Das deutsche Offensivtrio beim 1:1 gegen England ist körperlich eher schmächtig, sorgt aber auf dem Platz für Furore. Bundestrainer Hansi Flick scheint zudem seinen Linksverteidiger für die WM in Katar gefunden zu haben. Doch um dort auch als Favorit anzureisen, fehlt doch noch etwas. Drei Thesen zum zweiten Unentschieden des DFB-Teams im zweiten Spiel in der Nations League.
Deutschlands Spargeltarzan-Offensive hat Zukunft
Markenzeichen: dünne Beine, schmale Schultern und Muskeln, die mehr nach innen zu wachsen scheinen. Thomas Müller, Jamal Musiala und Kai Havertz, die drei Spargeltarzane in der deutschen Offensive beim 1:1 gegen England, entfalteten gemeinsam eine Dynamik, Spielfreude und Wucht, wie man sie länger nicht mehr gesehen hatte bei der DFB-Elf.
Zwar gelang keinem aus dem Offensiv-Trio, das zusammen offiziell gerade mal 229 Kilogramm auf die Waage bringt, ein Tor. Und doch könnten drei Viertel der deutschen WM-Offensive für Katar schon gefunden sein.
Ein wenig überraschend hatte Bundestrainer Hansi Flick nach dem enttäuschenden 1:1 am Samstag in Italien vom dort agierenden Offensivtrio des FC Bayern München nur Thomas Müller (und nicht dem besseren Serge Gnabry) wieder das Vertrauen geschenkt.
Der Schachzug hatte Erfolg.
Müller, gegen Italien zwar bemüht, aber viel zu umständlich, taten seine neuen Mitspieler sichtlich gut. Sein Bayernkollege Jamal Musiala und Kai Havertz vom FC Chelsea bewegen sich mit ähnlicher Freude über den gesamten Platz wie Müller und haben genauso viel Spaß am ständigen Positionswechsel. Und wenn man sich schon mal so gut versteht, kann man auch kombinieren, dass es eine Freude beim Zuschauen ist.
Von Müllers 23 erfolgreichen Zuspielen fanden sieben Havertz und vier Musiala; der wiederum spielte nur David Raum (fünfmal) öfter an als Müller (viermal). Havertz bewies zudem, wieso er in der abgelaufenen Saison beim FC Chelsea 26 Partien (11 Tore, 3 Vorlagen) als Mittelstürmer absolvierte - und Timo Werner, der gegen Italien ebenfalls enttäuscht hatte, nur 13.
Thomas Tuchel hat beim FC Chelsea den Mittelstürmer Havertz nicht unbedingt erfunden: Schon bei Bayer Leverkusen spielte der momentan kompletteste deutsche Fußballer hin und wieder in vorderster Angriffslinie. Tuchel hat allerdings den mitspielenden Mittelstürmer Havertz geformt.
Dabei ist der 22-Jährige weder eine klassische Falsche Neun, noch ein etwas weiter vorne agierender Fantasista oder eine Verlegenheitslösung im Sturm. Sondern eben ein gelernter Mittelfeldspieler, der auf jeder Position brillieren kann. Denn er verfügt neben Technik, Dynamik und Spielintelligenz, anders als seine schlaksige Statur vermuten lässt, durchaus auch über Wucht und Intensität. In der Premier League hat er sogar auch noch das Kopfballspielen gelernt.
Dass in Jonas Hofmann ausgerechnet jener Flügelspieler, den die drei nicht so recht mitmachen ließen, am Ende das deutsche Tor erzielte, rundete das Bild der deutschen Offensive gegen England ab.
David Raum wird bei der WM der deutsche Linksverteidiger sein
Zehnmal stand Thilo Kehrer in den ersten zehn Spielen unter Hansi Flick von Anfang an auf dem Platz. Im elften Länderspiel saß der Defensiv-Allrounder, beim 1:1 gegen Italien noch Linksverteidiger, 90 Minuten auf der Bank.
Auch weil David Raum in seinem siebten Länderspiel eine blitzsaubere Leistung ablieferte. Von Flick in seiner hybriden 4-2-3-1- / 3-5-2-Grundordnung extrem weit vorne positioniert - im Schnitt agierte Raum über die 90 Minuten offensiver als der nominelle rechte Flügelspieler Jonas Hofmann - war der Hoffenheimer umsichtig und aufmerksam in der Defensive.
Raum agierte aggressiv im Spiel gegen den Ball und gewann einige sehr wichtige Zweikämpfe in der Rückwärtsbewegung. Sechs Ballgewinne, davon einer im Angriffsdrittel, überbot in der deutschen Mannschaft niemand.
In der Vorwärtsbewegung suchte er vorwiegend den quirligen Jamal Musiala, einige Male wagte er sich auch ganz nach vorne: Sieben Flanken sind Bestwert.
imago imagesIn dieser Form ist Raum ganz klar der Favorit für die Planstelle links in der Viererkette bei der WM. Robin Gosens von Inter Mailand jedenfalls dürfte es schwer haben, wieder ins Team zu finden.
Da auch Antonio Rüdiger in der Zentrale gesetzt sein dürfte, sind noch zwei Planstellen in der Abwehr für die WM zu besetzen. Gut für Kehrer, dass er in der Abwehr jede Position bekleiden kann.
Nations League: Tabelle Gruppe A3
Rang | Mannschaft | Sp. | S | U | N | Tore | Diff. | Pkt. |
1 | Italien | 2 | 1 | 1 | 0 | 3:2 | 1 | 4 |
2 | Ungarn | 2 | 1 | 0 | 1 | 2:2 | 0 | 3 |
3 | Deutschland | 2 | 0 | 2 | 0 | 2:2 | 0 | 2 |
4 | England | 2 | 0 | 1 | 1 | 1:2 | -1 | 1 |
Der Weg des DFB-Teams zurück in die Weltspitze ist weit
Deutschland gewann die ersten acht Spiele unter Hansi Flick. Allerdings waren da eben auch Partien gegen Liechtenstein, Armenien, Israel, Nordmazedonien und Island dabei.
In den letzten drei Spielen gegen die Niederlande, Italien und England lautete der Endstand dreimal hintereinander 1:1. Gegen die Großen (und Scheingroßen wie aktuell Italien) kann die DFB-Elf auch unter Flick noch nicht gewinnen.
Gegen Italien nicht, weil die DFB-Elf insgesamt nur auf gute 15 Minuten kam. Gegen die Niederlande nicht, weil sie es nach starkem Beginn und der Führung verpasste, das 2:0 nachzulegen und nach dem Ausgleich komplett den Faden verlor. Gegen England nicht, weil der Bald-Dortmunder Nico Schlotterbeck generell nicht das Niveau seiner Kollegen erreichte und unglücklich Harry Kane fällte, der den korrekten Elfmeter zum 1:1 verwandelte.
"Man hat gesehen, wozu wir in der Lage sind. Aber Konstanz und Ergebnisse gehören dazu, eine Spitzenmannschaft zu sein. Es reicht nicht, es immer nur anzudeuten", sagte Thomas Müller hinterher völlig zu Recht.
Auch wenn Flick nach elf Spielen noch ungeschlagen ist - und ein Sieg am Samstag in Ungarn wahrscheinlicher scheint als die erste Niederlage: Der Weg zurück in die Weltspitze ist für die DFB-Elf ein weiter. Erste Etappe: mal wieder eine der großen Mannschaften schlagen.
Nations League, Gruppe A3: Der Spielplan im Überblick
Datum | Uhrzeit | Heimteam | Auswärtsteam | Ergebnis |
04.06.2022 | 18.00 Uhr | Ungarn | England | 1:0 |
20.45 Uhr | Italien | Deutschland | 1:1 | |
07.06.2022 | 20.45 Uhr | Deutschland | England | 1:1 |
20.45 Uhr | Italien | Ungarn | 2:1 | |
11.06.2022 | 20.45 Uhr | England | Italien | |
20.45 Uhr | Ungarn | Deutschland | ||
14.06.2022 | 20.45 Uhr | England | Ungarn | |
20.45 Uhr | Deutschland | Italien | ||
23.09.2022 | 20.45 Uhr | Deutschland | Ungarn | |
20.45 Uhr | Italien | England | ||
26.09.2022 | 20.45 Uhr | England | Deutschland | |
20.45 Uhr | Ungarn | Italien |