Am 3. Juli 2001 wechselte Sol Campbell als Kapitän von Tottenham Hotspur ablösefrei zum Lokalrivalen FC Arsenal. Damit löste er Verwunderung, Wut und Hass aus - und brachte sogar seinen Bruder gegen sich auf. Die Geschichte des wohl spektakulärsten Transfers der englischen Fußballgeschichte.
Es war 12 Uhr mittags am 3. Juli 2001, die geladenen Journalisten hatten sich pünktlich auf Arsenals Trainingsgelände in London Colney eingefunden. Ein vom Verein ungenannter Neuzugang sollte vorgestellt werden und alle waren sich einig: Es handelt sich um Richard Wright. Einen 23-jähriger Keeper von Ipswich Town, der dem langjährigen Stammtorwart David Seaman Konkurrenz machen sollte.
Irgendwann öffnete sich die Tür zum Pressekonferenzraum und hindurch schritt nicht Wright. Nein, hindurch schritt Sol Campbell. Sol Campbell? Ja, Sol Campbell: Eigengewächs und Kapitän von Arsenals Lokalrivalen Tottenham Hotspur.
Gerechnet hatte mit diesem Transfer keiner und als sich die Nachricht rasend schnell verbreitete, löste sie englandweit Verwunderung aus. Bei allen, die es mit Tottenham hielten, kamen Wut und Hass dazu.
Campbells Weg vom Jugendspieler zum League-Cup-Sieger
Campbell stammt aus dem Osten Londons und spielte zunächst für den dortigen Klub West Ham United, ehe er mit 14 Jahren zu Tottenham wechselte. Ein talentierter Innenverteidiger: wuchtig, athletisch, zweikampf- und kopfballstark. Ein Versprechen für die Zukunft, das eingelöst werden sollte.
1992 debütierte Campbell mit 18 Jahren für Tottenham und traf direkt im ersten Spiel. Ein Jahr später erarbeitete er sich einen Stammplatz, den er nicht mehr abgab. Campbell stieg zunächst zum Publikumsliebling und dann zum Kapitän auf. 1999 führte er seine Mannschaft zum League-Cup-Sieg gegen Leicester City. In der Premier League aber kam Tottenham auch mit ihm nicht aus dem Tabellenmittelfeld heraus.
imago imagesCampbell im Januar 2001: "Ich gehe nirgendwohin"
Campbell, längst englischer Nationalspieler, hatte Potenzial für mehr. Und Optionen für mehr. Der FC Barcelona, Real Madrid, der FC Chelsea, der FC Liverpool und der FC Bayern München sollen im Laufe der Saison 2000/01 akutes Interesse angemeldet haben. Kein Wunder, der damals 26-jährige Campbell war im darauffolgenden Sommer ablösefrei zu haben. Im Januar aber sagte er: "Ich gehe nirgendwohin. Ich bin hier und ich bleibe hier. Ich will für Tottenham Hotspur spielen."
Tottenham bot ihm einen Vertrag an, der ihm zum bestbezahlten Spieler der Vereinsgeschichte gemacht hätte - doch Campbell forderte mehr und mehr. Angeblich ein für damalige Verhältnisse astronomisches Jahresgehalt von umgerechnet knapp elf Millionen Euro und die Möglichkeit, den Klub bei Verpassen der Champions League ablösefrei verlassen zu dürfen. In einem Statement nannte die Vereinsführung Campbells Forderungen "inakzeptabel". Ende Mai galten die Verhandlungen offiziell als gescheitert.
Wie Campbells Wechsel zu Arsenal zustande kam
Später wurde klar: Schon zu diesem Zeitpunkt spielte Campbell ein doppeltes Spiel. 2018 publizierte Arsenal auf seiner offiziellen Website einen Artikel mit dem Titel: "The inside story of Sol's move to Arsenal." Darin erklären Campbell und der damalige Arsenal-Trainer Arsene Wenger, wie der Wechsel tatsächlich zustande kam.
Bereits zwei, drei Monate vor dem Wechsel - im April und Mai also - hätte es laut Campbell erste Gespräche zwischen ihm und Wenger gegeben. "Wir sind um ein Uhr in der Nacht gemeinsam spazieren gegangen und haben über einen möglichen Wechsel gesprochen. Er war paranoid und fürchtete, dass es herauskommen könnte", erzählte Wenger. "Es war eine unfassbare Geschichte."
Öffentlich wurde diese unfassbare Geschichte erst am 3. Juli 2001 um 12 Uhr in London Colney. Campbell also schritt durch die Tür, betrat den Pressekonferenzraum und begann zu sprechen: "Im Ausland hätte ich mehr Geld verdienen können. Aber ich hatte das Gefühl, dass hier der Ort ist, an dem ich sein muss. Ich bin einige Faktoren durchgegangen und am Ende hat die Mehrheit für Arsenal gesprochen."
Campbell erwähnte Englands Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson, der ihm einerseits zu einem Verbleib in der Premier League geraten habe - aber andererseits zu einem Wechsel zu einem Klub, der in der Champions League spielt. Campbell wollte Titel holen und internationalen Fußball spielen und sah dafür bei Arsenal die besten Chancen. Abschließend sagte er: "Ich hoffe, jeder respektiert diese Entscheidung."
imago imagesCampbells Bruder unter wütenden Tottenham-Fans
Das hoffte Campbell, aber ob er es auch tatsächlich glaubte? Beim ersten Spiel mit seinem neuen Klub bei seinem alten am 17. November durfte er sich vom Gegenteil vergewissern. Schon vor dem Spiel flogen Bierdosen und -flaschen gegen den Mannschaftbus von Arsenal. Im Stadion ließen Tottenham-Fans rund 4000 Luftballons mit dem Wort "Judas" in den Himmel steigen und hielten noch mehr Schilder mit selbiger Aufschrift in die Höhe. Die akustische Untermalung war das womöglich lauteste Pfeifkonzert, das die White Hart Lane jemals gehört hat.
"Es war widerlich", sagte Campbell später gegenüber FourFourTwo. "Die Gesichter der Menschen sahen aus, als würden sie mich töten wollen: Männer, Frauen, Kinder, dunkelhäutige, weiße, indischstämmige." Alle. Und unter all diesen wütenden Gesichtern sah er auf einmal das Gesicht seines Bruders Tony, einem großen Tottenham-Fan. "Er war mittendrin und ich konnte es nicht glauben. Es war unglaublich, dass ich genau sein Gesicht erkannt habe", erzählte Campbell. Mittlerweile habe er mit seinem Bruder diesbezüglich "einen gewissen Grad an Frieden" geschlossen.
Campbells Titelsammlung: Doublesieger und Judas
Tottenhams Fans aber, die haben bis heute keinen Frieden mit Campbell und seinem Wechsel geschlossen. Wut und Hass blieben, zu unbegreiflich ist ihnen das Verhalten ihres einst treueschwörenden Kapitäns. "Sol hat darunter gelitten und es war schwer für ihn, damit umzugehen", sagte Wenger später. "Er hat einen hohen Preis für diesen Wechsel gezahlt, aber er wollte Titel gewinnen und deshalb musste er diese Entscheidung treffen."
Und tatsächlich: Während Tottenham in den folgenden Jahren rein gar nichts gewann, holte Campbell mit Arsenal in seiner ersten Saison das Double und wurde 2004 ungeschlagen Meister. Unter Tottenhams Fans aber bleibt ihm für immer nur ein Titel: "Judas".
Sol Campbells Karrierestationen
Zeitraum | Verein | Spiele | Tore | Assists |
1992 bis 2001 | Tottenham Hotspur | 266 | 10 | 1 |
2001 bis 2006 | FC Arsenal | 196 | 11 | 2 |
2006 bis 2009 | FC Portsmouth | 111 | 2 | 1 |
2009 | Notts County | 1 | - | - |
2010 | FC Arsenal | 14 | 1 | 1 |
2010 bis 2011 | Newcastle United | 8 | - | - |