Gesa Krause im Interview: "Unsere Top-Athleten sind Zufallsprodukte"

Florian Regelmann
15. November 201911:43
Nach WM-Bronze in Doha richtet sich der Blick von Gesa Krause bereits wieder auf Tokio 2020.getty
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Gesa Krause holte bei der Leichtathletik-WM in Katar Ende September in neuer deutscher Rekordzeit die Bronzemdaille über 3000 Meter Hindernis. Im SPOX-Interview spricht Krause offen über 350 Tage Training am Stück und erklärt ihren Fahrplan auf dem Weg zur Mission Olympia-Medaille in Tokio 2020.

Außerdem wirft die 27-Jährige einen kritischen Blick auf die Situation der deutschen Leichtathletik und erklärt, was sich verändern müsste.

Frau Krause, wo erreiche ich Sie gerade?

Gesa Krause: Ich bin in Boulder, Colorado. Das ist 30 Minuten von Denver entfernt. Hier ist es jetzt 8 Uhr morgens.

Haben Sie heute schon trainiert?

Krause: (lacht) Ja, ich habe schon 1:45 Stunden hinter mir.

Sie hatten bis zur WM in Doha fast ein Jahr lang keinen einzigen freien Tag und jetzt geht es schon wieder weiter. Wie halten Sie diese Konsequenz durch?

Krause: Es stimmt, es waren wohl so an die 350 Tage am Stück bis zur WM. Es ist wichtig zu verstehen, dass es alles Teil eines Prozesses ist. Ich mache Sport, seit ich denken kann. Seit ich 16 Jahre alt bin, trainiere ich unter professionellen Bedingungen. Zweimal am Tag Training zu haben, ist etwas Normales für mich geworden. Ich regeneriere zum Beispiel besser bei einem lockeren Dauerlauf, als wenn ich mich auf die Couch schmeißen und den Körper ganz in den Ruhemodus fahren lassen würde. Mein Trainer hat mir jetzt im Trainingslager einen freien Tag in den Kalender geschrieben, worauf ich fragte, was ich denn da den ganzen Tag machen solle? Gerade wenn ich im Trainingsprozess bin, erfüllt mich meine tägliche Arbeit. Genau das möchte ich mit meinem Sport auch weitergeben: Ich liebe es, auch wenn es manchmal schwer ist. Aber welcher Mensch hat schon jeden Tag gleich große Lust, zur Arbeit zu fahren?

Wie war es direkt nach der WM in Katar?

Krause: Da habe ich nach dem Rennen erstmal die Laufschuhe für acht Tage in die Ecke gestellt. Mein Freund und ich waren danach im Urlaub auf Mykonos, dort habe ich wieder leicht angefangen und mich im Fitnessstudio aufs Laufband gestellt. Es tut mir einfach auch psychisch gut, ich brauche den Sport, um bei mir zu sein, zufrieden zu sein und mich auf das Leben konzentrieren zu können.

Gesa Krause holte bei der WM in Doha die Bronzemedaille über 3000 Meter Hindernis.getty

Krause: "Ich muss schon ein bisschen mehr Persönlichkeit mitbringen"

Bei der WM haben Sie sich mit der Bronzemedaille für die Schinderei und die vielen Opfer, die Sie bringen müssen, belohnt. Eine Garantie dafür gibt es aber nie. Was treibt Sie dennoch an, diesen harten Weg immer wieder zu gehen?

Krause: Ich sage immer: Wer Roulette spielt und nicht setzt, der kann auch nicht gewinnen. Im Sport gibt es keine Garantien und ich bin auch kein Mensch, der irgendwelche Garantien sucht. Nur wenn ich im Leben auch mal ein Risiko eingehe, habe ich die Chance, dass daraus ein Moment entsteht, der mich tief berührt. Ich weiß, dass natürlich ganz oft nur das finale Resultat gesehen wird, aber mein Leben kann nicht darauf basieren, dass sich die Arbeit nur lohnt, wenn ich am Ende eine Medaille um den Hals hängen habe. Das wäre zu einfach. Ich muss schon ein bisschen mehr Persönlichkeit mitbringen, sonst bin ich im Übrigen auch nicht in der Lage, große Erfolge zu feiern. Ich strebe natürlich nach dem größtmöglichen Erfolg, aber mein Trainer sagt immer: Der Weg ist das Ziel. Und so sehe ich es auch.

Gibt es andere Sportler oder Persönlichkeiten, die Sie inspirieren?

Krause: Ja, sicherlich, und nicht nur berühmte Sportler. Jeder erfolgreiche Mensch muss hart für seinen Erfolg arbeiten. Jeder Mensch hat seine ganz individuelle Geschichte. Und nie verläuft sie geradlinig, es gibt bei jedem Höhen und Tiefen. Ich finde es immer extrem spannend, neue erfolgreiche Menschen und ihre Geschichte kennenzulernen, ganz egal in welchem Bereich.

Glauben Sie, dass jeder Mensch versteht, wie viel Sie eigentlich für Ihren Erfolg investieren müssen?

Krause: Nein, es ist glaube ich sehr schwer, das von außen wirklich nachzuvollziehen. Ich versuche zwar, gerade auch durch meine Social-Media-Kanäle einen Einblick zu geben, aber es bleibt trotzdem schwer. Wenn ich Leuten erzähle, wie viel ich unterwegs bin, können sie zwar verstehen, dass ich nicht viel zuhause bin und dass das nicht so einfach ist, aber das war es dann auch schon. Es ist aber auch okay, ich werde nie alle Leute auf meine Seite ziehen können. Ich konzentriere mich viel lieber auf die unglaublich positive Resonanz, die ich bekomme, denn ich glaube, es kommt an, was ich zu vermitteln versuche.

Krause: "Ich bin keine programmierbare Maschine"

Wir haben darüber gesprochen, wie wenig Sie in Deutschland sind. Wie schwer fällt Ihnen der Alltag dann, wenn Sie mal zuhause sind?

Krause: Ich habe aktuell in Deutschland gar keinen richtigen Alltag. Es ist nicht schön, wenn du nur in deine Wohnung kommst, um die Koffer wieder zu packen und wieder aufzubrechen. Es ist manchmal schmerzlich, weil ich mich insgeheim danach sehne, dass sich das wieder ändert. Ich weiß aber auch, dass es sich wieder ändert. Ich betreibe einen Sport, den ich vielleicht bis Mitte 30 machen kann. Ich hoffe doch mal, dass ich danach ein etwas ruhigeres und stressfreieres Leben führen werde. (lacht) Aber jetzt zählt mein Sport. Meine Zeit ist jetzt. Das habe ich für mich so entschieden, deshalb ordne ich meinen Zielen wie jetzt der WM oder den Olympischen Spielen alles unter. Danach habe ich dann genug Zeit, um mich zu sammeln und zu entscheiden, wie es in den folgenden Jahren weitergehen soll. Ich bin einfach froh, dass ich so eine tolle Unterstützung durch meinen Freund und meine gesamte Familie habe, ohne sie wäre es sicher deutlich schwieriger.

Ihr dramatischer Sturz bei der WM 2017 in London war sicher einer der schwierigsten Momente in Ihrer Laufbahn. Wie blicken Sie heute auf dieses Erlebnis zurück?

Krause: London war ein Tiefpunkt, ganz klar. Ich hatte eine starke Saison und ausgerechnet im wichtigsten Rennen des Jahres habe ich meine bitterste Stunde erlebt. Es war einfach Pech. Ich hatte zuvor auch schon häufiger das Glück auf meiner Seite, aber an diesem Tag musste ich akzeptieren, dass es eben auch mal in die andere Richtung gehen kann. Ehrlich gesagt war das Jahr 2018 dann viel schwieriger für mich, weil es überhaupt nicht lief und ich nicht wusste, woran es liegt. Da jeden Tag trotzdem den Kopf oben zu behalten, zum Training zu gehen und das Blatt schließlich wieder zu wenden, war eine große Herausforderung.

Woran lag es denn, dass es nicht optimal lief?

Krause: Das ist eine Frage, die man sich natürlich immer stellt, für die es aber nicht immer eine Antwort gibt. Auch weil so viele Kleinigkeiten eine Rolle spielen können. Generell ist es ganz entscheidend für jeden Athleten zu lernen, dass er keine Maschine ist. Ich bin keine programmierbare Maschine und am Ende kommt sofort die Bestzeit heraus. Du kannst und musst im Training gewisse Parameter erreichen, aber du weißt dann trotzdem nicht, wie lange es dauert, bis es sich im Rennen auch niederschlägt. Da braucht es manchmal auch eine große Portion Geduld.

Sie haben nach dem WM-Rennen gesagt, dass es auch wieder eine Willensleistung gewesen sei und Sie den Schmerz überlisten mussten. Was genau meinen Sie damit?

Krause: Es ist wirklich nahezu unmöglich zu beschreiben, was man in so einem Rennen spürt. Natürlich ist der Laufsport mit Schmerzen verbunden, weil er so anstrengend ist. Aber wenn ich jetzt an das Rennen denke, empfinde ich keinen Schmerz. Es war auch mit Sicherheit vom Gefühl nicht das härteste Rennen. Die Willensleistung besteht darin, dass ich mich im Kopf so klar dazu entschieden habe, dass ich diesen Erfolg mit allen Mitteln erreichen will, dass der Schmerz gar keine Chance bekommt. Vielleicht kann man es damit vergleichen, wenn man auf eine lebensverändernde Prüfung lernt. Dort läuft ein ähnlicher Prozess ab wie im Sport. Mit dem Ziel, dass ich am Ende zum Schlussspurt ansetze und mich nichts mehr aufhalten kann. Zu einer außergewöhnlichen Leistung gehört immer auch eine gewisse Aufopferung.

Sie haben den Schlussspurt angesprochen. Gerade dort können Sie häufig Ihre Qualität am Wassergraben ausspielen. Woher kommt diese Stärke?

Krause: Wenn ich mir meine ersten Überquerungen am Wassergraben nochmal auf Video anschaue, dann muss ich feststellen, dass es nicht von Anfang an meine Stärke war. Das sah jetzt nicht so toll aus. (lacht) Der entscheidende Faktor für den Wassergraben ist eine gute Technik, die in Fleisch und Blut übergeht. Ich bin froh, dass ich es geschafft habe, dass sich eine optimale Technik in meinem Gehirn so tief verankert hat, dass es mir im Rennen Sicherheit und ein gutes Gefühl gibt. Ich weiß immer, dass ich nach 2.800 Metern meine Stärke ausspielen kann. Allerdings muss ich auch erstmal bis zur 2.800-Meter-Marke kommen.

Der Wassergraben ist eine der großen Stärken von Gesa Krause.imago images

Krause: "Du kannst in Kenia im Prinzip gar nichts machen"

Sie wurden nach Ihrer Medaille als "WM-Heldin" gefeiert. Was denken Sie, wenn Sie so etwas lesen oder hören?

Krause: Generell ist Held oder Heldin ein mächtiger und großer Begriff. Ich finde, dass man nicht zu viel mit dem Begriff um sich werfen sollte, er hat schon eine gewisse Bedeutung. Egal, ob das im Sport ist als Anerkennung für große Leistungen, oder ob es im Alltag ist, wo es im Kleinen für mich auch Helden gibt. Jetzt in Katar war es auch der Tatsache geschuldet, dass ich absolut keine Medaillenkandidatin war im Vorfeld, auch wenn es Hoffnungen gab, und dass ich dann die erste Medaille fürs deutsche Team holen konnte. Das hat es ein Stück weit besonders gemacht.

Nach der WM-Medaille richtet sich der Blick wie schon angesprochen auf Tokio 2020. Wie sieht der Plan bis dahin aus?

Krause: Ich bin jetzt in Colorado, dann bin ich mal kurz für zehn Tage in Deutschland, um einen Haufen Termine abzuarbeiten. Danach geht es vor Weihnachten drei Wochen nach Kenia und nach Silvester direkt wieder nach Kenia. Im Anschluss werde ich die Hallensaison bestreiten, weil ich den Wettkampf brauche. Und danach geht es ein drittes Mal nach Kenia.

Was ist neben der Höhe die spezielle Herausforderung an Kenia?

Krause: Die Höhe ist auf jeden Fall schon mal ein Faktor. Wir sind auf 2.400 Metern Höhe, da tut im Endeffekt jeder Schritt weh und du freust dich jeden Abend auf dein Bett. Die Herausforderung besteht aber in erster Linie für die Psyche. Kenia hat wirklich eine tolle Natur, aber es gibt auch nichts weiter als Natur. Du kannst nicht mal in ein Cafe gehen, du kannst keine Freunde treffen, du kannst in Kenia im Prinzip gar nichts machen. Wenn du drei Wochen lang jeden Morgen aufstehst und absolut nichts anderes machst, außer zu trainieren, zu essen und zu schlafen, dann macht das was mit dir. Aber da muss man durch. Nach Kenia kommt noch ein Trainingslager in Südafrika und dann bin ich den Sommer vor Tokio in der Schweiz und in Italien. Mehr als anderthalb Monate werde ich bis zu den Olympischen Spielen nicht zuhause sein.

Krause: "Unsere Top-Athleten sind Zufallsprodukte"

Sie haben dank Ihrer Medaille sehr positive Erinnerungen an die WM in Katar, insgesamt war diese WM aber nicht förderlich für den Sport, wenn wir an das Gesamtbild denken, das abgegeben wurde. Wie haben Sie es persönlich erlebt?

Krause: Ich bin während der WM wirklich bombardiert worden mit Nachrichten und negativen Schlagzeilen. Jeder hat gefragt, ob es denn wirklich alles so schlimm sei, wie es den Eindruck macht. Ich persönlich muss sagen, dass ich ein sehr positives Erlebnis mit dieser WM verbinde und ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass ich kein so negatives Bild zeichnen kann, wie man vielleicht denkt. Was im Marathon und Gehen passiert ist, war ohne Zweifel unschön und sehr bedauerlich für die Athleten, wie die Wettkämpfe da durchgedrückt wurden. Aber auf der anderen Seite kann ich auch berichten, dass sich wirklich alle unglaublich bemüht haben, uns Athleten so optimale Bedingungen wie möglich zu schaffen. Ob die Vergabe der WM nach Katar grundsätzlich eine gute Entscheidung war, steht wieder auf einem anderen Blatt, darauf habe ich aber auch keinen Einfluss.

Unabhängig von der WM in Katar, wie sehen Sie denn aktuell den Zustand der deutschen Leichtathletik?

Krause: Es müsste sich auf jeden Fall einiges verändern. Wir erleben immer mehr, wie sich der Pool an Athleten ausdünnt. Einfach auch, weil generell immer weniger Kinder und Jugendliche Sport machen. Die Athleten, die dann übrigbleiben und in die Weltspitze vordringen, sind aber auch kein Produkt eines erfolgreichen Systems. Unsere Top-Athleten sind Zufallsprodukte, weil dort junge Talente in exzellente Trainerhände gekommen sind. Die Unterbezahlung der Trainer ist für mich eines der Hauptprobleme. Wie wollen wir erwarten, dass junge Talente optimal gefördert werden, wenn Trainer mit einem Honorar von 200 Euro abgespeist werden? Das kann nicht funktionieren.

Warum landen viele Kinder gar nicht mehr in der Leichtathletik?

Krause: Auch weil es von den Eltern nicht unterstützt wird, weil das falsche Bild vorherrscht, dass man dort ja eh nichts verdienen kann. Wir müssen dahin kommen, dass Sport als Berufsweg viel mehr akzeptiert wird. Ich denke zum Beispiel auch daran, dass wir die Talente, die wir haben, mehr fördern und fordern müssen. Sie müssen von klein auf in Konkurrenz- und Drucksituationen geschult werden. Es bringt nichts, wenn wir das immer umgehen, später müssen sie bereit dafür sein. Wir müssen insgesamt an ganz vielen Schrauben drehen.