Markus Weise ist dreifacher Olympiasieger. 2004 gewann er als Bundestrainer der Damen-Nationalmannschaft seine erste Goldmedaille, 2008 in Peking und 2012 in London wiederholte er den Triumph mit den Männern. Im SPOX-Interview spricht er über seine Co-Trainer-Rolle bei der Hallen-WM in Leipzig, seinen Musikgeschmack und Ähnlichkeiten zu Pep Guardiola.
SPOX: Herr Weise, bevor wir zum Sportlichen kommen, müssen wir über Jan-Marco Montag sprechen. Ein ehemaliger Spieler von Ihnen - und der letzte Kandidat bei "Schlag den Raab". Haben Sie seinen Auftritt verfolgt?
Markus Weise: Ich habe es teilweise gesehen, aber es hat sehr wehgetan. Jede Show bedeutet für Raab Training, das ist sein großer Vorteil. Je länger es diese Sendung gibt, desto schwerer wird es, ihn zu schlagen. Man muss ihn über die Physis packen, aber leider hat Jan-Marco das Schlittschuh-Spiel verloren, weil er weggerutscht ist. In solchen Situationen darf man den Kollegen Raab nicht unterschätzen, sonst bestraft er jeden Fehler.
SPOX: Vielleicht hätten Sie ja bessere Chancen. Als Hockey-Bundestrainer gelten Sie als harter Hund.
Weise: Ich kann auch hart sein, das stimmt. Aber ich bediene eine breitere Palette des Verhaltensspektrums (lacht). Ich verhalte mich situativ unterschiedlich, weshalb ich mich eher als konsequent bezeichnen würde.
SPOX: Können Sie Trainern, die nur über den Schmerz und die Qual gehen, etwas abgewinnen?
Weise: Man muss den Spielern hin und wieder zeigen, wo die Grenze ist. Aber genau diese Grenze kann man auch mal überschreiten. Der Kopf sagt dir: "Du kannst nicht mehr." Aber der Körper kann noch deutlich mehr, als der Kopf glaubt. Wenn man das als Mannschaft versteht, ist das eine der besten Teambuilding-Maßnahmen, die es gibt. Man muss nicht unbedingt in den Klettergarten gehen und Spaß haben, sondern sich einfach mal gemeinsam quälen. Hinterher kann man sagen, dass es brutal war, aber auch geil.
SPOX: Diese Herangehensweise passt auch zu Ihrem Musikgeschmack. Der Privatmensch Markus Weise soll zwar einerseits ein Fan anspruchsvoller Literatur sein, gleichzeitig aber auch mal Punkrock hören. Stimmt das?
Weise: (lacht) Also mein Musikgeschmack ist ziemlich breit. Mitunter geht es da schon ein bisschen heftiger zu, das muss ich zugeben. Ich kann Rammstein und Metallica hören, aber auch klassische Musik. Man darf sich nicht einengen lassen. Heutzutage gibt es so viel zu entdecken: In der Musik, in der Kunst, auch in Videospielen. Man kann total spannende und interessante Sache machen, man muss nur die Augen und Ohren offen halten. Nur R'n'B zu hören, wäre mir beispielsweise zu wenig.
SPOX: Kommen wir wieder zurück zum Sport. Sie gewannen insgesamt drei Mal Olympisches Gold. Bei der anstehenden Hallen-WM in Leipzig sind Sie aber nur als Co-Trainer dabei. Warum?
Weise: Ich bin seit 2003 relativ raus aus dem Hallenhockey. Zudem wird jetzt auch noch in einem neuen Format gespielt, es wäre töricht, wenn ich Stefan Kermas nicht den Vortritt lassen würde. Er ist viel näher am Geschehen in der Halle dran. Aber es wird trotzdem kein Selbstläufer. Durch das neue System, bei dem nur fünf anstatt sechs Spielern auf dem Feld stehen, ändert sich das Spiel. Man muss abwarten, aber natürlich haben wir eine starke Mannschaft und gehören zum Favoritenkreis.
SPOX: Können Sie sich denn so einfach unterordnen?
Weise: Klar, damit habe ich absolut kein Problem. Mit Stefan habe ich bereits in der Vergangenheit mehrere Jahre sehr erfolgreich und sehr gut zusammengearbeitet. Wir kennen dieses Kastendenken nicht, wer ist übergeordnet, wer ist untergeordnet. Es geht mehr um eine ziel- und chancenorientierte Zusammenarbeit.
SPOX: Das ist trotzdem nicht gang und gäbe. Man stelle sich vor, Pep Guardiola würde beim FC Bayern München für ein Spiel oder ein Vorbereitungsturnier als Co-Trainer auftreten.
Weise: Wenn Sie es jetzt so sagen: Stellen Sie sich vor, die Bayern würden ein Hallenturnier bestreiten. Und Guardiola ist der Meinung, dass er jemanden in seinen Reihen hat, der mehr Ahnung von Hallenfußball hat. Dann würde er wahrscheinlich genauso handeln.
SPOX: Sie gelten wie Guardiola als Trainer, der versucht, Trends zu setzen. Gibt es Ähnlichkeiten?
Weise: Was ich bei ihm sehe, ist das variable Spiel mit den häufigen Rollenwechseln der Spieler. Das ist eine Sache, die auch bei uns zum Alltag gehört.
SPOX: Der Vergleich zwischen Fußball und Hockey wird häufig gezogen. Dabei blicken Sie auch über den Tellerrand hinaus. Sogar vom Schach sollen Sie sich Anregungen holen.
Weise: Schach ist meine Leidenschaft, ich habe auch die WM im letzten Jahr verfolgt. Hauptsächlich sind es natürlich strategische Überlegungen, die ich in den Hockey-Sport einfließen lasse. Wissen Sie, es wird immer nur von Taktiken gesprochen und nie von einer Strategie. Das ist die völlig falsche Richtung, in die man denkt. Wer im Schach keine strategischen Pläne hat, landet auf der Nase. Fußball und Hockey kann man natürlich auch vergleichen, weil bei beiden Sportarten Elf-gegen-Elf gespielt wird. Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten, aber auch klare Unterschiede. Während Fußballspielen schaue ich auch immer mit der Trainerkrankheit zu.
SPOX: Trainerkrankheit? Was bedeutet das?
Weise: Ich verfolge eine Partie vielleicht nicht so wie ein normaler Fan, sondern frage mich ständig: Was kann ich sehen? Was kann ich erkennen?
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SPOX: Im Unterschied zum Fußball ist der Hockey-Sport auf Fördergelder angewiesen. Es gibt sogar einen Businessplan mit dem DOSB für Rio 2016: Sowohl die Damen als auch die Herren sollen ins Halbfinale kommen, am Ende muss mindestens eine Medaille stehen. Spüren Sie den Druck?
Weise: Keine Frage, das ist immer das Damokles-Schwert, das über all den Sportarten schwebt, die Erfolg liefern müssen, um in einer hohen Förderstufe zu verbleiben. Es ist schwierig, aber ich kann diese Situation nicht ändern. Wenn ich mir persönlich oder der Mannschaft größeren Druck machen würde, wäre das der völlig falsche Ansatz. Ich denke nie großartig darüber nach. Mir ist es - flapsig gesagt - egal, welche Ziele der Verband mit dem DOSB vereinbart. Meine Herangehensweise ändert sich dadurch überhaupt nicht. Entscheidend ist, was die Mannschaft erreichen will.
SPOX: Auch für die Spieler wird der Faktor Geld immer wichtiger. Ein heiß diskutiertes Thema dabei ist die Profiliga im Hockey-verrückten Indien. Wie groß ist die Angst, dass die deutschen Aushängeschilder - wie in der Vergangenheit bereits Moritz Fürste - dorthin wandern?
Weise: Angst wäre zu hoch gehängt, aber natürlich mache ich mir ein paar Sorgen. Für die Spieler ist es sehr verlockend, da sie zu hohen Preisgeldern gedraftet werden können. Wenn der Fall eintritt, kann man ungefähr 50.000 Dollar in sechs Wochen verdienen. Für einen Studenten ist das natürlich ein Traumjob. Aber es gibt auch andere Fälle und man kassiert viel weniger, das ist dann eine ganz andere Hausnummer.
SPOX: Welche Auswirkungen hat die indische Liga für die Nationalmannschaft?
Weise: Im kommenden Draft werden sich sicherlich einige Spieler anmelden, um ihren Marktwert zu testen. Dann wird man sehen, was passiert. Aber wir werden das in die Planung für die Nationalmannschaft einbauen. Ich kann es den Jungs nicht verdenken, da es eine tolle Verdienstmöglichkeit für den Amateursport ist.
SPOX: Wie genau läuft das Draft-System ab?
Weise: Man kann es mit dem US-Sport vergleichen. Ein Spieler wird von einem Team gedraftet, woraufhin er in der Regel einen Drei-Jahres-Vertrag bekommt. In dieser Zeit hat man ein festes Einkommen und zudem die Chance auf Siegprämien und Bonusgelder.
SPOX: Wäre so etwas auch in Deutschland denkbar?
Weise: Nein, in Indien gibt es eine Art Beteiligungsgesellschaft, die die Finanzen vorstreckt und so das ganze Modell über Fernsehpräsenz finanziert. Offensichtlich scheint dieses System zu funktionieren, solche Mittel haben wir in Deutschland jedoch nicht zur Verfügung.
SPOX: Sie haben zuletzt gefordert, dass sich die Gesamtgesellschaft zum Sport bekennen solle und Sport eine Staatsangelegenheit sein müsse.
Weise: Ich will beim besten Willen kein System mit Sportministerium wie in der DDR. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir eine große Chance verstreichen lassen, Sport viel gezielter für ganz andere Gebiete zu nutzen. Bildung, Gesundheit und Integration, für diese Themen ist der Sport ein unfassbar guter Hebel, um die Entwicklung zu beeinflussen. Deshalb brauchen wir ein Bekenntnis zu mehr Sport. Es geht mir gar nicht ausschließlich um den Leistungssport und die Spitze, sondern um den Gesamtsport.
SPOX: Viele Athleten schwärmen von China als Sportland. Olympiasieger bekommen dort eine lebenslange Rente, Wohnungen und einen Luxuswagen. In anderen Ländern gibt es Universitätsstipendien, Zusatzrenten und kostenlose Krankenversicherungen. Davon kann man in Deutschland nur träumen.
Weise: Bei uns geht der Leistungssport sehr in Richtung Hobby. Kaum jemand kann die Leistung, die die Sportler bringen, richtig einschätzen. Wenn man ein guter Eisschnellläufer oder Turner werden will, muss man jeden Tag stundenlang trainieren und zudem gut in der Schule sein. Die Systeme greifen zurzeit einfach nicht nahtlos ineinander, aber das sollten sie. Man muss die Talente, die die notwendige Motivation haben, unterstützen. Vielleicht braucht man zehn Elitesportschulen, die richtig funktionieren. Das ist derzeit nicht der Fall. Man sollte nicht Politikdenkmäler setzen, weil man gerade ein bisschen Geld zu vergeben hat, die in der Praxis dem Sportler für eine duale Karriere aber gar nicht helfen.
SPOX: Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zur Sportlotterie rund um Robert Harting?
Weise: Robert versucht im Grunde genommen, die finanzielle Basis für viele Sportler zu verbessern. Daran profitieren natürlich auch die Talente. Mit der Sportlotterie hätte man neben der Stiftung Deutsche Sporthilfe und dem Staat eine weitere Säule, auf die man den Sport aufstellen könnte.
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