Mit seinem Wunsch, die San Antonio Spurs zu verlassen, sorgte Kawhi Leonard für den ersten Kracher der Offseason. Warum will die Klaue weg? Was für Trade-Szenarien sind möglich? Was bedeutet sein Verhalten für die Spurs und für ihn selbst? SPOX beleuchtet die wichtigsten Fragen.
San Antonio Spurs: Warum will Kawhi Leonard getradet werden?
Das weiß wohl nur er selbst. Doch es gibt Hinweise. Einer davon ist seine Verletzung an der Wade beziehungsweise die Art und Weise, die wie Spurs damit umgegangen sind.
Leonard laborierte lange Zeit an einer Verletzung des Quadrizeps. Zunächst schien es so, als sei dies keine große Sache. Dann gingen Tage, Wochen und schließlich Monate ins Land, ehe Leonard am 12. Dezember 2017 sein Comeback gab. Zu diesem Zeitpunkt schien sich die Angelegenheit doch noch in die normale Richtung zu entwickeln, obwohl Coach Gregg Popovich zuvor bereits von der "merkwürdigsten Verletzung, die ich in meiner Karriere gesehen habe" gesprochen hatte.
Dann kamen der Januar und die Nachricht, dass Leonard nach nur neun Spielen aufgrund derselben Verletzung erneut aussetzen müsse. Wie lange es diesmal dauern würde, war gänzlich unbekannt, das berüchtigte "out indefinitely" leuchtete hinter seinem Namen.
Erneut verstrichen Wochen, wobei sich Spieler und Franchise offenbar auseinanderlebten. Das Kuriose: Die Spurs-Ärzte hatten Leonard längst freigegeben und ihm die Spiel-Erlaubnis erteilt. Der 26-Jährige jedoch fühlte sich noch nicht bereit und konsultierte eigene Ärzte. Fortan setzte er seine Reha ohne das Zutun der Spurs in New York fort, nur in Einzelfällen war er beim Team.
Tony Parker mit unglücklichem Statement zu Leonard
Den Spurs ging dieses Verhalten offenbar gegen den Strich. Pop äußerte sich mehrfach mit sarkastischem Unterton zum Status Leonards und verwies bei Nachfragen auf "Kawhi und sein Camp." Veteran Tony Parker ließ sich zur Aussage hinreißen, dass seine eigene Quadrizeps-Verletzung doch "hundertmal" schlimmer gewesen sei als die von Leonard, er aber trotzdem längst wieder spiele, weil er den Spurs-Ärzten vertraut habe. Das, so der Franzose, solle Kawhi doch bitte auch tun.
Auf dem Höhepunkt der Spannungen soll es ein Team-Meeting gegeben haben, bei dem die Spurs Leonard förmlich angefleht haben sollen, endlich zurückzukommen - vergebens.
All dies hat das Vertrauen des Spielers zur Franchise offenbar unwiderruflich zerstört. ESPN zufolge sei Leonard davon enttäuscht, dass man es ihm übelgenommen habe, zweite Meinungen zur Verletzung eingeholt zu haben. Auch soll er sich mehr Unterstützung bei der Reha gewünscht haben, die öffentlichen und kritischen Aussagen zu seiner Person sollen dann ihr Übriges zur Entwicklung beigetragen haben.
Nun will Leonard also weg. Medien berichten übereinstimmend, dass er einen Trade-Wunsch geäußert habe, seine Zieldestination sollen die Lakers sein. Die Spurs und Gregg Popovich stehen nun unter Zugzwang, auch wenn sie den Spieler sicherlich noch nicht aufgegeben haben.
Was bedeutet die Trade-Anfrage Kawhi Leonards für die Spurs?
Sollten die San Antonio Spurs Leonard tatsächlich abgeben, wäre dies ein herber Einschnitt in die Entwicklung der Franchise. Lange Zeit sah es so aus, als wäre die Klaue der optimale Nachfolger Tim Duncans am Alamo River, ihr Franchise-Spieler also, um den herum jahrelang die Teams zusammengestellt werden und Erfolg haben könnten.
26 Jahre ist Leonard erst alt, seine absolute Prime steht noch bevor, was einen Abgang umso bitterer machen würde. Fest steht: Egal, welcher Partner in möglichen Trades gefunden wird, einen adäquaten Gegenwert für den wohl besten Two-Way-Spieler der Liga gibt es nicht. Der unglaubliche Playoff-Streak von 21 Teilnahmen in Folge geriete in akute Gefahr, erstmals unter der Führung von Pop gäbe es wahrscheinlich einen klassischen Rebuild.
Allerdings nur, wenn San Antonio auf die Wünsche des Spielers eingeht. Verpflichtet sind sie dazu bekanntlich nicht, ob und wohin sie Leonard traden, liegt ganz allein in ihrer Hand. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, Leonard umzustimmen, was vor allem Pops Aufgabe sein wird.
Laut ESPN habe es zwar Kontakt zwischen Coach und Spieler gegeben, aber noch kein persönliches Gespräch. Dieses stehe noch an (darauf soll sich Kawhi wohl einlassen) - und niemand sollte die Fähigkeiten Pops unterschätzen, Leute von der "guten Seite" zu überzeugen.
Gregg Popovich kann Kawhi Leonard noch umstimmen
Das bewies er auch im letzten Jahr, als LaMarcus Aldridge die Spurs per Trade verlassen wollte. Pop schnappte sich LMA zum Gespräch und soll in etwa gesagt haben: "Hey, wir können dich nicht traden. Wie soll das gehen? Solange wir im Gegenzug nicht Kevin Durant bekommen, gibt es kein gutes Geschäft für uns." Obendrein versprach der Coach, die Rolle von Aldridge anzupassen und er gab eigene Fehler zu, die er beheben wolle. Die Folge: Aldridge verlängerte seinen Vertrag und spielte prompt seine mit Abstand beste Saison im Spurs-Trikot.
Ein ähnliches Szenario ist auch bei Leonard nicht auszuschließen. Finanzielle Anreize hätten die Spurs obendrein zu bieten: Nur in San Antonio ist Leonard berechtigt, einen Super-Max zu unterschreiben (dazu mehr in Frage 4).
Wenn all dies nichts hilft, können sich die Spurs trotzdem weigern, einen Trade einzufädeln. Dann allerdings besteht die große Gefahr, dass Leonard in der Offseason 2019 als Unrestricted Free Agent das Weite sucht, in diesem Fall komplett ohne Gegenwert für die Franchise. Leonard besitzt für die Saison 2019/20 zwar eine Spieleroption in Höhe von 21,3 Millionen Dollar - doch dass er diese zieht, ist nahezu ausgeschlossen.
Um dieses Szenario zu verhindern, ist es wahrscheinlich, dass die Spurs die "Entweder-oder-Methode" benutzen: Entweder sie überzeugen Leonard von einem langfristigen Verbleib, oder sie fädeln einen Deal in diesem Sommer ein. Dass Leonard mit den Lakers ein Wunschziel hat, kann ihnen nahezu egal sein - sie werden sicherlich das für die Franchise beste Angebot annehmen, woher es auch kommt.
Was bei einem Verlust Leonards obendrein feststeht: Die über zwei Dekaden perfekte Außendarstellung der Spurs würde bröckeln. Für die ansonsten vorbildlich geführte Organisation wäre es das erste Mal, dass ein prominenter Spieler seinen Abgang erzwingt. Die vielzitierte Erkenntnis, dass die NBA bloß ein Business sei, würde demnach auch vor den Texanern nicht haltmachen.
Lakers und Co.: Welche Trade-Szenarien könnte es geben?
Betrachten wir zunächst die Rahmenbedingungen, die ein Trade Leonards erfüllen müsste. Ein Geschäft in der Offseason ist grundsätzlich einfacher durchzuführen als eines während der Saison, da die Kader der Teams temporär auf bis zu 20 Spieler aufgestockt werden dürfen.
Finanziell gibt es keine Unterschiede. Das heißt: Teams, die Leonard aufnehmen wollen, brauchen einerseits den Cap Space für seinen Vertrag, andererseits müssen sie 80 Prozent von seinem Gehalt als Gegenwert im Deal involvieren, was rund 15 Millionen Dollar entspricht. Allerdings: Dieses Gehalt müsste nicht zwingend direkt an die Spurs zurückgehen, das Einbeziehen dritter (oder vierter) Teams ist möglich.
Interessierte Teams, die die Voraussetzungen erfüllen, gibt es zuhauf. Los Angeles sei die Stadt, in die es Kawhi angeblich am liebsten verschlagen würde. Die Lakers soll er den Clippers dabei vorziehen. Nun heißt es, dass beide Teams "aggressiv" um Leonard werben werden, sobald dieser tatsächlich verfügbar ist. Die Lakers um Magic Johnson gelten ohnehin als Kandidat für die Errichtung eines weiteren Superteams, ein Trade für Leonard würde die Gerüchte um LeBron James weiter befeuern (ja, der Cap Space für beide ist da).
Wie bereits erwähnt, haben die Spurs aber keinerlei Verpflichtung, auf den Wunsch Leonards einzugehen. Überhaupt erscheint es gerade in Bezug auf die Lakers unwahrscheinlich zu sein, dass San Antonio Interesse daran hat, diese zu stärken - schließe wäre Tinseltown dann neben den Warriors und Rockets die dritte Supermacht im Westen, gegen die San Antonio mittelfristig antreten müsste, sofern sie doch nicht einen XXL-Rebuild starten.
Kawhi Leonard kann seinen Trade-Wert beeinflussen
Sinnvoller wäre es somit, Leonard in den Osten zu schicken. Hier sind in erster Linie die Philadelphia 76ers zu nennen, denen in der Offseason ein großer Move zugetraut wird, wie auch die Boston Celtics. Laut ESPN wollen sich die Kobolde für den Fall der Fälle in Position bringen, wobei sie mit Jungspielern wie Jaylen Brown, Terry Rozier in Kombination mit hochkarätigen Erstrundenpicks die besten Assets zur Verfügung haben.
Wenn Leonard keine Lust auf den Osten hat, könnte er zwar 2019 als Free Agent wieder weg sein - aber dass Teams mit Contender-Anspruch das Risiko einer einjährigen Miete durchaus eingehen, hat das Beispiel der Oklahoma City Thunder gezeigt, die für den auslaufenden Vertrag Paul Georges getradet hatten, obwohl dieser lieber zu den Lakers wollte.
Leonard selbst kann da offiziell nicht mitreden. Wege, wie er die Gespräche beeinflussen kann, gibt es trotzdem: Er könnte Teams wie Boston mitteilen, dass er 2019 auf jeden Fall wieder verduftet, wenn sie für ihn traden. Das lässt die Celtics doppelt überlegen, sänke es doch Leonards Trade-Wert massiv.
Auch könnte Leonard Teams, auf die er keine Lust hat, den Zugang zu seinen medizinischen Daten verweigern und es ablehnen, sich untersuchen zu lassen. Komplett geklärt ist sein aktueller Fitness-Zustand nämlich nicht, auch wenn Berichte kursieren, nach denen er sich den 100 Prozent angenähert hat.
Was würde ein Trade für Kawhi Leonard bedeuten?
Finanziell müsste Leonard im Falle eines Trades mit finanziellen Einbußen leben. Da er es 2016/17 sowie 2015/16 jeweils in ein All-NBA Team geschafft hat, ist er für die Designated Veteran Extension berechtigt, allerdings nur bei den Spurs. 35 Prozent des Salary Caps dürfte er in einem solchen Deal über fünf Jahre kassieren (ab 2019/20, da für nächste Saison noch sein ursprüngliches Gehalt gelten würde).
Laut The Athletic sähe dieser nur schwer abzulehnende Deal wie folgt aus (Gesamtvolumen: 239 Millionen Euro):
Saison | Gehalt in Millionen Dollar |
2018/19 | 20,09 (aktueller Vertrag) |
2019/20 | 37,8 |
2020/21 | 40,82 |
2021/22 | 43,82 |
2022/23 | 46,87 |
2023/24 | 49,89 |
Die Spurs sollen bereit sein, ihm diesen Deal auch vorzulegen, die Klaue müsste nur unterschreiben. Laut Yahoo Sports soll es für ihn aber keine Rolle spielen, wieviel er verdient, das Sportliche und Menschliche sei ihm wichtiger.
Am Hungertuch müsste Leonard freilich auch außerhalb Texas' nicht nagen. Bei einem anderen Team könnte er einen neuen Vertrag für fünf Jahre und rund 188 Millionen Dollar unterzeichnen. Wenn er erst nächste Saison als Free Agent irgendwo anders unterschreibt, wären es 139 Millionen Dollar für vier Jahre.
Darüber hinaus würde sich der Ruf verändern, den Leonard in der Liga bis zum Bruch mit den Spurs genossen hat. Lange Zeit galt als Musterschüler der Franchise, als eine Art Ziehsohn von Gregg Popovich, der sich still und leise in den Dienst der Franchise stellt und auf dem Feld professionell und effizient seine Arbeit verrichtet.
Nun ist klar, dass die Lage ganz so einfach nicht ist und Leonard sehr wohl jemand ist, der sein eigenes Wohlergehen priorisiert, wenn er es für richtig hält. Gewissermaßen würde er durch einen Trade zu einem "normalen" Superstar werden.
Was für Auswirkungen hätte der Trade auf die Liga?
Wenn Leonard zu den Celtics oder Lakers wechselt und im Falle von L.A. auch noch LeBron James dazukommt, gebe es das nächste Superteam der NBA. Für die Spurs würde das bedeuten, dass sie auf mittelfristige Sicht kein Contender sind, gleiches würde für 25 weitere Teams gelten.
Im Falle eines Lakers-Trades ginge die Schere zwischen dem Osten und Westen noch weiter auseinander. Wenn auch Paul George im Westen bleibt und LeBron die Himmelsrichtung wechselt, bliebe der Eastern Conference mit Kyrie Irving der einzig echte Superstar. Joel Embiid gehört (noch) nicht in die Kategorie.
Mit Stephen Curry, LeBron James, Kevin Durant, Russell Westbrook und vermutlich James Harden würde der Westen indes die MVPs der letzten sieben Jahre vereinen und mit Leonard und Draymond Green die besten Verteidiger der letzten drei Jahre.
Die Macht der Spieler würde erneut verdeutlicht werden und jedem dürfte klar sein, dass ein Superstar trotz laufenden Vertrags in der Lage ist, Trades zu forcieren. Nach jetzigem Stand wäre auch die Einführung der Designated Player Extension noch kein allzu großer Erfolg. Diese wurde im neuen Tarifvertrag (CBA) verankert, der in der laufenden Saison zum ersten Mal griff.
Das Ziel davon war es, den Superstars einen finanziellen Anreiz zu bieten, bei der "eigenen" Franchise zu bleiben, anstatt sich mit anderen Stars zusammenzutun. Superteams sollten dadurch verhindert werden, die Liga dauerhaft ausbalancierter sein. Nun sieht es so aus, als würde Kawhi das nächste Superteam gründen und die Ziele des CBA damit torpedieren.