Private Eskapaden und elf Monate auf der Bank - 2011 war für Tobias Sippel, Torwart beim 1. FC Kaiserslautern, ein Seuchenjahr. Sippel spricht im Interview vor dem Spiel beim 1. FC Köln (18 Uhr im LIVE-TICKER) über die Ohnmacht gegenüber den damaligen Negativschlagzeilen, seine knackige Ausbildung zum Bäcker und Vorbild Roman Weidenfeller.
SPOX: Herr Sippel, was viele nicht wissen: Beim FCK steht ein waschechter Bäcker im Tor. 2006 haben Sie die Gesellenprüfung erfolgreich absolviert. Wie sah denn eigentlich Ihr Tagesablauf während der Ausbildung aus?
Tobias Sippel: Es ging um 3.30 Uhr los und um 9 oder 10 Uhr war Feierabend. Danach bin ich nach Hause, habe mich schnell aufs Ohr gehauen und bin dann direkt zum Training. Zwischen 20 und 22 Uhr kam ich zurück, habe noch etwas gegessen und bin wieder ins Bett.
SPOX: Hört sich brutal an.
Sippel: Die Belastung war schon enorm, ich bin sogar einmal im Training zusammengebrochen. Aber das ist letztlich eine Gewohnheitssache. Wenn man das jeden Tag macht, dann stellt sich der Körper drauf ein. Ich war damals 17 und wurde gerade von den Amateuren zu den Profis hochgezogen. Ich habe auch den Beginn der Ausbildung nicht in der Bäckerei meiner Eltern absolviert, sondern in einem anderen Betrieb. Das wollten meine Eltern so, damit da auch ja keine Vorwürfe aufkamen.
SPOX: Haben sich dann später im Betrieb Ihres Vaters die Arbeitszeiten verändert?
Sippel: Ja, das war dort nicht mehr so problematisch, auch weil ich in den Konditorbereich gewechselt bin. Da ging es erst um 6 Uhr los und die Abläufe waren passender und geregelter. Sonst hätte ich Ausbildung und Fußball auch nicht mehr vernünftig unter einen Hut bekommen.
SPOX: Und Freizeit war nicht, oder wie?
Sippel: Nein, an sonderlich viel Freizeit war nicht zu denken. Da gab es nur Arbeit und Fußball, am Wochenende die Spiele und jeden Tag früh schlafen gehen. Das war's (lacht).
SPOX: Rund ein Jahr nach Ausbildungsende debütierten Sie für den FCK. Das ist jetzt fünf Jahre her. Gibt es Unterschiede zwischen dem Tobias Sippel von damals und dem von heute?
Sippel: Erst einmal muss ich sagen, dass die damalige Zeit bei mir immer noch sehr präsent ist. Ich mag es gar nicht glauben, dass das schon fünf Jahre her ist. Sportlich gesehen habe ich mir mit der Zeit eine gewisse Unbekümmertheit oder Gelassenheit angeeignet. Man macht sich einfach weniger Gedanken, was während eines Spiels passiert und fokussiert sich nicht so sehr auf einzelne Situationen oder begangene Fehler.
SPOX: Ab diesem Zeitpunkt schritt Ihre Entwicklung zügig voran, im Mai 2010 waren Sie sogar bei der A-Nationalmannschaft dabei.
Sippel: Es stimmt, das ging schon alles wahnsinnig schnell. Sportlich hat es gestimmt, dazu der Aufstieg, dann Spiele in der Bundesliga. Damit hatte ich ja selbst nicht gerechnet. Aber für solche Fälle ist dann Gerry Ehrmann zuständig. Wenn er eines nicht leiden kann, dann abgehobene Typen (lacht).
SPOX: Roman Weidenfeller ist auch ein ehemaliger Zögling von Ehrmann. Mit Weidenfeller trafen Sie in der D-Jugend zusammen. Haben Sie noch Kontakt?
Sippel: Ja, sehr guten sogar. Er ist schon lange mein Vorbild. Wir haben beide in Bad Dürkheim gewohnt und ich habe damals als junger Bub von ihm ein Paar Handschuhe bekommen, was mich sehr stolz gemacht hat. Sein Onkel hat übrigens in unserer Bäckerei öfters gefrühstückt.
SPOX: Konnten Sie verstehen, warum er nie eine Chance in der Nationalmannschaft bekommen hat?
Sippel: Er hat in den letzten vier Jahren auf hohem Niveau praktisch durchgespielt, immer mehr als solide gehalten und gute Kritiken bekommen. Mir imponiert, wie er mit der Situation umgeht und sich im Verein über eine solch lange Zeit durchgebissen hat und in den letzten Jahren sportlich belohnt wurde. Da möchte ich auch einmal hinkommen.
SPOX: Auch für Sie gab es ein Wellental in Ihrer Entwicklung. In der vergangenen Bundesliga-Rückrunde brachten Sie ein elfmonatiges Reservistendasein hinter sich. Angefangen hatte diese Phase mit einer handelsüblichen Grippe. Hat sich während dieser ungewollten Auszeit etwas für Sie verändert?
Sippel: Schwer zu sagen. Ich hätte ja nie gedacht, dass ich deshalb direkt und auch für eine solch lange Zeit auf der Bank lande. Das hat schon wehgetan. Ich kannte eine solche Phase ja gar nicht. Anfangs habe ich mir da schon ein wenig den Kopf zermartert, was das für mich jetzt alles noch bringen soll und wie ich da überhaupt noch weiterkomme. Ich habe aber nie aufgegeben, an meine Chance zu glauben. Hätte ich das getan, wäre ich jetzt nicht da, wo ich mittlerweile bin.
SPOX: Haben Sie sich in der Folge über eine Grippeimpfung nachgedacht?
Sippel: Das nicht, aber als ich kürzlich etwas angeschlagen war, habe ich schon zweimal drüber nachgedacht, ob ich das dem Trainer sage (lacht).
SPOX: In die Reservistenzeit fielen auch Ihre ersten Negativschlagzeilen (Unfallflucht im Juli 2011, Anm. d. Red.) außerhalb des Spielfelds. Wie nah haben Sie den Trubel um Sie damals an sich heran gelassen?
Sippel: Gar nicht. Ich habe die ersten Berichte in der Zeitung noch verfolgt, aber wenn da einmal etwas geschrieben wird, dann glauben die Leute nur noch diese Version und das war's dann. Bis heute weiß ja keiner außer uns, was wirklich vorgefallen ist.
SPOX: Fällt man aufgrund der Ohnmacht, die Berichterstattung nicht beeinflussen zu können, nicht zwangsläufig in eine Art Loch?
Sippel: Ein wenig vielleicht. Ich habe damals am eigenen Leibe gemerkt, dass man als Person, die in der Öffentlichkeit steht, bei jedem Schritt richtig aufpassen muss, was man sagt oder was man macht. Erst recht in Kaiserslautern, denn da kennt jeder jeden. Das habe ich definitiv daraus gelernt, das sind eben die kleinen Negativseiten für einen Profisportler. Dafür gibt es aber auch genug tolle und positive Seiten an unserem Job...
SPOX: Als Sie zur Rückrunde wieder spielten, war der Abstieg recht schnell nicht mehr zu verhindern. Nun begann im Sommer ein neuer Abschnitt für den FCK. Wie lange braucht man denn nach einer solch bitteren Saison, bis der Akku wieder vollständig aufgeladen ist?
Sippel: Es war ja leider schon relativ früh klar, dass es für diese Saison nichts mit der Champions League wird und man mit der 2. Liga planen muss. Daher ging das schon. Dazu kommen ja einige neue Spieler und der Trainer, die nicht vorbelastet waren und neue Energie rein gebracht haben.
SPOX: Ändert sich unter diesen neuen Voraussetzungen dann auch das Arbeitsklima?
Sippel: Ja und zwar enorm. Im Vorjahr wurde ja ständig auf unserer Offensive herumgehackt. Nun haben wir dort große Qualität hinzugewonnen, mit der wir letztes Jahr womöglich gar nicht abgestiegen wären. Deshalb ist es dann schon angenehm, wenn ein solches Thema dann plötzlich keines mehr ist.
SPOX: Mittlerweile ist Kaiserslautern sogar eines von drei ungeschlagenen Teams im deutschen Profifußball. Wie geht man damit um, wenn sich innerhalb kurzer Zeit die Ausgangslage für den Verein so verändert?
Sippel: Man muss halt diese Kehrtwende bewerkstelligen. In der Bundesliga waren wir nie Favorit und mussten das Spiel nicht machen, da konnten wir auf Konter spielen. Jetzt stehen die meisten Gegner gerade bei unseren Heimspielen hinten drin, da hatten wir zuletzt ein paar Probleme, um entsprechend zu agieren und unsere Chancen rein zu machen.
SPOX: Es fiel in der Tat auf, dass sich die Mannschaft auf dem Betzenberg nach Führungstoren gegen tief stehende Gegner schwer damit tat, nachzulegen und den Vorsprung über die Zeit zu retten.
Sippel: Das müssen wir auch noch auf die Reihe bekommen, klar. Auswärts klappt es dafür schon ganz gut. Aber auch wenn schon ein paar Heimspiele dabei waren, die nicht so souverän waren: In der 2. Liga zählt für einen Favoriten am Ende nur, dass du ein Tor mehr schießt als der Gegner.
Tobias Sippel im Steckbrief