Die Entstehung des Germanators

Florian Regelmann
01. März 201110:03
Martin Kaymer hat in seiner Karriere bislang neun Turniersiege eingefahrenGetty
Werbung
Werbung

Martin Kaymer ist die neue Nummer eins der Welt. 25 Jahre nach Bernhard Langer kommt der beste Golfspieler der Welt wieder aus Deutschland. Die Übernahme der Spitzenposition ist das Ende einer Entwicklung, die sich seit Jahren abgezeichnet hat. SPOX über die Momente, die Kaymers Karriere auf dem Weg zur Nummer eins definiert haben.

21. Juni 2006: Die 59er-Fabelrunde

Eine 59 im Golf zu spielen, gehört zu jenen Freuden, die im Leben nur ganz wenigen Menschen vorbehalten sind. Ein Supermodel zu daten oder ein Hole-in-One zu schlagen ist auf jeden Fall deutlich realistischer. Kaymer gelang dieses Kunststück aber bereits ganz am Anfang seiner Karriere. Im Alter von 21 Jahren trat Kaymer bei der Habsberg Classic auf der EPD Tour an. Eine Art dritte Liga, auf der sich die Talente nach oben spielen können.

Nach einer 68 am ersten Tag war es in Runde zwei soweit. Mit einem Bogey an der 2 ging es nicht mal gut los, aber danach feuerte Kaymer zwölf Birdies und ein Eagle auf den Platz. Als der Birdie-Putt aus fünfeinhalb Metern an der 18 fiel, war die 59 perfekt.

Beeindruckend und charakteristisch für Kaymer: Er lehnte sich am nächsten Tag nicht zurück, sondern legte eine sensationelle 62 nach. Für seinen Sieg kassierte er im Übrigen 3300 Euro. In gewisser Weise ist sein Stern in dieser Woche aufgegangen. In Golfer-Kreisen war Kaymers Ausnahmetalent zumindest seit der 59 jedem bekannt. Jeder wusste: Dieser Junge hat etwas ganz Besonderes.

13. August 2006: Das nächste Level

Kaymer führte die Wertung auf der EPD-Tour an, es war Zeit für das nächste Level. Die Challenge Tour. Die 2. Liga. Viel schwierigere Plätze, viel härtere Konkurrenz - im Normalfall kommt man als Jungspund nicht dorthin und gewinnt sofort wieder. Aber dass der Normalfall für Kaymer nicht gilt, war zu diesem Zeitpunkt ja bereits klar.

Er trat bei der Vodafone Challenge zum ersten Mal auf der Challenge Tour an und holte sich auch hier gleich seinen ersten Titel. Und das auch noch bei einem echten Heimspiel. Im G&CC Elfrather Mühle gewann der gebürtige Düsseldorfer vor den Augen zahlreicher Freunde und machte den nächsten Schritt in Richtung seines Traumziels European Tour.

In den Wochen danach siegte Kaymer noch bei einem Challenge-Tour-Event in Frankreich und landete weitere vier Mal in den Top 4. Obwohl er so spät in die Challenge-Tour-Saison eingestiegen war, erspielte er sich bei seinen wenigen Turnieren blitzschnell so viel Geld, dass er in der Rangliste so weit nach oben kletterte und sich sein Ticket für die European Tour sicherte. Ein kometenhafter Aufstieg.

März/April 2007: Endlich Geld in der Kasse

Kaymer war auf der European Tour angekommen. Dort wo er immer hinwollte. Aber zu Beginn machte er eine schwere Zeit durch. Die Anpassungsprobleme waren größer als gedacht. Auf sich alleine gestellt bei Turnieren in Asien unterwegs, einsame Abende in Hotels, völlig neue Umgebung - und vor allem kein Erfolg.

Kaymer verpasste bei seinen ersten sechs Starts jedes Mal den Cut. In Indonesien gab es den negativen Höhepunkt. Kaymer verspielte eine gute Ausgangsposition, indem er seine zweite Runde mit Bogey, Bogey, Bogey, Triple-Bogey beendete und den Cut um einen Schlag verpasste. Wieder kam kein Geld in die Kasse. Es war jetzt dringend mal ein gutes Ergebnis nötig und beim Singapore Masters war es dann endlich soweit. Ein 20. Platz und etwa 10.000 Euro sorgten für etwas Befreiung - wenig später folgte mit einem dritten Rang in Portugal der Durchbruch.

"Der Durchbruch mit dem dritten Rang in Portugal war bombig. Wir sind vom Platz zum Flughafen gefahren, das weiß ich auch noch genau, und wir haben 30 Minuten kein Wort gewechselt und sind nur da gesessen. Irgendwann hat Martin gesagt, 'wir haben gerade 80.000 Euro verdient'. Das hat Sicherheit gegeben und ab dann hat es super viel Spaß gemacht", sagte Philip Kaymer im Interview mit SPOX. Dass Kaymer seinen Bruder in der schweren Zeit anrief und bat, für ihn Caddie zu machen, war ein ganz entscheidender Faktor in seiner Karriere. Nicht umsonst betont Kaymer immer wieder, dass er ohne seinen Bruder das alles nicht erreicht hätte.

20. Januar 2008: Der erste große Sieg

Nachdem er in der Saison 2007 beim Scandinavian Masters schon einmal an seinem ersten Sieg auf der European Tour geschnuppert hatte und zum Rookie of the Year gewählt worden war, war es Anfang 2008 dann soweit. Bei der Abu Dhabi Golf Championship führte Kaymer vom ersten Tag an und brachte letztlich einen souveränen Sieg nach Hause.

Vier Schläge Vorsprung hatte Kaymer im Endergebnis auf den Engländer Lee Westwood und den Schweden Henrik Stenson. Kaymer bewies - nicht zuletzt auch sich selbst - mit diesem Erfolg, dass er auf der European Tour gewinnen kann. Auch gegen große Namen.

Durch den Sieg verbesserte sich Kaymer in die Top 35 der Weltrangliste. Außerdem lag der Vergleich mit Bernhard Langer zum ersten Mal so richtig auf der Hand. Kaymer war bei seinem Sieg 23 Jahre und 24 Tage alt, 14 Tage jünger als Langer bei seinem ersten Sieg (Dunlop Masters 1980). Zwei Wochen später gewann Kaymer zwar nicht, aber sein zweiter Platz in Dubai war dennoch das nächste Statement.

Kaymers Birdie-Birdie-Eagle-Finish in der letzten Runde - sein zweiter Schlag an der 18 ist bis heute einer der besten seiner Karriere - hätte fast für den Sieg gegen Tiger Woods gereicht. Er reichte aber zumindest dafür, dass Woods diesen jungen Deutschen seitdem auf dem Radar hatte. Zum ersten Mal kam Kaymer mit Tiger direkt in Berührung, als sich dieser nach dem Turnier bei ihm vorstellte (Hi, I'm Tiger") und ein paar Worte wechselte. Drei Jahre später ist Kaymer die Nummer eins der Welt - und Woods in der Krise. Das hätten sich beide wohl kaum vorstellen können...

22. Juni 2008: Der emotionale Triumph

In vielerlei Hinsicht die schwierigste Woche in Kaymers Karriere. Die aber so unglaublich viel über seine mentale Stärke aussagt. Kaymer befand sich vor den BMW International Open in einer emotionalen Ausnahmesituation, da seine Mutter Rina schwer erkrankt war und kurze Zeit später sterben sollte.

Kaymer spielte an den ersten drei Tagen formidabel und ging in München mit einem Vorsprung von sechs Schlägen in die Finalrunde. Einen Vorsprung, den man eigentlich nicht mehr herschenken kann. Aber nachdem Kaymer am 11. Loch einen uncharakteristischen Fehler machte, lag er sogar plötzlich hinten. Es war eine riesengroße Stresssituation.

Er durfte dieses Turnier nicht verlieren. Nicht vor den heimischen Fans. Nicht in dieser Situation. Und Kaymer riss sich zusammen und besiegte im Stechen schließlich den Dänen Anders Hansen. Die emotionalen Szenen danach und Kaymers Worte an seine Mutter ("Der Sieg war für dich") werden für immer unvergessen bleiben.

Der Major-Durchbruch, der Ryder Cup und die neue Nummer eins

16. August 2009: Der Major-Durchbruch

Kaymer hatte sich längst als Topstar etabliert - auf der European Tour gewann er im Sommer 2009 bei der Open de France und den Scottish Open zwei große Turniere in Serie. Eine Woche später sollte ihm dann bei der Open Championship aber etwas die Puste ausgehen. Er fuhr die nächste ordentliche Platzierung ein, aber der richtige Durchbruch bei einem Major wollte sich noch nicht richtig einstellen.

Kaymer benötigte einige Zeit, um zu lernen, wie man bei den vier größten Golf-Turnieren der Welt spielen muss, um ganz vorne dabei zu sein. Sein sechster Platz bei der PGA Championship in Hazeltine war ein eminent wichtiges Resultat für Kaymer, weil er merkte, auch bei den Majors ganz vorne mitspielen zu können.

Und er bewies vor allem auch, dass er in den USA, wo er lange Probleme hatte, absolute Top-Ergebnisse abliefern kann. Für seinen Major-Sieg ein Jahr später war diese Woche Gold wert.

15. August 2010: Hello, Mr. Major-Champion!

So wie sich im Tennis alles über die Grand Slams definiert, definiert sich der Golf-Sport über die Majors. Bist du kein Major-Sieger, bist du auch kein ganz Großer. So einfach ist das. Phil Mickelson musste beispielsweise geradezu ewig warten, bis er den Makel des Major-losen Stars ablegen konnte - manch anderer wartet immer noch auf seinen großen Tag. Grüße an Lee Westwood...

Für Kaymer kam der große Tag in Whistling Straits. Sein Playoff-Sieg gegen Bubba Watson machte aus einem Star einen Superstar. Und die Art und Weise war einer zukünftigen Nummer eins würdig. Kaymers gelochter Par-Putt an der 18, der ihn erst in das Stechen brachte, bleibt bis heute sein bester Schlag der Karriere.

In dieser Situation diesen Putt zu lochen - das war der Moment, der Kaymers Karriere noch mal auf eine andere Ebene brachte. Extrem wichtig für Kaymer war in der Folge auch, dass er bei seinen nächsten beiden Starts gleich wieder Turniersiege feierte und seinen Status als neuer deutscher Sport-Superstar zementierte.

Oktober 2010: Der erste Ryder Cup

Neben den vier Major-Turnieren gibt es nur einen Wettbewerb, für den jeder Golfer lebt. Den Ryder Cup. Kaymers Ziel war es immer, im europäischen Team dabei zu sein. 2008 hatte er die Qualifikation noch ganz knapp verpasst, was sich im Nachhinein aber auch als gute Fügung entpuppte.

Denn so bekam Kaymer die Chance, als Gast beim Ryder Cup 2008 dabei zu sein. Er erlebte das Spektakel aus nächster Entfernung, musste aber noch nicht selbst eingreifen. So war Kaymer 2010 optimal auf sein Debüt vorbereitet.

An der Seite von Westwood (und Ian Poulter) holte Kaymer einige Punkte, aber er ist der Erste, der zugibt, dass er in der Woche nicht sein bestes Golf abrufen konnte. Es interessierte aber auch nicht. Was zählte, war einzig und allein der europäische Sieg. Und dass Kaymer ein Teil dieses Teams war. Ohne Zweifel war die Ryder-Cup-Woche ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zur Nummer eins.

28. Februar 2011: Kaymer ist die neue Nummer eins

Die Weltrangliste war so eng zusammen gerückt, dass es schon seit einiger Zeit immer wieder Szenarien gab, wie Kaymer die neue Nummer eins werden würde. Nun ist es Wirklichkeit geworden. Eine Reise, die in Velburg-Unterwiesenacker mit der 59 begann, fand in Arizona ihren vorläufigen Höhepunkt. Aus einem Talent ist der Germanator geworden, wie sie Kaymer in den USA jetzt nennen. Und man wird keinen Kollegen auf der Tour, keinen Journalisten auf der ganzen Welt, oder TV-Experten finden, der nicht der Meinung ist, dass Kaymer die Nummer-eins-Position verdient hat.

Blog: Die Match Play Championship in der Zusammenfassung

Nicht nur, weil es über sein Golfspiel keine zwei Meinungen gibt. Dass Kaymers Spielweise mit seiner laserähnlichen Präzision ein bisschen an Langer erinnert, ist genauso bekannt wie seine phänomenalen Frontrunner-Fähigkeiten. Liegt Kaymer bei einem Turnier mal vorne, gewinnt er es so gut wie immer auch. In dieser Hinsicht, und nur in dieser Hinsicht, erinnert er sogar tatsächlich an Tiger zu dessen besten Zeiten.

Das ist alles aber nur eine Seite der Medaille. Entscheidend für seinen Erfolg ist sein Kopf. Wir lassen noch einmal Bruder Philip erzählen: "Es war beim Länderpokal. Martin war 16 oder 17 Jahre alt und es ging ins Stechen gegen Berlin/Brandenburg. Nach drei oder vier Löchern des Stechens ist er zum Trainer gegangen und hat ihn gefragt, gegen wen sie gerade eigentlich spielen würden. Er hat das nicht gewusst. Er hat nur gewusst, dass er so gut als möglich Golf spielen soll und darauf hat er sich konzentriert. Alles andere war ihm egal. Er kann Sachen sehr gut ausblenden. Wenn er einen Putt hat, dann denkt er nicht daran, ob der jetzt 10.000 Euro, 50.000 Euro oder eine halbe Million wert ist. Er sagt sich, ich bin hier, um den Putt reinzumachen und den mache ich jetzt rein."

Ein Superstar ohne Star-Allüren

Eine Anekdote, die Kaymers mentale Stärke und Ausgeglichenheit sehr gut beschreibt. Es gibt wohl kaum einen Superstar vergleichbaren Ranges, der so auf dem Boden geblieben ist. Das Wort Star-Allüren ist von Kaymer so weit weg wie die Erde vom Mond.

Es hört sich kitschig an, aber Kaymer liebt seinen Job nicht, weil er die Nummer eins der Welt ist. Es ist etwas ganz Besonderes für ihn, sicherlich, aber seine eigentliche Freude am Golf bezieht er aus anderen Situationen. Wenn er früh morgens auf der Range steht zum Beispiel. Ganz alleine. An der frischen Luft.

Deshalb ist es auch keine Floskel, wenn Kaymer sagt, dass der Nummer-eins-Status nichts verändern wird. Nicht wie er trainiert. Nicht wie er lebt. "Wenn die Weltrangliste sagt, dass ich die Nummer eins bin, dann bin ich wohl der beste Spieler der Welt", sagte Kaymer am Wochenende.

Es ist unmöglich zu sagen, wie lange er die Nummer eins bleiben wird. Dafür geht es an der Spitze viel zu eng zu. Fest steht nur, dass Kaymers Golfer-Glück nicht davon abhängt, ob er die Nummer eins oder vier ist. Sein nächstes Ziel hat einen anderen Namen: Augusta. Im April findet das erste Major des Jahres statt. Beim Masters hat Kaymer noch nie gut abgeschnitten. Es wurmt ihn. Sein ganzer Fokus liegt deshalb darauf, in Augusta um den Sieg spielen zu können. Und, das ist noch so eine typische Kaymer-Art, wenn er etwas unbedingt will, dann macht er das auch.

Der Stand in der Golf-Weltrangliste