Die Rückkehr in die Bundesliga hat Schalke verpatzt. Den Fehlstart nur auf die widrigen Umstände zu schieben, greift aber zu kurz. Die Mannschaft offenbart viele Baustellen und über allem steht die Frage, ob der Kader den Ansprüchen der Liga auch gerecht wird.
"Leistung ist planbar, Ergebnisse sind nicht planbar." Der Satz stammt vom großen Fußball-Philosophen Arrigo Sacchi und am vergangenen Wochenende musste der FC Schalke 04 dessen Wahrheitsgehalt auf besonders schmerzvolle Weise erfahren.
Union Berlin lieferte ein Lehrstück in Sachen Effizienz: Geht man nach dem xGoal-Modell, also dem Wert der auf Grund der erspielten Chancen erwartbaren Tore in einer Partie, hätte Union ein Tor erzielen können.
Schalke kratzte knapp an der Zwei-Tore-Marke, hatte deutlich über 20 Druckphasen in der Partie, mehr Torschüsse als der Gegner, war überhaupt in jeder relevanten Statistik - abgesehen von der reinen Laufleistung - besser als Union. Und verlor die Partie am Ende mit 1:6. Den Unionern reichten sieben Schüsse auf das gegnerische Tor für sechs Treffer, die Effizienz der Gäste an diesem Tag war einfach nur beängstigend.
Die gute Nachricht ist: Man kann den Schalkern eine ordentliche Leistung attestieren, ohne dabei angesichts der herben Klatsche mit sechs Gegentoren in 90 Minuten als unglaubwürdiger Fantast zu gelten. Es waren einige gute Dinge dabei, das musste selbst der Trainer des Gegners anerkennen.
Die Pausenführung sei eher glücklich gewesen aus Sicht seiner Mannschaft, sagte Urs Fischer. "Schalke war in der ersten Hälfte besser im Spiel als wir, war aggressiver, agiler." Und trotzdem hatte Union zu diesem Zeitpunkt schon drei Tore erzielt und der FC Schalke nur eines.
Kramer: "Wir müssen uns besser wehren"
Es fehlte an Körperlichkeit und Durchsetzungsvermögen in den entscheidenden Sequenzen der Partie, bemängelte Schalkes Coach Frank Kramer nach dem Spiel. "Da müssen wir ansetzen, dass wir uns so schnell wie möglich in diesen Situationen besser durchsetzen. Sei es vor dem eigenen Tor oder sei es die Effizienz vor dem gegnerischen Tor. Das haben wir nicht gut gemacht, da müssen wir uns besser wehren."
Aber wie soll das funktionieren? Schalke steht nach vier Spielen schon bei elf Gegentoren, nur der VfL Bochum hat noch zwei mehr kassiert - da ist das 0:7 gegen die Über-Bayern aber schon eingerechnet. Nur vier Tore bedeuten die drittschlechteste Offensive der Liga, die Hälfte der Treffer resultierte aus einem Elfmeter.
Die Hoffnung war groß, dass die Mannschaft ein wenig von der grenzenlosen Euphorie nach dem Aufstieg würde herüberretten können in die Bundesliga. Sie hat sich nur leider nicht erfüllt. Eine gute Portion Pech und Unvermögen wie nun gegen Union, ein paar krude Schiedsrichterentscheidungen wie beim Auftakt in Köln, gleich zwei verschossene Elfmeter gegen Wolfsburg: Da kam auch einiges zusammen. Aber alleine am fehlenden Spielglück liegt es auch nicht, dass Schalke nach vier Spieltagen unten drin hängt.
Schalker Tugenden noch unterrepräsentiert
Die Flut an Gegentoren zieht sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre. In der letzten Bundesliga-Saison waren es 86, selbst in der zweiten Liga kassierte Schalke mit 44 Gegentoren als Meister noch deutlich zu viele Treffer. Eine Klasse tiefer wurden strukturelle Probleme oder individuelle Fehler im Spiel gegen den Ball nur nicht so unbarmherzig bestraft wie nun in der Bundesliga. Die Qualität der Gegner ist eine andere, Schalkes Fortschritte in der Torverteidigung halten da aber längst noch nicht mit.
Dazu kommt die von Kramer auch kritisierte körperliche Unterlegenheit seiner Spieler. Eigentlich fußt Schalkes Spiel auf den traditionellen Tugenden wie Kampf, Einsatzbereitschaft, Zweikampfhärte, Leidenschaft. Die erwartbaren spielerischen Defizite eine Spielklasse höher sollten dadurch so gut wie möglich kompensiert werden.
Wenn die Mannschaft in diesen Kerndisziplinen aber unterdurchschnittlich bleibt und sich das mit inhaltlichen und personellen Problemen mischt, entsteht eine ungute Gemengelage. Bisher jedenfalls bleiben die Königsblauen in den "talentfreien" Aktionen, sprich: In den Zweikämpfen, bei der Laufleistung, bei den intensiven Läufen oder bei den Sprints aber doch noch teilweise deutlich unter ihren Möglichkeiten.
Eine Mannschaft wie Schalke sollte sich darüber noch stärker definieren, Werte im Mittelmaß oder im unteren Drittel der Liga dürften auf Strecke nicht ausreichen, um das Saisonziel zu erreichen.
Kramers große Baustelle ist das Offensivspiel
Ähnlich gestaltet sich die Lage bei Schalkes Offensive. Das Spiel ist recht flügellastig, im Zentrum gibt es mit Simon Terodde und Sebastian Polter zwei klare Strafraumstürmer, die auf Hereingaben von den Seiten warten. Das kann ein probates Mittel sein, ist in der Bundesliga von qualitativ besseren Verteidigern aber nicht nur vergleichsweise leichter zu verteidigen, sondern auch berechenbar.
Der einzige Spieler mit ordentlich Tempo ist Marius Bülter, ansonsten gibt der Kader kaum schnelle Umschaltspieler her. Die Idee, aus einem tiefer stehenden Pressing auch mal auf flinke Umschaltmomente in der Offensive zu lauern, scheitert deshalb oft genug schon am dafür fehlenden Personal. Und er Plan B mit einem sauber aufgezogenen Positionsspiel ist noch lange nicht ausgereift.
Das muss sich Kramer am ehesten noch ankreiden lassen: Wie genau Schalke Tore erzielen will, wenn die Außenbahnen geschlossen sind und der Gegner sortiert verteidigt, kann man bisher nur in Ansätzen erahnen. Mit dem Ball am Fuß hat Schalke seine größten Probleme - und bietet damit genug Angriffsfläche für die Gegner. Union Berlin jedenfalls - immerhin eine Mannschaft, die nun zum zweiten Mal in Folge im Europapokal spielt - hatte keinerlei Interesse am eigenen Ballbesitz, ließ Schalke anrennen und wartete nur auf die beinahe zwangsläufigen Fehler des Gegners.
Der Kader bräuchte noch Verstärkungen
Schalke hat tatsächlich noch jede Menge Baustellen auf allen Ebenen. Frank Kramer steht dabei am meisten im Fokus. Der Trainer hat kein leichtes Amt angetreten, als Nachfolger von Klub-Ikon Mike Büskens und als Chef einer Mannschaft, die nicht auf allen Positionen Bundesligaformat haben dürfte.
Rouven Schröder wiederum waren lange die Hände gebunden, den Kader qualitativ merklich nach vorne zu bringen. Vielleicht hilft ja der Transfer von Malick Thiaw zu Milan, um in den letzten Tagen der Transferperiode noch einmal nachzulegen.
"Es war für uns eine schwierige Entscheidung, Malick ziehen zu lassen", sagte Schröder nach dem Abgang des Innenverteidigers. "Wir müssen bei allen Entscheidungen immer auch die wirtschaftlichen Aspekte beachten - so wie im vergangenen Winter, als wir einen Wechsel noch abgelehnt hatten. Die Rahmenbedingungen jetzt sind andere und finanziell so gut, dass wir dem Transfer nun zugestimmt haben."
Immerhin spült der Wechsel nun noch einmal frisches Geld in die fast leeren Kassen. "Unser Plan sieht es vor, dass wir in der Innenverteidigung noch einmal auf dem Transfermarkt aktiv werden, um den Konkurrenzkampf im Kader maximal hochzuhalten", kündigte Schröder einen Ersatz für Thiaw an. Aktuell gilt Sepp van den Berg vom FC Liverpool als Top-Kandidat.
Die Fans sind (noch) ruhig
Das wiederum wäre aber auch "nur" ein Eins-zu-Eins-Ersatz und kein zusätzlicher Mehrwert für den Kader. Dabei bräuchte Schalke auch in anderen Mannschaftsteilen noch den einen oder anderen Spieler, um die Chance auf den Klassenerhalt nochmals zu erhöhen. Ansonsten dürfte die Saison so schwierig bleiben, wie sie begonnen hat. Und wie sie offenbar auch - und das ist ein gutes Zeichen - von allen erwartet wurde.
Die Schalker Fans jedenfalls hielten sich auch nach dem Ergebnis-Debakel gegen Union mit lauter Kritik zurück, honorierten sogar den Einsatz ihrer Mannschaft. Das ist auch als Signal an alle Verantwortlichen zu verstehen: Es kann nur gemeinsam gehen...
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