NBA - 5 Fragen zum Harris-Trade: Angriff des vierköpfigen Monsters

Philipp Jakob
06. Februar 201915:27
Die Sixers haben sich per Trade mit Tobias Harris von den Los Angeles Clippers verstärkt.getty
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Die Philadelphia 76ers haben wie aus dem Nichts einen Trade für Tobias Harris von den Los Angeles Clippers eingefädelt. Während die Sixers mit einer neuen Big Four nach der Krone im Osten greifen wollen, bereiten die Clippers bereits ihre langfristige Zukunft vor.

Wie sieht der Trade im Detail aus?

Es war kurz nach zwei Uhr nachts an der US-amerikanischen Ostküste, als Adrian Wojnarowski von ESPN das NBA-Universum mit einer seiner berühmt-berüchtigten Woj-Bombs aus dem Tiefschlaf weckte: Die Sixers und Clippers haben sich auf einen Trade um Tobias Harris geeinigt.

Die Nachricht kam wie aus dem Nichts, in der normalerweise brodelnden Gerüchteküche der Association waren zuvor keinerlei Spekulationen über die Verhandlungen zwischen den Clippers und Sixers durchgesickert.

Der Deal dürfte auch Harris selbst überrascht haben, kaum vier Stunden vor der Breaking News hatte der Forward sein (Ex-)Team noch mit 34 Punkten und einem Gamewinner zum Sieg in Charlotte geführt. Nun ist seine Karriere im Trikot der Clippers nach nur etwa einem Jahr wieder beendet, der 26-Jährige wurde insgesamt jetzt schon zum fünften Mal getradet.

Neben Harris wechseln auch Boban Marjanovic und Mike Scott aus Hollywood in die Stadt der brüderlichen Liebe. Dafür bekommen die Clippers Wilson Chandler, Landry Shamet, Mike Muscala sowie zwei Erst- und zwei Zweitrundenpicks von den Sixers.

Die beiden Zweitrundenpicks wandern laut Wojnarowski in den Jahren 2021 und 2023 Richtung Westen, bereits 2020 bekommt LAC den Erstrundenpick der Sixers. Zudem sendet Philly den Firstrounder der Miami Heat von 2021 nach Los Angeles.

Der Trade um Tobias Harris im Überblick

L.A. Clippers geben abSixers geben ab
Tobias HarrisLandry Shamet
Boban MarjanovicWilson Chandler
Mike ScottMike Muscala
zwei Erstrundenpicks (2020 und Miamis 2021)
zwei Zweitrundenpicks (2021 und 2023)

Was bedeutet der Deal für die Sixers?

Die Botschaft an die restliche Eastern Conference ist nach diesem Deal deutlich: Die Sixers blasen zum Angriff auf die Krone im Osten - und haben dafür ein vierköpfiges Monster erschaffen, gegen das es für fast jedes andere Team der Liga nur sehr schwer zu bestehen sein wird.

Die Starting Five um Ben Simmons, J.J. Redick, Jimmy Butler, Harris und Joel Embiid liest sich recht beeindruckend und auch der voraussichtliche Fit des Forwards in Phillys Offense sollte den Sixers-Fans ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Eines der bisher größten Probleme in Philadelphia war das Spacing. Mit dem Trade für Jimmy Buckets, der bekanntermaßen sehr gerne den Ball in den Händen hält und den Korb attackiert, schlichen sich gewisse Probleme bei den Sixers ein.

Embiid bekommt den Ball am liebsten im Post, wo er regelmäßig viel Schaden anrichtet. Den Dreier nimmt der Big Man dagegen nur widerwillig, das hat er schon mehrmals gegenüber der Presse verlauten lassen. Dass auch Simmons sein Heil in der Zone sucht und von draußen ... nun ja ... eher keine Gefahr ist, dürfte bekannt sein.

Harris dagegen nimmt 2018/19 pro Partie 4,7 Dreier und trifft starke 43,4 Prozent seiner Versuche von Downtown. Mit seinen Fähigkeiten als Shooter - und allgemein als Scorer - könnte sich Harris als ein enorm starkes, komplementäres Puzzleteil für die Sixers herausstellen - ein Puzzleteil auf All-Star-Niveau.

Der 2,06 Meter große Forward galt für viele als Kandidat für eine Nominierung für das All-Star-Spiel Mitte Februar in Charlotte, die Coaches wählten ihn allerdings nicht unter die acht Reservisten. "Ich dachte, ich hätte auf diesem Level gespielt", zeigte sich auch Harris gegenüber der Detroit Free Press enttäuscht. "Aber nächstes Jahr dann. Darauf freue ich mich schon."

Vorher kann er sich erst einmal auf einen tiefen Playoff-Run einstellen. Die Sixers dürften nach diesem Deal als einer der Top-Favoriten auf den Thron in der Eastern Conference in die zweite Saisonhälfte gehen. Laut Nate Silver von FiveThirtyEight haben sich Philadelphias Chancen auf die NBA Finals von gut zehn auf knapp 20 Prozent fast verdoppelt - auch wenn der Trade für General Manager Elton Brand und Co. einige Risiken mit sich bringt.

Welche Gefahren birgt der Deal für die Sixers?

In erster Linie bleibt festzuhalten, dass sich die Tiefe der Sixers nicht direkt verbessert hat. Scott sollte Mike Muscala als Backup-Big in der Rotation gut ersetzen, Marjanovic dürfte trotz seiner teils spektakulären Statistiken wie auch schon in L.A. nur sporadisch zum Einsatz kommen.

In Person von Shamet (20,5 Minuten pro Spiel) verliert Head Coach Brett Brown ersatzlos einen wichtigen Rotations-Spieler im Backcourt - dort sind die Sixers ohnehin nur dünn besetzt. Philly wird versuchen müssen, im Buyout-Markt zuzuschlagen (beispielsweise bei Wesley Matthews, sofern er verfügbar wird).

Nicht nur der Blick auf die Tiefe des Kaders, auch der in die Zukunft könnte den Verantwortlichen im Front Office der Sixers die ein oder andere Sorgenfalte auf die Stirn treiben. Harris wird im Sommer Unrestricted Free Agent und hat sich mit seiner starken Saison bisher beste Chancen auf einen Max-Deal erspielt.

Wenn Butler seine Spieleroption für die kommende Saison nicht zieht - was als wahrscheinlich gilt - werden die Sixers auch ihn mit einem Maximalvertrag ausstatten müssen. Die Quellen von Wojnarowski haben verlauten lassen, dass Philly genau zu diesem Move bereit ist, um die neue Big Four langfristig in der Stadt zu halten.

Die Big Four der Sixers um Harris und Butler wird teuer

Wie Kevin O'Connor von The Ringer vorrechnet, hätte dies gewaltige Auswirkungen auf die Salary-Cap-Situation der Sixers. Sollten Harris und Butler tatsächlich zum Maximum oder nah dran unterschreiben, könnten Butler, Harris, Embiid (5 Jahre/147,7 Mio. Dollar) und Simmons (Restricted Free Agent im Sommer 2020) in zwei Jahren bis zu 130 Millionen Dollar verdienen. Der Salary Cap wird für 2020 auf 118 Millionen Dollar geschätzt.

Eine Kader-Verstärkung durch den Draft wird für Philadelphia ebenfalls schwierig. Insgesamt vier Picks (davon zwei Erstrundenpicks, immerhin nur ein eigener Firstrounder 2020) schickten die Sixers nach L.A., es kam allerdings kein Pick zurück. Nach dem Trade für Butler zu Beginn der Saison und nun für Harris hat GM Brand bewiesen, dass er vor Risiko nicht zurückscheut. Trotz der Gefahren könnte es sich am Ende auszahlen.

Was bedeutet der Deal für die Clippers?

Während die Sixers einen Angriff auf die Finals starten, bedeutet der Deal für LAC zumindest in sportlicher Sicht einen klaren Rückschritt. Head Coach Doc Rivers verliert den besten Scorer (20,9 Punkte) und besten Rebounder (7,9 Rebounds) des Teams. Anstatt um den letzten Playoff-Platz im Westen zu kämpfen, verschieben die Clippers nun ihren Fokus.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Clippers im Sommer 2019 hinter einigen namhaften Free Agents und in erster Linie Kawhi Leonard her sein werden. Zwar sah LAC Harris Gerüchten zufolge als Backup-Plan für den Fall, dass man keinen der Wunschspieler verpflichten könnte, doch eine Verlängerung des 26-Jährigen schien eher unrealistisch.

Nun hat man dessen auslaufenden Vertrag rechtzeitig in eine Menge zukünftiges Potenzial in Form von Erstrundenpicks umgewandelt, ohne einen langfristigen Nachteil (die Verträge von Chandler und Muscala enden 2019). Zudem könnte man mit einem Trade von Danilo Gallinari (2 Jahre/44 Mio. Dollar) oder Lou Williams (3 Jahre/24 Mio.) Platz für zwei Max-Slots im Sommer schaffen. Die Clippers befinden sich also in einer hervorragenden Ausgangsposition für die Free Agency 2019.

Die Draft-Picks muss Los Angeles im Übrigen nicht zwingend in junge Spieler umwandeln. Auch als Assets auf dem Trade-Markt strahlen sie für rivalisierende Teams einiges an Anziehungskraft aus. Möglicherweise könnten die Clippers also auch auf diesem Weg einen Star nach L.A. locken.

In Verbindung mit dem Trade von Blake Griffin vor einem Jahr hat das Front Office um Teampräsident Lawrence Frank somit einen dicken Vertrag, der die Zukunft der Franchise für fünf Jahre maßgeblich geprägt hätte, in eine Menge Cap Space und zahlreiche Draft-Picks umgewandelt. Dieses Kunststück ist in der Vergangenheit den wenigsten Teams so gut gelungen wie den Clippers.

Was bedeutet der Deal für das Playoff-Rennen im Westen?

Aktuell stehen die Clippers mit 30 Siegen und 25 Niederlagen auf dem achten Rang in der Western Conference und haben damit den letzten Playoff-Platz inne - vorerst zumindest. Denn aller Voraussicht nach wird LAC in den kommenden Wochen ein paar Plätze nach hinten rücken.

Wie bereits beschrieben müssen die Clippers künftig auf ihren besten Spieler und Fast-All-Star verzichten, das wird Coach Rivers nicht einfach so wett machen können. Erst recht nicht, wenn noch weitere Moves vor der Trade Deadline folgen. Man kann also davon ausgehen, dass die Clippers am Ende der Saison keine Rolle mehr im Kampf um die Post-Season spielen werden.

Im heiß umkämpften Playoff-Rennen im Westen gibt es damit einen Konkurrenten weniger, die Lakers, Kings, Timberwolves und Jazz dürfte es freuen. Diese vier Teams (und die Clippers) belegen aktuell die Plätze sieben bis elf in der Western Conference, die Jazz (Platz sieben) trennen jedoch nur 4,5 Spiele von Minnesota (Platz elf).

Nun könnten Teams wie beispielsweise die Kings erst recht gewillt sein, sich vor der Trade Deadline zu verstärken. Ohne die Clippers wächst in Sacramento die Chance, erstmals seit 2006 wieder die Playoffs zu erreichen. Angesichts dessen könnte Vlade Divac ein Upgrade auf dem Flügel anvisieren.

Dass die Lakers derweil hinter einem gewissen Upgrade im Frontcourt mit einer Monobraue hinterher sind, ist kein Geheimnis. Die Chancen der Lakers auf die Playoffs lassen sich also erst nach dem Ablauf der Deadline am Donnerstag um 21 Uhr realistisch einschätzen.