Igor Vori im Interview: "Deutschland spielt mit so viel Aggressivität und Emotionen"

Florian Regelmann
21. Januar 201914:41
Igor Vori hat seine Spielerkarriere beendet und ist jetzt Teammanager der Kroaten.imago
Werbung
Werbung

Igor Vori ist eine kroatische Handball-Legende. Als Spieler wurde Vori Weltmeister und Olympiasieger, jetzt hat der 38-Jährige seine Karriere beendet und fungiert bei der WM in Deutschland und Dänemark als Teammanager der Kroaten, die nach starken Leistungen am Sonntag überraschend gegen Brasilien patzten.

SPOX traf Vori vor dem Kracher gegen Deutschland (20.30 Uhr im LIVETICKER) zum Interview und sprach mit ihm über legendäre Duelle mit dem DHB-Team, eine besondere Zeit in Hamburg und das Fußball-Nationalteam als Vorbild.

SPOX: Herr Vori, Sie sind zum ersten Mal bei einem großen Turnier nicht als Spieler, sondern in neuer Rolle als Teammanager dabei. Was sind Ihre Aufgaben?

Igor Vori: Ich kümmere mich um alles. (lacht) Wir haben in Kroatien nach der Heim-EM ein neues Projekt gestartet, darin bin ich als Sportdirektor und Teammanager in alles involviert, da geht es auch unter anderem um die Nachwuchsarbeit. Ich bin sehr zufrieden und glücklich, dass ich nach meiner Zeit als Spieler im Handball bleiben kann und eine Aufgabe gefunden habe, die mir viel Spaß macht. Handball war immer mein Leben und bleibt mein Leben, das ist toll. Ich mache meinen neuen Job mit viel Liebe und Leidenschaft.

SPOX: Vermissen Sie es nicht, als Spieler auf der Platte zu stehen. Kribbelt es, wenn Sie hier bei der WM auf der Bank sitzen?

Vori: Nein, überhaupt nicht. Wissen Sie, ich bin sehr müde. Mein Körper ist alt, er kann nicht mehr. Ich werde in diesem Jahr 39 und trainiere noch ein bisschen für mich, gehe mal in den Kraftraum, aber das reicht dann auch wirklich.

Igor Vori über den Umbruch bei Kroatien

SPOX: Die Heim-EM 2018 war mit Platz 5 eine Enttäuschung, jetzt machte Kroatien in der Vorrunde einen exzellenten Eindruck, nur um am Sonntag gegen Brasilien zu verlieren. Wie stark ist die Mannschaft?

Vori: Die Heim-EM war ein sehr großes Turnier für uns. Der Druck, der von allen Seiten auf uns einprasselte, war Wahnsinn. Und dann verletzt sich Duvnjak im ersten Spiel schwer. Dule ist so ein wichtiger Spieler für uns, sein Ausfall war ein großer Schock. Vor dem entscheidenden Hauptrunden-Spiel gegen Frankreich wussten wir, dass wir bei einer Niederlage raus sind. Dieser Druck, diese Last war in diesem Spiel einfach zu viel für uns. Jetzt sind wir mit einer total neuen Mannschaft bei der WM, wir haben einige neue Spieler im Kader, viele wichtige Spieler sind nicht mehr dabei. Normalerweise braucht ein Umbruch Zeit, aber in der Vorrunde lief es sehr gut für uns. Die Niederlage gegen Brasilien war natürlich eine Enttäuschung. Wir haben generell keinen Druck bei dieser WM, kämpfen bis zum Umfallen und dann schauen wir, was in den nächsten beiden Spielen passiert.

SPOX: Die Stimmung in München war für Kroatien fast wie bei einem Heim-Turnier.

Vori: Nicht nur in München, ich erinnere mich auch an die WM 2007, als wir in Stuttgart und Mannheim gespielt haben, da war es ähnlich. Wir haben ein riesiges Glück, dass so viele Landsleute in Deutschland leben und uns so unterstützen. Das ist ein Privileg für uns. Wenn du in München aus der Kabine kommst und siehst eine volle Halle, in der 7000 oder noch mehr Kroaten Lärm machen und singen, ist das unglaublich.

SPOX: Sie haben den Kapitän und unangefochtenen Leader Domagoj Duvnjak angesprochen. Wie wichtig ist er für das Team?

Vori: Dule ist unser Kopf. Er hat inzwischen so viel Erfahrung gesammelt. Das Turnier 2007 war damals seine erste WM, jetzt sind wir zwölf Jahre später, das ist verrückt. Aber Dule ist immer noch nicht wieder zu hundert Prozent fit. Er hatte so große Verletzungsprobleme, er hatte eine so lange Pause, aber er gibt alles. Für uns Kroaten ist es etwas sehr Spezielles, für die Nationalmannschaft und für unsere Leute zu spielen. Das setzt so viel Adrenalin frei. Für uns ist es eine Herzensgeschichte, wir würden alles machen, um für unser Land zu spielen. Das ist im Handball genau das Gleiche wie im Fußball. Hoffentlich können wir auch so eine erfolgreiche WM spielen und die Menschen begeistern, wie es unsere Fußballer geschafft haben.

Igor Vori: "Diese Niederlage war sehr schmerzhaft"

SPOX: Ist der WM-Titel für diese neues kroatische Team jetzt realistisch? Es sieht danach aus.

Vori: Nein, unser realistisches Ziel ist es, einen wichtigen Schritt in Richtung Olympia-Qualifikation zu machen, also unter die ersten Sieben zu kommen. Das ist ein gutes Ziel angesichts des Wandels in unserem Team. Aber wenn wir die Chance auf mehr bekommen, wollen wir sie natürlich nutzen, das ist auch klar.

Igor Vori gewann 2004 das olympische Finale mit Kroatien gegen Stefan Kretzschmar und Co. imago

SPOX: 2003 sind Sie mit Kroatien in Portugal Weltmeister geworden. 2004 folgte in Athen Olympia-Gold. Beide Male schlug Kroatien im Finale Deutschland. Zwei bittere Niederlagen für den DHB. Stefan Kretzschmar verpasste auch wegen Ihnen einen ganz großen Titel mit der Nationalmannschaft, auch wenn er im Olympia-Finale 9 Tore warf.

Vori: (lacht) Das ist super für ihn mit den 9 Toren, aber Gold hatte am Ende ich um den Hals hängen.

SPOX: Wie haben Sie die großen Duelle mit Deutschland in Erinnerung?

Vori: Ich hatte immer großen Respekt vor dem deutschen Handball. Deutschland hatte große Mannschaften mit großen Spielern. Es war immer eine große Motivation für uns, gegen sie anzutreten und zu versuchen, sie zu schlagen. In Deutschland vor knapp 20.000 Fans gegen Deutschland zu spielen und zu gewinnen, wäre ein unglaubliches Gefühl.

SPOX: Was Deutschland 2007 zuhause gelang, gelang Kroatien 2009 nicht: Weltmeister im eigenen Land zu werden. Kroatien verlor das Finale in der Handball-Hölle von Zagreb gegen Frankreich, Sie sahen am Ende auch noch Rot. Ihre bitterste Erfahrung der Karriere?

Vori: Wir hatten eine große Generation mit Spielern wie Balic, Metlicic oder Dzomba - es war immer unser ganz großer Traum, in Kroatien Weltmeister zu werden. Eine Silbermedaille ist für ein kleines Land wie Kroatien immer ein tolles Resultat, aber diese Niederlage war schon sehr schmerzhaft. So eine Chance kriegst du im Leben nur einmal, wir konnten sie nicht nutzen. Aber das Leben geht weiter. Insgesamt können wir stolz darauf sein, wie oft wir in den letzten zehn Jahren weit gekommen sind.

SPOX: Ivano Balic war ein Genie auf dem Feld. Wie war es, mit ihm zusammenzuspielen?

Vori: Es war fantastisch. Es war ein Privileg, mit ihm auf der Platte zu stehen. Aber es war nicht nur Ivano, unsere Generation war mehr als eine Mannschaft, wir waren eine große Familie. Wir hatten ein sehr spezielles Verhältnis untereinander, die Atmosphäre war unfassbar gut.

SPOX: 2009 sind Sie in die Bundesliga nach Hamburg gewechselt. Was sind Ihre Gedanken beim Blick zurück?

Vori: Hamburg war die beste Zeit meiner Karriere. Ich hatte eine unglaublich schöne Zeit dort. Ich habe großen Respekt vor Martin Schwalb, der für mich einer der besten Trainer der Welt ist. Wir hatten bei jedem Spiel eine volle Halle mit einer super Stimmung. Es ist so schade, was mit dem Verein passiert ist. Ich hoffe wirklich sehr, dass Hamburg in einigen Jahren wieder in der HBL spielt. Der deutsche Handball braucht Hamburg als Standort.

Igor Vori über den Triumph in der Champions League

SPOX: Der größte Erfolg mit Hamburg war der Champions-League-Triumph in einem wahnsinnigen Finale gegen Barcelona, in dem Mimi Kraus groß aufspielte.

Vori: Das war großartig. Zu Mimi habe ich immer noch Kontakt, auch zu den Gille-Brüdern und vielen Menschen außerhalb des Vereins, ich habe in Hamburg Freunde fürs Leben gefunden. Und mit Dule bin ich jetzt hier. (lacht) Aber zurück zu Mimi: Ich bin mir sicher, dass er im deutschen Team stehen würde, wenn die Verletzung nicht dazwischengekommen wäre. Wie Mimi davor gespielt hat, war unfassbar. 18 Tore, 12 Tore, 10 Tore - ich hoffe, er kommt gesund zurück und macht so weiter.

Igor Vori gewann an der Seite von Mimi Kraus mit Hamburg die Champions League.getty

SPOX: Wie schätzen Sie das DHB-Team bei der WM bislang ein?

Vori: Die Deutschen haben eine starke Mannschaft. Sie spielen mit Kopf, jeder weiß auf dem Feld, was er zu tun hat. Und sie haben diese gewaltige Unterstützung von den Fans. Ich denke, dass Deutschland noch länger dabei sein wird im Turnier. Deutschland und Kroatien im Halbfinale, wo muss ich unterschreiben? (lacht)

SPOX: Deutschland ist mit Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek und Jannik Kohlbacher auf Ihrer alten Position am Kreis stark besetzt. Was sagen Sie zu den dreien?

Vori: Deutschland hat drei unglaubliche Kreisläufer. Zwei spielen in Kiel, der andere bei den Löwen - das sagt doch schon alles über die Qualität aus. Pekeler hat im Angriff einen riesigen Schritt nach vorne gemacht, Wiencek hat jetzt auch schon viel Erfahrung gesammelt. Aber mich beeindrucken nicht nur die Kreisläufer. Wenn ich Deutschland sehe, sehe ich eine Mannschaft, die mit so viel Aggressivität und Emotionen spielt, das ist beeindruckend und super für den Handballsport in Deutschland.

Igor Vori: "Es ist nicht normal, was im Handball los ist"

SPOX: Wer am Ende Weltmeister ist, wird in zweieinhalb Wochen zehn Spiele absolviert haben. Das hammerharte Programm im Handball wurde schon oft thematisiert, was ist Ihre Meinung dazu?

Vori: Es ist ein extrem schwieriges Thema. Es ist nicht normal, was im Handball los ist. Wir müssen innerhalb von 24 Stunden zwei Top-Spiele gegen Mazedonien und Spanien bestreiten, Deutschland musste an zwei Tagen nacheinander gegen Russland und Frankreich ran. Das geht nicht. Du hast keine Chance, in so kurzer Zeit zu regenerieren. Und am Ende verliert nur der Handball, egal ob Spieler oder Fans, jeder verliert.

SPOX: Haben Sie auch selbst mit Schmerzmitteln gespielt?

Vori: Ja, so wie jeder. Das war ganz normal.

SPOX: Letzte Frage, sehen wir Sie in einer Funktion vielleicht mal in Deutschland wieder?

Vori: Man weiß nie, was passiert. Das Leben kann unvorhersehbar sein. Schauen wir mal, im Moment bin ich sehr glücklich mit meiner Rolle in Kroatien. Ich hatte mein ganzes Leben lang nur Sport im Kopf und bin dankbar, wie meine Karriere verlaufen ist. Jetzt kann ich wie erwähnt auch nach der Karriere das machen, was mir am meisten bedeutet. Ich könnte aktuell wirklich nicht zufriedener sein.