SPOX-Kolumne Auswärtsspiel - Fenerbahce-Boss Ali Koc: Wenn der Präsident Football Manager zockt

Fatih Demireli
28. Oktober 202117:00
Ali Koc ist Präsident von Fenerbahce.getty
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Ali Koc ist einer der reichsten Menschen der Türkei, aber viel mehr mag er es, als eingefleischter Fenerbahce-Fan erkannt zu werden. Seit drei Jahren ist er Präsident des Klubs - doch aus der Liebe zum Klub wurde eine Vereinnahmung.

Wenn Mustafa Rahmi Koc auf seine Vita zurückblickt, kann der 91 Jahre alte Unternehmer von einem erfüllten Leben berichten. Koc ist das prägende Gesicht der erfolgreichsten Unternehmensgruppe der Türkei. Forbes taxiert sein Privatvermögen auf über 1,8 Milliarden Dollar. Er genießt international ein überaus hohes Ansehen.

In Deutschland wurde er 1982 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. In Österreich, Italien und Großbritannien erhielt er Verdienstauszeichnungen selben Grades. Er umsegelte mehrmals die Welt und er hat ein eigenes Museum in Istanbul. Er besiegte mit 90 Jahren ohne Komplikationen eine Covid-19-Erkankung.

Bei einem phänomenalen Lebenswerk wie diesem, ist ihm nur eine Sache nicht gelungen: Die große Liebe, die er für seinen Lieblingsverein Besiktas empfindet, ist bei seinen Söhnen nicht angekommen. Ömer, der heute das Familienimperium leitet, ist kein ausgeprägter Fußballfan. Er wird lediglich als Besiktas-Fan dokumentiert.

Die eigentlichen "Fußballer" unter den Söhnen waren Mustafa und Ali. Sie wären wohl ebenfalls zu Besiktas-Fans geworden, wäre da nicht Kamer Kaya. Dieser war jahrelang ein Bediensteter im Anwesen der Kocs und glühender Fan von Fenerbahce. Da Papa Koc oft unterwegs war, kümmerte sich Kaya um die Freizeitbeschäftigung der Jungs. Und irgendwann ging die Reise sehr oft ins Stadion, wenn Fenerbahce ein Heimspiel hatte. So entfachte er bei Mustafa und Ali eine große Fener-Liebe.

"Ohne ihn wäre ich niemals hier", sagt heute Koc. Mit „hier“ meint Ali Koc den Job als Präsident von Fenerbahce. Als er sich im Juni 2018 den Traum erfüllte und Klubboss wurde, stand ihm bei der Dankesrede Kamer Kaya zur Seite. Jeder sollte sehen, wem man es zu verdanken hat, dass es sich einer der reichsten Menschen des Landes zur Aufgabe gemacht hatte, den Klub in neue Sphären zu führen. Wobei: Böse Zungen würden es heute anders formulieren und sagen: "Wer schuld daran ist, dass Koc Fenerbahce-Fan geworden ist und folglich den Traum hatte, Präsident des Klubs zu werden."

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Fenerbahce-Boss Koc: 200 Millionen Euro für was eigentlich?

Denn nach über drei Jahren Amtszeit ist nach einer anfänglich überschwänglichen Begeisterung für Koc große Ernüchterung eingekehrt. Er war angetreten mit großen Visionen, wonach Fenerbahce nicht nur national wieder die klare Nummer 1 werden sollte, sondern auch international zu einer großen Marke aufsteigen sollte.

Sportlich erfolgreich, strukturell professionell und wirtschaftlich gesund, wollte man unter Koc werden. Geklappt hat wenig davon. In seiner ersten Saison als Präsident kämpfte Fenerbahce lange gegen den Abstieg. Es folgten eine Saison auf Platz sieben, eine auf Platz drei.

Die Probleme auf struktureller und wirtschaftlicher Ebene haben miteinander zu tun. Und vor allem mit Koc selbst. Der Geschäftsmann, ausgebildet in den USA und wichtiges Mitglied in der Führung der Koc Holding, wollte die alten Gepflogenheiten im türkischen Fußball aufbrechen und aus dem Fußballklub ein professionelles Unternehmen machen, das von Experten auf allen Ebenen geführt wird und effektiv wie zielorientiert arbeitet.

Nach ein paar gut gemeinten Schritten zu Beginn sieht die Realität aber heute ganz anders aus: Fenerbahce ist ein Präsidentenklub. Alle Entscheidungen laufen über seinen Tisch und Koc schrickt auch nicht davor zurück, sich um jedes Detail zu kümmern.

Stimmen die Gerüchte, hat er inzwischen weit über 200 Millionen Euro in den Klub gepumpt. Ob durch Privatinvestitionen oder durch Sponsoring-Vereinbarungen mit den Koc-Marken. Das hohe Investment verleitet Koc dazu, die Kontrolle über die Geschehnisse im Klub zu verschärfen.

Fenerbahce: Max Meyer einer von sechs ROGON-Klienten

Gepaart mit der emotionalen Bindung, entwickelt sich das Syndrom der klammernden Mutter, die es gut meint, aber dem Kind kaum Platz zum Atmen gibt. Dass er sich als Großunternehmer um die Struktur Gedanken macht und Einfluss nimmt, klingt logisch, doch inzwischen spricht Koc auch ein mehr als gehöriges Wort in sportlichen Belangen mit.

Manchmal wirkt es so, als würde Koc Football Manager mit seinem Lieblingsklub spielen. Einen Sportdirektor hat der Klub nicht mehr, im Koc-Vorstand gibt es Zuständige für den Fußballbereich, doch das Gesicht der Abteilung und eigentlich des ganzen Klubs ist Koc.

Er sucht den Trainer, er sucht die Spieler, er urteilt über ihr Leistungsvermögen. Wen Koc nach Spielen über die Leistung spricht, klingt er immer mehr wie ein Trainer. "Wir kommen fußballerisch allmählich dorthin, wo ich die Mannschaft sehen will", sagt er neulich. Oder: "In der dritten Zone müssen wir noch effektiver werden."

Seit 2018 hat Fenerbahce knapp 60 Spieler verpflichtet und mindestens genauso viele abgegeben. Die hohe Fluktuation ist ständig neuer Ideen geschuldet, die man für die Kaderplanung hat. Erst sollten es viele Ausländer werden, dann konzentrierte man sich wieder auf inländische Spieler. Dann sollten erfahrene Spieler kommen, nun wieder junge Spieler.

Inzwischen hat er ein inniges Verhältnis zu Roger Wittmann von der Agentur ROGON aufgebaut. Braucht Koc Rat oder Spieler, hilft die Agentur gerne weiter. Etwa durch die Vermittlung des zuvor vertraglosen Max Meyer. Insgesamt sechs ROGON-Klienten stehen bei Fenerbahce unter Vertrag.

Fenerbahce: Präsident drückte Özil Megafon in die Hand

Welch großen Einfluss Koc auf die Kaderplanung hat, beweist eine Pressekonferenz im Juni. Da echauffierte sich Koc über das Ligaspiel am vorletzten Spieltag gegen Sivasspor. Hätte Fenerbahçe gewonnen, hätte man aufgrund der Pleite von Tabellenführer Besiktas große Chancen auf den Titel gehabt.

Aber Fener verlor das Heimspiel nach kläglicher Leistung mit 1:2. Grund für Koc, die halbe Mannschaft auszutauschen: "Ich habe keine Geduld mehr. Wenn ein Spieler auf dem Platz steht, muss er bis zum letzten Tropfen Schweiß kämpfen. Er muss sterben auf dem Platz! Sie müssen mit dieser Einstellung antreten. Aber es gibt welche, die es nicht tun und sie werden gehen müssen. Unter ihnen sind auch Spieler, deren Vertrag weiterläuft, aber das ist egal. Ich ziehe das durch!" Sieben Spieler, die bei jenem Spiel im Kader standen, mussten gehen.

Bei Mesut Özil, der damals gegen Sivasspor ebenfalls kein gutes Spiel machte, bleibt Koc aber noch ruhig. Was nicht verwundert, ist der Transfer des Weltmeisters 2014 doch ein von langer Hand geplantes Koc-Projekt gewesen. Der gefallene DFB-Nationalspieler sollte der Königstransfer werden. Die Figur, die Fenerbahce in die Sphären führt, von denen Koc träumt.

Wer in der Türkei Anfang 2021 auch nur das kleinste kritische Wort zur Özil-Verpflichtung verlor, bekam die Wucht der Özil-Manie zu spüren. Auch wenn die Euphorie außergewöhnlich war, ergab der Transfer rein sportlich nur bedingt Sinn.

Weder Erol Bulut, der erste Trainer Özils bei Fenerbahce, noch Emre Belözoglu, der zweite, und auch nicht Vitor Pereira haben eine effektive Verwendung für Özil. In dieser Saison stand Özil neunmal im Kader, wurde viermal eingewechselt, einmal spielte er gar nicht. Über 90 Minuten spielte Özil nur ein einziges Mal. Stattdessen gab ihm Koc neulich ein Megafon in die Hand, damit er außerhalb des Platzes die Farben des Klubs vertritt.

Fenerbahce verlor das Ligaspiel beim Erzrivalen Trabzonspor mit 1:3. Bei Fener führte man die Niederlage auf eine schlechte Schiedsrichterleistung zurück. Kurzfristig organsierte der Klub eine Zusammenkunft mit den Fans am Istanbuler Flughafen Sabiha Gökcen, um gemeinsam gegen Schiedsrichter und Verband zu protestieren. Koc hielt eine siebenminütige Rede, voller Inbrunst und Energie. Aber nicht bei allen kam die Aktion gut an. Selbst bei klubnahen Größen war man verwundert, warum Koc diesen Weg wählte.

Mesut Özil spielt seit Januar für Fenerbahce.getty

Fenerbahce: 540 Millionen Euro Schulden

Aber es war kein Einzelfall und Ausdruck der übermäßigen Emotionen, die Koc für den Klub empfindet, die aber nicht immer für rationale Entscheidungen sorgen. Als die Basketballmannschaft zuletzt ein EuroLeague-Spiel gegen den FC Barcelona in letzter Sekunde verlor und es zu Protestrufen in der Halle kam, stellte Koc einen Fenerbahçe-Fan höchstpersönlich zur Rede. Vor laufenden Kameras.

Aus gut unterrichteten Kreisen hieß es immer wieder, die Familie wolle nicht, dass Sohn Ali den Job als Fenerbahce-Präsident übernimmt. Im türkischen Fußball und gerade beim Giganten Fenerbahce sind die Scheinwerfer auf den Klubboss dauergerichtet. Jedes Wort, jede Silbe hat Gewicht und die Angriffsfläche groß. Eine Fläche, die man einem Mitglied der Koc-Familie nicht zumuten wollte.

Vielleicht hat auch deswegen Papa Rahmi nie ein offizielles Amt bei seinem Lieblingsklub Besiktas eingenommen. Er war Edelfan, der hier und da half, wenn es sein musste. Die Rolle als Gönner stand ihm gut. Aber Sohn Ali ist mittendrin und wird aus dem Sog auch nicht mehr so einfach rauskommen.

Erst im Sommer ließ er sich ohne Gegenkandidaten wiederwählen, wobei die kritischen Stimmen aus Mitgliederkreisen in der Versammlung so laut waren wie noch nie. Doch viele vermuten, dass das mit 540 Millionen Euro verschuldete Fenerbahce ohne Koc mehr oder weniger handlungsunfähig wäre. Andere sagen, der Klub ist zu groß, um von einem einzelnen Mann abhängig zu sein. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

Koc selbst klebt eher nicht an seinem Stuhl, weil er die Macht braucht, sondern weil ihn die Passion Fenerbahce nicht loslässt. Wenn einer fragt, Kamer Kaya ist schuld daran.