Freud und Leid lagen nah beieinander in der wuchtigen "Park and Suites Arena" im französischen Montpellier: Keine sieben Minuten, nachdem Marcel Nguyen mit der Verteidigung seines Europameistertitels am Barren deutsche Turngeschichte geschrieben hatte, war der Traum vom Gold am Reck für Vize-Weltmeister Philipp Boy schon wieder vorbei.
Zwei Stürze, Rang acht, keine Medaille - und Boy offenbarte 62 Tage vor dem Start der olympischen Turnwettbewerbe am Sonntag nur eine der vielen Baustellen in der deutschen Riege. Der einzig wirkliche Lichtblick ist Nguyen.
Von der "besten Übung, die ich je in einem Wettkampf gezeigt habe" sprach der überglückliche Unterhachinger, der für seine Glanzvorstellung in der Holmengasse mit 15,766 Punkten belohnt worden war. Die erste und einzige Medaille bei den 34. europäischen Titelkämpfen konnte die Bilanz der Riege des Deutschen Turner-Bundes (DTB) zumindest ein wenig aufpolieren.
Nach Rang sechs an den Ringen zeigte Nguyen an seinem Paradegerät, dass er als einer der Wenigen auf dem richtigen Weg in Richtung London ist. "Ich bin gut vorbereitet - und das war der Lohn dafür. Wenn ich die Übung so in London bringe, dann ist das Finale drin", sagte er mit seiner großen Goldmedaille um den Hals. Boy hatte die Mixed Zone da bereits lange mit rot unterlaufenen Augen und vor allem ratlos verlassen.
Boy vergießt Tränen: "Habe EM komplett in den Sand gesetzt"
Denn trotz Nguyens Erfolg überwogen einen Tag nach dem miserablen sechsten Rang im Teamfinale und in Anbetracht von Boys drittem schlechten Auftritt in Folge die kritischen Stimmen. "Vor uns liegen 60 Tage harte Arbeit", sagte DTB-Präsident Rainer Brechtken kritisch.
Boy selbst sprach nach seiner ersten EM ohne Edelmetall seit drei Jahren von einem Wettkampf, "den ich komplett in den Sand gesetzt habe". Nach dem zweiten Sturz als Startturner im letzten Finale des Tages wollte der Mehrkampf-Europameister das Podium "nur noch verlassen. Es ist so unglaublich bitter. Und eins ist klar: Bis zu Olympia gibt es keinen Urlaub mehr." Den Sieg des Russen Emin Garibow (15,833) hatte Boy nach 12,166 Punkten für eine risikofreudige Übung gar nicht mehr gesehen: "Ich wollte nur noch weg."
Boy verpasste allerdings nach seiner Flucht auch die Übung seines Teamgefährten Eugen Spiridonow (Bous), der noch am Vortag im Mannschaftsfinale gepatzte hatte. Statt dreier Stürze zeigte der Routinier im Einzelfinale eine solide Übung und wurde mit Rang vier (14,9) belohnt. "Das war so wichtig für mich", sagte er.
Das Happy End kann nun in London folgen
Bundestrainer Andreas Hirsch sprach diplomatisch davon, "schon bessere Tage gehabt zu haben. Aber Sport ist kein Liebesfilm mit Happy End". Wenn überhaupt, kann dieses nun noch in London folgen, wo auch Fabian Hambüchen wieder dabei sein soll. "Wir stehen in regelmäßigem Kontakt. Er macht sein Zeug gut", sagte Hirsch.
Hambüchen verfolgte 800 Kilometer entfernt im heimischen Wetzlar auch an den anderen Geräten solide, aber keineswegs weltweit konkurrenzfähige Übungen seiner Kollegen.
Für Matthias Fahrig (Halle) reichte es etwa beim Sieg des Rumänen Flavius Koczi (16,166) trotz zweier sauberer Sprünge wegen des mangelnden Schwierigkeitsgrades nur zu Rang fünf (15,849). "Ich bin zufrieden, dass es so geklappt hat", sagte der Vize-Europameister von 2010 dennoch. Sebastian Krimmer (Stuttgart) wurde am Barren Achter (14,3).
Den Sieg an den Ringen sicherte sich der Vorjahres-Zweite Alexander Balandin aus Russland (15,666). Die beiden Finals ohne deutsche Beteiligung gewannen der ehemalige griechischer Weltmeister Eleftherios Kosmidis (Boden/15,766) und Weltmeister und Titelverteidiger Krisztian Berki aus Ungarn (Pauschenpferd/15,958).