München - Der italienische Fußball hat weiß Gott schon bessere Tage erlebt. Noch immer steht der Calcio mehr oder weniger ohnmächtig vor dem Scherbenhaufen, den der Tod des Lazio-Anhängers Gabriele Sandri und die anschließenden Fan-Ausschreitungen hinterlassen haben.
Der drohende sportliche Kollaps wirkt dabei fast nebensächlich. "Die Partie in Glasgow rückt gerade ein wenig in den Hintergrund", sagt etwa Fabio Cannavaro, der Kapitän der italienischen Nationalmannschaft.
Dabei droht der Squadra Azzurra am Samstag gegen Schottland (Sa., ab 18 Uhr im LIVE-TICKER) schon das Aus in der EM-Qualifikation.
Bei einer Niederlage in Glasgow kann sich Italien im kommenden Sommer wohl in aller Ruhe um die Aufarbeitung seiner inneren Krisen bemühen - die Europameisterschaft fände aller Voraussicht nach ohne den amtierenden Weltmeister statt.
Donadonis Spagat
Roberto Donadoni, Italiens Nationalcoach, hatte nun die undankbare Aufgabe, den öffentlichen Fokus auf die sportliche Bedeutung dieser Partie zu lenken. Ohne lange Umschweife entledigte sich der 44-Jährige im Trainingsquartier in Florenz auch dieser Pflicht.
"Von den Gewaltbildern ist mir übel geworden, aber jetzt ist es wichtig, dass wieder die Werte des Sports in den Vordergrund rücken." Spagat geglückt, wenn auch reichlich gezwungen, von nun an wird nur noch über das Spiel gesprochen.
Die Formel zur Arbeitslosigkeit
Viel eleganter wirkte der von italienischen Medien und Experten ungeliebte Donadoni jedoch auch dabei nicht. "Ich bin kein Mathematiker", eröffnete er seine Ausführungen. Das muss er aber auch nicht sein.
Er braucht eigentlich nur Eins und Eins zusammenzuzählen, um zu wissen, dass er im Falle einer Niederlage seinen Job los ist.
Bei einer Niederlage müsste Donadoni am letzten Spieltag darauf hoffen, dass Frankreich bei den bereits abgeschlagenen Ukrainern verliert. Hieße mit großer Wahrscheinlichkeit: das Aus für Italien. Ein Sieg würde dagegen das sichere Weiterkommen bedeuten, ebenso ein Unentschieden - mal vorausgesetzt, man leistet sich am Mittwoch im abschließenden Heimspiel gegen die Färöer keine apokalyptische Pleite.
Das geliebte Null-zu-Null
Eigentlich ist die Situation wie gemalt für die Squadra Azzurra, denn Italien ist vermutlich das einzige Land der Welt, das erfolgreich auf Remis spielen kann - gerade in wichtigen Partien, gerade auswärts, gerade in der EM-Qualifikation.
Vor der EM 2004 benötigten die Italiener ein Unentschieden im letzten Spiel, um Gruppensieger zu werden. Ergebnis: 1:1 bei Serbien-Montenegro.
Vor der EM 2000 war der gefährlichste Kontrahent die Schweiz. Ergebnis: 0:0 in Lausanne. Am letzten Spieltag reichte wieder ein Unentschieden. Ergebnis 0:0 in Weißrussland. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Doch Donadoni will davon nichts wissen: "Mit einer Remis-Mentalität kommen wir in Schottland nicht weit." Der Mister will gewinnen. Und der Mister muss letztlich auch gewinnen, um seine Kritiker wenigstens für eine Weile zu beruhigen.
Luca Toni rechnet
Denn Donadonis Personalpolitik sorgte auch vor dem Schottland-Spiel einmal mehr für öffentliches Stirnrunzeln. Mit Alessandro Del Piero und Fillipo Inzaghi strich er ausgerechnet vor dem Endspiel in Glasgow zwei seiner erfahrensten Akteure aus dem Kader.
Zwar sind beide im Moment nicht in der Form ihres Lebens - die Alternativen Alberto Gilardino und Cristiano Lucarelli jedoch auch nicht.
Die Last der Offensive liegt damit vor allem auf den Schultern von Luca Toni. Und auch die Rechnung des Bayern-Stars ist denkbar einfach: "In 90 Minuten stehen zwei Jahre Arbeit auf dem Spiel. Ich will nicht einmal daran denken, nicht zur EM zu fahren."
Auf ein Unentschieden zu spekulieren, hält indes auch der 30-Jährige für fahrlässig. Immerhin gehe es "auch um das beschädigte Image unseres Fußballs", versicherte Toni - doch damit meint er ausnahmsweise nicht die italienische 0:0-Mentalität.
Meistgelesene Artikel
Das könnte Dich auch interessieren
.jpg?quality=60&auto=webp&format=pjpg&width=317)


