Timo Gebhart erlebt mit dem VfB Stuttgart eine absolute Albtraum-Saison. Trotz des Sieges in Frankfurt steht der VfB aktuell auf einem Abstiegsplatz. Vor dem Spiel gegen Schalke (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER) spricht der 21-Jährige über den Worst Case, Bruno Labbadias Stärken und Vorwürfe gegen seine Person.
SPOX: Der Sieg in Frankfurt war sicher mehr als ein normaler Sieg. Das hat allein schon die Erlösung nach den Toren gezeigt, als unter anderem Sie die Frankfurter Werbebanden malträtiert haben. Beschreiben Sie die Emotionen, die dieser Sieg ausgelöst hat. spox
Timo Gebhart: Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine Erleichterung war. Wenn man auswärts so früh eine Rote Karte bekommt, dazu noch in unserer Lage, und das Spiel dann noch 2:0 gewinnt, sind die Emotionen natürlich gewaltig. Es sah ja nach dem Platzverweis wirklich nicht danach aus, dass wir drei Punkte holen können. Umso größer war die Freude nach dem Spiel. Auch im Training war die Stimmung anschließend noch besser. Wir haben deshalb jetzt nicht gleich das Selbstvertrauen von Dortmund, aber dieser Sieg hat uns sehr gut getan.
SPOX: Die größte Erleichterung hat wohl Matthieu Delpierre verspürt.
Gebhart: Für Matthieu war es eine schwierige Situation. Seine Rote Karte hätte nicht passieren sollen, aber das kommt schon mal vor. Das ist Fußball. Die Mannschaft hat ihm keinen Vorwurf gemacht. Im Gegenteil. Ich war zwar in der Halbzeit nicht in der Kabine dabei, aber ich weiß, dass besprochen wurde, dass wir das Spiel jetzt auch für ihn gewinnen. Das haben wir gemacht. Man kann da unten nur rauskommen, wenn man als Mannschaft zusammenhält und sich gegenseitig hilft.
SPOX: Sven Ulreich hatte einen großen Anteil am Sieg. Zuerst wird er aus dem Tor genommen, dann muss er nach der Verletzung von Marc Ziegler sofort wieder rein und bringt eine starke Leistung. Was sagen Sie zu seiner Reaktion?
Gebhart: Wie Sven diese ganze Situation in so jungen Jahren weggesteckt hat, war schon klasse. Da sieht man mal, welche Qualitäten er hat. Aber wir wussten beim VfB immer, was er kann. Insofern ist es keine Überraschung, was er in Frankfurt gezeigt hat.
SPOX: Trotz des Sieges steht der VfB weiter auf Rang 17. In der Vergangenheit gab es nach einem Erfolg sofort wieder einen Rückschlag. Was macht Sie zuversichtlich, dass es dieses Mal anders läuft?
Gebhart: Es stimmt, dieser eine Sieg hilft uns auch nichts, wenn wir jetzt nicht nachlegen. Ein Spiel gewinnen und dann sofort wieder verlieren - damit sollte jetzt Schluss sein. Wir wollen endlich mehrere Spiele nacheinander gewinnen. Unentschieden sind in unserer Situation zu wenig. Was mich zuversichtlich macht, ist die Art und Weise, wie wir in Frankfurt aufgetreten sind. Wir spielen jetzt gegen einige direkte Konkurrenten und müssen in diesen Spielen so viele Punkte wie möglich holen. Ich hoffe, dass wir eine Serie starten können. Ich glaube an meine Mannschaft.
SPOX: Coach Bruno Labbadia geht an der Seitenlinie sehr emotional mit. Wie sehr pusht er die Mannschaft?
Gebhart: Er gibt uns sehr viel Kraft. Er ist immer unglaublich leidenschaftlich dabei, egal ob das im Training ist oder beim Spiel. Er spricht viel mit uns und findet immer die richtigen Worte. Und er hat bei seinen Ein- und Auswechslungen oft ein glückliches Händchen bewiesen. Ich bin froh, dass er jetzt unser Trainer ist.
SPOX: Sind Sie nicht traurig, dass Christian Gross nicht mehr da ist? Sie haben ihn als besten Trainer bezeichnet, den Sie bis jetzt hatten.
Gebhart: Christian Gross hat mir unheimlich viel mitgegeben. Aber von Labbadia habe ich in der kurzen Zeit auch schon wieder viel lernen können. Es ist nie leicht, wenn man als Spieler so viele Trainerwechsel erlebt, aber auf der anderen Seite kann man sich immer wieder neu beweisen. Es ist immer wieder eine neue Herausforderung, wenn ein neuer Coach kommt.
SPOX: Eine Herausforderung muss es für Sie auch sein, mit den ganzen Verletzungen zurechtzukommen. Man könnte Sie ja schon als Mr. Bänderriss bezeichnen.
Gebhart: Das ist richtig. Ich hatte jetzt in zwei Monaten zwei Bänderrisse, das ist frustrierend. Aber ich habe jetzt nach nur einer Woche wieder gespielt, weil ich der Mannschaft unbedingt weiterhelfen will. Ich will einfach aus dieser furchtbaren Situation herauskommen, ich will für die Mannschaft da sein, ich will auch für die Fans da sein, die uns so gut unterstützen. Dafür kann man schon mal einige Schmerzen in Kauf nehmen.
SPOX: Dass Sie Schmerzen ertragen können, haben Sie eindrucksvoll bewiesen, als Sie im letzten Jahr in Nürnberg mit offener Achillessehne noch weitergespielt haben. Ganz ehrlich: Wie geht das denn?
Gebhart: Im Nachhinein hab ich mir auch gedacht: 'Wie blöd bist Du eigentlich?' (lacht). Aber im Spiel selbst hast du so viel Adrenalin in Dir, dass man die Schmerzen gar nicht richtig merkt. Das kommt dann erst nach dem Spiel.
SPOX: Die Verletzungsprobleme sind die eine Sache, aber wenn es für den Verein gut laufen würde, könnte man damit wohl deutlich besser umgehen. Wie sehr leiden Sie unter dem Abstiegskampf?
Gebhart: Klar wäre es schöner, wenn alles positiv wäre. Aber das ist nicht die Realität. Man muss sich mit der Situation auseinandersetzen und schauen, wie man es besser machen kann. Aber man nimmt den Frust natürlich schon mit nach Hause. Die ganzen Negativerlebnisse kann man nicht an der Haustür abgeben - die Situation geht mir nahe. Und auf dem Feld ist es auch nicht leicht.
SPOX: Sie meinen eine gewisse Reizbarkeit, oder?
Gebhart: Ja, man ist auf dem Feld leichter angreifbar. Da steigt die Aggressivität etwas schneller. Das hat man auch bei mir in den letzten beiden Spielen gesehen. Aber das ist nach dem Spiel wieder vergessen. Ich bin einfach mit so viel Herz bei der Sache, da kann man schon mal emotionaler werden.
SPOX: Wie oft haben Sie schon an das Worst-Case-Szenario mit dem Namen "2. Liga" gedacht?
Gebhart: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich daran noch nie gedacht habe. Natürlich macht sich auch darüber Gedanken. Aber nicht in der Hinsicht, dass ich dort vielleicht spielen muss, sondern eher mit der festen Entschlossenheit, dass das nicht passieren darf. Wir werden alles dafür tun, damit wir drin bleiben. Und wir werden drin bleiben.
SPOX: Wenn Sie Ihre Zeit in Stuttgart Revue passieren lassen: Wie fällt Ihr Zwischenfazit für Sie persönlich aus?
Gebhart: Ich bin grundsätzlich schon zufrieden. Am Anfang war es schwer für mich, weil ich mich erst einmal rein finden und die Umstellung von der 2. Liga bewältigen musste, aber das ist mir denke ich ganz gut gelungen. Ich habe mich immer wieder durchgesetzt. Ich weiß aber auch, dass ich mich immer noch viel verbessern kann und muss. Daran werde ich alles setzen.
SPOX: Was sagen Sie den Leuten, die behaupten, dass Sie zu oft allzu theatralisch fallen?
Gebhart: Ich weiß, dass es Leute gibt, die das glauben. Aber wer genau hinschaut, sieht, dass es fast immer ein Foul ist oder ich im Dribbling das Gleichgewicht verliere. Komisch wirkt vielleicht manchmal die Art und Weise, wie ich hinfalle. Das weiß ich selbst, aber es ist keine Schauspielerei. Trotzdem versuche ich, auch daran zu arbeiten.
SPOX: Es gab außerdem immer wieder Leute, die Sie für Ihren Lebenswandel kritisiert haben. Zu Recht?
Gebhart: Es ist doch normal, dass man in jungen Jahren auch mal Fehler macht. Vielleicht habe ich zwischendurch Angriffsflächen geboten, mag sein, aber das habe ich hinter mir gelassen. Und was mein Äußeres angeht: Es ist doch nicht wichtig, ob ich Tatoos habe oder wie meine Frisur aussieht. Mir gefällt es und ich schaue nicht darauf, was andere sagen. Andere rasieren sich die Beine, da sage ich ja auch nichts. Wenn mir jemand Respekt entgegen bringt, begegne ich ihm auch mit Respekt. Und diejenigen, die mich kennen, wissen auch, was sie an mir haben.
SPOX: Als Sie Verantwortung übernommen und den Elfmeter in Gladbach verwandelt haben, hat Labbadia gesagt, dass es ein Vorteil bei Ihnen sei, dass Sie nicht so viel nachdenken würden. Trifft er es damit ganz gut?
Gebhart: Es ist schon so, dass ich mir auf dem Feld keinen großen Kopf mache. Das kommt im Spiel alles von selbst. Auf dem Platz muss man viele Dinge ausblenden können. Und beim Elfmeter hatte ich in dem Moment das Gefühl, dass ich den jetzt reinmachen muss.
SPOX: Abschließende Frage: Viele junge Spieler, vor allem die Dortmunder Fraktion um Mario Götze, Kevin Großkreutz und Sven Bender, drängen in die Nationalmannschaft. Eigentlich waren Sie auch mal auf diesem Weg. Ist das DFB-Team mittelfristig ein Thema für Sie?
Gebhart: Im Moment ist einzig und allein der VfB wichtig, das ist klar. Aber es ist natürlich mein Traum, einmal für die Nationalmannschaft aufzulaufen. Ich habe von der U 15 bis zur U 21 alle Stationen durchlaufen und immer meine Leistung gebracht. Es wäre das Größte für mich, wenn ich den letzten Schritt auch noch gehen würde. Jetzt müssen wir aber erst mal den Klassenerhalt schaffen - und wenn man dann in der nächsten Saison hoffentlich wieder weiter oben mitspielt, wird es auch leichter, sich ins Blickfeld zu spielen.
Timo Gebhart im Steckbrief