Handball-WM - DHB-Präsident Andreas Michelmann im Interview: "Die Herangehensweise der Politik ist teilweise amateurhaft"

Felix Götz
12. Januar 202108:25
Andreas Michelmann ist DHB-Präsident und Oberbürgermeister von Aschersleben.imago images/Hartenfelser
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Die deutsche Nationalmannschaft startet am Freitag (18 Uhr) gegen Uruguay in die Handball-Weltmeisterschaft in Ägypten. Vor dem Auftakt sprach DHB-Präsident Andreas Michelmann im Interview mit SPOX über seine Sorgen aufgrund der allgemeinen Corona-Situation und die wichtigsten Argumente für die Austragung des Turniers.

Der 61-jährige Oberbürgermeister von Aschersleben (Sachsen-Anhalt) äußerte sich außerdem zur WM-Kritik aus der Bundesliga, Sicherheitsvorkehrungen seitens des DHB und zum Unterschied zwischen Politik und Leistungssport im Umgang mit Corona-Regeln.

Herr Michelmann, am Dienstag hat für das DHB-Team mit dem Abflug nach Ägypten das WM-Abenteuer begonnen. Herrscht aufgrund der allgemeinen Corona-Situation mehr Sorge oder mehr Vorfreude?

Michelmann: Es ist eine Mischung aus Vorfreude und ein wenig Sorge. Trotzdem sind alle, die sich für die WM-Teilnahme entschieden haben, guter Stimmung. Wir als Deutscher Handballbund und vor allem unser Bundestrainer Alfred Gislason haben die Entscheidungen in Sachen Teilnahme oder Absage von Einzelnen akzeptiert, unsere Schlüsse daraus gezogen und dann nach vorne orientiert gehandelt. Diesen Eindruck habe ich von allen, die dem Tross angehören werden.

Wer von den DHB-Funktionären wird Teil dieses Trosses sein?

Michelmann: Axel Kromer als Vorstand Sport und Delegationsleiter, Vizepräsident Bob Hanning und ich.

Machen Sie sich für sich persönlich Sorgen wegen Corona?

Michelmann: Ein gewisses Risiko besteht selbstverständlich auch für mich, dessen bin ich mir bewusst. Allerdings sehe ich es für mich so, dass das gesamte Leben ein gewisses Risiko mit sich bringt. Glücklicherweise bin ich erwachsen und kann für mich selbst entscheiden, welches Risiko ich eingehen möchte und welches nicht.

Derzeit wird heiß diskutiert, ob es in Zeiten wie diesen - egal an welchem Ort - vertretbar ist, ein Turnier mit 32 Nationen auszutragen. Was sind für Sie die wichtigsten Argumente für die WM?

Michelmann: Jeder muss für sich in dieser schwierigen Zeit selbst entscheiden, inwieweit er Risiken eingehen oder bestimmte Chancen nutzen möchte und vielleicht auch muss. Das betrifft auf Handball bezogen den DHB, die HBL, die EHF und die IHF. Bei der EM der Frauen wurde nicht halb so heftig diskutiert wie jetzt. Und ich empfinde den Unterschied zwischen 16 und 32 Mannschaften als nicht so dramatisch. Vor allem wenn man bedenkt, dass Dänemark bei der Frauen-EM ganz kurzfristig auf seinen Co-Gastgeber Norwegen verzichten musste und innerhalb von zwei Wochen eine Lösung gefunden hat, das Doppelte an Mannschaften aufzunehmen. Sie haben das perfekt gemeistert und bewiesen, dass man derzeit entgegen aller Unkenrufe eine Großveranstaltung in einer Hallensportart durchführen kann. Aus der HBL gab es Stimmen, wonach sie die EM ganz genau beobachten werden. Für diese ganz genaue Beobachtung waren mir die Stimmen, die das Positive an der EM gesehen haben, deutlich zu leise. Gleichzeitig sind die kritischen Stimmen überhaupt nicht verstummt. Ich habe den Eindruck, dass es manchen ums Prinzip geht und nicht darum, ob etwas möglich ist oder nicht.

Andreas Michelmann ist DHB-Präsident und Oberbürgermeister von Aschersleben.imago images/Hartenfelser

Andreas Michelmann: "Das ist der falsche Weg"

Ist es nicht verständlich, dass jeder versucht, für sich das Bestmögliche herauszuholen?

Michelmann: Teilweise kann ich es verstehen. Aber ich sage ganz klar: Das ist der falsche Weg! Meiner Meinung nach hat die Corona-Zeit gezeigt, dass es besser und erfolgreicher ist, gemeinsame Lösungen zu suchen. Das haben wir als DHB gemacht, als es für die Klubs um die Coronahilfen ging. Die Initiative ging zwar von der Politik aus, aber wir haben die Politik gleichzeitig massiv darum gebeten, die Klubs finanziell zu unterstützen. Glücklicherweise hat das auch stattgefunden. Der DHB hat schnell erkannt, dass auch wir auf Dinge verzichten müssen. Stichwort Freundschaftsspiele, Stichwort Länderspiele im Nachwuchsbereich und so weiter. Wir haben die Profiklubs bestmöglich unterstützt. Deshalb erwarte ich im Umkehrschluss, dass es auch Verständnis für unsere Interessen gibt.

Um welche Interessen geht es dabei konkret. Um Geld?

Michelmann: Eine WM bringt dem DHB nicht unmittelbar Geld, eine WM-Teilnahme kostet zunächst einmal. Aber es ist so, dass Sponsoring nicht mit Geldverschenken gleichzusetzen ist. Sponsoring bedeutet, dass Sponsoren eine gewisse Gegenleistung erwarten. Das heißt für den DHB, seine Nationalmannschaften öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Dafür sind Großturniere wie eine WM oder EM das wichtigste Werkzeug.

Aus der HBL gab es teilweise heftige Kritik an der WM. Beispielsweise sagte der Aufsichtsratschef des HC Erlangen, Carsten Bissel, die Bubble in Ägypten sei "ein Witz" und das Hygienekonzept spotte "jeder Beschreibung". Woher hat Herr Bissel seine Informationen?

Michelmann: Diese Frage stelle ich mir auch. Ich weiß nicht, ob Herr Bissel die Blase in Dänemark auch als Witz bezeichnet hat. Sie war nämlich ganz offensichtlich kein Witz. Man muss doch sehen, dass es auch in der HBL keine hundertprozentige Sicherheit gibt, sonst hätte es nicht den einen oder anderen Coronafall auch außerhalb von Länderspielen gegeben. Das ist kein Vorwurf, weil bei allen überzeugenden Hygienestandards, die es in der HBL zum Glück gibt, die Spieler ja trotzdem Kontakt zu ihren Familien haben.

Sie pflegen einen guten Kontakt zu Hassan Moustafa, dem ägyptischen Präsidenten des Weltverbandes IHF. Welche Signale bekommen Sie aus Ägypten in Sachen WM-Ausrichtung?

Michelmann: Den letzten direkten Kontakt zu Hassan Moustafa gab es bei der WM-Auslosung im September. Da habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Ägypter alles daran setzen, das Turnier so sicher wie möglich für alle Beteiligten zu organisieren. Vielleicht müssen wir auch mal unser Motto "am deutschen Wesen mag die Welt genesen" hinterfragen. Es muss nicht immer alles so ablaufen, wie wir es kennen. Vielleicht haben andere Nationen einfach andere Wege.

Treibt Sie nicht trotzdem die Sorge um, dass es für den Handball an sich ein gewaltiger Imageschaden wäre, sollte die WM in Ägypten - was Corona betrifft - nicht halbwegs reibungslos über die Bühne gehen?

Michelmann: Wenn die düsteren Vorhersagen eintreffen, werden diejenigen, die sie prophezeit haben, sagen: "Das habe ich doch schon immer gesagt." Wenn die WM so reibungslos abläuft, wie es bei der Frauen-EM in Dänemark der Fall war, halten die Kritiker ihre Klappe, die Befürworter werden aber nicht sagen: "Das haben wir euch doch gleich gesagt." Fakt ist: Man kann weder das Positive noch das Negative zu 100 Prozent voraussagen. Man kann nur alles Menschenmögliche unternehmen, damit die WM so sicher wie möglich wird. Und genau das wird getan. Beim Deutschen Handballbund haben wir übrigens auch Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass es doch nicht gut geht.

Sie meinen damit den in Hannover bereitgestellten Charterflieger, der Spieler nach Hause holen würde, falls sie sich mit Corona infizieren oder zu Hause bei ihren Familien etwas wäre?

Michelmann: Genau. Das ist eine Sicherheitsvorkehrung, die wir als DHB den Spielern einfach anbieten mussten und wollten.

Sie haben zu Beginn des Interviews angesprochen, dass der DHB die coronabedingten Absagen von Spielern wie Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Steffen Weinhold akzeptiert. Zwischen den Zeilen meine ich herausgelesen zu haben, dass Sie persönlich die Absagen aber nicht verstehen. Ist dem so?

Michelmann: Wir haben den Spielern ausdrücklich zugestanden, sich für oder gegen eine WM-Teilnahme zu entscheiden. Die Entscheidungen der angesprochenen Spieler sind deshalb zu respektieren.

Alfred Gislason geht in seine erste WM als Bundestrainer.getty

Andreas Michelmann: Alfred Gislason? "Das hat mir imponiert"

Alfred Gislason sieht das ähnlich. Welchen Eindruck haben Sie bisher von der Arbeit des neuen Bundestrainers?

Michelmann: Mir hat es imponiert, wie er sich mit den Absagen arrangiert und sofort den Fokus auf die verbliebenen Möglichkeiten gelenkt hat. Die erste Bewertung seiner Arbeit wird aber natürlich erst nach der Weltmeisterschaft stattfinden, sofern dies unter den schwierigen Voraussetzungen überhaupt möglich ist.

Könnten die komplizierten Voraussetzungen nicht sogar eine Chance sein, weil die Erwartungshaltung nicht besonders hoch ist? Schließlich hat das DHB-Team beim EM-Triumph 2016 in Polen ebenfalls aus einer Underdog-Rolle heraus zum großen Höhenflug angesetzt.

Michelmann: Wir dürfen das, was 2016 in Polen geschehen ist, nicht als Maßstab nehmen. Dennoch hoffe ich auch ein bisschen darauf, dass eine ähnliche Situation entstehen könnte. Dass die Mannschaft ohne Druck aufspielt und mit einem speziellen Teamgeist für Furore sorgt.

Abschließende Frage: Sie sind seit 1994 Oberbürgermeister von Aschersleben und müssen in dieser Funktion in Zeiten von Corona ein Stück weit zur Vorsicht mahnen. Gleichzeitig ist es als DHB-Präsident Ihre Aufgabe, das Mögliche möglich zu machen. Wie kommen Sie mit diesem Spagat zurecht?

Michelmann: Ich trage in Aschersleben für rund 28.000 Menschen die Verantwortung. Meine Herangehensweise ist es, lieber weniger Regeln aufzustellen, aber diese dann auch einzuhalten. Das Problem der Politik aktuell ist, dass jede Menge Regeln aufgestellt wurden, die von vielen Menschen nicht eingehalten werden. Unter anderem deshalb, weil es keine Sanktionen gibt. Da gibt es einen Unterschied zwischen der teilweise amateurhaften Herangehensweise der Politik und dem Leistungssport. Leistungssportler sind es gewohnt, sich an Regeln zu halten und sanktioniert zu werden, wenn diese Regeln nicht eingehalten werden. In Aschersleben möchten wir die Dinge ermöglichen, die unter Beachtung der Risiken zu ermöglichen ist. Das passt übrigens jetzt auch wieder zur anstehenden WM. Als DHB haben wir viele Sachen zurückgefahren, weil das die Sicherheitslage verlangt hat. Gleichzeitig haben wir gesagt, dass unsere Priorität auf der Frauen-EM und der Männer-WM liegt - und beides spielen wir. Das verstehe ich darunter, das zu ermöglichen, was zu verantworten ist.

Handball-WM: Spielplan der deutschen Gruppe

DatumUhrzeitTeam 1Team 2
Fr., 15. Januar18 UhrDeutschlandUruguay
Fr., 15. Januar20.30 UhrUngarnKapverden
So., 17. Januar18 UhrKapverdenDeutschland
So., 17. Januar20.30 UhrUngarnUruguay
Di., 19. Januar18 UhrUruguayKapverden
Di., 19. Januar20.30 UhrDeutschlandUngarn