DHB-Manager Heiner Brand erklärt im SPOX-Interview, warum die NBA ein Vorbild sein kann, was er im Vergleich zu seiner Bundestrainer-Zeit am meisten vermisst, wie die Eliteförderung funktioniert und warum er sich mehr Mut à la Louis van Gaal wünscht.
SPOX: Herr Brand, Sie sind in diesem Jahr 60 geworden. Eigentlich dachte man, dass nach dem Ende Ihrer Bundestrainer-Tätigkeit im neuen Job als DHB-Manager etwas mehr Ruhe einkehren sollte. Aber ist das denn überhaupt der Fall?
Heiner Brand: Ich hatte schon die Hoffnung damit verbunden, dass es weniger werden würde, aber tatsächlich bin ich mehr unterwegs als vorher. Dazu kommt viel Zeit, die ich am Schreibtisch verbringe. Aber es ist besser, als nichts zu tun zu haben. Ich will mich nicht beklagen.
SPOX: Sie vielleicht nicht, Ihre Frau aber vielleicht schon?
Brand: Meine Frau hat mir schon mal eröffnet, dass sie sich das ein bisschen anders vorgestellt hatte. Aber auf der anderen Seite kennt sie mich auch. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, dann versuche ich auch, diese bestmöglich auszufüllen. Das weiß sie. Es passt schon. (lacht)
SPOX: Was ist der größte Unterschied zwischen Ihrer neuen Arbeit und dem Bundestrainer-Posten? Vermissen Sie etwas?
Brand: Was ein wenig fehlt, ist sicherlich die Zusammenarbeit mit jungen Leuten. Ich bekomme sie zwar bei Lehrgängen mal zu sehen, aber ich stehe nicht mehr mit ihnen in der Trainingshalle. Auch wenn es nur aus der Beobachter-Rolle heraus ist, hat man als Trainer immer großen Spaß daran, zuzuschauen, was die Jungs so veranstalten. Da sind ja auch manchmal ein paar verrückte Kerle dabei, da sind viele Emotionen dabei - das fehlt mir ein bisschen.
SPOX: Das klingt wehmütig. Gibt es eine Chance auf Rückkehr?
Brand: Ich habe mit dem Kapitel Trainer sehr gut abgeschlossen. Ich hatte es ja lange geplant und habe genug Abstand gewonnen, ich sehne mich nicht nach der Bank zurück. Man soll zwar niemals nie sagen, aber im Normalfall wird es auch keine Rückkehr mehr geben.
SPOX: Für Ihren Nachfolger Martin Heuberger steht mit dem DHB-Team im Januar die WM in Spanien auf dem Programm. Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis Deutschland wieder realistisch um eine Medaille mitspielt?
Brand: Das kann ganz schnell gehen, muss es aber nicht. Wir haben es bei der EM in Serbien wieder gesehen, wie leicht man in Richtung Medaillen kommen kann, wie es aber genauso schnell in die andere Richtung geht. Eine Schwächephase kann schon fürs Ausscheiden reichen, so eng ist alles zusammen. Hinter den Franzosen, bei denen wir im Übrigen auch abwarten müssen, wie es weitergeht, ist kein Gegner unschlagbar für uns. Ob das Dänemark, Kroatien oder Spanien ist. Wenn es uns mal gelingt, ein paar Fehler weniger zu machen, sind wir ganz schnell vorne dabei. Generell muss es unser Anspruch sein, kontinuierlich zu den Top 5, Top 6 der Welt zu gehören. Da gehören wir hin und das muss als großer Verband auch unsere Zielsetzung sein.
SPOX: Ein Punkt, der dabei helfen soll, ist die Eliteförderung. Erklären Sie bitte einmal die Idee, die dahinter steckt?
Brand: Wir haben uns immer beklagt, dass zu wenige junge deutsche Spieler in die Liga kommen und dadurch auch gar nicht oder zu spät in der Nationalmannschaft präsent sind. Jetzt versuchen wir alles, was von unserer Seite aus möglich ist, hinzuzufügen, um die Nachwuchsarbeit mit den Top-Talenten zu verbessern. Wir haben ja kein Nachwuchsproblem an sich, das muss man immer wieder festhalten. Wir haben ein Problem der Anschlussförderung. Wir vom DHB können das zwar nicht beheben, das können nur die Vereine, aber wir können versuchen, die Chancen der Talente zu erhöhen, indem wir noch besser mit ihnen arbeiten.
SPOX: Wie sieht die Arbeit mit dem Elitekader konkret aus?
Brand: Wir haben aktuell 17 Spieler der Jahrgänge 1992-1996, die dieser besonderen Förderung unterliegen. Das System ist aber offen. Wenn sich ein Spieler nicht dementsprechend entwickelt, kann er aus dem Kader genommen werden. Gleichzeitig gibt es auch die Möglichkeit für andere dort rein zu kommen. Wolfgang Sommerfeld, der frühere Assistent von Martin Heuberger bei den Junioren und selbst ehemaliger Lehrer, fungiert dabei als Mentor. Wir wollen es den jungen Spielern erleichtern, Spitzenleistungen zu bringen. Sie sollen optimales Training erhalten, sie sollen aber auch die Schule bzw. die Ausbildung schaffen. Wir setzen da voll auf die duale Karriere.
SPOX: Das geht aber nicht ohne Kooperationen.
Brand: Richtig. Wir besuchen zum Beispiel Schulen und sprechen mit den Klassenlehrern oder Direktoren. Wie können wir es gewährleisten, dass der Spieler zumindest zweimal wöchentlich vormittags trainieren kann? Sind Nachhilfestunden notwendig? Was ist mit Fehlzeiten bei Lehrgängen oder Quali-Spielen? Das sind Themen, die wir zu lösen versuchen. Häufig besteht bei talentierten Spielern die Gefahr, dass sie überfordert werden und dass das Training zu kurz kommt. Wir wollen dafür sorgen, dass das eben nicht passiert. Dass sie zudem nicht nur eine sportliche, sondern auch berufliche Ausbildung bekommen. Und dass ihnen Werte übermittelt werden, was in unserer heutigen Zeit auch oft zu kurz kommt.
Teil 2: Brand über deutsche Talente, Louis van Gaal als Vorbild sowie den Wettskandal
SPOX: Sie waren zuletzt im Fall von Moritz Preuss in einer Schule, um Gespräche zu führen. Wie viel Bereitschaft ist in den Schulen da, diesen Weg mitzugehen? Wie sind Ihre Erfahrungen?
Brand: Generell ist ein großes Entgegenkommen vorhanden. Wir reden ja hier nicht von den Elite-Schulen des Sports, sondern von ganz normalen Schulen. Wir sind aber auf sehr großes Verständnis gestoßen, was mich sehr begeistert hat, weil ich skeptisch war, wie uns das alles gelingen würde. Wir müssen häufig auch Kompromisse eingehen, wenn ein Spieler schlecht in der Schule ist oder das Abitur in absehbarer Zeit stattfindet, aber man findet immer eine Lösung, wenn beide Seiten bereit dazu sind.
SPOX: Sie haben das Problem der Anschlussförderung angesprochen. Deutschlands Talente gewinnen Titel bei den Junioren und versauern dann in der 2. oder gar 3. Liga. Wie groß ist Ihre persönliche Hoffnung, dass sich in den nächsten Jahren daran wirklich etwas ändert?
Brand: Wir müssen sicherlich weiter geduldig sein. Eine gewisse Verbesserung hat sich ja schon eingestellt. Die Vereine sind durch das Jugendzertifikat gezwungen, Geld in die Nachwuchsarbeit zu stecken, also wollen sie ja irgendwann davon auch profitieren. Es ist in ihrem eigenen Interesse. Bei einer Diplomarbeit, die zu diesem Thema geschrieben wurde, ist kurioserweise herausgekommen, dass Spieler im Fall des betreffenden Vereins im Anschluss an den Jugendbereich weniger trainierten als vorher. Dabei müsste die Trainingsintensität ja genau in dieser Phase eigentlich erhöht werden. Die Vereine sind da gefordert.
SPOX: Wer ist da besonders in der Pflicht?
Brand: Der Cheftrainer kann das nicht immer alles leisten, aber er muss es verantworten und dann den Co-Trainer anweisen, mit dem Nachwuchsspieler individuell zu arbeiten. Dann muss der Spieler auch ins Training integriert werden. Was kann es Besseres geben, als dort von einem Daniel Narcisse oder einem anderen Top-Star zu lernen? Und der letzte Schritt ist dann die schrittweise Heranführung über Spielanteile. Wenn man gewillt ist, dann geht das auch. Gerade bei den Top-Vereinen, die ihre meisten Spiele ohnehin klar gewinnen.
SPOX: Warum lernt der Handball nicht vom Fußball?
Brand: Das ist eine sehr gute Frage. Es braucht ein bisschen Mut. Im Fußball wurden die Trainer meistens dafür belohnt, ob es Jürgen Klopp war oder Louis van Gaal. Ohne van Gaal würden Thomas Müller und Holger Badstuber vielleicht immer noch in der 2. Mannschaft spielen. Man muss den jungen Spielern nur die Chance geben. Selbst wenn es - vielleicht - einen kurzfristigen Leistungsunterschied zwischen dem jungen Deutschen und dem mittelmäßigen Ausländer gibt, gleicht sich das recht schnell an. Der Mut muss da sein, aber alleine kann es der Trainer auch nicht leisten. Es muss insgesamt die Philosophie des Vereins sein. Klar, wir können im Handball nicht die Leistungszentren so aus dem Boden stampfen wie im Fußball, aber eine kleine Ausführung dessen ist möglich. Der Fußball hinkte dem Handball ja hinterher, dort gab es nicht die Erfolge im Nachwuchsbereich, die wir geschafft haben, aber sie haben den Übergang gemeistert.
SPOX: Ein Thema ist im Handball immer der Wettkampf-Kalender. Was halten Sie von der Idee, Handball zu den Winterspielen zu stecken?
Brand: Man soll ja über viele Sachen nachdenken, aber über das sicherlich nicht. Handball findet zwar in der Halle statt, aber Basketball und Volleyball auch. Ich sehe das als Versuch von übergeordneter Stelle, die Sommerspiele etwas kleiner zu machen.
SPOX: Befürworter des Plans würden anführen, dass die Überbelastung der Spieler damit beendet werden könnte?
Brand: Der Punkt Überbelastung wird für meinen Geschmack teilweise zu sehr in den Vordergrund geschoben. Schauen Sie sich die NBA an, was dort gereist und gespielt wird. Im Handball-Terminkalender ist es sicher so, dass die Pausen zu kurz sind. Da reichen drei Wochen im Sommer nicht. Mein Vorschlag: Man könnte zwischendurch noch mal drei Wochen Pause machen, das wäre zu machen, wenn die Vereine noch mehr Spiele pro Wochen machen würden. Der Handball kann sich an der NBA orientieren. Ich weiß, dass dann sofort wieder von einer Überbelastung gesprochen würde, obwohl ich das gar nicht so sehen würde. Ein Punkt, an den man zweifellos rangehen sollte, ist die Aufblähung der europäischen Wettbewerbe. Dort sollte man wieder zum K.o.-System zurückgehen und zum Abschluss hätte man das Final Four, was ja ein großer Publikumserfolg ist. Es ist ja auch so, dass die anderen Länder die Champions League nicht immer attraktiver machen. Es kommt immer mal wieder einer hoch, aber im Prinzip hätte man in den letzten Jahren auch eine deutsch-spanische Meisterschaft austragen können.
SPOX: Zum Abschluss noch ein Wort zur HBL. Was ist Ihr Eindruck von der frühen Saisonphase?
Brand: Dass Kiel in Berlin einen Punktverlust hatte, sollte nicht überbewertet werden. Es war klar, dass sie auch mal einen Punkt abgeben würde. Das ändert aber nichts daran, dass sie nach wie vor der eindeutige Favorit auf den Titel sind. Die Chance, dass sie nicht Meister werden, halte ich für extrem gering. Dass sich die Löwen so stabilisiert haben, ist sicher erstaunlich. Wobei man sagen muss, dass sie zwar den Etat drastisch gesenkt, aber trotzdem Top-Leute geholt haben.
SPOX: Wie erschüttert sind Sie vom Wettskandal um Montpellier?
Brand: Ich war sicherlich auch erschrocken. Es spricht zum einen für eine große Geldgier, dass gut verdienende Handballer so etwas gemacht haben sollen. Wobei es noch besser verdienende Fußballer ja auch schon gemacht haben. Es spricht zum anderen aber auch von einer großen Naivität, wenn man bedenkt, wie diese Dinge heutzutage nachvollzogen werden können. Es ist nicht gut für den Handball, in erster Linie natürlich für den französischen. Gerade durch den Misserfolg der Fußballer hatten sie sich ein Standing erarbeitet, das kaum zu glauben war. Das hat darunter jetzt sehr gelitten.
EM-Quali 2012/13: Die Termine der DHB-Auswahl
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