Als Teenagerin wollte sie sich das Leben nehmen, sie steht auf Platz sechs der ewigen 100-m-Bestenliste. Nun wurde sie mit Marihuana erwischt. Ob Sha'Carri Richardson in Tokio starten kann, ist fraglich.
Sha'Carri Richardson, der neue Sprintstern der US-Leichtathletik, hatte in Tokio so viel vor. Olympia-Gold über 100 m sollte es sein, dieser Sieg für die Unsterblichkeit. Im Olympic Stadium wollte sie allen Konkurrentinnen davonlaufen, doch sie wurde schmerzhaft von ihrer Vergangenheit eingeholt. Marihuana bei den US-Trials, vier Wochen Sperre, 100-m-Start geplatzt. Die "Rakete", wie sie genannt wird, muss am Boden bleiben.
Die 21-Jährige bestätigte den Konsum der Droge in der "Today"-Show des TV-Senders NBC. Grund sei "ein Zustand emotionalen Schmerzes" gewesen, den die Nachricht vom Tod ihrer leiblichen Mutter verursacht habe. "Ich entschuldige mich dafür, dass ich während dieser Zeit nicht wusste, wie ich meine Emotionen kontrollieren oder mit meinen Emotionen umgehen sollte", sagte die Sprinthoffnung.
Richardson hat die Sperre durch die US-Anti-Doping-Agentur USADA akzeptiert. Diese begann am 28. Juni. Ein Start in der 4x100m-Staffel könnte in Japan möglich sein, darüber müssen der US-Leichtathletik-Verband USATF und das Nationale Olympische Komitee USOC entscheiden.
Patrick Mahomes über Richardson: "Lasst sie einfach nur laufen"
Nach der Dopingsperre hat Richardson Solidaritätsbekundungen von zahlreichen US-Sportstars und selbst aus dem Weißen Haus erhalten. Sprint-Olympiasieger Michael Johnson, der frühere NBA-Superstar Dwyane Wade sowie mehrere Stars aus der NFL stellten das Verbot der Droge durch die WADA und in mehreren US-Bundesstaaten infrage, während die Politik in Washington Richardsons bisherige Erfolge würdigte.
"Ich weiß nicht, warum Marihuana verboten ist. Vielleicht aus einem guten Grund, vielleicht auch nicht. Ich wünschte, das Verbot würde ausgesetzt, bis man Gründe für beides kennt", erklärte Johnson. Quarterback Patrick Mahomes vom NFL-Champion Kansas City Chiefs reagierte mit Unverständnis: "So ein Müll - lasst sie einfach nur laufen", meinte der wertvollste Spieler (MVP) des Super Bowls von 2020. "Die Mehrheit von Euch Gesetzesmachern raucht doch selbst Marihuana und investiert wahrscheinlich sogar in THC-Unternehmen", erklärte Wade.
Jen Psaki verwies als Sprecherin von US-Präsident Joe Biden zwar auf die Unabhängigkeit der US-Anti-Doping-Agentur USADA, merkte aber auch an: "Sha'Carri Richardson ist eine inspirierende junge Frau, die persönlich viel durchgemacht hat. Und es ist ihr gelungen, eine der schnellsten Frauen der Welt zu sein - und das ist auch ein wichtiger Teil der Geschichte."
US-Verband sichert Richardson Hilfe zu
Der Verband zumindest stellte sich schützend vor seine Athletin. "Sha'Carri Richardsons Situation ist für alle Beteiligten unglaublich unglücklich und verheerend", teilte USATF mit: "Wir werden mit Sha'Carri zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass sie über ausreichende Hilfe verfügt, um jetzt und in Zukunft alle psychischen Herausforderungen zu bewältigen."
Es gibt viel zu tun, denn die Seele der jungen Frau ist verletzt - schon lange. Dies führte zu einer Labilität, ihr fehlte der Halt. Als Teenagerin auf der High School hatte sie versucht, sich das Leben zu nehmen. Richardson, die in Dallas zur Welt kam und früh von ihrer Mutter verlassen wurde, hat keine Scheu, über ihre mentalen Probleme zu reden.
"Ich habe einen Therapeuten", sagt sie und möchte, dass die Menschen wissen, dass auch Athleten Probleme "durchmachen. Wir sind Menschen, so wie jeder andere auch. Aber am Ende des Tages wollen wir alle gehört und verstanden werden."
100 Meter: Richardson in der Tradition von Florence Griffith-Joyner
Sha'Carri Richardson wurde in der Sprinterszene gefeiert, auch wegen ihres extrovertierten Äußeren. Rot färbt sie ihre Haare, wenn sie sich "in eine sehr dominierende Stimmung" bringen will. Schwarze Haare "beruhigen" sie. Blond wählt sie, wenn sie sich nach zu Hause sehnt.
Nicht nur wegen ihrer Extravaganz und ihrer langen Fingernägel erinnert Richardson viele an die berühmt-berüchtigte Florence Griffith-Joyner. "Ich trage meine Nägel, weil ich es liebe, mich auszudrücken", sagt Richardson: "Ich habe das Gefühl, meine Nägel zeigen, wer ich bin." Nämlich "anders". Aber "ich kann den Job trotzdem erledigen", sagt sie. Und wie.
Jüngst trommelte sie die 100 m in nur 10,72 Sekunden herunter, lediglich fünf Frauen waren jemals schneller als die Texanerin. Sie habe "etwas geschafft, das die Welt nicht erwartet hat", sagte Richardson und ließ die USA darauf hoffen, dass nach 25 Jahren wieder Olympia-Gold über 100 m bei den Frauen an die stolze Sprinternation geht. "Meine Saison wird unglaublich. Ich bin noch nicht fertig", sagte sie - ehe sie von ihren bösen Geistern gestoppt wurde.