Am Dienstagabend gastiert Manchester United (20.30 Uhr im LIVE-TICKER sowie bei SAT.1 und auf SKY) in der Allianz-Arena. Zeit für einen großen Leistungscheck: Wie präsentiert sich der englische Meister vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen Bayern? Raphael Honigstein hat sich die Red Devils ganz genau angesehen.
Tor
Edwin van der Sar. Der große dünne Orangene im Tor hat ein bisschen an Explosivität auf der Linie eingebüßt, macht dafür aber kaum Fehler und pflückt die Bälle im Strafraum mit enormer Ruhe herunter. Spielt unauffällig gut und strahlt jene Arroganz aus, die man in England von einem Keeper gerne sieht. Besonders seine schnellen, präzisen Abwürfe sind in der Premier League gefürchtet. Van der Sar wird im Oktober 40, das sieht man ihm aber nicht an: passend für einen Spieler, der aus dem niederländischen Städtchen Voorhout stammt, steht er immer noch wie eine Eins.
Kristallkugel sagt: likely to kick Butt's butt.
Abwehr
Gary Neville. Der schnellste, beste und schönste Rechtsverteidiger wird "Gaz" mit seinen 35 Jahren nicht mehr werden, dafür sorgt allein schon die unglückliche Kombination aus Topfhaarschnitt und Bravo-Leser-Gesichtshaarflaum. Nach einer langwierigen Verletzung hat sich David Beckhams Trauzeuge allerdings wieder ins Team gekämpft. Der Kapitän rackert und flankt soviel, dass ihm Alex Ferguson vielleicht sogar einen neuen Vertrag geben will. Vater Nevil Neville (ja, der heißt wirklich so) muss unheimlich stolz sein.
Kristallkugel sagt: Franck reich an Möglichkeiten.
Wesley "Wes" Brown. Der Lieblingsspieler aller ABUs (Anything but United), eine Art Lell aus Lancashire. Steht in der Riege der großen Wesleys (Wesley Sneijder, Fred Wesley, Wesley Snipes) ziemlich weit hinten, ist aber aus bayerischer Sicht seit Anfang März leider nicht mehr als laufender Schwachpunkt bei den Red Devils im Einsatz.
Kristallkugel sagt: darf sich im Franziskaner einen schönen Abend machen.
Rio Ferdinand. Hat - wie Horst Schlämmer - "Rücken", ist aber nach vielen verpassten Partien rechtzeitig zur heißen Phase der Saison wieder im Dienst. Der Innenverteidiger, der einst vergaß, in einen Becher zu machen - und darauf acht Monate gesperrt wurde - hat seine chronische Konzentrationsschwäche weitestgehend überwunden, steht aber nach schnellen Flanken in den Rückraum ab und zu gerne zu weit vom Gegner (siehe Messi-Tor in Rom, Torres-Kopfball im Old Trafford am vergangenen Sonntag).
Kristallkugel sagt: bisschen wie Britney ohne BH - nicht in Bestform.
Rafael. Toller Name, tolle Eazy E-Locken, aber für den Europapokal ist der rechte Verteidiger aus Brasilien mit seinen 19 Jahren noch eine Spur zu grün hinter den Ohren.
Kristallkugel sagt: nur ein Thema, falls Ribéry in der ersten Hälfte Neville vernascht.
Nemanja Vidic. Der Serbe nervt Ferguson in dieser Saison ein wenig mit Avancen in Richtung Spanien und nicht diagnostizierbaren Verletzungen, hat jedoch keine ernsthafte Konkurrenz im Kader. Ein Eisenschädel und Weltklassemann, der nur Probleme bekommt, wenn sich schnelle, trickreiche Mittelstürmer schnell um ihn drehen. Wird also gegen Bayern keine Probleme bekommen.
Kristallkugel sagt: kann sich seine Kräfte für das Hass-Duell mit Didier Drogba (3. April) sparen.
Patrice Evra. Der kleine Giftzwerg gehört ohne Frage zu den drei, vier besten Linksverteidigern der Welt; Pep Guardiola stellte im Champions-League-Finale Lionel Messi nicht umsonst in der Sturmmitte auf. Der 28-Jährige Franzose ist der Meister der Provokation und des kleinen, versteckten Fouls. Sein Privatduell mit Robben dürfte zumindest das Hinspiel entscheiden.
Kristallkugel sagt: Aua für Arjen.
Mittelfeld
Michael Carrick. Ferguson, so wurde gemunkelt, machte den Mittelfeldstrategen persönlich für die Niederlage in Rom verantwortlich. Dementsprechend schleppend verlief für den Nationalspieler auch der Saisonanfang. Mittlerweile ist der 28-Jährige aber wieder in der Startelf gesetzt und der Taktgeber in der Zentrale.
Kristallkugel sagt: kein Schweini in Minga = Glück für Mike.
Darren Fletcher. "Fletch" galt lange als Beweis für Uniteds verfehlte Personalpolitik. Noch vor drei, vier Jahren schrie alles nach einem stärkeren, charismatischeren Nachfolger von Roy Keane zwischen den Strafräumen. Der Schotte ist Fergies Didi Hamann (mit entspannterer Gesichtsmuskulatur): sieht unscheinbar aus, ist aber enorm ballsicher und zweikampfstark. Gegen Liverpool und Milan in großartiger Form.
Kristallkugel sagt: die unsichtbare Mauer steht.
Ryan Giggs. Der Waliser hat dieses Jahr nur drei Spiele von Anfang an bestritten, keines davon seit Anfang Februar. Ferguson setzt den 36-Jährigen zur Zeit bevorzugt als Vorsprungsverwalter in der zweiten Hälfte ein. Macht das meiste mit dem Auge, muss aber sehen, dass er weder im zentralen Mittelfeld noch auf den Flügeln an den Kollegen vorbei kommt.
Kristallkugel sagt: spielt nur, falls alles nach Plan läuft.
Paul Scholes. Der Mann, der nicht grätschen kann - oder ein extrem guter Fouler ist, je nachdem, wie man will - ist ein Jahr jünger als Giggsy und auch ein Jahr frischer. Rotiert ständig aus dem Team rein und raus, macht wichtige Tore und wenig Fehler. Ein echter Veteran eben.
Kristallkugel sagt: 4711 - immer dabei.
Ji-Sung Park. Läuft weiter unermüdlich wie ein peruanischer Wüstenhase auf Speed über den Platz, aber nun in neuen Rollen. Zu Hause gegen Milan gab der Süd-Koreaner einen Manndecker im zentralen Mittelfeld (gegen Andrea Pirlo), gegen Liverpool die hängende Spitze. Man United's Man of the Moment.
Kristallkugel sagt: kann nebenbei gegen Ivica Olic einen Halb-Marathon bestreiten.
Honigstein: Über Park und Co.: "Die Jungs vom Maschinenraum"
Nani: Nach einer Katastrophenvorrunde schon auf dem internen Abstellgleis, nun aber endlich nahe dran, sein enormes Potenzial zu bestätigen. Das Dribbelgenie zeigt jetzt auch zunehmend Klarheit und Stringenz in seinen Aktionen.
Kristallkugel sagt: tanzt mit Lahm Lambada
Antonio Valencia: Spielt der Nachfolger von Cristiano Ronaldo überraschend stark oder genau so gut, wie man es von einem 20 Millionen-Euro-Transfer erwarten muss? Wayne interessiert's? Der Ekuadorianer interpretiert seine Rolle als Flügelstürmer sehr mannschaftsdienlich und mittlerweile so effizient, dass sich das zentrale Mittelfeld aufs reine Ball-Apportieren konzentrieren kann. Macht als Flankenmaschine Rooney zum Kopfballungeheuer.
Kristallkugel sagt: Diego (Contento) muss zum Guido werden, um gegen ihn zu bestehen.
Sturm
Wayne Rooney. "Ihn zu stoppen, das ist, als wollte man mit bloßen Händen einen Autobus aufhalten", schrieb der "Daily Mirror", vor knapp 40 Jahren, über Gerd Müller. "Roo", 24, drängt diese Saison langsam aber sicher in ähnliche Sphären vor. Ein An-der-Schulter-des-letzten-Verteidigers-Kleber a la Roy Makaay oder Ruud van Nistelrooy wird er nicht mehr werden, doch seit Lord Ferg dem wilden Sternenzerstörer ein festes Koordinatensystem (18 bis 25 Meter vor dem gegnerischen Tor) verpasst hat und der Nationalspieler nicht mehr kreuz und quer über den Rasen rumwurschtelt, ist er kaum noch zu bändigen.
Kristallkugel sagt: die rote Seite der Macht ist stark in dem Jungen.
Dimitar Berbatow. Immer anspielbar, genial am Ball, tödlich vor dem Tor: der Bulgare macht als FIFA 10-Figur unheimlich viel Spaß. In der Realität ist er der teuerste Bankspieler der Welt, aber natürlich bei Weitem kein Schlechter. Als Einwechselspieler, der das Tempo aus der Partie nehmen oder eine zusätzliche Anspielstation vor Rooney geben kann, leistet er in wenigen Minuten Großes. Zehn Tore stehen in dieser Saison für den Schmidtchen Schleicher des Fußballs zu Buche.
Kristallkugel sagt: auch Kurzzeit-Künstler sind für Meisterwerke gut.
Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig.