So funktioniert das System Kaymer

Florian Regelmann
01. Dezember 201012:49
Martin Kaymer hat in der Saison 2010 über 70 Prozent aller Grüns getroffen Getty
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Martin Kaymer ist nicht nur Europas neue Nummer eins, er ist auf dem Weg zur Nummer eins der Welt. Aber was macht seinen Schwung eigentlich genau aus? SPOX erklärt gemeinsam mit Golf-Coach und Analyse-Guru Jörg Vanden Berge Kaymers Technik und blickt in die Zukunft.

Meinung zum Jahr Kaymer von SPOX-Redakteur Florian Regelmann:

Wow! Drei Buchstaben reichen, um das Jahr von Martin Kaymer auf den Punkt zu bringen. Mit einem Preisgeld von knapp 4,5 Millionen Euro das Race to Dubai gewonnen, erster Major-Sieg, insgesamt vier Turniersiege, mit Europa den Ryder Cup gewonnen - und die Nummer drei der Welt geworden. Mit besten Chancen auf die Nummer eins. Einfach nur wow.

Es ist ja nicht so, dass einen der unglaubliche Erfolg völlig unvorbereitet trifft. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Kaymer sein erstes Major gewinnen würde. Die Karriere, die er jetzt gemacht hat, war vorgezeichnet. Aber in dieser elektrisierenden Ballung und Rasanz erschlägt einen diese Entwicklung dann doch.

Man muss sich nur vorstellen, wie die Situation noch vor wenigen Jahren war. Kaymer war ein Rookie, wenn auch ein extrem talentierter, der bei seinem Debüt auf der European Tour noch große Anpassungsprobleme hatte. Cuts verpasste. Sparen musste. Manchmal einsam in Asien in Hotels saß.

Und gleichzeitig dominierte ein gewisser Tiger Woods die Golf-Welt und hatte an der Spitze der Weltrangliste so einen gewaltigen Vorsprung, dass man nicht dachte, in seiner Lebenszeit noch einmal eine andere Nummer eins zu erleben. Wie sich die Dinge doch geändert haben... Wow.

mySPOX-Golfgruppe: Jahresrückblick

Will man sich eine Szene herauspicken, die das Jahr 2010 für Kaymer definierte, war es sein Par-Putt am 18. Loch in der Finalrunde der PGA Championship. Es war eigentlich ein unmögliches Up-and-Down, das sich Kaymer nach seinem zu kurzen zweiten Schlag gelassen hatte.

Ein Bogey wäre wahrlich keine Schande gewesen, man hätte Kaymer danach zu einem grandiosen Turnier gratuliert, bei dem es eben noch nicht ganz für den großen Sieg gereicht hat. Aber dann locht der Junge diesen unfassbar schwierigen Par-Saver und bereitet damit seinen folgenden Sieg im Stechen vor. Wow.

Es ist wieder einmal bezeichnend für Kaymers Bescheidenheit, wenn er sagt, dass er sich nicht auf einer Stufe mit Dirk Nowitzki oder Sebastian Vettel sieht. Aber er irrt. Er steht mindestens auf einer Stufe mit den beiden. Es ist keine Frage, dass der Formel-1-Fahrer Vettel, der Kaymer im Übrigen von der Art gar nicht so unähnlich ist, zum deutschen Sportler des Jahres gewählt werden wird. Und nicht der Golfer Kaymer.

Aber global gesehen gibt es keinen Zweifel, wer neben Nowitzki Deutschlands Sport-Superstar ist: Martin Kaymer. Über ihn wird inzwischen selbst in US-Sport-Talkshows gesprochen.

Wer sich fragt, wie es nach diesem Jahr bei Kaymer weitergehen wird, dem sei gesagt: genau so wie bis jetzt auch. Wenn es ein Lehrbuch für junge Sportler gäbe, das beschreiben soll, wie ein perfektes Umfeld auszusehen hat, so müsste es eigentlich Kaymer schreiben. Freundin Alison, Vater Horst, Bruder Philip, Coach Günter Kessler, Manager Johan Elliot, Beraterin Fanny Sunesson - im Team Kaymer passt einfach alles.

Auch die Entscheidung, nicht auf die US PGA Tour zu wechseln, passt zu ihm und war goldrichtig. Es gibt für Europas Stars absolut keinen Grund, die heimische Tour zu verlassen. Die prestigeträchtigen Turniere in den USA können sie auch so spielen - und der Tour beizutreten, nur um im todlangweiligen FedEx Cup eventuell ein paar Dollar einzustreichen? Das haben sie wahrlich nicht nötig.

"M-Kay" wird jetzt erst mal seinen Urlaub genießen und dann wird er in Arizona wieder mit dem Training beginnen. Vor allem am kurzen Spiel feilen. Die Motivation wird die gleiche sein, wie vor den Erfolgen 2010. Er wird genauso hart arbeiten. Nicht, weil er sich zwingen muss. Sondern weil er Golf liebt.

Er wird weitere Majors gewinnen. Ob das 2011 schon der Fall sein wird? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. In keinem Sport herrscht so eine Dichte wie im Golf - es gibt massig Spieler, die in der passenden Woche ein Major gewinnen können. Hey, Lee Westwood ist momentan der beste Spieler der Welt und hat immer noch keines gewonnen. Das sagt alles.

Fakt ist: Kaymer ist erst 25. Wir werden noch lange, lange Zeit Spaß an seinem Golf-Spiel haben. Wie anfangs gesagt: wow.

Teil 2: Martin Kaymers Golf-Schwung in der Analyse

Martin Kaymer - die Schwunganalyse:

Warum genau ist Martin Kaymer eigentlich so gut? Mal ganz abgesehen von seiner mentalen Stärke. Was zeichnet seinen Golf-Schwung aus? Wie funktioniert das Schwungsystem Kaymer?

Jörg Vanden Bergevanden berge

SPOX ist diesen Fragen gemeinsam mit Jörg Vanden Berge auf den Grund gegangen. Vanden Berge gehört zu den renommiertesten Golf-Coaches in Deutschland. Er gilt als Analyse-Guru, der Golf sehr wissenschaftlich betreibt und in München eines der modernsten Trainingslabore Europas unterhält.

Neben Sportlergrößen wie Oliver Kahn holen sich bei ihm Tourspieler wie Emma Cabrera-Bello und ihr Bruder Rafael, Peter Hedblom sowie Richard Finch und US-Tourspielerin Beatriz Recari technischen Rat ein.

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"Wenn man sich an die Schwung-Analyse eines fremden Spielers heranwagt, sollte man dies immer mit dem nötigen Respekt und mit einem hohen Maß an Anerkennung der jahrelangen Aufbauarbeit zwischen dem Trainer und dem Spieler tun. In diesem Falle betrifft es den Spieler Martin Kaymer und seinen langjährigen Golflehrer Günter Kessler. Es ist lange kein Spieler mehr auf der Profi-Plattform in Erscheinung getreten, der so viel Fähigkeiten und Professionalität in den unterschiedlichsten Bereichen mitbringt", erklärt Vanden Berge gegenüber SPOX.

1. Setup

Jörg Vanden Berge: "Wenn man sein Setup (Bild 1) betrachtet, erkennt man, wie perfekt ausgeglichen Martin seinen Körper in Stellung bringt. Obwohl es nur auf einer Balance-Platte wirklich messbar ist, ruht das Gewicht auf beiden Füßen gleichmäßig verteilt. Damit verhindert er bei Beginn der Bewegung störende Kompensationen.

Die Standbreite signalisiert eine stabile Ausgangsposition, sodass der Schwung relativ unempfindlich auf Wind oder Bodenunebenheiten reagiert und dadurch in der Lage ist, sich kraftvoll und fließend zu bewegen. Die Arme hängen entspannt herunter, sodass sich genügend Platz zwischen den Händen und den Oberschenkeln befindet.

Die Schulterlinie ist parallel zur Stand- und Ziellinie ausgerichtet, sodass die Voraussetzung erfüllt ist, dass sich die Hände und die Schultern auf der korrekten Bahn bewegen können."

2. Ausholen

Jörg Vanden Berge: "Beim Ausholen (Bild 2) ist sehr bezeichnend zu sehen, wie sich im ersten Teil der Schlägerkopf vor den Händen vom Ball weg bewegt, sodass der Schlägerschaft relativ steil in das Ausholende hineinschwingt. Es gibt viele Spieler, die ein wenig flacher wegschwingen, aber entscheidend ist für jeden Spieler, dass ein korrektes Ausholende erreicht wird, um im Übergang zur Abwärtsbewegung so wenig wie möglich zu kompensieren.

Ein wichtiges Detail für mich dabei ist, dass sich die Hände auf oder ein wenig unterhalb der vorderen Linie einfinden. So wie es bei Kaymer schön zu sehen ist."

3. Abwärts zum Ball und Impact

Jörg Vanden Berge: "Hier entfaltet sich meiner Meinung nach die wahre Technik-Stärke von Kaymer. Seine Abwärtsbewegung der Hände 'schleppt' (Bild 3) den Schläger optimal innerhalb der Schwungtüte. So bezeichnen wir Golflehrer den Bereich, indem sich idealerweise die Hände und der Schlägerkopf bewegen müssen, um einen perfekten Eintreffwinkel zum Ball zu erzeugen. Sauberes Treffen des Balles ist die Folge.

Die Abstimmung der Arme im Bezug zur Beinarbeit und die ideale Kraftverteilung während des gesamten Schwungs sind die Garanten für seine stetige Wiederholbarkeit. Seine Kräfte kann Kaymer durch sein gutes Tempo und Timing ungebremst in den Ball entladen (Bild 4), was seine hohe Schlagweite erklärt."

4. Fazit

Jörg Vanden Berge: "Wenn wir von dem Spieler Kaymer etwas lernen wollen, dann ist es seine Ruhe und Gelassenheit, mit der er sein Spiel angeht und die Zuversicht zu seinen Fähigkeiten. Mit seiner zurückhaltenden Art ist er ein großes Vorbild für jeden ambitionierten Sportler. Wir werden noch sehr viel von ihm hören."

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