"Hoeneß war wie ein Vater für mich"

Benjamin Wahlen
29. Februar 201612:10
Uli Hoeneß holte Roque Santa Cruz im Mai 1999 zum FC Bayern Münchengetty
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Roque Santa Cruz kam im Alter von 17 Jahren als Riesen-Talent zum FC Bayern. Heute steht er in Mexiko unter Vertrag, kickt aber beim FC Malaga und beschäftigt sich bereits mit der Zeit nach dem Fußball. Santa Cruz über wilde Schafkopf-Runden im Bayern-Bus, das väterliche Verhältnis zu Uli Hoeneß und die Entstehung des berühmten Hits der Sportfreunde Stiller.

SPOX-Redakteur Benjamin Wahlen traf Roque Santa Cruz in Malaga vor dem Spiel gegen Real Madrid am Trainingscenter des Klubs. Als kleines Mitbringsel schenkte SPOX Santa Cruz ein Schafkopf-Kartenspiel, das er zu seiner Zeit in München immer sehr gerne gespielt hat. Santa Cruz packte das Spiel sofort aus und ging fröhlich die einzelnen Karten durch "Ah, Schellen Geier und hier die Hundsgefickte".

SPOX: Herr Santa Cruz, ich habe Ihnen ein original Schafkopf-Kartenspiel aus Bayern mitgebracht. Welche Erinnerungen weckt das in Ihnen?

Roque Santa Cruz: Erstmal vielen Dank, das ist wirklich eine tolle Überraschung. Ich habe während meiner Zeit in München sehr viel Schafkopf gespielt...

SPOX: ... was für einen Südamerikaner eigentlich ungewöhnlich ist. Wie sind Sie zum Schafkopfen gekommen?

Redakteur Benjamin Wahlen mit Roque Santa Cruzspox

Santa Cruz: Das ist bei den Fahrten im Mannschaftsbus passiert. Im Bayern-Bus saßen an allen Tischen Vierergruppen, die Karten gespielt haben. Die haben gelacht und geschrien und geschimpft, da wollten wir natürlich auch mitmachen. Ich habe dann meistens an einem Tisch mit Bernd Dreher, unserem Schafkopf-Lehrer, Alexander Zickler, Hasan Salihamidzic, Giovane Elber und Claudio Pizarro gespielt. Später kamen dann noch Martin Demichelis, Roy Maakay und Sebastian Deisler dazu. Irgendwann gab es sogar einen rein südamerikanischen Tisch. Das war wirklich eine tolle Zeit.

SPOX: Was für ein Tarif wird denn vor solchen Runden ausgehandelt?

Santa Cruz: Das darf man eigentlich gar nicht erzählen. Meistens lag der Tarif schon bei 10/20/50.

SPOX: Cent oder Euro?

Santa Cruz: (lacht) Belassen wir es bei 10/20/50.

SPOX: Haben Sie auch mal mit Uli Hoeneß gespielt?

Santa Cruz: Ich persönlich nicht, er hat immer ganz vorne an einem Tisch mit Mehmet Scholl, Markus Babbel und Jens Jeremies gespielt.

SPOX: Gerüchten zufolge verlor er mit bestechender Regelmäßigkeit größere Summen.

Santa Cruz: Ja, das stimmt. Zu mir hat er aber jedes Mal gesagt, er sei in Wirklichkeit ein ausgezeichneter Spieler und die anderen würden immer schlecht spielen. (lacht)

SPOX: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erstmals von seiner Steuer-Affäre erfahren haben?

Santa Cruz: Uli ist ein super Typ, der nicht nur von den Fans sehr geliebt wurde, sondern auch von den Spielern. Für mich und viele andere junge Spieler war er wie ein Vater. Ich habe Uli als immer korrekt kennen gelernt und war geschockt, als ich davon gehört habe. Aber es ist in Ordnung, im Leben Fehler zu machen. Man muss nur dazu stehen und die Konsequenzen tragen, auch wenn das für einen Mann wie Ihn, der vorher solch eine Reputation genossen hat, nicht einfach ist. Trotzdem ist er den Schritt von sich aus gegangen.

SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren alten Kollegen beim FC Bayern?

Santa Cruz: Ja, das auf jeden Fall. Vor kurzem habe ich Thomas Linke in Salzburg getroffen. Das ist ja das Schönste am Fußball, dass man fast überall Menschen trifft, die früher mal Mitspieler von einem waren. So hat man Freunde auf der ganzen Welt. Gleichzeitig halte ich auch mit vielen ehemaligen Bayern-Spielern Kontakt über Facebook und kriege mit, was sie heute treiben.

SPOX: Wie verfolgen Sie die Entwicklung beim FC Bayern?

Santa Cruz: Regelmäßig. Der Klub hat sich toll entwickelt und gehört heute sicher zu den besten drei Adressen in Europa. Als ich da war, hat der Verein noch viel Wert darauf gelegt, deutsche Spieler in den eigenen Reihen zu haben, das ist heute nicht mehr so stark der Fall. Ich denke aber, dass dies der einzige Weg ist, um auch im internationalen Vergleich mit Barcelona und Madrid konkurrenzfähig zu bleiben. Diese beiden Teams kaufen die besten Spieler der Welt, völlig egal, wo sie herkommen. Es ist schwierig, mit ihnen mitzuhalten, wenn man nicht das gleiche macht. Ich freue mich auf jeden Fall riesig über den Erfolg des Vereins und schaue immer gerne zu, wenn der FCB spielt.

SPOX: Sie sind damals im Alter von 17 Jahren aus Ihrer Heimat Paraguay nach München gewechselt. Um ihren damaligen Präsidenten, Osvaldo Dominguez Dibb, ranken sich noch heute irre Geschichten mit Kalaschnikows, vollgepinkelten Autos und Schusslöchern im Kabinendach. Was ist tatsächlich dran an diesen Storys?

Santa Cruz: Zunächst muss ich sagen, dass diese Geschichten in der Realität nicht so drastisch waren, wie sie manchmal dargestellt wurden. Unser Präsident war einmalig, er hat den Fußball und den Verein geliebt wie kein anderer. Er hat immer beim Training zugeschaut, damit man auch ja alles gibt. Er war immer bei der Mannschaft, wusste genau, wer wie drauf ist und was zwischen den Spielern los ist. Ich habe so etwas in meiner ganze Karriere nie mehr wieder erlebt. Für mich war das ja ohnehin eine ganz aufregende Zeit, als 15-Jähriger plötzlich bei den Profis zu spielen und gleichzeitig noch zur Schule zu gehen. Dort haben mich alle immer angeschaut und gesagt: 'Guck mal, das ist der Fußballer.' Trotzdem hatte ich vor meinen ersten Spielen echt Bammel, nachdem ich ein paar Storys von unserem Präsidenten gelesen habe und dachte: Hoffentlich gewinnen wir und hoffentlich spielst du gut. (lacht)

SPOX: Ihre Karriere hat Sie in drei europäische Top-Ligen, Deutschland, England und Spanien, geführt. Welche Liga hat es Ihnen am schwersten gemacht?

Santa Cruz: Als ich noch in der Bundesliga spielte, gehörte sie zu den vier Top-Ligen, heute sehe ich sie zusammen mit der spanischen als stärkste Liga Europas, das sieht man auch in der Champions League. Dortmund, Bayern, Barcelona und Real Madrid gehören immer zu den Titelfavoriten. Das hat viel damit zu tun, wie in Deutschland und Spanien Fußball gespielt wird. Dort zählt jedes Spiel, egal welcher Pokal oder Wettbewerb. In England ist zwar viel Geld, die internationalen Wettbewerbe werden aber erst ab dem Viertel- oder Halbfinale wichtig. Aber ich war auch gerne in England. Dort geht es samstags und sonntags nur um Fußball, dazu das Wetter und die Schiedsrichter, die viel laufen lassen. Die drei Ligen sind alle verschieden, aber ich hatte überall Spaß.

SPOX: Tatsächlich verlief Ihr Start in der Premier League ausgezeichnet, mit 19 Toren in der ersten Saison legten Sie bei den Blackburn Rovers furios los. Obwohl Sie mehrfach betonten, bleiben zu wollen, gingen Sie nach dem zweiten Jahr zu Manchester City. Was war passiert?

Santa Cruz: Ich wollte damals auch gerne bei den Rovers bleiben. Allerdings fingen zum Saisonende meine Probleme mit dem Knie und der Patellasehne an. Ich habe dem Verein dann ganz ehrlich gesagt, dass ich nicht sicher sagen kann, wie sich meine Verletzung entwickelt und wie viel ich in der nächsten Saison leisten kann. Weil Blackburn gleichzeitig viele Angebote für mich vorlagen, sind wir in eine Situation gekommen, in der man überlegen musste, was das Beste für beide Seiten ist. Gemeinsam haben wir uns dann entschieden, dass ich zu City wechsle. Der Verein hat so gutes Geld für mich bekommen und ich konnte mich in Manchester auf meine Genesung konzentrieren. Für die Fans war das natürlich schwer zu verstehen, weil sie von den ganzen Prozessen, die im Hintergrund liefen, nichts wussten.

SPOX: Für Sie persönlich erwies sich der Wechsel nicht als Glücksgriff, Manchester verfiel in einem regelrechten Kaufrausch, dem auch Sie zum Opfer fielen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Santa Cruz: Uns war ja klar, dass der Scheich, der den Verein gekauft hatte, große Ambitionen hatte. Man wollte nicht mehr um Platz acht bis zehn mitspielen, sondern unter die ersten Vier. Für mich war es in der ersten Saison schon sehr schwer, mich nach der Verletzung zurück zu kämpfen. Im zweiten Jahr wurde dann aber nochmal extremer eingekauft und plötzlich standen neben mir auch Stürmer wie Sergio Agüero, Emanuel Adebayor, Carlos Teves, Craig Bellamy und Mario Balotelli im Kader. Teilweise hatte Manchester acht Topstürmer und über 35 Profis. Weil man aber nur 25 für die Spiele melden konnte, blieb einem oft nur die Tribüne.

SPOX: Zogen Sie deshalb weiter in die Primera Division?

Santa Cruz: Es war nicht leicht, so wenige Einsätze zu bekommen, ja. Andererseits war es für mich persönlich aber auch wichtig, um meine Verletzung wirklich auskurieren zu können. In einem anderen Verein hätte ich sicher viel früher wieder auf dem Platz gestanden. So habe ich aber kaum Drück gespürt und konnte mich ruhigen Gewissens auf mich konzentrieren. Irgendwann kommt dann aber der Punkt, an dem du dich entscheiden musst, ob du unbedingt spielen willst, oder ob du auch glücklich bist, wenn du auf der Bank sitzt. Ich wollte immer spielen, deswegen bin ich nach Malaga gegangen.

SPOX: Wo Sie mit dem FC Malaga sogar in der Champions League spielten. Nach dem ersten Jahr machten sich Gerüchte um einen Wechsel zurück in die Bundesliga zum Hamburger SV, breit. Was war damals tatsächlich dran?

Santa Cruz: Die Situation in Malaga war nicht einfach. Der Scheich gab plötzlich bekannt, kein Geld mehr in den Verein investieren zu wollen, weshalb die Spieler mit den großen Verträgen gehen sollten. Als dann die Anfrage vom HSV kam, wo mein ehemaliger Mannschaftskollege Thorsten Fink Trainer war, wollte ich gerne zurück in die Bundesliga und zeigen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Aber meine Familie hat sich in Malaga sehr wohl gefühlt. Meine Frau hat hier viele Freundinnen, was in Deutschland und England nicht der Fall war, meine Kinder gehen zur Schule, wir alle sind hier sehr glücklich. Als sich dann plötzlich die Möglichkeit ergab, für deutlich reduzierte Bezüge doch in Malaga zu bleiben, habe ich das Angebot aus Hamburg abgelehnt. Ich wäre zum HSV gegangen, aber für meine Familie war es besser, dass ich bleibe.

SPOX: Anfang des vergangenen Jahres wechselten Sie dann aber doch nach Mexiko. Woher der Sinneswandel?

Santa Cruz: Der Wechsel zu CD Cruz Azul ging sehr schnell über die Bühne. Malaga lagen einige gute Angebote für Spieler vor, weshalb man an mich herangetreten ist und mir gesagt hat, dass man die Möglichkeit hätte, mich zu verkaufen. Gleichzeitig sagte man mir, dass man nicht mehr in der Lage sei, mein Gehalt zu bezahlen. In Mexiko konnte ich hingegen nochmal einen Zwei-Jahres-Vertrag unterschrieben. Ich habe dann mit meiner Familie gesprochen, dass ich nur für zwei Jahre weg gehe und dann zurück nach Malaga komme und anschließend zugesagt. Das war natürlich nicht leicht für mich, aber manchmal muss man als Fußballer solche Entscheidungen treffen.

SPOX: Hand aufs Herz. Wie weit schwingt da bereits der Gedanke an das Karriereende mit? Sie werden bald 35, da muss man auch an die Zeit danach denken...

Santa Cruz: Natürlich spielt das eine Rolle und man denkt auch darüber nach, was man noch mitnehmen kann und will. Diese Entscheidung dann aber wirklich zu treffen, ist viel schwerer, als man denkt. Ich habe vier Kinder, davon sind drei in der Schule, haben dort Freunde und wollen auch mal mit ihrem Papa spielen. Da gehst du nicht so einfach nach Indonesien, liegst den ganzen Tag am Strand und spielst zwischendurch ein bisschen Fußball für gutes Geld. Ich wollte in meinem Leben immer da spielen, wo es schwierig ist, wo man sich mit den besten messen und jeden Tag prüfen kann. Und solange ich noch spüre, dass ich mit den Jungen mithalten und mit fast 35 Jahren Tore schießen kann, will ich weitermachen. Die mexikanische Liga ist da ein guter Kompromiss.

SPOX: Trotzdem treffen wir uns hier in Malaga. Wie kam es zu dem Leihgeschäft?

Santa Cruz: Nach den ersten sechs Monaten in Mexiko hatte ich eine schwere Muskelverletzung und konnte lange nicht spielen. Weil die Saison in Mexiko nur ein halbes Jahr lang ist, hat man mir angeboten, dass ich woanders hingehen kann, um wieder fit zu werden und Spielpraxis zu sammeln. Ich habe dann hier in Malaga angerufen und konnte sofort zurückkehren.

SPOX: Und wie geht es nach der Saison weiter?

Santa Cruz: Ich muss auf jeden Fall zurück nach Mexiko und habe dann noch ein halbes Jahr Vertrag. Danach gehe ich wieder zu meiner Familie, denke ich. Aber wer weiß, im Fußball kann alles passieren...

SPOX: ... wie zum Beispiel plötzlich der Star in einem Indie-Rock-Song zu sein. Wie ist es damals dazu gekommen?

Santa Cruz: Haha, genau. Mehmet Scholl war mit den Sportfreunden Stiller befreundet und hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, bei einem Lied mit zu machen. Weil ich Musik liebe und jeden Tag Gitarre spiele, habe ich natürlich zugesagt, das war ein Traum von mir. Im Tonstudio haben wir dann auch keine fünf Minuten gebraucht. Ich habe einfach gesagt "Ich Roque" und sollte es dann noch ein zweites Mal sagen und schon waren wir fertig und ich sehr glücklich.

SPOX: Fortan kannte Sie fast jeder in Deutschland. Was war das für ein Gefühl?

Santa Cruz: Das war herrlich, wann immer wir Testspiele im Umkreis von Bayern hatten, lief das Lied, wenn ich ein Tor geschossen habe und alle haben immer "Ich Roque" gerufen, wenn sie mich gesehen haben. Das hat mir großen Spaß gemacht.

SPOX: Hinter ihnen liegt eine lange und außergewöhnliche Karriere. Der von Uli Hoeneß 2002 prognostizierte Schritt zum besten Stürmer der Welt ist Ihnen dabei jedoch verwehrt geblieben. Mit welchen Gefühlen blicken Sie zurück?

Santa Cruz: Ich bin glücklich über die Zeit, die hinter mir liegt. Gemessen an den vielen Verletzungen, die ich hatte, habe ich viel geschafft. Ich hätte zum Beispiel niemals gedacht, dass ich mit 28 noch Fußball spielen kann. Auch heute noch ist jeder Tag ein Kampf. Gegen die Schmerzen und den inneren Schweinehund. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und bin durch schwierige Zeiten gegangen.

SPOX: Vor 17 Jahren kamen Sie als strahlender Mädchenschwarm nach Deutschland, heute sitzen Sie vor mir, sind doppelt so alt, aber strahlen nicht weniger. Wie haben Sie sich ihre freundliche und erfrischende Art erhalten?

Santa Cruz: Vielen Dank. Ich denke viel hängt damit zusammen, dass ich auch heute noch der gleiche Junge bin, der damals zum FC Bayern gegangen ist. Es gab Phasen, in denen habe ich viel zu sehr darauf geachtet, was andere von mir erwarten und was aus ihrer Sicht aus mir werden soll. In diesen Zeiten habe ich wenig Spaß gehabt und mir vorgenommen, viel zu arbeiten und gleichzeitig an meinen Werten und Idealen festzuhalten. Heute habe ich eine tolle Familie und bin ich sehr stolz auf das, was ich erreicht habe.

SPOX: Sehen wir Sie denn nochmal im Trikot der Nationalmannschaft? Zuletzt fehlten Sie verletzungsbedingt.

Santa Cruz: Mit 34 gehört man schon zum alten Eisen und muss in bester Verfassung sein, um der Nationalmannschaft helfen zu können. Aber ich habe immer gesagt, dass ich mein Land liebe und sofort zur Verfügung stehe, wenn ich gebraucht werde. Ich würde nie zurücktreten. Aber wer weiß, vielleicht habe ich noch ein paar Spiele und kann noch das eine oder andere Tor für Paraguay schießen.

Roque Santa Cruz im Steckbrief