Wie Declan Rice von West Ham United zur Hassfigur wurde: "Er ist ein absoluter Scharlatan"

Nino Duit
14. Juni 202308:44
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Der FC Bayern wird sich übereinstimmenden Medienberichten zufolge nicht weiter um eine Verpflichtung von Declan Rice bemühen. Hätte der Transfer geklappt, hätten die Münchner einen hervorragenden Sechser bekommen - und die Hassfigur einer Nation. Wie der 24-Jährige das Heimatland seiner Vorfahren erzürnte.

Declan Rice hat im Laufe seiner Profikarriere noch nie den Klub gewechselt. Seit dem Alter von 14 Jahren spielt er schon für West Ham United, gilt dort als Identifikationsfigur und Publikumsliebling. Mit der Kapitänsbinde am Arm führte Rice seine Hammers neulich im Conference-League-Finale zum ersten Titel seit 43 Jahren.

Dem Vernehmen nach peilt er im Sommer aber eine neue Herausforderung an. Der FC Bayern hat sich angeblich aus dem Poker verabschiedet, der FC Arsenal buhlt aber weiter intensiv um seine Dienste. Sollte Rice West Ham tatsächlich verlassen, würde er eine gewaltige Ablösesumme einbringen und als Vereinslegende in die Geschichte eingehen.

Für ihn wäre es wohl ein angenehmeres Erlebnis als sein erster Transfer: 2019 wechselte er nämlich schon einmal - nicht den Klub, sondern das Land. Damals avancierte Rice zur Hassfigur einer ganzen Nation. "Ihn als Pox zu bezeichnen, wäre noch milde ausgedrückt", sagt Liam Murray im Gespräch mit SPOX und GOAL. Pox nennt man im Dubliner Slang jemanden, den man - naja - nicht ganz so gerne hat. Zur Verdeutlichung erklärt Murray: "Ich hasse ihn und wünsche ihm in seiner Karriere ausschließlich Pech. Er ist ein absoluter Scharlatan."

Murray ist Mitglied der irischen Fan-Vereinigung "You Boys in Green". Er unterstützt die Mannschaft, die Declan Rice für den Erzrivalen England verraten hat. So sieht er es und so sieht es fast jeder in Irland.

Declan Rice: Sein Weg in die englische Nationalmannschaft

Rice kommt in London zur Welt, seine Großeltern waren einst aus der irischen Stadt Cork nach England ausgewandert. Wie um etliche andere Spieler mit irischen Wurzeln bemüht sich der irische Verband auch um Rice. Erfolgreich, ab der U16 repräsentiert der talentierte Defensivallrounder das Heimatland seiner Vorfahren. Einmal wird er sogar zu Irlands Nachwuchsspieler des Jahres gekürt.

Anfang 2018 debütiert er im Alter von 19 Jahren in einem Testspiel gegen die Türkei für die A-Nationalmannschaft, zwei weitere Einsätze folgten. Rice küsste das grüne Wappen, während der Hymne kommen ihm die Tränen. "Ich habe an meine Großeltern gedacht. Es war ein spezieller Moment."

Im Sommer sollte er in der EM-Qualifikation sein Pflichtspieldebüt feiern - doch stattdessen streicht ihn Nationaltrainer Martin O'Neill kurzerhand aus dem Kader. Der Grund: Rice sei sich nicht mehr so sicher, ob er für Irland weinen und küssen wolle oder womöglich doch lieber für England. Es gäbe eine Anfrage für einen Nationen-Wechsel, ob der sportlichen Leistungsfähigkeit winken größere Chancen auf Freudentränen.

Nach einem halben Jahr Bedenkzeit verkündet Rice, fortan für England zu spielen. Möglich ist das, weil seine drei Partien mit der irischen A-Nationalmannschaft allesamt Testspiele waren. Bereits im März 2019 feiert er in einem EM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien sein Pflichtspieldebüt für England. Bis heute folgten 40 weitere Einsätze.

Todesdrohungen - und eine Entschuldigung von Declan Rice

In einem ausführlichen Social-Media-Statement sprach Rice damals von einer "extrem schwierigen Entscheidung" und erklärte: "Letztlich ist es eine persönliche Entscheidung, die ich mit meinem Herz und meinem Kopf getroffen habe vor dem Hintergedanken, was am besten für meine Zukunft ist." Er würde vollkommen verstehen, wenn Irlands Fans "enttäuscht von meiner Entscheidung sind". Enttäuscht? Ein kleines Wort.

"PR-Bullshit", findet Murray. In den sozialen Medien brach sofort ein veritabler Shitstorm aus, Rice wurde übel beleidigt und bekam sogar Todesdrohungen. "Manche Leute haben mir geschrieben, dass sie bei mir zuhause vorbeikommen werden", berichtete er später. Rice musste sich derweil aber auch selbst für einen Social-Media-Beitrag entschuldigen.

2015 hatte er im Alter von 15 Jahren "Up the RA" geschrieben und damit Solidarität mit der paramilitärischen Untergrundorganisation Irish Republican Army (IRA) gezeigt, die einst gegen Großbritanniens Herrschaft in Nordirland und für eine irische Wiedervereinigung gekämpft hatte. "Meine naiven Worte waren nicht als politische Meinung gedacht und spiegeln nicht wider, wer ich bin. Ich entschuldige mich für alle daraus entstandenen Ärgernisse", erklärte Rice.

Aufgekommen ist die Diskussion über den Beitrag übrigens dank eines Mitglieds der Fan-Vereinigung "You Boys in Green". "Er hat durch seine Posts gescrollt, den Kommentar gefunden und ihn öffentlich gemacht", erzählt Murray. "Jeder weiß, dass das nicht mehr als der dumme Kommentar eines Teenagers war. Aber es war großartig, dass er sich direkt entschuldigen musste, nachdem er sich England angeschlossen hatte."

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Rice im EM-Finale: "Ihn weinen zu sehen, war herrlich"

Rückschläge für Rice sind seitdem ein Quell der Freude für viele irische Fans. "Ihn nach Englands Niederlage im Elfmeterschießen gegen Italien beim EM-Finale 2021 weinen zu sehen, war herrlich", sagt Murray. Dieser Vorfall kam durchaus gelegen: Ansonsten gab es für die Iren bei dem Turnier schließlich wenig zu jubeln, ihre Nationalmannschaft hatte sich nämlich gar nicht erst qualifiziert.

Rice war übrigens nicht das einzige Mitglied in Englands EM-Kader, das zuvor auch für irische Auswahlmannschaften gespielt hatte. Jack Grealish weist beispielsweise eine ähnliche Geschichte vor. Wegen der eng verwobenen Historie der beiden Länder gibt es generell zahlreiche Menschen mit Verbindungen nach England und Irland.

"Die meisten irischen Fans verstehen, dass Spieler mit zwei Nationalitäten eine schwierige Entscheidung zu treffen haben. Auf diesem Weg haben wir gute Spieler gewonnen und verloren", sagt Murray. Grealish beispielsweise wünsche er "viel Glück". Vielleicht, weil er sich anders als Rice vor seiner erstmaligen Berufung in die A-Nationalmannschaft festgelegt hat, bei der Hymne nicht geweint und das irische Wappen nicht geküsst hat.