Chaostage auf Schalke: S04 wechselt nach dem Spieler-Aufstand gegen Christian Gross seine komplette sportliche Leitung. Der Trainer und Sportvorstand Jochen Schneider müssen gehen. Das Traineramt übernehmen soll eine Schalke-Legende - doch ob die sich das antut?
Christian Gross schlich am Sonntagmorgen um kurz vor halb zehn mit gepackten Taschen zur Geschäftsstelle, seine schwarze Basecap tief ins Gesicht gezogen.
Nach der letztlich erfolgreichen Spieler-Revolte musste sich der Trainer bei Schalke 04 seine Papiere holen - zusammen mit Sportvorstand Jochen Schneider. Ein Paukenschlag und der letzte Akt in einem dramatischen Missverständnis.
Einen Tag nach dem peinlichen 1:5 (1:3)-Debakel bei Aufsteiger VfB Stuttgart machte das abgeschlagene Bundesliga-Schlusslicht Tabula rasa.
Kommentar: Keine Führung, kein Charakter, keine Hoffnung
Neben Gross, seinem Assistenten Rainer Widmayer und Schneider, der nach knapp zwei Jahren ohnehin zum Saisonende hätte gehen sollen, wurden auch Sascha Riether, der Lizenzspieler-Koordinator, und Athletik-Coach Werner Leuthard geschasst. Ein weiterer Tiefpunkt in der Horrorsaison in Königsblau, Fans hängten Banner im Stile von Traueranzeigen am Klubgelände auf.
Aufsichtsrat: "Die sportliche Situation ist eindeutig"
"Die getroffenen Entscheidungen sind nach den enttäuschenden Auftritten gegen Dortmund und Stuttgart unausweichlich geworden. Wir brauchen nicht Drumherum zu reden: Die sportliche Situation ist eindeutig, deshalb müssen wir bei jeder noch zu treffenden Personalentscheidung auch über die Saison hinausdenken. Gleichzeitig steht nun die Mannschaft in der Pflicht, das letzte Drittel der laufenden Spielzeit so erfolgreich wie möglich zu bestreiten. Das sind die Spieler Klub und Fans schuldig", erklärt Dr. Jens Buchta, Vorsitzender des Aufsichtsrates.
Die Wiedergeburt soll mit alten Bekannten glücken: Die sportliche Gesamtverantwortung trägt bis auf Weiteres Peter Knäbel. Mit Blick auf die Planungen für die neue Saison wird nach Klubangaben der Direktor Nachwuchs und Entwicklung wie bisher von U19-Chef-Trainer Norbert Elgert und Mike Büskens unterstützt.
Büskens (52) stand als Assistent von Huub Stevens bereits im Dezember 2020 und auch schon 2019 nach der Entlassung von Domenico Tedesco bei den Schalker Profis mit in der Verantwortung. 2008 und 2009 hatte er die Schalker Profis ebenfalls interimistisch schon als Cheftrainer betreut. Auch jetzt soll der Aufsichtsrat nach Informationen von SPOX und Goal Büskens gebeten haben, bis auf Weiteres das Training der Profis zu betreuen. Doch der einstige Eurofighter soll sich noch zieren.
Die Koordination der Lizenzspielerabteilung übernimmt bis zum Ende der Saison Gerald Asamoah, Manager der U23. Die für Montag angesetzte Trainingseinheit wird von den Athletik-Trainern geleitet, die Suche nach einem neuen Coach dauert an.
Der Schweizer Gross, erst Ende Dezember als bereits vierter Trainer der Saison geholt, gewann nur eines von elf Pflichtspielen. Zuletzt putschten mehrere Führungsspieler, und am Samstag ging S04 auch noch beim VfB unter.
Spieler hatten Ablösung von Gross gefordert
"Für mich gibt es kein Aufgeben, nie", sagte der 66-Jährige noch nach der Pleite in Schwaben. Ein paar wenige versprengte Schalke-Fans hatten dort den abfahrenden Teambus mit den "peinlichsten Rebellen der Bundesliga" (BAMS) mit Beschimpfungen verabschiedet.
Laut Bild hatten Kapitän Sead Kolasinac, Rio-Weltmeister Shkodran Mustafi und Rückkehrer Klaas-Jan Huntelaar bei Schneider und Riether die Ablösung des Trainers gefordert. Als Ersatz sollen auch sie Mike Büskens und U19-Coach Norbert Elgert vorgeschlagen haben, die jedoch beide abwinkten.
Der Verein dementierte entsprechende Berichte. "Eine Revolution war da überhaupt nicht", betonte Riether in Stuttgart. Gab es denn diese Gespräche überhaupt? "Nein", sagte Mustafi kopfschüttelnd im ZDF. Haben sich die Medien das alles ausgedacht? Mustafi zuckte mit den Schulter und sagte knapp: "Wahrscheinlich."
Gross nach nur zwei Monaten gescheitert
Doch wenige Stunden später kam es zum großen Knall. Jetzt steht der designierte Absteiger ohne sportliche Führung da. Die ARD-Sportschau bescheinigte Schalke schon vor dem harten personellen Schnitt einen "Untergang an allen Fronten".
Das Grauen in Stuttgart hatte Gross meist wie zu einer Statue erstarrt in der linken Ecke seiner Coaching-Zone stehend verfolgt, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben. Nach der Klatsche sprach er von einem "bitteren Tag". Es war sein 63. und letzter im Amt als Schalke-Trainer.
Doppelpacker Wataru Endo (10./26.), Sturmtank Sasa Kalajdzic (34.) mit seinem elften Saisontor sowie die eingewechselten Philipp Klement (88.) und Daniel Didavi (90.+2) sicherten dem VfB den erst zweiten Heimsieg dieser Spielzeit. Kolasinac konnte nur verkürzen (40.). Der eingewechselte Nabil Bentaleb vergab die Chance zum 2:3, als er mit einem Foulelfmeter an VfB-Torwart Gregor Kobel scheiterte (72.).
Die ersten drei Gegentore fielen, mal wieder, nach Standards. Gross musste einräumen, dass seine "gemischte Raum-Manndeckung" überhaupt nicht funktioniert hatte. Und die Rebellion der Profis? Konflikte sollten "unter vier Augen, offen, direkt" ausgetragen werden, sagte er, "das erwarte ich auch von solchen Spielern, die nicht mit mir umgehen können". Dazu kam es nun nicht mehr.