Leichtathletik - Frank Busemann im Interview: "8 Meter oder du kriegst meine Freundin"

Florian Regelmann
27. Juli 202217:16
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Gestatten, Frank Busemann. Seines Zeichens begnadeter Wettkämpfer, aber leider auch oft ein körperliches Wrack. SPOX traf den Silber-Helden der Olympischen Spiele 1996 zum Interview. Dort durchlebte der heute 47-Jährige nochmal seine große Sternstunde und erzählte von einer Seelenreinigung der besonderen Art. Außerdem: Warum er nie Partys vermisste, wie ihn seine Ziele zum Getriebenen machten und warum er einmal verzweifelt ins Telefon schrie.

Bereits 2015 hat SPOX eine Legenden-Serie abseits von König Fußball veröffentlicht. Zu diesem Anlass wurden ausführliche Interviews mit Andreas Thiel (Handball), Michael Groß (Schwimmen), Frank Busemann (Leichtathletik), Walter Röhrl (Motorsport) und Henry Maske (Boxen) geführt. Wir blicken zurück.

Herr Busemann, als ich Ihnen das erste Mal von unserer Legenden-Themenwoche erzählte und meinte, dass wir Sie gerne dabei hätten, waren Sie sehr erfreut, reagierten aber auch etwas ungläubig.

Frank Busemann: (lacht) Ich fühle mich wirklich sehr geehrt. Schon nicht so schlecht, mit wem ich da bei Euch in einer Reihe stehen darf. Ich kenne mich ja nur so, wie ich bin. Und ich selbst sehe mich natürlich nicht als Legende. Ich weiß, dass ich ganz gut Sport konnte. Davon bin ich überzeugt, aber das ist auch alles.

Ihr legendärer Zehnkampf bei den Olympischen Spielen in Atlanta ist inzwischen fast 20 Jahre her. Wenn Sie jetzt daran denken, welche Bilder schießen Ihnen in den Kopf?

Busemann: Ich sehe mich, wie ich den perfekten Zehnkampf mache. Ich kann nicht mal sagen, dass ich mich beim Weitsprung oder über die Hürden sehe, es war ja alles der Hammer, jede Disziplin war wie aus einem Guss. Für mich waren die zwei Tage ein Gefühl des absoluten Glücks. Ein Gefühl der Sorgenlosigkeit und Euphorie. Auch ein warmes Gefühl. Das ist auch heute nach wie vor noch so nach fast 20 Jahren.

Vor allem konnten Sie damals doch gar nicht damit rechnen, dass Sie so durchstarten würden.

Busemann: Doch.

Warum doch? Sie kannte kein Schwein.

Busemann: Das stimmt. (lacht) Trotzdem bin ich damals quasi mit zwei Ichs nach Atlanta geflogen. Der eine Frank sagte: Boah, ist das geil, dabei zu sein. Jetzt nur nicht mehr an der Bordsteinkante die Haxen verdrehen, dass ich am Ende nicht mitmachen darf. Aber der andere Frank wusste: Wenn ich das zeige, was ich kann, und ich wusste, dass ich ein Wettkampftyp bin, dann reicht das für eine Medaille, da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Mein Problem war, dass ich es mir einfach nicht vorstellen konnte. Olympia war so groß und so weit weg, für mich hatte das ja vorher immer nur im Fernsehen stattgefunden. Warum sollte ich da jetzt auf einmal eine Medaille gewinnen? Aber vom Leistungsvermögen und Selbstbewusstsein her war mir klar: Wenn ich die Punkte mache, ich hatte mir 8600 vorgenommen, dann muss das reichen. Als mein Vater nach dem ersten Tag ankam und mir sagte, dass ich in der Zwischenabrechnung Zweiter bin, dachte ich mir dann aber trotzdem: Lass den Alten reden, der ist auch nervös. (lacht)

Wann wussten Sie denn, dass es tatsächlich mit einer Medaille klappt?

Busemann: Als Tomas Dvorak beim Stabhochsprung bei einer Höhe rausgeflogen ist, fiel bei mir der Groschen. Hey, das klappt ja wirklich mit der Medaille. Da konnte ich es das erste Mal greifen. Ab da war ich nervös und zwar so richtig. Aber es ging natürlich von Anfang an auch einfach überragend los. Die 100 Meter sind für jeden Zehnkämpfer die Standortbestimmung, danach weißt du, wie der Hase läuft. Ich war gefühlt relativ weit weg von Dan O'Brien, aber ich bin ja ein Schlitzohr und habe einen Trick angewendet, den ich mir mal bei der Hallen-WM abgeschaut hatte. Der blöde Finne, nein, der gute Finne, weil von ihm habe ich es gelernt, hatte sich da mit einem Arm nach vorne ins Ziel geworfen und nicht mit der Brust. So machte ich es auch und plötzlich standen 10,60 Sekunden auf der Anzeigetafel, obwohl es sich gar nicht so angefühlt hatte. Da wusste ich schon: Alles klar, das läuft.

Direkt danach kam der Weitsprung-Wahnsinn. 8,07 Meter.

Busemann: Ich hatte für den Weitsprung eine Wette mit meinem besten Freund laufen. 8 Meter. Oder keine 8 Meter. Ich sagte ihm: Wenn ich es nicht schaffe, kriegst du meine Freundin. (lacht) Ich weiß nicht, ob er sie genommen hätte, ich glaube ja nicht. Für mich ging es nur um die Ehre, den anderen Fall hätten wir dann ausdiskutieren müssen, aber dazu kam es ja zum Glück nie.

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Sie erwischten einen grandiosen ersten Tag, aber dann kommt beim Zehnkampf bekanntlich die Pause. Die Nacht dazwischen. War das nicht die Hölle?

Busemann: In gewisser Weise schon. Durch die 400 Meter ist man erstmal so aufgepeitscht, dass man gar nicht schlafen kann. Du liegst um 1 Uhr im Bett, bist hundemüde, kriegst aber kein Auge zu. Eigentlich sehnst du dich nur danach, dass der Wecker endlich wieder klingelt. Die Nacht ist immer schrecklich. Ich erinnere mich noch, wie mein Zimmerkollege Dirk Pajonk und ich beim Europacup im Bett lagen. Weil du den anderen natürlich nicht stören willst, liegst du da stumm herum und hältst es kaum aus. Irgendwann um halb zwei meinte Dirk: 'Hey Alter, ist das langweilig! Erzähl mal was.' Generell war ich aber noch relativ entspannt. Bis dann am Morgen der große Schock kam.

Sie waren krank.

Busemann: Ich hatte die Grippe. Das war der größte Schock meines Lebens. Als ich aufgestanden bin, hatte ich Gliederschmerzen, mein Kopf war ganz heiß - ich habe die totale Panik bekommen. Ich dachte, es ist vorbei. Ich bin zu den Ärzten gerannt, aber die haben mich nur angeschaut und gefragt, wie viele Zehnkämpfe ich schon gemacht hätte. Es war erst mein Fünfter. Die haben mir echt gesagt: Geh mal auf den Einlaufplatz und mach eine Steigerung, wenn du dich dann immer noch schlecht fühlst, kommst du wieder. Ich konnte es gar nicht glauben, aber sie hatten Recht. Ich hatte Raketenfüße und bin ja dann Hürden-Zehnkampf-Weltrekord gelaufen.

Superstar Dan O'Brien war spätestens jetzt auch auf diesen jungen Deutschen aufmerksam geworden. Aber erzählen Sie.

Busemann: Es war wirklich so, dass er reinkam und mich suchte. Er fragte: Who is Busman? Ich dachte mir: Ich bin neu, ich bin jung, ich habe keine Ahnung, der wird den Busfahrer suchen. Mich kann er ja nicht meinen. Er ist der König und ich bin der Hans Wurst aus Recklinghausen. Aber dann kam er zu mir und gratulierte mir zu meinem Hürden-Rennen. Er empfing mich mit offenen Armen. Ich hatte damit null gerechnet, weil ich nur die Geschichten von Jürgen Hingsen und Daley Thompson kannte, die sich auf allen Ebenen bekriegten. Es war mir neu, dass sich Wettkämpfer mit Handschlag begrüßen und fragen, wie es der Familie geht.

Vor dem abschließenden 1500-Meter-Lauf war die Medaille dann praktisch schon eingetütet, es konnte nichts mehr passieren. Wie haben Sie die Wartezeit bis zur letzten Disziplin verbracht?

Busemann: Die zwei Stunden bis zu den 1500 Metern waren gruselig. Ich bin herumgetigert, als ob ich auf meine Hinrichtung warten würde. Irgendwie freut man sich zwar, aber man hat auch unglaublich Angst. Man weiß genau: In viereinhalb Minuten werde ich da liegen, völlig ausgepumpt, mir wird es mordsmäßig dreckig gehen, aber hoffentlich habe ich dann die Medaille. Was ist, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Wenn dich einer schubst? Es kann so viel passieren. In dieser Situation habe ich die Zehnkämpfer aber auch sehr schätzen gelernt. Dvorak kam nämlich zu mir und fragte mich, was ich laufen kann. 4:30 Minuten, meinte ich. Er sagte, dass er das auch versuchen würde und am Ende sind wir beide 4:31 gelaufen. Das war mein Konkurrent um Silber, er hätte mir alles erzählen und irgendwelche Spielchen probieren können, aber das war eine ganz ehrliche Nummer. Das finde ich auch heute noch unglaublich. Als ich dann im Ziel lag, war es eine einzige Erlösung und Befreiung. Ich war so kaputt, dass ich schon vor dem Stabhochsprung fast eingeschlafen wäre. Ich war am Ende einfach nur froh, dass ich fertig bin und nichts mehr machen muss.

Nach der Silbermedaille ging der Wahnsinn ja aber erst richtig los. Wie haben Sie den folgenden Medienhype überstanden?

Busemann: Ich habe darüber erstmal gar nicht nachgedacht. Wenn die sagen, ich soll das machen, dann habe ich das eben gemacht. Es dauerte bis Weihnachten, dass ich mal ein bisschen Ruhe hatte und nachdenken konnte, davor war ich komplett im Tunnel. Ein guter Freund sagte mir damals: Das ist ja alles schön und gut, dass du da tollen Sport gemacht hast in Atlanta, aber wenn du dich jetzt gar nicht mehr meldest, dann finde ich das scheiße. Wenn du keine Zeit hast, dann sag mir das, dann kann ich mich darauf einstellen, aber tue nicht so, als ob wir nicht da wären. Es war gar nicht böse gemeint und es tat mir auch leid, ich hatte das einfach komplett vergessen. Wenn mir die Leute sagten, dass ich mich schonen sollte, habe ich immer gedacht: Ich sage doch schon 80 Prozent aller Termine ab, das ist doch nicht zu viel, was ich mache. Ich habe ja auch noch die Ausbildung bei der Sparkasse Dortmund absolviert und hatte da nur eine Vereinbarung. Wenn ich Termine habe, dann kann ich auch mal in der Arbeitszeit gehen. Aber ich war dann auch am nächsten Morgen wieder da und habe um 8 Uhr die Geschäftsstelle aufgeschlossen.

Irgendwie lag Ihnen ja auch die Rolle als Interview-Partner und Talkshow-Gast, Sie waren von Anfang an ein Segen für alle Journalisten. Endlich war mal einer locker und hat gelabert.

Busemann: Ich schätze mich an sich als sehr schüchtern ein, aber der Sport hat mir geholfen zu reden. Wenn ich an meine Interviews in Atlanta denke, da stand ich mit Schnappatmung und hochroter Birne vor den Journalisten und habe drauflos geplappert. Atlanta hat mir sehr in die Karten gespielt. Ich musste nach dem Wahnsinn Druck ablassen und die Ersten, die mir über den Weg gelaufen sind, waren die Journalisten - also habe ich sie vollgequatscht. Die waren wiederum froh, dass einer was erzählt hat. So sind wir sehr gut miteinander ausgekommen. Ich habe es mit der Zeit auch lieben gelernt, Interviews zu geben. Es ist ja eigentlich auch eine ganz einfache Geschichte. Ich referiere ja nicht über die Apokalypse der Blutsynthese. Ich rede über das, was mich selbst betrifft und mein Gegenüber hat Interesse daran. Eigentlich ist es sogar eine sehr dankbare Aufgabe.

Ihr Vater Franz-Josef war während der ganzen Zeit immer an Ihrer Seite und wurde so selbst zur Kultfigur. Was hat Ihre Vater-Sohn-Coach-Sportler-Beziehung so besonders gemacht?

Busemann: Mein Vater wollte sich nie über mich verwirklichen. Er hatte Spaß daran, mich im Sport zu unterstützen und stand mir als Ideengeber und Ratgeber zur Seite. Er hat mich niemals zum Training gedrängt, er musste mich bremsen. Dienstags haben wir immer die schlimmsten Programme gemacht. 600 Meter, 500 Meter, 400 Meter, bis zum Umfallen. Ich hatte Angst davor, aber fand es auch geil. (lacht) Wenn ich dann nach den 500 Metern am Boden lag und nicht mehr konnte, wollte ich immer noch weitermachen, aber mein Vater sagte dann auch mal: Du siehst nicht so aus, als ob du noch kannst. Dann hat er auch mal Läufe gestrichen. Ich wollte unbedingt und er gab die Richtung vor - wir waren ein perfektes Gespann.

Wollten Sie nie ausbrechen und das genießen, was andere in dem Alter so treiben?

Busemann: Ich habe Sport geliebt. Sport war das absolut wichtigste in meinem Leben, ich hatte überhaupt kein Bedürfnis nach anderen Dingen. Ich hatte nie das Gefühl, irgendwas zu verpassen. Mir hat es nichts bedeutet, Samstagabend auf Partys zu gehen. Ich wurde mal gefragt, wann ich denn das letzte Mal in der Disco gewesen wäre? Wie das letzte Mal? Ich war erst einmal. Oder was mein letztes Konzert gewesen wäre? Ich war noch nie auf einem Konzert, was denn bitte für ein Konzert?! (lacht) Unser Familienthema war Sport. Im Umkehrschluss hat es natürlich dazu geführt, dass ich lange keine Ahnung hatte, was es heißt, Urlaub zu genießen. Meine Frau musste mir erstmal beibringen, wie man Urlaub macht, bis heute habe ich das immer noch nicht so richtig gelernt. Bis zu meinem 28. Lebensjahr bin ich nur in Trainingslager gefahren, etwas anderes kannte ich gar nicht.

Frank Busemann holte bei den Olympischen Spielen 1996 die Silbermedaillegetty

Die Silbermedaille von Atlanta blieb nicht Ihr einziger großer Erfolg, ein Jahr später folgte Bronze bei der WM in Athen. War diese Medaille vielleicht noch unglaublicher?

Busemann: Ja, diese Bronzemedaille war eigentlich noch höher einzuschätzen als Silber in Atlanta. Ich hatte im Vorfeld von Athen riesige Probleme mit der Hüfte und wusste nicht mal, wie ich aus dem Bett steigen soll. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich drauf habe. Der Zehnkampf wurde zu einer totalen Kraftnummer. Aber bei dieser WM habe ich den besten Weitsprung meines Lebens gemacht. Vorher habe ich mir beim Weitsprung fast immer den Fuß gebrochen, aber in Athen ging das mit einer Leichtigkeit, das war unglaublich. Weitsprung habe ich ja eh nie trainiert, sondern nur im Wettkampf gemacht. Das hört sich großkotzig an, aber ich hatte einfach immer Angst, mich zu verletzen. Und Weitsprung war die Disziplin, die ich schon immer konnte. Ich bin mit 10 Jahren 5,15 Meter gesprungen, Weitsprung hatte ich drauf. Obwohl ich vor Athen so zweifelte, hatte ich plötzlich auch wieder dieses Wettkampfgefühl. Sobald es zählte, konnte ich den Schalter umlegen und wusste selbst nicht, wo das jetzt herkam. Bei den 400 Metern dachte mein Vater, dass ich nicht unter 50 Sekunden laufen kann. Ich lief 48,32, die Bestleistung steht heute noch. Aber ich bin dann auch eine Stunde da gelegen. (lacht)

Sie hatten Olympia-Silber und WM-Bronze auf dem Konto, es fehlte Gold. In den Jahren danach machten Ihnen aber zahlreiche Verletzungen einen Strich durch die Rechnung. Was war in dieser Zeit das frustrierendste?

Busemann: Man muss es insofern etwas relativieren, als dass ich ja schon vorher immer verletzt gewesen bin. Als ich 13 oder 14 Jahre alt war, wurde mir schon gesagt, dass ich es mit meinem Körper lieber bleiben lassen soll. Wer sich meine Beine und meinen Oberkörper anguckte, sagte: Das kann nichts werden. Zum Glück habe ich mich nicht beeinflussen lassen. Am schlimmsten war vor Sydney die Diagnose Ermüdungsbruch. Da habe ich wirklich ins Telefon geschrien: Warum ich? Warum immer ich? Zu diesem Zeitpunkt waren es drei Jahre hintereinander mit Verletzungen. Ich konnte nicht verstehen, wer es da so böse mit mir meint.

War es besonders schlimm, weil Sie das große Ziel 9000 Punkte im Kopf hatten?

Busemann: Die 9000 Punkte waren der Grund, warum ich Verletzungen nie richtig ausheilen lassen konnte. Nach dem Motto: Mist, nächste Woche kommt der Dvorak und macht die 9000 und ich sitze hier auf der Couch und mache nix! Als er dann 1999 die 9000 auf der Kelle hatte, dachte ich schon, dass jetzt mein Lebensziel weg ist. Bis der Bundestrainer anrief und mir sagte, dass Dvorak 6 Punkte fehlen. Meine Reaktion war nur: Jaaaaaaaaaa! (lacht) Als Sebrle 2001 die Marke dann knackte, war ich eigentlich schon gar nicht mehr in der Lage, die 9000 zu machen. Trotzdem hat es mich im ersten Moment tief getroffen. Für mich hatte es immer zwei Dinge gegeben, die unumstößlich waren. Ich werde eines Tages Olympiasieger oder Weltmeister und ich breche als Erster die 9000 oder stelle einen Weltrekord auf. Diese Ziele haben mich jeden Tag gepusht, so beschissen es mir auch ging. Ich war getrieben. Irgendwann kam dann die Zeit, als ich einsehen musste, dass ich diese Ziele nicht mehr erreichen kann. Das war brutal schwer für mich. Ich hatte es mir vorgenommen, da konnte ich doch jetzt nicht sagen, dass es nicht geht. Das war eine harte Zeit und hochgradig ätzend für mein Umfeld.

Sie haben in der Zeit auch relativ viel Geld mit Börsenspekulationen verloren.

Busemann: Die Börsengeschichten sollten eine Kompensation werden. Den Nervenkitzel, den mir der Sport wegen der Verletzungen nicht mehr bieten konnte, wollte ich mir zuhause vor dem Computer holen. Ich habe im großen Stil Aktien gekauft, aber es lief nicht so erfolgreich. (lacht)

Dafür haben Sie das Schreiben als Art Seelenreinigung für sich entdeckt. Sie haben Ihr erstes Buch "Aufgeben gilt nicht" sogar gleich mal sich selbst gewidmet. Wie hat Ihnen das Schreiben geholfen?

Busemann: Ich bin so vom Sport weggekommen, ohne mich umzubringen. Ich wollte mich immer schreibend auf meinem Weg zu Gold begleiten, damit ich mal im Alter etwas in der Hand habe und alles nochmal durchgehen kann. Als ich mich dann in mein Kämmerlein zurückgezogen und geschrieben habe, bin ich extrem ehrlich mit mir umgegangen. Da kristallisierte sich für mich heraus, dass ich das, was ich erreichen wollte, einfach gar nicht mehr drauf hatte. Schau mal auf deinen Körper, Junge! Das Dreivierteljahr bis zum Karriereende tat weh, aber das Schreiben hat mir sehr geholfen. Jeden Abend, wenn meine Frau nach Hause kam, sagte ich ihr: Schatz, setz dich mal hin und schau mal, was ich wieder geschrieben habe, ich lese es Dir mal vor. Da war sehr viel Herzschmerz dabei. Die Erkenntnis, dass dein Körper nicht unbegrenzt belastbar ist, war ein Schock für mich. Wenn ich verletzt war, dachte ich immer, ich warte einfach etwas ab, lasse mich notfalls operieren, dann geht es schon wieder. Erst da habe ich festgestellt, dass man richtig auf seinen Körper aufpassen muss, sonst ist irgendwann Feierabend.

Sie konnten also dann auch ohne den Sport zufrieden sein?

Busemann: Ich habe irgendwann gemerkt: Ich brauche die 9000 Punkte nicht, um glücklich zu sein. Vielleicht war da auch ein Stück weit Selbstbetrug dabei und ich habe es mir eingeredet, um davon wegzukommen. Aber ich habe die ganze Thematik sehr facettenreich beleuchtet und mir die große Frage gestellt, ob ich mir denn in irgendeinem Gebiet irgendwas vorwerfen muss. Als ich dann zum Schluss gekommen bin, dass ich diese Frage guten Gewissens mit Nein beantworten kann, war es ein gutes Gefühl.

Sie haben sogar ein Schwangerschafts-Buch geschrieben, quasi 9 Monate aus Sicht des Mannes. Wie kommt man denn bitte da drauf?

Busemann: Für mich war klar, dass ich die Schwangerschaft meiner Frau schreibend begleiten will. Es ist ja eine skurrile Situation. Als Mann hast du bei dem Thema im Prinzip von nichts eine Ahnung, tust aber natürlich trotzdem so, als ob du den Durchblick hättest. Ich habe mich sehr für das Thema interessiert und mich richtig tief in die Materie eingearbeitet. Unsere Frauenärztin meinte am Ende sogar, dass an mir ein Mediziner verloren gegangen sei. (lacht)

Inzwischen geben Sie Management-Seminare und haben auch zu dem Thema eine Art Ratgeber herausgebracht mit dem Titel "Steh auf, wenn Du am Boden liegst". Was ist Ihr Ansatz dahinter?

Busemann: Die Idee ist, den Zehnkampf als roten Faden zu nehmen. Ich hole die Leute ab, indem ich ihnen erkläre, dass jeder von uns auf seine Weise ein Mehrkämpfer ist. Wie setze ich meine eigenen Ressourcen richtig ein? Wie gehe ich mit Rückschlägen um? Wie definiere ich Ziele? Jeder hat etwas, was ihm wichtig ist. Für mich waren es die 9000 Punkte, für andere ist es eine Beförderung im Job oder die perfekte Familienfeier. Wichtig ist nur, dass man sich die Ziele klar definiert, nur so kann man unglaubliche Energie freisetzen. Gerade heute ist es ja extrem schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Beruf, Familie, Hobby - wie soll das in 24 Stunden alles reinpassen? Mit diesen Fragen und Feldern beschäftige ich mich. Ich bin eigentlich gar nicht der Typ, der sich vorne hinstellt und Vorträge hält, aber ich habe das mit der Zeit lieben gelernt. Inzwischen habe ich auch eine Routine entwickelt, aber ich habe auch immer noch jedes Mal ein bisschen Schiss, ob alles klappt. Aber das brauchst du auch, um eine Top-Leistung abzuliefern. Es macht mir großen Spaß und es ist cool, dass das jetzt schon so lange so gut klappt. Das Erstaunliche ist, dass es funktioniert, obwohl ich bis jetzt gar nicht am Markt aktiv bin. Ich habe meine Homepage und lebe nur über Empfehlungen. Ich sitze also zu Hause rum und warte auf Anrufe. Und es klingelt! (lacht)

Sie wohnen in Dortmund. Sind Sie also inzwischen eingefleischter BVB-Fan?

Busemann: Ich bin da ein ganz komischer Vertreter. Ich bin für Dortmund, Schalke und Bayern. Schalke war mein erster Leichtathletik-Verein. Ich erinnere mich, wie ich mal zu Rudi Assauer meinte, dass ich 63-facher Kreismeister von Gelsenkirchen wäre, aber das wusste er alles. Ich habe zehn Jahre lang im Parkstadion meine Runden gedreht, insofern bin ich auch im Derby ein bisschen mehr auf Seiten der Schalker. Aber auf der anderen Seite lebe ich in Dortmund und will auch, dass der BVB gewinnt, damit alle gut drauf sind. Diese Religionsartigkeit, die der BVB in Dortmund hat, ist unglaublich. Und die Bayern sind eben der Klub der Superlative. Wenn die ihr 84. Spiel in Folge gewonnen haben mit 700:0-Toren, das finde ich auch super.