Die Boston Celtics haben den No.1-Pick an die Philadelphia 76ers abgegeben - der Startschuss für eine spannende Offseason? Was bedeutet der Deal für die Celtics, die Sixers und Markelle Fultz? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist passiert?
Offiziell noch gar nichts, inoffiziell haben sich die Sixers und Celtics jedoch bereits auf einen Trade geeinigt, der voraussichtlich am Montag verkündet werden wird. In diesem Deal haben sich die Sixers den No.1-Pick im Draft in der Nacht auf Freitag, den 23. Juni gesichert, mit dem höchstwahrscheinlich Markelle Fultz gezogen wird.
Was genau Philly dafür an die Celtics schicken muss, ist noch nicht zu 100 Prozent sicher. In jedem Fall geben sie den diesjährigen No.3-Pick ab, dazu wird aber noch ein weiterer Erstrundenpick (entweder 2018 oder 2019) seinen Weg nach Boston finden.
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Welcher es wird, hängt von den Los Angeles Lakers beziehungsweise der Draft Lottery 2018 ab. Dank eines früheren Trades besitzen die Sixers den 2018er Pick aus L.A. Fällt der in den Bereich zwischen 2 und 5, geht er nach Boston - andernfalls erhalten die Celtics den 2019er Erstrundenpick der Kings, für den es anscheinend keine Protection irgendeiner Art gibt.
Warum 2 bis 5? Die Sixers wollten offensichtlich ihre Chance auf den No.1-Pick und damit auf eines der Supertalente Luka Doncic oder Michael Porter wahren, die Celtics wiederum wollten keinen "schlechteren" Pick als einen innerhalb der Top 5.
Boston geht damit das Risiko ein, dass die Kings bis dahin womöglich wieder ein Playoff-Team sind und der Pick damit deutlich an Wert verliert. Dort waren sie allerdings seit 2006 nicht mehr, weshalb Celtics-Präsident Danny Ainge dieses Risiko wohl in Kauf nehmen konnte.
Die Top 4 im Draft wäre damit exakt dieselbe wie im letzten Jahr: Philly pickt an 1, die Lakers an 2, danach Boston und Phoenix.
Was bedeutet der Trade für die Sixers?
Philly bekommt den einen Spieler in einem tiefen Draft, der kaum Fragezeichen mitbringt und der vom Spielertyp her besser als jeder andere zu ihrem jungen Kern passt. Seit Jahren hat bei ihnen kein kompetenter Point Guard mehr das Zepter geschwungen, zuletzt war ihr bester Playmaker T.J. McConnell, der wohl selbst zugeben würde, dass er eher ein Backup denn eine Langzeitlösung als Starter ist.
Ben Simmons wird wahrscheinlich Point Forward spielen, aber das ist das Gute an Fultz: Er kann auch abseits des Balles funktionieren, ist ein guter Shooter (41 Prozent 3FG) und ein dynamischer Spieler, der vorbereiten, aber auch auf alle möglichen Arten selbst scoren kann. Dank seiner Athletik und Länge ist er darüber hinaus in der Lage, sowohl Point Guards als auch Shooting Guards effektiv zu verteidigen.
Kurzum: Erfüllt er sein Potenzial, ist Fultz gewissermaßen der perfekte Point Guard für die moderne NBA. Gemeinsam mit Simmons, Joel Embiid, Dario Saric und Robert Covington könnte er die Formation bilden, die den "Process" in Philadelphia endlich beendet und das Team wieder zu einem seriösen Playoff-Anwärter macht, in ein paar Jahren vielleicht sogar mehr als das.
Bevor man allerdings von einer neuen Big Three in Philly spricht, sei noch erwähnt, dass Embiid, Simmons und Fultz bisher zusammen 31 NBA-Spiele auf dem Buckel haben. Fultz hatte während seiner einzigen College-Saison kurzzeitig mit Knieproblemen zu kämpfen, er gilt aber nicht als besonders verletzungsanfällig.
Wie gut die Sixers in den kommenden Jahren aber tatsächlich sein werden, hängt natürlich weiterhin sehr davon ab, wie fit Embiid und Simmons bleiben. Fultz dürfte sie aber auf jeden Fall voranbringen - und auch wenn sie jetzt mal welche abgeben mussten, haben sie in den nächsten Jahren immer noch jede Menge Draft-Picks übrig.
Wenn Bryan Colangelo ein Ehrenmann ist, dürfte er seinen Vorgänger Sam Hinkie anrufen und ihm danken, sobald der Deal durch ist. Ohne die einseitigen Trades des Process-Architekten hätte Philly weder die Assets für diesen Deal noch das Potenzial gehabt, mit ihrem jungen Kern schon bald zum Hipster-Team der NBA zu werden.
Was bedeutet der Trade für die Celtics?
Der riesige Haufen Draft-Picks ist noch ein bisschen riesiger geworden. Einer Übersicht von ESPN-Reporter Chris Forsberg zufolge könnten die Celtics in den kommenden drei Drafts sieben(!) Erstrundenpicks haben, darunter mehrere potenzielle Lottery-Picks (aus Brooklyn, L.A. und Sacramento). Dazu sei aber gesagt: Für so viele Picks hat Boston überhaupt keinen Platz im Kader.
Nicht nur deshalb wird in Liga-Kreisen laut Sporting News längst darüber spekuliert, dass Boston noch vor dem Draft weitere Trades einfädeln wird. Und zwar für Stars: Die Gespräche um Jimmy Butler und Paul George dürften schnell wieder aufkommen. Auch für die Free Agency hat der niedrigere Pick direkte Auswirkungen.
Behält Boston den No.3-Pick und holt (wahrscheinlich) Josh Jackson, verdient dieser rund 1,4 Millionen Dollar weniger als Fultz. Das mag für NBA-Verhältnisse wie Peanuts wirken, bei Boston kann es aber den Unterschied zwischen Platz oder kein Platz für einen weiteren Max-Contract ausmachen. Bekanntlich steht Gordon Hayward dabei ganz oben auf der Celtics-Wunschliste, aber auch Blake Griffin gilt als potenzielles Ziel.
Ohne Zweifel: Ainge ist ein Risiko eingegangen. Gute Assets hatten sie in den letzten Jahren auch schon, bisher konnten die Celtics damit aber keinen Deal für einen Star einfädeln. Gut möglich ist zudem, dass Fultz ein solcher wird und man sich in ein paar Jähren ärgert, diesen Spieler verpasst zu haben.
Zumal er ja auch eine Absicherung gewesen wäre, falls Isaiah Thomas nächsten Sommer wider Erwarten gehen sollte. Jetzt "müssen" die Celtics ihren kleinen All-Star wahrscheinlich halten, selbst wenn es über 200 Millionen Dollar kosten könnte. Auch eine Vertragsverlängerung von Avery Bradley ist wohl wieder wahrscheinlicher geworden.
Ob sich das Risiko gelohnt hat oder ein Fehler war, wird man allerdings jetzt noch nicht beantworten können. Ainge wird versuchen, diesen Trade als Beginn einer Kette zu betrachten, an deren Ende womöglich ein Team steht, das die Cavs im Osten ernsthaft gefährden kann. Man darf wirklich gespannt sein, wie der Celtics-Kader in einigen Wochen tatsächlich aussieht.
Was bedeutet der Trade für Markelle Fultz?
Man könnte es einerseits als bitter betrachten: Statt in der kommenden Saison um die Conference Finals mitzuspielen, landet Fultz bei einem Lottery-Dauergast, dessen bester Spieler eine dickere Krankenakte hat als Samuel L. Jackson in "Unbreakable". Das wäre die Glas-halbleer-Sichtweise. Aber es gibt auf der anderen Seite auch jede Menge Vorteile.
In Boston hätte er sich seine Minuten hart erarbeiten müssen - die Celtics haben mit Thomas, Bradley, Marcus Smart und Terry Rozier bereits einen guten Backcourt und eher wenig Zeit für Rookie-Probleme, sie wollen schließlich LeBron James herausfordern. Jaylen Brown, der letztjährige No.3-Pick, brauchte beispielsweise eine ganze Weile, um sich fest in der Rotation zu etablieren, und das vor allem wegen seiner Defensivstärke.
Um seinen Platz in der Rotation wird sich Fultz in Philly keine Gedanken machen müssen. Er dürfte von Anfang an starten und seine Möglichkeiten bekommen, Sixers-Coach Brett Brown ist zudem ein guter (und mittlerweile erfahrener) Talententwickler.
Simmons und Embiid sind 20 beziehungsweise 23 Jahre alt und damit besteht die Möglichkeit, dass die drei sich gemeinsam zum Star-Trio entwickeln, Simmons und Fultz könnten nächste Saison sogar den Rookie of the Year-Award unter sich ausmachen.
Spielerisch scheint es auch zu passen: Fultz als dynamischer Scorer und Playmaker im Pick'n'Roll, Simmons als erster oder zweiter Ballhandler mit Länge, Athletik und Passing und Embiid als vielseitiger Scorer und Rim-Protector. Dazu noch die ebenfalls jungen Dario Saric und Robert Covington - da könnte etwas heranwachsen.
Vieles davon ist natürlich Zukunftsvision, aber Fultz sollte in Philadelphia individuell deutlich mehr Möglichkeiten erhalten, seine Skills von Anfang an zu präsentieren. Ob es auch in Philly eines Tages die Möglichkeit gibt, um die Finals mitzuspielen, wissen wir aber frühestens in ein paar Jahren.
Was bedeutet der Trade für den Rest der NBA?
In den nächsten Tagen dürften in Chicago, Indianapolis und vielleicht noch ein paar anderen Städten einige Telefone klingeln. "Danny Ainge hier, lass uns reden!" Die Celtics waren aufgrund ihrer Wagenladung Assets und Draft-Picks schon in den letzten Jahren das wahrscheinlichste Ziel in einem Superstar-Trade und das hat sich durch diesen Deal noch einmal verstärkt.
Unabhängig davon bedeutet der Deal aber auch folgendes: Nach dem No.1-Pick weiß Stand jetzt fast niemand, was am Draft-Abend passieren wird. Nehmen wir den Fall Lonzo Ball: Lange war angenommen worden, dass er von den Lakers gepickt wird, zuletzt sickerten aber Zweifel durch, wobei er am Samstag ein weiteres Workout bei der Franchise absolvierte.
Man nehme nun an, die Lakers nehmen stattdessen Jackson, der ja als Wunschspieler der Celtics gilt. Boston wird dann kaum Ball wählen - hätten sie einen Point Guard gewollt, hätten sie ja Fultz genommen. Landet Ball dann bei den Suns an 4 - oder fällt er noch tiefer? Und wen nimmt dann Boston? Jayson Tatum? Oder vielleicht sogar Jonathan Isaac?
Die Draft-Reihenfolge könnte noch einmal ordentlich durchgeschüttelt werden. Auch weitere Trades sind möglich: Die New York (8) und Dallas Mavericks (9) etwa scheinen beide verliebt in Frank Ntilikina zu sein, vielleicht fädelt noch eins der beiden Teams einen Deal ein, um den Franzosen garantiert zu kriegen?
Es dürften in jedem Fall ein paar spannende Tage werden, bis zum Draft und darüber hinaus - böse Zungen könnten meinen, dass die Offseason schon nach diesem einen Move dramatischer war als die 2017er Playoffs.