Christoph von der Malsburg ist Schlafcoach und arbeitet gemeinsam mit verschiedenen Leistungssportlern und Bundesligaklubs an der Lösung von Schlafproblemen. Zu seinen Partnern gehören unter anderem Niko Kovac oder Domenico Tedesco.
Im Interview mit SPOX und GOAL erklärt von der Malsburg, warum das Thema Schlaf im Profifußball noch zu wenig Bedeutung findet und weshalb es einen Unterschied machen kann.
Außerdem spricht er über den Umgang mit schnarchenden Teamkollegen, welchen Unterschied der Schlafrhythmus im Champions-League-Halbfinale machen kann und beschreibt, wie man einen Profi mit Schlafproblemen kurzfristig wieder auf Trab bringt.
Herr von der Malsburg, woran denken Sie nachts kurz vor dem Einschlafen?
Christoph von der Malsburg: An nichts. Wenn alles klappt, konzentriere ich mich voll auf meine Atmung und versuche, nicht mehr ans Büro zu denken.
Wie gelingt Ihnen das?
Von der Malsburg: Ich versuche, mich am Tag um die wichtigsten Sachen zu kümmern. Viele Leute kümmern sich nicht mehr um ihre Themen, wenn sie wach sind, sondern verschieben ihre Aufgaben und geraten dann im Bett in eine Art Gedankenkarussell. Stattdessen sollte man jedoch versuchen zu akzeptieren, dass sich das Problem vor dem Schlaf wahrscheinlich nicht mehr lösen lässt. Mir ist wichtig, dass ich im Bett liegen und einfach loslassen kann.
Anna SiggelkowSchlafcoach von der Malsburg: "Schlaf ist kein sexy Thema"
Seit acht Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Schlaf des Menschen. Warum sind Sie so fasziniert von diesem Thema?
Von der Malsburg: Ich wollte etwas tun, das mich herausfordert und mit Menschen zu tun hat. Vor allem aber wollte ich etwas verändern. Ich habe fast zwei Jahrzehnte im Management gearbeitet und etwas gesucht, das anspruchsvoll ist. Die Thematik Schlaf ist in der Hinsicht schwierig, weil man sich damit nicht darstellt, wie zum Beispiel mit Fitness oder Ernährung. Schlaf ist kein Poser-Thema, man postet vom Schlafen kein Selfie auf Instagram. Schlaf ist eigentlich kein sexy Thema, obwohl es extrem relevant ist und gerade im Leistungssport eine große Rolle spielt. Schlaf ist eigentlich eine Trainingseinheit. Genau an dieser Stelle ein Umdenken hinzubekommen und diese Denkweisen aufzulösen, reizt mich, denn es ist eine spannende und gleichzeitig schwierige Aufgabe.
Sie geben Ihr Wissen an verschiedene Profisportler weiter. Warum machen Sie das?
Von der Malsburg: Ich bin seit meiner Kindheit Fan von Eintracht Frankfurt. Ich hatte dann ein, zwei Anknüpfungspunkte im Profisport und habe nach ein paar Gesprächen gemerkt, dass sich im Profisport kaum mit Schlaf beschäftigt wird. Das hat mich total verwundert. Folglich bin ich dann mit Domenico Tedesco und Niko Kovac in Kontakt getreten, die dieses Thema auch direkt aufgegriffen haben. Einzelsportler versuchen meist, ihre Lebensweise komplett zu optimieren, aber im Fußball ist das noch sehr zäh.
Den Schlaf trainieren - kann man das überhaupt generalisieren?
Von der Malsburg: Ja, und zwar insoweit, dass alle Menschen schlafen. Zwar variieren die zeitliche Struktur und die Menge des Schlafs, aber alle schlafen in einem gleichen Rhythmus. Die Menschheit schläft seit 150 Millionen Jahren und wird das auch tun, bis es sie nicht mehr gibt. Neben Atmung, Ernährung und Bewegung ist Schlaf das wichtigste Thema, um erst einmal grundsätzlich zu existieren. Und wenn wir gesund sein wollen, müssen wir eben auch gut schlafen.
Dennoch ist der Schlaf kein Thema, von dem man seinen Freunden erzählt.
Von der Malsburg: Genau. Im Sport gibt es da meiner Meinung nach einen Denkfehler, da oft gesagt wird: 'Die sollen nicht pennen, die sollten laufen.' Dadurch bekommt man den Eindruck, dass Schlaf etwas Langweiliges ist. Schließlich passiert ja auch nichts, es ist dunkel, wir sehen schlecht aus, wir riechen, haben den Mund offen und unsere Haare sind erst recht nicht frisiert. Und wenn wir schlafende Leute in der U-Bahn sehen, dann sind das Loser. Wir sagen nicht: 'Wow, Respekt - der schläft!'
"Wenn sie nicht schlafen, werden sie nicht gesünder"
Was müsste geschehen, damit das passiert?
Von der Malsburg: Schlafen wird sexy, wenn ein Ronaldo, ein Federer, eine Lindsey Vonn oder ein Robert Lewandowski sagen, dass sie schlafen. Dann bekommt das Thema Aufmerksamkeit, weil das Top-Athleten sind, die über Jahre die Nachrichtenwelt prägen. Ich persönlich versuche auf das Thema weiter aufmerksam zu machen, indem ich Fußballlehrer unterrichte oder auf unterschiedlichen Foren unterwegs bin. Die Leute können sich noch so toll ernähren und noch so viel Sport machen, wenn sie nicht schlafen, werden sie nicht gesünder.
Welche praktischen Einflüsse bringt der Schlaf im Profisport mit sich?
Von der Malsburg: Bleiben wir beim Fußball. Sportler sind in ihrem 24-Stunden-Rhythmus alle unterschiedlich getaktet. Wenn beispielsweise ein Team im Champions-League-Halbfinale steht und es dann gegen 23 Uhr zum Elfmeterschießen kommt, dann haben verschiedene Spieler bereits seit drei Stunden eine komplette Melatonin-Ausschüttung. Bedeutet, der Körper fährt bereits runter und folgt seinem Biorhythmus. Wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, kann man sehr viel optimieren. Doch selbst in manchen deutschen Mannschaften, die auf europäischer Ebene spielen, wird da bisher noch gar nichts getan.
Wie könnten Optimierungen des Schlafs im Fußball aussehen?
Von der Malsburg: Wichtig ist eine klare Struktur, wann das Training beginnt und wann ich Ruhephasen einsetze. Gibt es Regenerationsmöglichkeiten im Verein? Es wäre zum Beispiel eine Überlegung wert, das Training in kleineren Gruppen durchzuführen. Ich kann aber auch die Vereinsverantwortlichen verstehen, die sagen, dass sie keinen Einfluss mehr auf die Spieler haben, wenn sie nach dem Training das Vereinsgelände verlassen. Die meisten Spieler haben ja bereits am Nachmittag ihren Arbeitstag beendet. Dann hofft der Verein einfach, dass der Profi abends keine Pizza mehr isst oder am Burgerladen anhält.
BVB-Star Erling Haaland schwört beim Schlafen unter anderem auf seine Blaulichtfilterbrille. Welche Strategien werden im Profisport noch eingesetzt?
Von der Malsburg: Mittels eines Gentests kann man erforschen, welchen Biorhythmus der Spieler hat und wann sein Körper von Natur aus herunterfährt. Außerdem schauen wir, wie die Spieler liegen und wie die Matratze eingestellt ist. Anschließend fragt man die Spieler, ob sie etwas beschäftigt, wie das Zimmer gestaltet ist oder ob sie abends noch länger am Laptop sitzen. Im Endeffekt kann ich den Spielern das alles aber nicht verbieten. Auch einem südamerikanischen Spieler kann ich nicht verbieten, dass er wegen der Zeitverschiebung noch bis in die Nacht mit seinen Jungs in Übersee zockt - denn das würde er so oder so machen. Andererseits sitzt beispielsweise ein Makoto Hasebe nicht noch bis abends rum und daddelt. Er weiß, dass er sein Handy weglegen muss.
Hasebe wird es auf lange Sicht besser gehen als dem Zocker...
Von der Malsburg: Absolut. Wenn ich merke, dass ein Spieler resistent ist, lass' ich ihn einfach. Er merkt es dann selbst an seiner abnehmenden Leistungsfähigkeit und früher oder später merkt das auch der Verein. Die Entwicklung eines gesunden Schlafs braucht vor allem Zeit, man schläft nicht von heute auf morgen gut. Rund vier bis acht Wochen dauert das in der Regel schon. Die, die an diesen Themen besonders interessiert sind, sind vor allem junge Spieler. 16- bis 17-Jährige, die nun langsam in die Profivereine hineinkommen und extrem motiviert sind.
"Schnarchen ist auch unter Fußballern weit verbreitet"
Was kann man machen, wenn der Zimmerkollege schnarcht?
Von der Malsburg: Schnarchen ist generell ein großes Thema, auch unter Fußballern ist es weit verbreitet. Es stört den eigenen Schlaf und den des Bettnachbarn. Wenn zwei Zimmerkollegen einen unterschiedlichen Schlafrhythmus haben, versucht man die Jungs aufzuteilen. Teilweise nehmen die Teams dann auch extra höhere Kosten auf sich, damit die Spieler auf Einzelzimmern schlafen können.
Welche Methoden kann man anwenden, um einen Sportler noch kurzfristig auf Trab zu bringen?
Von der Malsburg: Da kann man mit Licht viel beeinflussen, aber auch ein gut getimter Powernap kann bei Schlaflosigkeit sehr viel bewirken. Zu viel Schlaf wäre an dieser Stelle eher unproduktiv. Zudem werden vereinzelt auch binaurale Tonfrequenzen (Tonfrequenzen, die Einfluss auf den Bewusstseinszustand nehmen können; Anm. d. Red.) eingesetzt, um die Aufmerksamkeit der Sportler zu steigern. Da muss man als Team dann reagieren. Robert Lewandowski macht auch nur seine zahlreichen Buden, weil er gut schläft. Sein Fokus ist da.
Kann man fehlenden Schlaf am Wochenende nachschlafen?
Von der Malsburg: Eigentlich nicht. Man kann am nächsten Tag eine Stunde nachholen, aber besser ist es, einen eigenen Rhythmus durchzuziehen und stetig zu halten. Ansonsten gerät man in einen Jetlag und das schadet der Gesundheit auf Dauer. Vor allem das Wochenende würde ich nicht dazu hernehmen, um die Woche auszugleichen, sondern um den Rhythmus zu halten.
Abschließend: Welche Tipps haben Sie für den perfekten Schlaf?
Von der Malsburg: Gehen Sie dann ins Bett, wenn Sie müde sind. Wichtig ist, dass zwischen Schlaf und Wachphase etwas Puffer ist. Generell sollte man zwei Stunden vor dem Schlafen nicht mehr Sport treiben oder Alkohol beziehungsweise Nikotin zu sich nehmen. Am wichtigsten ist eigentlich das Licht, denn das ist der Taktgeber für unseren Tag. Fahren Sie also die Lampen etwas herunter, schalten elektronische Geräte aus und schließen mit dem Tag ab.