Handball - Leipzig-Boss Günther im Interview: "Es wird Geld verbrannt, weil man nicht mit RB kooperieren darf"

Thomas Weber
08. Oktober 201923:04
Karsten Günther ist Geschäftsführer des DHfK Leipzig.getty
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Als Idee in einer Wohngemeinschaft entstanden und inspiriert vom FC Barcelona schaffte der SC DHfK Leipzig innerhalb von acht Jahren den Durchmarsch von der 4. Liga bis in die HBL. Einer der WG-Kumpels und damit Mitbegründer der Erfolgsgeschichte ist der heutige Geschäftsführer Karsten Günther.

Im Interview mit SPOX erzählt der 37-Jährige vom verrückten Weg nach oben und seiner Rolle als Mädchen für alles - inklusive Trikots beflocken, Kartoffelsalat machen und einem Nebenjob als Kellner.

Günther berichtet außerdem von der essentiellen Bedeutung von Stefan Kretzschmar für den Verein, dem leidenschaftlichen Kampf um Bundestrainer Christian Prokop, der Zusammenarbeit mit RB Leipzig und taktischer Hilfe für Ralf Rangnick.

Herr Günther, wie war die Ausgangslage in der Stadt, als sie 2007 damit begannen, an Bundesliga-Handball in Leipzig zu denken?

Karsten Günther: Leipzig war in der DDR eine Handballhochburg, aber nach der Wende konnte man wirtschaftlich nicht mehr wirklich mithalten. So sind die besten Spieler unter anderem zum SC Magdeburg gegangen, einige hat es außerdem in eine Kreisstadt in der Nähe gezogen - nach Delitzsch. Dort gab es eine gute Jugendarbeit in enger Kooperation mit der Leipziger Sportschule. Auch ich war in Delitzsch Spieler im Juniorenteam und habe zu dieser Zeit mit einigen Mitspielern in einer WG gewohnt. Innerhalb dieser WG diskutierten wir, dass es eigentlich nicht sein kann, dass in Delitzsch Handball auf Zweitliganiveau gespielt wird, aber in Leipzig keine Männermannschaft in der höchsten Spielklasse vertreten ist. Leipzig war und ist immerhin eine florierende Stadt mit guten wirtschaftlichen Verhältnissen, über einer halben Million Einwohnern und einer großen ARENA sowie einer Sportuni und Sportschule mit Internat, also insgesamt super guten Voraussetzungen für Spitzensport.

Die grundsätzliche Idee der Gründung eines eigenen Vereins haben sie sich aber in Spanien geholt, oder?

Günther: Richtig. Ich war von meinem Studium aus in Barcelona und habe dort beim FC Barcelona ein Praktikum gemacht, 2004/05 war das. In dieser Zeit bin ich selbst ein bisschen von meiner Idee, später Trainer werden zu wollen, abgerückt und habe begonnen, mich mehr für das Management und die Vereinsführung zu interessieren. In Barcelona konnte man spüren, welche Kraft ein Verein entwickelt, mit dem sich die ganze Stadt identifiziert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es in Leipzig einen solchen Verein gab. Wir haben also in der WG die Köpfe zusammengesteckt und fanden die Idee, etwas Eigenes zu machen, genial.

Diese WG war also die Keimzelle des SC DHfK Leipzig in seiner heutigen Form?

Günther: Vielleicht schon. Wir hatten zuerst versucht, mit dem damaligen Drittligisten SG LVB Leipzig eine Kooperation zu starten, sind aber nicht zum Zuge gekommen. Zu unserem Glück war bei diesen Gesprächen ein früherer DHfK-Spieler dabei, der uns auf seinen ehemaligen Verein hingewiesen hat. So kam die Idee auf, zum SC DHfK zu gehen.

In der Arena Leipzig trägt der DHfK aktuell vor rund 8.000 Zuschauern seine Heimspiele aus.getty

Karsten Günther über seine Anfänge als Mädchen für alles

Dort ging es am Anfang noch recht turbulent zu. Erzählen Sie uns davon.

Günther: Wir haben mit ein paar engen Freunden und Vertrauten am Anfang alles selbst gemacht: Die Trikots beflockt, das Hallenheft als Word Datei gebastelt, den Kartoffelsalat für den VIP-Raum gemacht und nachts die Videos für das Team vorbereitet, mit vor- und rückspulen auf zwei Videorekordern. Ich war plötzlich Trainer, Abteilungsleiter und Mädchen für alles, doch es hat unheimlich viel Spaß gemacht. Und was mich besonders freut, ist, dass einige der Jungs von damals noch dabei sind und mittlerweile hauptamtlich bei uns beschäftigt sind.

Wie waren die finanziellen Voraussetzungen?

Günther: Eigentlich sind wir bei null oder eher im Minus gestartet. Was wir vom neuen Verein bekommen haben, war eine kostenlose Mitgliedschaft im Fitnessstudio, einen 12-Quadratmeter-Raum im Dachgeschoss und einen Vorschuss, um grüne Trikots zu kaufen. Manche von uns waren noch als Spieler in Delitzsch beschäftigt und haben so ihr Geld verdient, ich habe neben dem Studium noch gekellnert. Ich erinnere mich außerdem noch, wie wir die ersten drei Jahre Mietnomaden in verschiedenen Leipziger Sporthallen waren, weil wir als neuer Verein ja keine Hallenzeiten hatten. Wir waren über jede Nische froh, die wir mitnutzen konnten.

Geholfen hat das Traumlos in der ersten Runde des DHB-Pokals 2007/08. Die damalige Topmannschaft TBV Lemgo war mit den frischgebackenen Weltmeistern Florian Kehrmann, Mimi Kraus und Markus Baur in der ausverkauften Ernst-Grube-Halle zu Gast. Wie wichtig war dieses Spiel damals?

Günther: Elementar. Ich glaube, ohne Lemgo wäre der Anfang viel schwieriger geworden. Wir hatten sofort die Titelseite in der lokalen Sportzeitung sicher und es kamen 1500 Zuschauer. So konnten wir in der Folge Sponsoren ansprechen und sagen: "Seht mal, wie toll es wäre, wenn wir regelmäßig vor so vielen Zuschauern spielen würden." Das hat uns extrem geholfen, vor allem weil der TBV neben den ganz großen Namen in Lars Kaufmann auch noch einen Spieler aus der Gegend im Kader hatte, mit dem ich damals noch im Juniorenteam von Concordia Delitzsch zusammengespielt habe und der viele Interviews und Autogramme gegeben hat.

Karsten Günther über den Abschied von Franz Semper

In der Folge hat der Klub den Fokus vor allem auf die Jugend gelegt. Der erste hauptamtliche Trainer des SC DHfK war nicht etwa ein Coach für die erste Mannschaft, sondern ein Kindersportkoordinator.

Günther: Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Nummer hier nur Sinn macht, wenn wir die Infrastruktur in Leipzig maximal ausnutzen. Ich denke da an das komplette Areal um die Arena, die Uni, die Sportschule, das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft und den Olympiastützpunkt, die in dieser Form einzigartig sind und eine exzellente Ausbildung von Trainern und Sportlern ermöglichen. Wir wollten von Beginn an Talenten die Chance geben, hier in Leipzig ihren großen Handballtraum auszuleben. Im aktuellen Kader haben wir sieben von 21 Spielern, die in Leipzig ausgebildet wurden und mit Franz Semper sogar den ersten Nationalspieler aus unserer Jugend. Daran sieht man, dass es der richtige Weg war.

Franz Semper wechselt zur Saison 2020/21 zur SG Flensburg-Handewitt.getty

Semper wechselt im kommenden Sommer nach Flensburg. Erfüllt Sie das mit Stolz oder dominiert das weinende Auge?

Günther: Eher das weinende Auge, da bin ich ehrlich. Klar ist das für Franz und Leipzig eine super Sache, wenn er sich auf so großer Bühne präsentieren kann. Trotzdem verlieren wir hier einen absoluten Leistungsträger, der noch nicht am Ende seiner Entwicklung ist. Er hat diese Entscheidung im für uns schwierigen letzten Jahr getroffen. In diesem Jahr hätte er die Entscheidung vielleicht sogar anders getroffen, weil wir wieder in einer sehr guten Spur unterwegs sind.

Sempers Wechsel hatte also rein sportliche und keine wirtschaftlichen Gründe?

Günther: Auf alle Fälle. Das war ein rein sportlicher Wechsel. Franz würde uns nicht für ein paar Euro hin oder her verlassen. Er hat hier ein gutes Leben, aber in Flensburg eben die Chance, quasi sicher Champions League zu spielen - und das können wir aktuell noch nicht bieten. Es ist also nachvollziehbar, wenn Franz sagt, dass er dort der beste Rückraum-Rechte Deutschlands werden will.

Karsten Günther: "Stefan Kretzschmars Rolle war essentiell"

Bereits verlassen hat den Klub Stefan Kretzschmar. Welche Rolle spielte er in der Entwicklung des SC DHfK?

Günther: Er war essentiell. In den ersten zwei Jahren haben wir mit Fleiß viel geschafft, aber bei den größeren Playern holten wir uns immer eine blutige Nase an der Bürotür. Als wir mit Stefan gemeinsam vorbeikommen wollten, ging vieles plötzlich einfacher. So hatten wir die Chance, unser Konzept vorzustellen. Wir haben viele Termine wegen ihm bekommen und konnten die Sponsoren mit unseren Ideen überzeugen, das war eine perfekte Symbiose. Zehn Jahre lang waren wir ein wirklich gutes Team und haben viel bewegt. Stefan hat uns die große weite Handballwelt gezeigt.

Seine Aufgaben lagen also eher in der Außendarstellung als im internen Wirken?

Günther: Beides. Der Fokus lag auf der Außendarstellung, ja. Trotzdem war Stefan als Aufsichtsratsmitglied in alle wichtigen Entscheidungen involviert und gerade beim Thema Kader- und Trainerplanung aktiv beteiligt.

Für die Öffentlichkeit war sein Abgang in Richtung Füchse Berlin überraschend. Für Sie auch?

Günther: Ich war in seine Gedanken eingeweiht und von daher hat mich sein Abgang, als er kommuniziert wurde, nicht mehr überrascht. Zum damaligen Zeitpunkt hat es mich sehr traurig gemacht, aber ich habe die Entscheidung akzeptiert und kann die Beweggründe nachvollziehen. Wir werden Freunde bleiben, auch wenn wir jetzt auf dem Spielermarkt teilweise Konkurrenten sind.

In seinem Abschiedspost auf Instagram erwähnte Kretzschmar Sie explizit und schrieb: "Erhalte dir dein Feuer und deine Leidenschaft". Wie kamen Feuer und Leidenschaft zum Tragen, als er Ihnen mitgeteilt hat, dass er zu den Füchsen geht?

Günther: Manchmal kann Leidenschaft sich ja auch negativ ausdrücken, in Form von Enttäuschung. Das ging nicht spurlos an mir vorbei, das können Sie mir glauben. Es gibt eben manchmal Situationen, in denen es im Leben Veränderungen gibt, wir haben das mit Christian Prokop ja auch schon durch. Damals haben wir lange und leidenschaftlich gekämpft, mussten am Ende aber akzeptieren, dass er den Nationaltrainerjob unbedingt machen will.

Karsten Günther erklärt die Posse um Christian Prokop

Wegen Prokop gab es 2017 über ein halbes Jahr lang Verhandlungen zwischen Leipzig und dem DHB - inklusive öffentlicher Diskussionen. Letztlich floss eine Ablösesumme von im Handball enormen 500.000 Euro. War es rückblickend gesehen wirklich nötig, die Prokop-Verhandlungen so lange hinzuziehen?

Günther: Der negative Aspekt war, dass das ganze öffentlich gemacht wurde und wir schnell in der Rolle des Verhinderers dastanden, was wir eigentlich gar nicht sein wollten. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unserem Verein und wenn man einen langfristigen Vertrag mit einem Trainer hat, auf den der gesamte Kader zugeschnitten ist und der bei uns erfolgreich gearbeitet hat, dann müssen die Vereinbarungen so sein, dass der Verein darunter nicht leidet. Das war damals ein zähes Ringen bis zum Schluss. Trotzdem haben wir schlussendlich eine Lösung gefunden, mit der alle zufrieden waren und der SC DHfK Leipzig hat weiterhin ein sehr gutes Verhältnis zum DHB.

Karsten Günther über RB Leipzig und Ralf Rangnick

Gut ist auch das Verhältnis zu den Fußballern von RB Leipzig. Bereits zu Zweitligazeiten des SC DHfK haben Sie beispielsweise Spiele verlegt, damit sich diese nicht mit den RB-Partien überschneiden und Fans zu beiden Vereinen gehen konnten. Kann man von einer Kooperation zwischen den Vereinen sprechen?

Günther: Wir sind Nachbarn und mittlerweile sehr gute Kollegen. Es gibt einen intensiven Austausch auf verschiedenen Ebenen, aber von einer Kooperation in dem Sinne kann man nicht sprechen. Wie emotional aufgeladen das Wort "Kooperation" sein kann, haben wir zuletzt beim Thema RB und dem SC Paderborn gesehen. Das hat dazu geführt, dass die eigentlich guten Inhalte nicht durchgesetzt wurden. Auch hier in Leipzig werden mitunter Synergien nicht genutzt und Geld verbrannt, weil andere Fußballvereine auf Druck ihrer Fanszene nicht mit dem Platzhirsch kooperieren dürfen. Da bin ich sehr froh, dass es im Handball bisschen kooperativer zugeht und wir mit vielen Vereinen Leipzigs sehr konstruktiv zusammenarbeiten. So auch mit RB, wo wir viele Sachthemen gemeinsam zu lösen versuchen.

Also ist die Zusammenarbeit zwischen dem SC DHfK und RB doch größer als bisher öffentlich kommuniziert?

Günther: Es nützt gar nichts, wenn wir ständig darüber reden, wenn wir uns mit RB über x, y oder z ausgetauscht haben. Wenn wir eine Frage haben, rufen wir uns gegenseitig an. Letztes Jahr beispielsweise haben wir uns zum Thema Abstiegskampf mal mit Ralf Rangnick zusammengesetzt. Auch er wollte von uns einmal Input taktischer Natur, weil sich seine Gegner immer hinten reingestellt haben und er die Lösungsansätze dazu beim Handball spannend fand. Es ist ein punktueller Austausch, der sehr gewinnbringend für beide Seiten ist. Auch gemeinsame Ticketaktionen gibt es und wird es weiterhin geben.

Wichtig ist dem SC DHfK stets gewesen, dass eine gesellschaftliche Entwicklung angestoßen wird. Gemacht haben Sie dies unter anderem mit dem "Plasticus", einem Wal, der aus exakt 250 Kilogramm Plastik bestand und damit die Menge Plastik symbolisierte, die sekündlich in die Meere fließt. Bei einem Ihrer Heimspiele stand "Plasticus" vor der Halle und sollte auf die Verschwendung innerhalb unserer Gesellschaft aufmerksam machen.

Günther: So etwas ist für uns selbstverständlich. Ich sehe Sport nicht als reines Entertainment an, für mich hat Sport die Aufgabe, die Menschen zusammenzubringen und Vorbilder zu schaffen. Im Stadtsportbund Leipzig beispielsweise sind mehr Menschen organisiert als in irgendeiner politischen Partei. Wenn wir als Sportler es nicht schaffen, Werte wie Teamwork, Fair Play und Respekt zu vertreten, wer soll es denn dann machen?

Sportvereine als reine Wirtschaftsunternehmen ohne gesellschaftlichen Auftrag sehen sie demnach kritisch?

Günther: Man beobachtet häufig, dass sich viele immer raushalten wollen, um nicht anzuecken oder zu polarisieren. Ich finde aber, dass wir die Aufgabe haben, den Mund aufzumachen. Wir müssen für die Olympischen Werte einstehen. Das soll nicht geschehen, indem wir alle als Asketen leben - bei uns gibt es auch mal ein Bier in der Kabine - aber unser Auftreten in der Öffentlichkeit ist wichtig und wir kommen nur vorwärts, wenn wir alle gemeinsam anpacken. Mit Blick auf die aktuelle gesellschaftliche Situation finde ich, dass der Sport eine ganz wichtige Plattform sein kann, die den Dialog fördert und Barrieren abbaut. Dazu wollen wir gern unseren Teil beitragen.