannschaft und alle geben im Training das Beste, um in den Spielen unsere Leistung abrufen zu können", sagt Guerreiro. So klingt das dann, wenn sich Verein wie Spieler aus einem mental anstrengenden Loch herausgekämpft haben.
In Monaco, als Favre seine Elf stark veränderte und Guerreiro doppelt traf, habe man sehen können, "wie sehr die Spieler, die sonst nicht so viel spielen, hinter der gemeinsamen Sache stehen". Dass dies wieder so ist, ist nicht nur für das frühere Sorgenkind eine gute Nachricht.
Raphael Guerreiro: Seine Leistungsdaten beim BVB seit 2016/17
Wettbewerb | Spiele | Tore | Assists |
Bundesliga | 42 | 7 | 9 |
DFB-Pokal | 9 | 0 | 2 |
Champions League | 13 | 6 | 2 |
Europa League | 1 | 0 | 0 |