NBA - 5 Fragen zum Playoff-Aus der Toronto Raptors: Zaubert Ujiri den nächsten Blockbuster aus dem Hut?

Philipp Jakob
25. Mai 202212:30
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Statt Übergangssaison haben es die Raptors überraschend in die Playoffs geschafft. Der Kern scheint zu stehen, ein neuer, zukünftiger Star ist ebenfalls an Bord. Doch reicht das für einen Angriff auf den Titel? Oder zaubert Masai Ujiri doch noch einen Blockbuster-Trade aus dem Hut?

1. Raptors: Warum hat es nicht zum Playoff-Upset gereicht?

Das ganz große Drama in Form von spektakulären Upsets blieb in der ersten Playoff-Runde letztlich aus. In der Theorie mangelte es zwar nicht an Kandidaten für eine Überraschung, doch in der Praxis waren beispielweise die Nets gegen Boston chancenlos oder für die Toronto Raptors - ebenfalls ein beliebter Upset-Pick - waren die Sixers eine Nummer zu groß.

Vor dem Start der Postseason trauten immerhin sechs von 22 ESPN-Experten den Kanadiern zu, den Favoriten aus der Stadt der brüderlichen Liebe in den Urlaub zu schicken. Der Rest erwartete eine zumindest enge Serie, wie auch wir. Das lag nicht ausschließlich an der scheinbaren Schwäche der Sixers, sondern eben auch an Toronto, das sich nach einem durchwachsenen Saisonstart bis auf Platz fünf im Osten vorgekämpft hatte.

Viele athletische Verteidiger verwandelten die Raptors in eine für jeden gegnerischen Star-Spieler lästige Top-10-Defense in der regulären Saison - nur fehlte eine Antwort auf Joel Embiid. Gemeinsam mit dem anfangs brandheißen Tyrese Maxey führte der MVP-Kandidat die Sixers zu einer 3-0-Serienführung. Zwar brachte Toronto die Doc Rivers' und James Hardens dieser Welt nochmal ins fast schon übliche Playoff-Zittern, doch letztlich machten die Sixers in Spiel 6 den Deckel auf die Saison der Kanadier.

Neben Embiid machte das eigene Shooting Probleme, zudem bekamen die Raptors ihre gefürchtete Transition-Offense nicht ins Laufen. Sie mussten in jeweils zwei Spielen allerdings auch auf zwei wichtige Starter verzichten, die sich zudem teilweise angeschlagen durch die Serie schleppten. Fred VanVleet verletzte sich in Spiel 4 an der Hüfte und konnte nicht mehr ins Geschehen eingreifen. Scottie Barnes knickte bereits in Spiel 1 mit seinem Knöchel um und musste zwei Partien pausieren, bevor er zurückkehrte.

In Anbetracht dieser Umstände und vor allem der Erwartungen zu Saisonbeginn darf die Saison der Raptors dennoch als Erfolg gewertet werden. Die Erwartungen wurden nämlich bei weitem übertroffen. Nach dem Abgang von Franchise-Legende Kyle Lowry wurde ein Übergangsjahr befürchtet, FiveThirtyEight prognostizierte vor Saisonstart eine 41-41-Bilanz. Toronto holte 48 Siege, beobachtete mit Begeisterung den All-Star-Sprung von VanVleet oder die (potenzielle) All-NBA-Rückkehr von Pascal Siakam und freute sich über die Ankunft eines neuen Hoffnungsträgers.

NBA Playoffs: Raptors vs. Sixers - Die Serie im Überblick

SpielDatumHeimAuswärtsErgebnis
117. AprilPhiladelphia 76ersToronto Raptors131:111
219. AprilPhiladelphia 76ersToronto Raptors112:97
321. AprilToronto RaptorsPhiladelphia 76ers101:104 OT
423. AprilToronto RaptorsPhiladelphia 76ers110:102
525. AprilPhiladelphia 76ersToronto Raptors88:103
629. AprilToronto RaptorsPhiladelphia 76ers97:132

2. Raptors: Kann Barnes zum Franchise Player heranwachsen?

Im Draft 2021 sorgten die Raptors zumindest für eine kleine Überraschung, als sie mit ihrem vierten Pick Jalen Suggs links liegen ließen und stattdessen Scottie Barnes die Dino-Cappie in die Hand drückten. Gut zehn Monate später gibt es wohl niemanden mehr außerhalb der Suggs-Familie, der diese Entscheidung anzweifelt.

Der 20 Jahre alte gebürtige Floridianer lieferte eine bärenstarke Debüt-Saison ab, die ihm den Award als bester Rookie der Liga einbrachte - in einem denkbar knappen Rennen mit hauchdünnem Vorsprung vor Cavs-Big Evan Mobley. Barnes hat bewiesen: Er gehört zur Creme de la Creme einer überaus vielversprechenden Rookie-Klasse.

Im Schnitt leistete er mit 15,3 Punkten (55,2 Prozent True Shooting), 7,5 Rebounds und 3,5 Assists bereits einen mehr als ordentlichen Beitrag für ein Playoff-Team, doch Barnes' Wert für die Raptors geht noch weit über diese Zahlen hinaus. Er ist ein Schweizer Taschenmesser, das in vielen unterschiedlichen Rollen glänzte.

Zum Beispiel in der Defense. Mit seinen athletischen 2,06 Metern Körpergröße und einer Spannweite von knapp 2,20 Meter passt er perfekt in das Lieblingsschema von Head Coach Nick Nurse, der sein neues Werkzeug vielseitig einsetzte. Gefühlt verteidigte Barnes von der Eins bis zur Fünf alles, ESPNs Defensive Real Plus-Minus - das den Einfluss eines Spielers auf die Team-Defense bewerten will - führte Barnes mit einem Top-25-Wert in den Gefilden eines Mikal Bridges.

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Doch auch offensiv spielte er eine wichtige, vielseitige Rolle, im Vergleich zu seiner College-Karriere machte er in der gegnerischen Hälfte einen bereits stark verbesserten Eindruck. Teils ließ Nurse die Offense durch ihn laufen, manchmal agierte er als Center in einem Small-Ball-Lineup, selbst Potenzial als Shot Creater ließ er aufblitzen. In dieser Hinsicht muss er sich allerdings noch verbessern, genau wie beim Playmaking und Shooting (30,1 Prozent Dreierquote).

In Toronto hegt niemand Zweifel, dass Barnes dies in den kommenden Jahren auch tun wird. Seine Arbeitseinstellung ist über jeden Zweifel erhaben, die Raptors-Abteilung für Player Development genießt ebenfalls einen guten Ruf. Dieses Gesamtpaket gibt dem 20-Jährigen tatsächlich das Potenzial, zu einem Franchise Player zu reifen.

Das sieht übrigens selbst Kyle Lowry, der im vergangenen Sommer abgewanderte GROAT (Greatest Raptor of All Time) so: "Er ist ein besonderes Talent. Er wird ein Eckpfeiler dieser Franchise werden. Er passt perfekt hierher - so hart wie er spielt und mit seiner Leidenschaft für das Spiel. Und er wird nur noch besser werden."

3. Reicht der Raptors-Kern für einen Angriff auf den Titel?

Wer nach dem Kawhi-Abgang 2019 und dem Lowry-Wechsel 2021 mit einem großen, langwierigen Umbruch im Dino-Land gerechnet hat, der wurde eines Besseren belehrt. Letztlich verpassten die Raptors nur in der ohnehin gebeutelten Saison im Tampa-Exil 2020/21 die Playoffs, ansonsten blieben sie auch ohne die Franchise-Stars der jüngeren Vergangenheit wettbewerbsfähig.

Nach der überraschend erfolgreichen Spielzeit scheinen die Verantwortlichen aber nicht in Affekthandlungen verfallen zu wollen. "Ich denke immer noch, das ist ein Team der Zukunft", sagte Teampräsident Masai Ujiri bei seiner Abschluss-PK. "Wir brauchen Geduld, um zu wachsen. Zum ersten Mal waren Pascal Siakam, Fred VanVleet und O.G. Anunoby am Ruder. Sie haben einen ordentlichen Job gemacht."

Die große Frage ist nun, ob in diesem Trio (plus Barnes) ein potenzieller Championship-Kern steckt. VanVleet hat es zum ersten Mal in seiner Karriere ins All-Star Game geschafft, Siakam erspielte sich mit einer starken zweiten Saisonhälfte seine zweite All-NBA-Nominierung - beide könnten im Laufe des Sommers eine vorzeitige Vertragsverlängerung aushandeln. Es eilt aber noch nicht, Siakam steht noch bis 2024 fest unter Vertrag, nur VanVleet könnte 2023 Free Agent werden, wenn er auf seine Spieleroption verzichtet.

Hinter beiden stehen aber weiterhin Fragezeichen, ob sie wirklich beständig als Nummer-1-Option während eines Championship-Runs abliefern können. Siakam, der designierte Kawhi-Nachfolger, hat sich immerhin von einer enttäuschenden Vorsaison erholt, aber die eiskalten Killer-Gene eines Kawhis präsentiert er eher selten.

Die Raptors müssen auf einen weiteren Schritt von Siakam zum absoluten Superstar oder auf die Entwicklung von Barnes hoffen. Stand jetzt wird man aber das Gefühl nicht los, dass diesem sehr guten Raptors-Kern noch eine Prise fehlt. "Wir predigen Geduld und Wachstum", betonte Ujiri deshalb nochmal sein Mantra.

"Mit unseren Resultaten am Ende der Saison sind die Erwartungen gestiegen. Ich verstehe das aus einer Fan-Perspektive, da heißt es Win-Now. Aber wir denken langfristig", so Ujiri weiter. Diese Einstellung tut der Franchise gut. Die Raptors erwarten ein Wachstum von innen heraus, das sie vielleicht nicht 2022/23 zum Titelanwärter macht, aber darüber hinaus in eine gute Ausgangslage manövriert. Oder narrt uns Ujiri am Ende doch und es kommt zum großen Knall?

4. Raptors: Wie kann das Team im Sommer verstärkt werden?

Soviel vorweg: Die Optionen der Raptors in der Free Agency sind beschränkt. Sollte Ujiri auf ein großes Upgrade schon in diesem Sommer setzen, dann geht das nur per Trade. Ist dieses Upgrade womöglich Rudy Gobert? Zumindest laut Ian Begley (SNY.tv) werden die Raptors ein gewisses Interesse am Center haben, sollten die Utah Jazz ihn verfügbar machen.

Allerdings verkompliziert dessen Vertrag (noch vier Jahre und 169,7 Millionen Dollar) einen potenziellen Deal. Toronto müsste sich von einem Teil des eigenen Kerns trennen, um die Finanzen passend zu machen - will Ujiri das wirklich? Auf der anderen Seite würde Gobert ein offensichtliches Loch auf der Center-Position stopfen.

Schon zur Trade Deadline waren die Kanadier Berichten zufolge an mehreren Fünfern interessiert, vielleicht werfen sie in der Offseason nochmal einen Blick auf Myles Turner (Pacers, 17,5 Mio. nächste Saison) oder den deutlich günstigeren Ex-Raptor Jakob Pöltl (Spurs, 9,4 Mio.). Da relativ viele finanzielle Ressourcen bereits für die Starting Five aufgebraucht sind, wird Toronto in der Free Agency dagegen keinen Cap Space und damit wenig Möglichkeiten für einen großen Wurf haben.

Diese Starting Five aus der Postseason (VanVleet, Gary Trent Jr., Anunoby, Barnes und Siakam) ist eine exzellente erste Fünf, doch dahinter wird es schnell dünn. Die Bank war eine der Schwachstellen der abgelaufenen Saison, nicht umsonst finden sich gleich drei Raptors in der Top 10 der meisten Minuten pro Spiel.

Toronto Raptors: Diese Schwachstellen müssen adressiert werden

Deshalb sollten die eigenen Free Agents Chris Boucher und Thad Young unbedingt gehalten werden, um dieses Problem nicht noch weiter zu verstärken (beide besitzen Bird Rights). Anschließend sollte mit der Midlevel-Exception (10,3 Mio.) weitere Verstärkung für die Bank anvisiert werden.

Ujiri hat bereits angekündigt, am liebsten noch mehr lange, athletische, vielseitige Spieler in seinem Kader zu versammeln. Dabei sollte er allerdings auch einen Fokus auf Shooting legen (Platz 20 bei der Dreierquote in der regulären Saison, 34,9 Prozent), wie bereits erwähnt einen Big Man anvisieren - Robin Lopez vielleicht als günstige Alternative? - und ein Backup-Point-Guard würde dem Team ebenfalls gut zu Gesicht stehen.

Einen Erstrundenpick im Draft hat Toronto dabei nicht zur Verfügung, der ging im Rahmen des Young-Trades nach San Antonio. Dafür halten die Raptors einen Zweitrundenpick der Pistons, immerhin Position 33. Aus deutscher Sicht zudem noch interessant: Das Raptors-Kapitel von Isaac Bonga neigt sich wohl dem Ende entgegen. Der Vertrag des 22-Jährigen läuft aus, im NBA -Kader spielte er in den vergangenen Monaten keine Rolle mehr. Dafür überzeugte er in der G-League, vielleicht bekommt er dort nochmals eine Chance, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen.

5. Bleibt Nick Nurse auch 2022/23 der Head Coach der Raptors?

Teampräsident Ujiri hatte eine klare Nachricht an alle rivalisierenden Teams, die sich im Sommer Hoffnungen auf eine Anstellung des ligaweit respektierten Übungsleiters der Raptors machten: Träumt weiter! Nurse wird sehr wahrscheinlich auch in der kommenden Saison in Toronto an der Seitenlinie stehen.

Nach der Entlassung von Frank Vogel kursierten vor allem rund um die Lakers Spekulationen um Interesse an Nurse, LeBron James und Anthony Davis sollen Fans des 54-Jährigen sein. Doch Ujiri stellte Anfang Mai klar: "Kein Team hat mich kontaktiert. Ich sehe all die Gerüchte, ich träume genauso. Ich will Messi. Ich will Ronaldo. Ich will Kobe Bryant. Die können weiter träumen, ich träume auch."

Nurse steht noch für zwei weitere Jahre unter Vertrag, er selbst wies die Gerüchte ebenfalls zurück. "Ich weiß nicht, wo das Zeug herkommt. Ich bin darauf fokussiert, dieses Team zu coachen. Wir haben eine Menge zu bieten. Wir haben ein Siegerteam, großartige Fans, eine erstklassige Organisation - ich würde hier spielen wollen." Das klingt nicht nach einem Mann, der einen Tapetenwechsel anstrebt.

Dennoch könnte es zu Veränderungen auf der Raptors-Bank kommen. Assistant Coach Adrian Griffin zieht offenbar einiges an Interesse auf sich - auch die Lakers sollen schon um ein Vorstellungsgespräch gebeten haben. Griffin galt auch in der Vergangenheit öfter als Kandidat für offene Head-Coaching-Posten. Wahrscheinlicher ist, dass Nurse seine rechte Hand verliert, als dass er selbst Toronto verlässt.