Handball-EM - Erkenntnisse zum DHB-Team: Der blanke Horror ist nicht nur Corona

Felix Götz
21. Januar 202208:32
Alfred Gislason muss am Freitag mit dem DHB-Team gegen Norwegen ran.imago images
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Spätestens nach der Niederlage im ersten Hauptrundenspiel bei der Handball-EM ist klar: Deutschland ist mit einem Spanien-Fluch belegt. Die Corona-Lage sorgt derweil für völlig verrückte Szenen. Und: Der nächste Gegner Norwegen ist nicht furchteinflößend. Die Erkenntnisse zum DHB-Team.

1. Spanien ist für Deutschland der blanke Horror

Geht es gegen Spanien, schlottern Deutschlands Handballern und den Fans zurecht die Knie. Die aktuell komplizierte Ausgangslage, auf die wir an dieser Stelle später zu sprechen kommen, einmal außen vor gelassen.

Fakt ist: Seit dem 24:17-Sieg im EM-Finale 2016 in Krakau hat das DHB-Team kein wirklich wichtiges Spiel mehr gegen den zweimaligen Welt- und Europameister gewonnen.

Bei der EM 2018 in Varazdin setzte es im letzten Hauptrundenspiel eine 27:31-Niederlage, wodurch das Halbfinale verpasst wurde. Bei der EM 2020 in Trondheim wurde das entscheidende Vorrundenspiel mit 26:33 gegen Spanien in den Sand gesetzt. Mit null Punkten ging es in die Hauptrunde, der Traum vom Halbfinale platzte frühzeitig.

Bei der WM 2021 in Ägypten kassierte die DHB-Auswahl direkt im ersten Hauptrundenspiel eine 28:32-Pleite - erneut das Ende aller Halbfinal-Träume. Und bei den Olympischen Spielen in Tokio unterlag Deutschland den Iberern in der Vorrunde mit 27:28.

Lediglich bei der Heim-WM 2019 gelang im letzten Hauptrundenspiel ein 31:30-Sieg. Spanien war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits ausgeschieden, die DHB-Auswahl schon für die Runde der letzten Vier qualifiziert.

Besonders bitter: Fast immer genügte den abgezockten Spaniern in den vergangenen Jahren eine Phase von wenigen Minuten, um das Spiel komplett kippen zu lassen. Diesmal waren es insgesamt 15 Minuten zum Ende der ersten und zum Beginn der zweiten Halbzeit, in denen Deutschland kein einziges Tor gelang.

Alfred Gislason muss am Freitag mit dem DHB-Team gegen Norwegen ran.imago images

"Plötzlich greift die Abwehr der Spanier. Und dann siehst du, wie bei unseren Jungs das Selbstvertrauen runtergeht. Dann bist du gegen Spanien verloren", sagte Torhüter Jogi Bitter: "Das ist einfach seit Jahren das Problem gegen Spanien, das kennen wir."

Dabei war Deutschlands Albtraum Nummer 1, Rückraumspieler und Abwehr-Fuchs Alex Dujshebaev, aufgrund einer Schulterverletzung diesmal gar nicht dabei. Das rief Deutschlands Albtraum Nummer 2, Torhüter Gonzalo Perez de Vargas, auf den Plan. Der 31-Jährige vom FC Barcelona, der bereits bei der WM 2021 seinen Kasten gegen das DHB-Team komplett vernagelt hatte, glänzte mit 16 Paraden und einer Quote von 41 Prozent.

Die Gesamtbilanz unterstreicht den deutschen Spanien-Fluch: In 40 Partien gab es 27 Siege für Spanien, 11 für Deutschland und 2 Unentschieden.

2. Corona fordert seinen Tribut

Ohne die teilweise begeisternden Leistungen bei den drei Auftaktsiegen schmälern zu wollen: Teil der Wahrheit ist auch, dass die deutsche Vorrundengruppe mit Belarus, Österreich und Polen zu den leichteren bei dieser EM gehört hat. Gegen absolute Spitzenteams wie Spanien muss dann eben alles passen.

Schlägt Corona wie im Fall der DHB-Auswahl wie eine Bombe ein, wird es nahezu unmöglich. Zur Erinnerung: Mit Andreas Wolff, Till Klimpke, Marcel Schiller, Lukas Mertens, Julius Kühn, Kai Häfner, Luca Witzke, Sebastian Heymann, Djibril M'Bengue und Timo Kastening fehlten zehn Mann des ursprünglich nominierten Kaders. Im Tor und auf Linksaußen war kein einziger "regulärer" EM-Fahrer mehr vertreten. Außerdem fehlte der nachnominierte Hendrik Wagner, der sofort nach seiner Ankunft in Bratislava positiv getestet in der Isolation gelandet ist.

Eigentlich wäre mit Christoph Steinert ein elfter Spieler der "Stamm-Mannschaft" ausgefallen. Doch der 32-jährige Rückraumspieler wurde buchstäblich in letzter Minute freigetestet. Steinert rannte daraufhin vom Hotel zur Halle und vergaß in der Aufregung Teile seiner Ausrüstung. "Kurz vor dem Spiel hatte ich alle Gefühle dieser Welt gleichzeitig", sagte der Mann vom HC Erlangen.

Umgekehrt bedeutet dies, dass gegen Spanien mit Jogi Bitter, Daniel Rebmann, Patrick Zieker, Tobias Reichmann, Lukas Stutzke, Fabian Wiede, Rune Dahmke, David Schmidt und Paul Drux neun nachnominierte Spieler im 16er Kader standen. Für diese Spieler gab es keine vernünftige Vorbereitung, kein normales Ankommen im Team, ja nicht einmal ein reguläres Abschlusstraining vor ihrem ersten Einsatz - der absolute Wahnsinn!

Das DHB-Team hat sein erstes Hauptrundenspiel gegen Spanien verloren.imago images

Unter diesen Umständen kann man keinem Spieler und natürlich auch nicht Bundestrainer Alfred Gislason irgendeinen Vorwurf für die zu vielen begangenen Fehler machen - schon gar nicht nach einer Niederlage gegen Angstgegner Spanien.

Umso erstaunlicher, wie selbstkritisch die DHB-Cracks mit ihrem Auftritt umgingen. "Wir haben heute eine Lehrstunde bekommen, vor allem in der zweiten Hälfte. Die Spanier haben uns extrem bestraft", sagte Youngster Julian Köster. Spielmacher Philipp Weber erklärte: "Das ist ein ordentlicher Dämpfer."

3. Norwegen ist kein furchteinflößender Gegner

Nur etwas mehr als 24 Stunden nach dem Spanien-Spiel wartet mit Norwegen das nächste Schwergewicht auf Deutschland. Eine halbwegs vernünftige Vorbereitung wird für das DHB-Team selbstredend auch vor dem Duell mit dem Vize-Weltmeister von 2017 und 2019 nicht möglich sein. Die deutschen Spieler mussten sich direkt nach der Niederlage gegen Spanien wieder einzeln auf ihre Zimmer zurückziehen.

Die Tabellenkonstellation in der Hauptrundengruppe II ist wie folgt: Spanien belegt mit vier Zählern Platz eins, dahinter folgen Norwegen, Schweden, Deutschland und Russland mit jeweils zwei Punkten, Schlusslicht ist das punktlose Polen. Die ersten beiden Teams ziehen ins Halbfinale ein.

"Es ist immer noch alles möglich", sagte Gislason: "Wir müssen aber 60 Minuten besser spielen als heute, um eine Chance zu haben." Um tatsächlich in die Runde der letzten Vier einzuziehen, müsste der Europameister von 2016 voraussichtlich alle drei verbleibenden Partien gegen Norwegen (20.30 Uhr im LIVETICKER), Schweden (Sonntag, 18 Uhr) und Russland (Dienstag, 18 Uhr) gewinnen.

Deutschland ist gegen Norwegen zwar Außenseiter, furchteinflößend präsentierte sich das Team um Superstar Sander Sagosen bislang allerdings nicht. In der Vorrunde gewannen die Skandinavier gegen die Slowakei (35:25), unterlagen völlig überraschend Russland (22:23) und taten sich selbst beim letztlich deutlichen 35:29-Sieg gegen den krassen Underdog Litauen lange Zeit schwer.

Eine Leistungssteigerung zeigten die Norweger dafür beim 42:31-Sieg im ersten Hauptrundenspiel gegen Polen am Donnerstagabend. Dabei trafen mit Sebastian Barthold (10 Tore), Sagosen (9), und Kristian Björnsen (8) gleich drei Spieler mindestens acht Mal.

"Wir wissen genau, dass Norwegen mit einer guten Leistung machbar ist", sagte Bitter. Die gute Nachricht: Da ein erster Coronatest bei Julius Kühn negativ ausgefallen ist, könnte das erste deutsche EM-Corona-Opfer sein Comeback feiern.

Handball-EM: Tabelle der Hauptrundengruppe II

PlatzLandSpieleSUNToreDiff.Punkte
1.Spanien220061:51+104
2.Norwegen210164:54+102
3.Schweden210157:55+22
4.Deutschland210153:52+12
5.Russland210146:51-52
6.Polen200254:72-180