"Darmstadt gab es schon vor Schuster"

Florian Schimak
21. Juni 201613:50
Die sportliche Leitung der Lilien um Rüdiger Fritsch (2.v.r.) blickt gut gelaunt in die Zukunftgetty
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Der SV Darmstadt 98 wird gerade zum Opfer seines Erfolgs. Die Spieler sind heiß begehrt, der Trainer ist schon weg. Und trotzdem verfällt man am Böllenfalltor nicht in Panik. Das merkt man, wenn man sich mit Rüdiger Fritsch unterhält. Der ehrenamtliche Präsident der Lilien spricht im Interview über die Zeit nach Dirk Schuster, dessen Nachfolger Norbert Meier und Strukturen wie bei einem Kegelverein.

SPOX: Herr Fritsch, als Anwalt muss man sich bekanntlich häufig auf Deals und Kompromisse einlassen. Wie sehr haben Sie mit den Zähnen geknirscht, als es um die Freigabe von Dirk Schuster ging?

Rüdiger Fritsch: Die Akte ist für uns geschlossen, wir richten unseren Blick ausschließlich nach vorne und möchten uns dahingehend nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen. Mit dem FC Augsburg lief alles fair ab. Ein üblicher Ablauf im Profifußball.

SPOX: Die Erfolgsgeschichte des SV Darmstadt 98 ist dennoch untrennbar mit dem Namen Schuster verbunden. Beginnt nun eine neue Zeitrechnung am Böllenfalltor?

Fritsch: Im Fußball gibt es keine Erfolgsautomatismen. Wer hätte uns denn versichert, dass wir unter Dirk Schuster das vierte Wunder schaffen? Die nächste Saison wird egal unter welchem Trainer wieder extrem schwierig. Das Wohl des Vereins ist nicht abhängig von einzelnen Personen Die Ausgangslage hat sich ja nicht verändert. Für uns ist die Bundesliga weiterhin purer Überlebenskampf und eine schwierige Mission.

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SPOX: Besteht die Gefahr, dass die Lilien ein Stück weit ihre Identität verlieren? Immerhin stand Schuster wie kein Zweiter für den Darmstädter Weg...

Fritsch: Nein. Normalerweise spricht man im Fußball immer vom Tagesgeschäft und denkt nur von Spiel zu Spiel. Nun soll es auf einmal ein großes Thema sein, wenn ein Trainer nach dreieinhalb Jahren einen Verein verlässt? Dieser Zeitraum ist in der Fußballzeitrechnung eigentlich eine halbe Ewigkeit. Dirk Schuster wollte sich verändern und suchte eine neue Herausforderung. Dadurch bietet sich aber auch für uns die Möglichkeit, ein neues Set-up aufzubauen. Wir sehen das Ganze also auch als Chance. In Darmstadt ist die Welt ja nicht untergegangen. Unsere Ziele bleiben gleich, nur eben unter anderen Vorzeichen. Das muss ja nichts Schlechtes sein.

SPOX: Das klingt alles sehr rational, dabei verbindet man Darmstadt unweigerlich mit Fußballromantik...

Fritsch: Nur, weil sich die sportliche Führung verändert hat, verändert sich ja nichts an unseren grundsätzlichen Werten. Soweit ich weiß, gab es den Verein SV Darmstadt 98 schon vor Dirk Schuster. Natürlich war es sportlich eine unfassbar erfolgreiche Zeit, aber unsere Werte und Normen für die wir stehen, kommen doch eher aus der Vergangenheit, der Tradition, der Verbundenheit und aus dem Managen von schwierigen Bedingungen.

SPOX: Der Neue heißt jetzt Norbert Meier. Für viele war die Entscheidung für ihn überraschend. Wieso fiel die Wahl ausgerechnet auf ihn?

Fritsch: Wir haben uns natürlich intensiv Gedanken gemacht, als absehbar war, dass uns Dirk Schuster verlassen wird. Aber Norbert Meier war sofort einer der Wunschkandidaten. Am Ende stand er letztlich auf unserer "Short List" und gemeinsam mit Holger Fach haben wir uns mit voller Überzeugung für Norbert Meier entschieden. Für uns war es wichtig, dass wir einen Trainer verpflichten, der Darmstadt 98 nicht nur als Durchgangsjob, sondern als Projekt und Herausforderung begreift. Norbert Meier möchte nun nochmal allen zeigen, dass er ein Erstligatrainer ist. Ein Engagement bei uns sollte für beide Seiten auch immer eine Win-Win-Situation sein, ähnlich wie es auch bei vielen Spielern bei uns der Fall ist. Neben den genannten Parametern war uns auch wichtig, dass wir einen erfahrenen Mann verpflichten, der sich mit den Gegebenheiten im Profifußball auskennt. Es hätte doch keinen Sinn ergeben, wenn gerade wir einen jungen und talentierten Trainer geholt hätten, der zwar fachlich gut ist, aber mit den Anforderungen des Geschäfts noch gar nicht zurechtkommt. Darmstadt 98 ist ja selbst noch ein absoluter Newcomer im bezahlten Fußballgeschäft. Hier gibt es keine fertigen Strukturen wie bei einem etablierten Verein. Insofern schätzen wir die Erfolgsaussichten mit einem routinierten Mann an der Seitenlinie höher ein.SPOXspox

SPOX: Nicht nur Meier ist neu, auch die Position von Holger Fach in seiner Funktion als sportlicher Leiter gab es davor so noch nicht bei den Lilien. Was erwarten Sie sich von ihm?

Fritsch: Dass er uns durch seinen großen Erfahrungsschatz, den er während seiner langjährigen Tätigkeiten im Profigeschäft erworben hat, weiterbringt. Er kennt als Spieler und Trainer alle Unebenheiten des Geschäfts und weiß, wie man in der einen oder anderen Situation handeln muss. Einem Holger Fach macht keiner ein X für ein U vor.

SPOX: Fach war zuletzt Chef-Scout bei den Lilien, zu dieser Abteilung gehörten auch die Väter von Schuster und Co-Trainer Sascha Franz. Wie stellt sich das Scoutingteam nun zusammen?

Fritsch: Beide Väter sind nun natürlich nicht mehr für uns tätig. Aber keine Sorge, wir sind dahingehend ordentlich aufgestellt, da Holger Fach in den letzten Monaten die Leitung hatte und dort begonnen hat, gute Strukturen zu schaffen. Dennoch sitzen jetzt keine Scouts von uns mit vollen Geldkoffern bei der Europameisterschaft in Frankreich und versuchen, die besten Spieler zu uns zu locken. Das ist ja für uns gar nicht. Es gibt genügend Spieler auf dem Markt, die unseren Anforderungen entsprechen. Wir suchen wieder nach den Jungs, die Bock haben und auch mal ein paar Prozent mehr aus sich rauszuholen, damit wir wieder eine schlagkräftige Truppe auf dem Platz haben.

SPOX: Trotz des Erfolgs mit dem frühzeitigen und nicht zu erwartenden Klassenerhalt verließen bislang wichtige Säulen wie Christian Mathenia und Konstantin Rausch den Verein. Auch Sandro Wagner wird kommende Saison nicht mehr für Darmstadt auflaufen...

Fritsch: Wieso verlässt uns Sandro Wagner? Wissen Sie da etwa mehr als ich? (lacht)

SPOX: Wagner sagte nach der Partie gegen Hertha BSC in der Öffentlichkeit, dass das wohl sein letztes Spiel für die Lilien war. Nach dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach am 34. Spieltag sprach er ganz offen von seinem Abschied und bedankte sich für die schöne Zeit in Darmstadt.

Fritsch: Davon kann er ja gerne sprechen. Fakt ist aber auch: Sandro Wagner hat bei uns noch einen Vertrag bis 2018.

SPOX: Aber auch um Jerome Gondorf und Marcel Heller gibt es immer wieder Gerüchte um einen Abschied. Droht Darmstadt der Ausverkauf?

Fritsch: Gerüchte sind keine Fakten. Wenn man sich die Transferaktivitäten oder Kaderveränderungen bei den anderen Bundesligisten betrachtet, brauchen wir in Darmstadt doch nicht von einem Ausverkauf zu sprechen. Das sind ganz normal Abläufe bei einem Profiteam, wenn der eine oder andere Akteur den Verein verlässt - so ist das eben in der Sommertransferphase.

SPOX: Bislang hat man aber lediglich Daniel Heuer Fernandes von Zweitliga-Absteiger SC Paderborn verpflichten können. Das wird ja nicht der einzige Transfer bleiben...

Fritsch: Die jetzige Phase ist garantiert nicht unsere Transferphase. Der Markt ist noch viel zu heiß, derzeit sind eher die Leute mit den dicken Schecks unterwegs, zu denen gehören wir bekanntlich nicht. Insofern kommt unsere Zeit noch. Was jetzt aber nicht heißt, dass wir auf der faulen Haut liegen, ganz im Gegenteil. Wir arbeiten unter Hochdruck und halten Ausschau nach geeignetem Personal und zu gegebener Zeit werden wir auch aktiv werden.

SPOX: Also wird's wieder Last-Minute-Transfers geben?SPOX

Fritsch: Ach, selbst wenn wir erst im September unseren Kader komplett haben, mache ich mir da keinen Kopf. Im letzten Sommer kam Slobodan Rajkovic auch erst nach dem Ende der Transferperiode zu uns und war in der Rückrunde eine ganz wichtige Stütze im Abstiegskampf. Die Spieler, die derzeit auf dem Markt sind, sind doch gar nicht unsere finanzielle Kragenweite. Das Transferfenster ist noch zweieinhalb Monate geöffnet. Insofern müssen Sie sich keine Gedanken machen. Der SV Darmstadt 98 wird am 1. Spieltag elf Spieler auf dem Platz haben. (lacht)

SPOX: Das Böllenfalltor ist ja Kult, aber entspricht nicht mehr dem Hochglanzprodukt Fußball. Die Lilien sollen daher ein neues, moderneres Stadion bekommen. Wie weit ist man nun eigentlich mit der Planung? Da gab es zuletzt ja einige Probleme...

Fritsch: Die Lage gestaltet sich etwas schwierig, weil wir nicht Eigentümer des Stadions sind. Das Böllenfalltor gehört der Stadt Darmstadt. Insofern haben wir keine direkte Entscheidungsgewalt. Wir können also nur abwarten, was für den Verein natürlich nicht gut ist. Schauen Sie sich das Stadion doch mal an. Klar, da hängt eine Menge Fußballromantik dran und kurioserweise sind die Auswärtsfahrten der Gästeteams bei uns am schnellsten ausverkauft, weil jeder mal am Bölle gewesen sein will. Doch unser Stadion ist einfach nicht mehr zeitgemäß und wenn wir nicht bald den nächsten Schritt in dieser Richtung machen, dann wird es für uns immer schwerer, wettbewerbsfähig zu bleiben.

SPOX: Im September stehen Vorstandswahlen an. Bislang arbeitet der Vorstand mit Ihnen an der Spitze auf ehrenamtlicher Basis. In einem Interview im März sagte Sie, dass der Verein "formal immer noch aufgestellt ist wie ein Kegelverein." Stehen Sie dennoch im Herbst wieder zur Wahl beim Kegelverein?

Fritsch: Das habe ich damals so gesagt, weil ich wollte, dass die Menschen rund um die Lilien über die Realität nachdenken und nicht glauben, hier geht eh alles von alleine. Wir haben nun mit Holger Fach als sportlichem Leiter und Michael Stegmeyer als Teammanager Positionen geschaffen, die zu einem professionell geführten Verein gehören. Ende Juni wird nun außerdem eine außerordentliche Mitgliederversammlung stattfinden, auf der hoffentlich eine neue und zeitgemäße Satzung verabschiedet wird. Das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt, dass der Verein bereit ist, sich weiter modern und den Gegebenheiten entsprechend aufzustellen. Was mich persönlich betrifft, müssen wir noch abwarten. Ich bin nun seit 2007 dabei und habe noch Zeiten erlebt, in denen man noch nicht einmal in den Träumen an die Bundesliga gedacht hat. Ich werde mir über die Sommermonate meine Gedanken machen und schauen, welche Perspektiven geschaffen werden - nicht nur im sportlichen Bereich. Die Stadionthematik ist natürlich ein wichtiger Punkt, da müssen wir Licht sehen am Ende des Tunnels.

SPOX: Können Sie bei all den sportlichen und infrastrukturellen Baustellen überhaupt den Sommer genießen?

Fritsch: Glücklicherweise gibt es genügend fähige und fleißige Leute bei uns im Verein, sodass ich mir auch ganz ohne Bedenken eine Woche Österreich gönnen kann. (lacht)

Der SV Darmstadt 98 im Überblick