Die SG Flensburg-Handewitt gewinnt ein unfassbares Halbfinale beim Champions-League-Final-Four in Köln gegen den FC Barcelona mit 41:39 nach 7-Meter-Werfen (36:36, 32:32, 18:17). Damit kommt es im Endspiel um die europäische Krone zu einem rein deutschen Showdown gegen Kiel. Der THW hatte sich zuvor mit einem 29:26-Sieg gegen Veszprem für das Finale qualifiziert.
Vor den Augen von Barca-Legende Carles Puyol, der extra nach Köln reiste, um die Handballer zu unterstützen, verspielte der spanische Meister in Halbzeit zwei einen 6-Tore-Vorsprung. Nachdem Holger Glandorf Flensburg in letzter Sekunde auf dramatische Weise in die Verlängerung rettete und auch dort keine Entscheidung fiel, kam es zum Shootout. Dort hielt Mattias Andersson den 7-Meter von Nikola Karabatic, Hampus Wanne warf Flensburg letztlich ins Finale.
Holger Glandorf (8), Steffen Weinhold (8), Thomas Mogensen (6) und Anders Eggert (6) waren die besten Werfer bei Flensburg. Bei Barca gingen die meisten Tore auf das Konto von Kiril Lazarov (6) und Victor Tomas (6).
Die Reaktionen:
Holger Glandorf (SG Flenburg-Handewitt): "Man hat gesehen, was in der Mannschaft steckt. Am Ende haben wir verdient gewonnen. Das hat natürlich viel Kraft gekostet. Ich hoffe, jetzt holen wir auch das Ding!"
Ljubomir Vranjes (Trainer Flensburg): "Ein Kompliment an Sören Rasmussen und an die Youngster, die ich ins kalte Wasser geworfen habe. Und ein Dank an die Zuschauer, die uns nach vorne gepeitscht haben."
Dierk Schmäschke (Geschäftsführer Flensburg): "Eine Verein, ja eine ganze Region ist stolz auf diese Mannschaft. Wir haben eine unglaubliche kämpferische Leistung gesehen."
Der SPOX-Spielfilm:
Vor dem Spiel: Bei Barca steht Saric und nicht Sterbik im Tor. Dazu beginnt Pascual mit Rutenka, Sarmiento und Gurbindo im Rückraum, Nöddesbo am Kreis und den bekannten Außen Garcia und Tomas. Karabatic kommt erstmal nur in der Abwehr zum Einsatz, Lazarov erstmal gar nicht. Flensburg setzt eine Lineup mit Keeper Andersson, einem Rückraum aus Gottfridsson, Mogensen und Glandorf, Kreisläufer Knudsen und den Außen Eggert und Svan dagegen.
5.: Flensburg-Handball! Andersson mit dem Save gegen Rutenka, er fängt den Ball sogar und bringt sofort den weiten Pass auf den pfeilschnellen Eggert an - drin! 3:3.
12.: Zweimal in Folge wird Nöddesbo am Kreis gut eingesetzt, zweimal ist Andersson geschlagen. Barca ist zum ersten Mal auf zwei Tore weg, 6:4. Vranjes nimmt sofort die Auszeit.
20.: Andersson läuft langsam heiß im Kasten! Seine Parade leitet einen Weinhold-Treffer ein und plötzlich führt hier Flensburg! 12:11. Barca-Coach Pascual muss unzufrieden sein und fordert das Timeout.
25.: Jetzt auch Saric mit ganz wichtigen Saves! Erst hält er einen Eggert-Wurf von Außen, dann fährt er nach dem nächsten Andersson-Monster-Pass beim Gegenstoß von Svan die Beine aus! Stark! Aber: Es führt weiter nicht der große Favorit, sondern der Underdog aus Deutschland. 14:13 Flensburg.
30.: Flensburg lässt ein paar Chancen liegen, Barca startet aus dem Nichts einen schnellen 3:0-Run, aber Flensburg kommt sofort wieder mit einem eigenen 3:0-Lauf zurück. Das letzte Tor der ersten Halbzeit gehört Weinhold, der mit aller Macht auf die Abwehr draufgeht, Karabatic stehen lässt und vollendet - überragende Aktion. 18:17 Flensburg zur Pause!
33.: Was macht Barca da nur in der Abwehr? Nichts! Mogensen darf einfach so durchgehen, Rutenka steht daneben und schaut zu, wie es einschlägt. Nach dem nächsten Andersson-Save legt Glandorf nach. 21:18 Flensburg! Was geht hier denn ab?!
37.: Flensburg leistet sich zu viele leichte Fehler, die jetzt von Barca gnadenlos bestraft werden. Lazarov markiert vom Kreis den Ausgeich. 22:22. Ganz kritische Phase für die SG.
41.: Saric hat sich entschieden, die Kiste für einige Zeit zu vernageln! Flensburg scheitert nur noch, Barca trifft nur noch. Erst Entrerrios, dann Garcia in typischer Manier von Linksaußen, dann ein Lazarov-Klassiker aus dem Rückraum. 26:22 Barca! 8:1-Run!
47.: Es geht dahin für die SG. Lazarov wird jetzt immer stärker und findet aus dem Rückraum zu gewohnter Treffsicherheit. Nach dem nächsten Ballverlust läuft Tomas den Gegenstoß. Barca ist auf 5 weg. 29:24.
57.: Hampus Wanne darf Final-Four-Luft schnuppern und führt sich mit zwei Treffern gut ein, dann tankt sich Glandorf durch, nach dem nächsten Rasmussen-Save gegen Sorhaindo macht auch Bogdan Radivojevic das Ding rein. Es waren sechs Tore Rückstand, jetzt sind es nur noch zwei... Die Halle kocht! 32:30 Barca.
60.: UN-FASS-BAR! UN-FASS-BAR! UN-FASS-BAR! Glandorf bringt Flensburg eine Minute vor Schluss auf einen heran, Barca im Angriff völlig ohne Plan, Zeitspiel, Ball zu Glandorf, Alleingang, die Uhr läuft runter und Glandorf haut den Ball quasi mit der letzten Sekunde rein. 32:32! 7:1-Run! Verlängerung! Die Lanxess-Arena explodiert!
65.: Irgendwann musste Karabatic ja das Heft an sich reißen. Der Franzose steigt hoch und bringt Barca mit 35:33 in Führung, die erste Hälfte der Verlängerung ist vorbei. Rasmussen zuvor mit einem Sensations-Save gegen Garcia im Gegenstoß, aber auch Saric hatte wieder einige starke Paraden. Gibt's noch ein weiteres SG-Comeback?
69.: Mogensen,immer wieder Mogensen! Knackiger ansatzloser Wurf aus der Mitte, Ausgleich. 35:35. Auf der anderen Seite landet der Ball via Karabatic und Lazarov bei Tomas, der völlig frei zum Abschluss kommt und trifft. 36:35 Barca.
70.: Eggert macht per 7-Meter den Ausgleich, aber Barca hat den letzten Angriff. Karabatic kommt in der Schlusssekunde noch zum Wurf, aber Rasmussen hat ihn zwischen den Beinen sicher. 7-Meter-Werfen!!!
7-Meter-Werfen: Für den Shootout kommt Andersson zurück und hält den zweiten 7-Meter von Karabatic. Bei Flensburg behält jeder die Nerven, Eggert, Weinhold, Gottfridsson, Radivojevic und zum Abschluss auch Wanne! Flensburg steht im Finale!
FC Barcelona vs. SG Flensburg-Handewitt: Hier geht's zum BOXSCORE
Der Star des Spiels: Holger Glandorf. Was für eine unmenschliche Leistung des deutschen Nationalspielers! Glandorf war von Beginn an schon überragend drauf, aber wie er am Ende der regulären Spielzeit die SG in die Verlängerung warf, war nur noch Wahnsinn. Genauso wie er danach jubelte, Bilder für die Ewigkeit. Aber auch Sören Rasmussen war sensationell (50 Prozent gehaltene Bälle), als er für den glücklosen Mattias Andersson (27 Prozent) ins Tor kam. Rasmussen drehte das Spiel mit. Dafür hielt Andersson wiederum den entscheidenden 7-Meter. Dazu die zweite Flügelzange mit Wanne und Radivojevic (kein Fehlwurf!), ein Mogensen - es war der Erfolg eines unglaublichen Teams, das für seine unglaubliche Leidenschaft belohnt wurde.
Der Flop des Spiels: Siarhei Rutenka. Nikola Karabatic (5/12) verwarf den entscheidenden 7-Meter und konnte das Spiel nicht in Karabatic-Manier gewinnen, Kiril Lazarov (6/13) hatte keinen Glanztag, aber der mit Abstand schwächste Barca-Spieler war Rutenka (4/13). Der Shooter erzielte nicht ein einziges Tor aus dem Rückraum (0/8). Brutal.
Das fiel auf:
- Dieses Halbfinale hat auf die irrsinnigste Weise demonstriert, was Handball so sensationell macht. Flensburg war mausetot, Coach Vranjes hatte bereits seine etatmäßigen Außen auf die Bank geholt, es war nah an der Garbage-Time, wie man es in den USA nennt. Wie dann dieses Monster-Comeback möglich war, mit dieser Lineup, wie Barca das mit dieser Star-Truppe so vergeigen konnte? Niemand weiß es. Es ist einfach Handball!
- Ein ganz großer Faktor bei Flensburg war von Beginn an der überragende rechte Rückraum. Es war eben nicht nur Glandorf. Wenn er eine Pause brauchte, kam Weinhold und spielte ebenso bärenstark. Zwei deutsche Jungs, die auf diesem Niveau in so einem Spiel solch tragende Rollen spielen, sieht man nicht so oft. Es ist auf jeden Fall auch ein gutes Zeichen für die anstehenden WM-Playoff-Spiele gegen Polen.
- Barca-Coach Pascual reagierte in der ersten Halbzeit nach dem Rückstand und wechselte im Rückraum komplett durch. Für Rutenka, Sarmiento und Gurbindo kamen Karabatic, Entrerrios und Lazarov. Die Probleme lagen aber vor allem in der schwachen Deckung, die von Flensburg immer wieder geknackt wurde.
- Während bei Rutenka und Lazarov (zusammen 4/12 in Halbzeit eins) wenig klappte, hielt Karabatic sein Team erstmal im Spiel. Selbst als er zu Beginn nur in der Abwehr zum Einsatz kam, fand er immer einen Weg, in der zweiten Welle Tore zu werfen. Viel ging bei Barca außerdem über den Kreis und Nöddesbo, dazu war das Flügelduo Garcia und Tomas gewohnt zuverlässig.
- Vranjes versuchte es in Halbzeit eins in Unterzahl auch mal mit einem zusätzlichen Feldspieler (Heinl) und nahm Andersson aus dem Tor. Einmal wäre es fast schiefgelauen, aber Saric verpasste mit seinem weiten Wurf das leere Tor.
- Eigentlich schien es so, dass sich der haushohe Favorit am Ende doch klar durchsetzen würde, weil Flensburg das hohe Niveau irgendwann nicht mehr halten konnte. Durch dumme eigene Fehler liefen sie praktisch in einen 8:1-Lauf von Barca hinein, in dem Saric mit seinen Paraden zum Star des Spiels zu werden schien. Es war eigentlich alles klar. Eigentlich.
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