Schauspieleinlage an der Eckfahne: Als Rivaldo und ein Schiedsrichter die ganze Türkei gegen sich aufbrachten

SPOX
19. September 202218:00
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Rivaldo zeigte bei der WM 2002 herausragende Leistungen. Mit einer Aktion brachte der Schöngeist allerdings eine gesamte Nation gegen sich auf.

Rivaldo steht seelenruhig an der Eckfahne, macht keinerlei Anstalten den Ball, der nur wenige Meter entfernt von ihm liegt, zu holen. Die Uhr, die gerade 90 Minuten plus vier anzeigt, tickt gnadenlos herunter - gegen die Türkei, die zu jenem Zeitpunkt mit 1:2 zurückliegt.

Hakan Ünsal wird das Zeitschinden des brasilianischen Kontrahenten zu bunt. Der Verteidiger schreitet zur Tat und schießt den Ball in Richtung Rivaldo, trifft ihn am Oberschenkel.

Eine Aktion, die den Mittelfeld-Star zu einer oscarreifen Darbietung animiert: Wie vom Blitz getroffen geht Rivaldo schreiend zu Boden, hält sich das Gesicht, obwohl er nicht einmal ansatzweise dort getroffen wurde. Schiedsrichter Kim Young-joo zögert nicht lange und zückt die Rote Karte für "Übeltäter" Ünsal, kurz danach erklärt der Koreaner die Partie für beendet.

Freude bei der Selecao, kollektiver Unmut in der Türkei - vor allem bei den daheimgebliebenen Fans, die das Geschehen am Fernseher verfolgt hatten und aufgrund mehrerer Wiederholungen Rivaldos Schauspieleinlage klar und deutlich nachvollziehen konnten.

Rivaldo: "Er hatte die Absicht, mich zu treffen"

Der Protagonist, der im Anschluss an die denkwürdige Vorrunden-Begegnung zum Mann des Spiels gekürt wird, ist sich keiner Schuld bewusst. "Ich war froh, als ich gesehen habe, dass der Schiedsrichter die Rote Karte zeigt", sagt Rivaldo danach. "Kreative Spieler müssen in der Lage sein, sich auszudrücken, wenn der Fußball wirklich ein schönes Spiel bleiben soll. Es gibt zu viele Fouls und Brutalität im Fußball. Es ist völlig unerheblich, wo der Ball mich getroffen hat. Er hatte die Absicht, mich zu treffen, nur das zählt."

Dennoch sah sich die FIFA gezwungen, Rivaldo mit einer Geldstrafe von rund 9500 Euro zu belegen. Ein Novum, war bis dato doch noch nie ein Spieler für eine derartige Nummer sanktioniert worden.

"Die Medien haben Druck gemacht und eine Strafe gefordert", vermutete der damalige Barcelona-Star. Er schob nach: "Ich weiß nicht warum und ich habe mir nichts vorzuwerfen. Es ist passiert und wird weiter passieren. Es war für mich eine ganz normale Sache."

Wut nicht nur gegen Rivaldo gerichtet

Seine Mannschaftskameraden sprangen ihm zur Seite. "Ich verstehe die Aufregung nicht", sagte etwa Roberto Carlos. "Der Betrag ist nichts, den kann er bezahlen." Denilson erklärte: "Fußball ist so. Man muss versuchen, von den Fehlern des Gegners zu profitieren." Weniger Verständnis brachte da die türkische Delegation auf.

Die Wut richtete sich jedoch nicht nur gegen Rivaldo, vielmehr stand Schiedsrichter Young-joo im Fokus. Dieser hatte nämlich nicht bloß Ünsal des Feldes verwiesen, sondern kurz vor Schluss einen gleichermaßen strittigen wie entscheidenden Elfmeter gegen die Türkei gepfiffen.

Ein Halten seitens Alpay Özalans gegen den brasilianischen Angreifer Luizao, das weit vor der Strafraumgrenze seinen Anfang nahm, hatte Young-joo kurzerhand innerhalb des Sechzehners verlegt - Rote Karte wegen Notbremse inklusive.

Rivaldo erzielte 35 Tore in 74 Länderspielen für Brasilien.getty

"Ein Koreaner hat jetzt 70 Millionen Türken getötet"

Dementsprechend forderte der türkische Verband die FIFA dazu auf, den Referee vom Turnier abzuziehen. "Wir haben hier 1000 Soldaten geopfert, um die Südkoreaner zu verteidigen, und ein Koreaner hat jetzt 70 Millionen Türken getötet", gab sich Verbandsboss Haluk Ulusoy martialisch und ergänzte: "Wir lieben die Koreaner, aber dieser Mann kann kein Schiedsrichter sein." Eine Anspielung auf den Umstand, dass während des Korea-Krieges zahlreiche türkische Streitkräfte, die aufseiten der UN kämpften, gefallen waren.

Tatsächlich blieb das Duell zwischen Brasilien und der Türkei der einzige Einsatz als Hauptschiedsrichter für WM-Debütant Young-joo, der immerhin einen neuen Fan gewonnen hatte.

Rivaldo sagte über den Unparteiischen, dem Parteinahme vorgeworfen wurde. "Die WM wäre viel besser, wenn es mehr Schiedsrichter geben würde, die so sind wie Young-joo."