Philipp Eng im Interview: "Im Simulator muss ich im schlimmsten Fall nur Escape drücken"

Andreas Reiner
30. April 202016:34
Während der Coronakrise verbringt Philipp Eng viele Stunden im Simulator.imago images
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Philipp Eng begann seine Motorsportkarriere 2003 im Kartsport. Über die Stationen Formel BMW, Formel 3 und Formel 2 gelang dem Österreicher 2018 der Sprung in die DTM, wo er für BMW fährt. Seit einigen Jahren ist der 30-Jährige auch im Rennsimulator aktiv.

Im Interview spricht Eng über die Unterschiede zwischen Sim-Racing und der Realität sowie sein Aus als Juniorfahrer bei Red Bull.

Außerdem erzählt er von seinem größten Rivalen und dem Kampf, den sich viele Rennsport-Talente untereinander liefern.

Herr Eng, muss man Sie mit Gewalt aus dem Simulator ziehen, wenn die richtige Saison wieder losgeht?

Philipp Eng: Ja, wahrscheinlich. (lacht) Ich habe vorher auch schon viel Zeit in meinem Simulator verbracht. Aber wenn man es so professionell macht wie ich im Moment, dann muss man jeden Tag mehrere Stunden trainieren. Drei bis vier Stunden sind es bei mir durch die Coronakrise. Das ist zeitaufwändig, aber anders geht es nicht, um sich zu verbessern.

Warum muss man als professioneller Rennfahrer so viel trainieren? Müssten die Formel-1- oder DTM-Stars nicht mindestens auf Augenhöhe mit den Sim-Racern sein?

Eng: Es gibt keine Beschränkungen, man kann zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Simulator steigen und loslegen. Im echten Racing geht das nicht. Es gibt also mehr Trainingszeit - und die hilft. Wenn du da nicht mitmachst - und da ist es egal, ob du ein professioneller Rennfahrer bist - dann bist du nicht so schnell wie diejenigen, die viel trainieren. Hinzu kommt: Die Sim-Racer haben eine Menge Talent.

Philipp Eng: "Auf Sim-Profis fehlen mir 1,5 bis zwei Sekunden"

Wie viel Rückstand haben Sie als Rennfahrer auf die besten Sim-Profis?

Eng: Ich hatte zwei der besten Sim-Racer zuletzt beim 24-Stunden-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife als Teamkollegen, Laurin Heinrich und Alexander Voß. Im Rennen fehlen mir da 1,5 bis zwei Sekunden pro Runde. Auf einer Acht-Minuten-Runde ist das nicht allzu viel, aber die sind nicht nur schneller, sondern vor allem konstanter. Weil sie es ewig machen, weil sie talentiert sind und weil sie sehr schlau sind, was Setup und Strategie betrifft.

Wie viele Stunden müssten Sie investieren, um den Rückstand aufzuholen?

Eng: Es ist mental sehr anstrengend und irgendwann werden bei mir die Augen müde, weil ich es nicht wo gewohnt bin. Man muss das auf längere Sicht sehen. Sechs, sieben Stunden pro Tag sind im Endeffekt nicht zielführend.

Was können Sie von den Sim-Profis lernen?

Eng: Ich habe viele Gedankenansätze mitgenommen, weil sie viele Sachen aus einer anderen Perspektive sehen. Bei der Rennstrategie, wie man Sprit spart, wie man einlenkt, über die Kerbs fährt, wie man sich die Reifen einteilt. Durch den Austausch lernt man immer etwas dazu, sowohl für das Sim-Racing, als auch für das echte Racing.

In welchen Bereichen kann Ihnen Sim-Racing im echten Racing noch helfen?

Eng: Dass die Sinne scharf bleiben, die Augen-Hand-Koordination, denn ich mache damit genau das gleiche wie im echten Auto. Auch mein Instinkt bleibt geschärft. Auch im Simulator hast du nur Sekundenbruchteile Zeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen, vor allem in Zweikämpfen. Von denen hatte ich bereits einige harte.

Mit dem Argentinier Agustin Canapino zum Beispiel...

Eng: Ja, wir hatten das eine oder andere Intermezzo. Mal hat der eine ausgeteilt, dann der andere wieder eingesteckt. Das Racing war sehr hart, aber fair, eine gute Show. Auch wenn es mir lieber gewesen wäre, wenn er weniger Druck gemacht hätte.

Fans von ihm sehen das nicht ganz so. Da gab es Drohungen, dass Sie sich in Buenos Aires besser nicht blicken lassen...

Eng: (lacht) Er hat eine riesige Community. Da stehe ich aber drüber. Ich kann trotzdem unbesorgt meinen Argentinien-Urlaub buchen. Vielleicht treffe ich mich mit ihm dann auf ein Rumpsteak.

Wie trägt man im Sim-Racing solche persönlichen Differenzen unter Fahrern aus?

Eng: Es war mein Glück, dass uns 5000 Kilometer getrennt haben. Im Ernst: Ich musste da nichts ausräumen, solange es hart, aber fair zur Sache geht.

Was haben Sie als Rennprofi den Sim-Stars voraus?

Eng: Gar nicht viel. Im Zweikampf vielleicht, weil unser Instinkt etwas mehr geschärft ist. Die stehen uns aber in nichts nach. Wir können im Sim-Racing deutlich mehr von ihnen lernen als sie von uns. Es ist Racing, aber es ist trotzdem eine eigene Disziplin des Motorsports.

Das bedeutet jetzt aber nicht, dass sich die Jungs auch in ein echtes Rennauto setzen und mithalten könnten?

Eng: Wenn ich im echten BMW M6 GT3 auf der Nordschleife fahre, bin ich im Highspeed-Bereich schon noch vorsichtig und taste mich heran. Wenn du da einen Fehler machst, fliegst du ab, tust dem Auto ganz sicher weh und dir selbst womöglich auch. Im Simulator fahre ich Vollgas durch, denn ich weiß, dass ich im schlimmsten Fall nur Escape drücken muss. Die Komponenten Respekt und Demut, kombiniert mit dem Fakt, dass man im Simulator natürlich mehr Risiko eingehen kann, machen den Unterschied. Ich bin mir aber sicher, dass die Sim-Profis im echten Rennauto nicht langsam wären.

Philipp Eng: "Mein Anspruch ist es, immer vorne zu sein"

Wie groß ist der virtuelle Blamage-Faktor für Profis wie Sie?

Eng: Keine Frage: Sim-Racing ist sehr zeitintensiv. Man sollte sich für jede Plattform, die es dabei gibt, sehr gut vorbereiten, sonst kann der Schuss nach hinten losgehen. Mein Anspruch ist es, immer vorne zu sein. Ob bei Uno, Monopoly, Sim-Racing oder im echten Rennauto. Deswegen mache ich mir darüber gar keine Gedanken, sondern bereite mich so gut es geht vor.

Seit wann sind Sie in der virtuellen Welt unterwegs?

Eng: Ich habe 2006 angefangen. Mein erster Simulator war mein Schreibtisch in meinem Kinderzimmer. Die Schulhefte wurden auf die Seite geräumt, das Lenkrad am Schreibtisch befestigt, die Pedale unten am Boden und ich habe in meinem Computersessel die Runden gedreht. Auf dem aktuellen Niveau mache ich das seit zwei, drei Jahren.

Was kostet so ein Simulator für das heimische Wohnzimmer?

Eng: The sky is the limit, das gilt auch für Simulatoren. Für einen Simulator, mit dem du alle Sim-Racing-Plattformen gut bedienen kannst, musst du rund 6000 Euro investieren. Dann hast du einen guten PC, ein gutes Lenkrad, einen guten Lenkrad-Motor, eine gute Pedalbox, einen stabilen Sitz und ein stabiles Gestell. Bei den Pedalen gibt es zum Beispiel große Unterschiede. Zum Beispiel ein hydraulisches System, bei dem du die gleiche Kraft wie im echten Auto aufwenden musst. Als Alternative gibt es auch eine sogenannte Loadcell, die den Bremsdruck darüber berechnet, wie stark du ins Pedal trittst. Die günstigste Alternative ist wiederum ein Potentiometer.

Kann man mit einem teureren Simulator Nachteile wettmachen?

Eng: Nein, auf keinen Fall. Wenn du einen Simulator für 5000 Euro hast, fährst du genauso schnell wie jemand, der doppelt so viel Geld ausgegeben hat. Mehr Geld für einen besseren Lenkrad-Motor oder eine bessere Pedalbox bedienen eher den eigenen Wohlfühl-Faktor, als dass mehr Geld pure Rundenzeit bringt. Im echten Racing hast du dein Auto, deinen Ingenieur, deine Mechaniker und Reifen. Aus dem Paket musst du das Beste herausholen. Im Sim-Racing ist es ähnlich: Hier sind Lenkrad, Pedale und Gestell dein Paket.

Sie haben am vergangenen Wochenende das 24-Stunden-Rennen gewonnen. Ist das Sim-Racing in der Grünen Hölle genauso anstrengend wie in Wirklichkeit?

Eng: Mental zu 100 Prozent. Ich bin selbst nicht so selbstbewusst wie in einem echten Rennauto. Ich weiß, wie ich im DTM-Auto die letzten zwei Zehntelsekunden herausholen kann, im Sim-Racing fehlt mir das noch. Dieses Selbstverständnis, das virtuelle Auto stets am Limit bewegen zu können, habe ich noch nicht.

Welche Parallelen gibt es zur Realität?

Eng: Ich erlebe die gleichen Emotionen wie beim echten Racing. Es fühlt sich an, als gehe es um alles. Und das Gefühl, das 24-Stunden-Rennen gewonnen zu haben, war unglaublich. Der Sieg war eine unglaubliche Leistung. Und die Anzahl der Glückwünsche steht der Realität auch in nichts nach.

Was fehlt Ihnen im Vergleich zum echten Racing?

Eng: Aktuell in der Coronakrise vor allem, an der Rennstrecke zu sein. Was auch fehlt, ist der direkte Kontakt: Dass man sich in die Arme fällt, sich zusammen physisch freuen, auf dem Podium stehen kann. Und: Der Geschwindigkeitsrausch, der Adrenalin-Kick, das ist durch nichts zu ersetzen.

Das Sim-Racing hat Ihnen zuletzt allerdings ein "Comeback" bei Red Bull Racing und ihr "Formel-1-Debüt" beschert. Wie kam es dazu?

Eng: Ich war 2006 und 2007 im Red-Bull-Juniorteam, bevor ich aussortiert wurde. Doch der Kontakt ist nie ganz abgerissen. Es war eine tolle Geschichte, beim ersten virtuellen Formel-1-Rennen am Start zu stehen, dann noch auf Pole zu fahren und Dritter zu werden.

War ein bisschen Genugtuung dabei nach ihrem Aus bei Red Bull?

Eng: Nein. Red Bull und auch BMW haben mir damals eine Karriere gegeben. Ohne die Unterstützung damals wäre ich kein Rennauto gefahren und heute nicht dort, wo ich bin. Meine Eltern sind ganz normale Menschen, die keine unendlichen Ressourcen zur Verfügung hatten.

Dr. Helmut Marko gilt als nicht zimperlich, wenn es ums Aussortieren geht. Wie lief das bei Ihnen ab?

Eng: War er auch bei mir nicht, aber warum sollte er auch? Er investiert eine Menge Geld, meine Saison in der Formel BMW dürfte 250.000 Euro gekostet haben. Er sucht den nächsten Formel-1-Superstar, darum geht es. Wenn einer das nicht erfüllt, warum sollte er ihn dann noch weiter unterstützen?

Eng war bis 2006 als Juniorfahrer für Red Bull aktiv.imago images

Philipp Eng: "Das hat mich sehr weit zurückgeworfen"

Wie hart war das Aus mit 16 Jahren?

Eng: Natürlich war ich enttäuscht und habe es nicht verstanden, aber ich war damals einfach nicht gut genug. Das hat mich sehr weit zurückgeworfen, das war eine schwierige Phase. Ich hatte aber das Glück, dass ich immer wieder die richtigen Leute getroffen habe. Damals war es Peter Mücke, dank dem es dann weiterging.

Wie sah Ihre Welt als Nachwuchsfahrer ohne großes Budget aus?

Eng: 1998 habe ich mit Kartrennen angefangen. Mein Vater hat sich damals die Zeit stehlen müssen. Wir hatten einen Anhänger, der zu kurz für zwei Karts war, eines schaute vorne, das andere hinten heraus. Dazu hatten wir ein Zelt dabei, das Garage, Catering-Bereich und Hotel in einem war. Als ich zwölf Jahre alt war, haben mich meine Eltern ins Gebet genommen und gefragt: "Ist es das, was du machen willst?" Für mich war klar, dass ich nichts anderes machen will. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, aber nie unter Druck gesetzt. Das war ein entscheidender Faktor dafür, dass ich es geschafft habe.

Gibt es eine Episode, die Sie besonders in Erinnerung haben?

Eng: Bei den Italian Open 2003 bin ich gegen Stars wie Sebastien Buemi, Marco Wittmann oder Jules Bianchi gefahren. Damals stand ich nach den Vorläufen erstmals sehr weit vorne und wollte meine Reifen aufwärmen. In der Einführungsrunde habe ich mich dann aber gedreht und bin weit zurückgefallen. Das ist mir danach nie wieder passiert.

Wie hart geht es im Kampf um die Karriere unter den Talenten zu?

Eng: Klar: Am Ende setzen sich die durch, die das meiste für den Erfolg tun. Da werden die Ellenbogen ausgefahren. Ich war dabei aber nie unfair, habe nie betrogen oder jemanden über den Tisch gezogen. Ich habe alles getan, was im Rahmen des Legalen und des moralisch Vertretbaren war.

Für Eng war Marco Wittmann sein härtester Konkurrent.imago images

Philipp Eng: Dieser Fahrer war mein größter Rivale

Im Nachwuchs trifft man über die Jahre oft die gleichen Fahrer. Wer war Ihr größter Rivale?

Eng: Marco Wittmann kenne ich sehr lange. Wir sind uns immer wieder über den Weg gelaufen, jetzt sind wir Markenkollegen bei BMW in der DTM. Es ist eine Rivalität, aber eine gesunde.

Die Sie im Moment wegen der Coronakrise nicht ausleben können. Wenn es weitergeht: Können sie sich Geisterrennen ohne Fans in der DTM vorstellen?

Eng: Es wäre sehr schade, denn die Fannähe ist das, was die DTM unter anderem auszeichnet. Wichtig ist aber, dass es irgendwie weitergeht. Dass die Formel 1 sagt, dass es Anfang Juli in Spielberg weitergeht, ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe, dass das auch in der DTM bald der Fall sein kann.

Am Samstag steht wieder die Digitale Nürburgring Langstrecken-Serie powered by VCO auf dem Programm. Dort reichte es noch nicht zum ganz großen Wurf. Was wird der Schlüssel zum Sieg sein?

Eng: Ich muss ein bisschen mehr trainieren, wir müssen die Strategie noch etwas besser umsetzen. Dann sollte einem Sieg nichts im Wege stehen.

Kann die Coronakrise für einen nachhaltigen Boom beim Sim-Racing sorgen?

Eng: Ich würde es dem Sim-Racing sehr wünschen. Es bringt dich näher mit den Fans zusammen. Ich hoffe, dass es so weitergeht, wie es sich jetzt entwickelt hat.

Kann man in Zukunft beide Bereiche, echtes und virtuelles Racing, verbinden?

Eng: Das Problem ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Man muss sehen, ob und wie es sich verbinden lässt. Aber momentan macht fast jeder Rennfahrer Sim-Racing. Ich hoffe, dass dann etwas hängenbleibt.