NBA - 5 Fragen zum Playoff-Aus der L.A. Clippers: Die Angst um das Titelfenster

Philipp Jakob
16. September 202016:25
Das Playoff-Aus für die L.A. Clippers in der zweiten Runde gegen die Nuggets ist eine herbe Enttäuschung.getty
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Statt mit dem erhofften Titel endet die Saison der L.A. Clippers mit einer bitteren Enttäuschung und dem Playoff-Aus nach sieben Spielen gegen die Denver Nuggets (hier geht es zu den Highlights von Spiel 7). Wer ist für das Debakel verantwortlich und wie wirkt sich es auf die Zukunft der Franchise aus? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist passiert und wie ist die Clippers-Saison zu bewerten?

Ein Neuanfang sollte die Saison 2019/20 eigentlich sein, der Beginn einer neuen Zeitrechnung in der Geschichte der Clippers. Einer in den mittlerweile 50 Jahren ihrer Existenz so gebeutelten Franchise, lange Zeit geprägt von einem der schlechtesten Besitzer im US-Sport, Donald Sterling, von sportlichem Misserfolg und dem Spott der Konkurrenz.

Mit der Ankunft von Kawhi Leonard und Paul George im Sommer 2019 sollte alles anders werden: endlich ein Star-Spieler, der sich aus freien Stücken für die Clippers entscheidet, endlich ein echter Titelkandidat. Und vielleicht könnte man sogar dem ewigen innerstädtischen Konkurrenten, den Los Angeles Lakers, etwas von ihrer Dominanz in der Stadt der Engel abgraben.

Von Saisonbeginn an ging es nur darum, den Titel zu holen. Das war das klar gesteckte Ziel, mit diesem Selbstverständnis trat das Team auf. Und doch ist nun wieder alles wieder beim Alten: Die Clippers müssen sich nach einem blamablen Aus in der zweiten Playoff-Runde vorzeitig von allen Titelträumen verabschieden, trotz 3-1-Serienführung gegen die Nuggets. Gemessen an diesen Erwartungen ist das frühzeitige Ende der Saison nicht weniger als ein Desaster.

Schon in der regulären Saison lief beim "anderen Team aus L.A." nicht alles nach Plan, in erster Linie aufgrund einiger Blessuren im Kader. Dennoch reichte es am Ende für eine 49-23-Bilanz und Platz zwei in der Western Conference - und Kawhi und PG-13 sollten schon einen tiefen Playoff-Run garantieren.

Letztlich durchlebte vor allem George eine ganz schwache Postseason (dazu später mehr) und - was nicht zu kurz kommen sollte - die Nuggets lieferten angeführt von Nikola Jokic und Jamal Murray ein überragendes Comeback ab, was ihnen einen Eintrag in den Geschichtsbüchern und das Duell mit den Lakers in den Conference Finals einbrachte. Für die Clippers endete die erste Spielzeit mit Kawhi und Co. dagegen erneut mit einer Menge Häme.

L.A. Clippers vs. Denver Nuggets: Die Serie im Überblick

SpielDatumUhrzeitTeam 1Team 2Ergebnis
14. September3 UhrL.A. ClippersDenver Nuggets120:97
26. September3 UhrL.A. ClippersDenver Nuggets101:110
38 September3 UhrDenver NuggetsL.A. Clippers107:113
410. September3 UhrDenver NuggetsL.A. Clippers85:96
512. September0.30 UhrL.A. ClippersDenver Nuggets105:111
613. September19 UhrDenver NuggetsL.A. Clippers111:98
716. September3 UhrL.A. ClippersDenver Nuggets89:104

Wer ist für den Einbruch gegen die Nuggets verantwortlich?

Das Playoff-Aus der Clippers hat viele Gesichter, die beiden Franchise-Stars sind dabei nicht auszuklammern. Laut ESPN Stats & Info lieferte Kawhi in Halbzeit zwei von Spiel 7 gegen die Nuggets seine schlechteste Feldwurfquote in einer Hälfte überhaupt in seiner Karriere ab (bei mindestens 10 Versuchen). Die erschreckenden Statistiken: Leonard stand nach dem Seitenwechsel bei 1/11 aus dem Feld (9,1 Prozent) für magere zwei Pünktchen.

Die Klaue konnte auch in Spiel 6 nicht in derselben Form das Heft in die Hand nehmen, wie man es noch im vergangenen Jahr im Raptors-Trikot gesehen hatte. Die Unterstützung seines Co-Stars George, den er in L.A. unbedingt an seiner Seite haben wollte, war recht überschaubar. Beide zusammen trafen im Schlussabschnitt von Spiel 7 keinen einzigen ihrer elf Würfe.

Schon zu Beginn der Playoffs steckte PG-13 in einem der schlimmsten Shooting-Slumps fest, den man von einem eigentlichen Superstar jemals in der Posteseaon gesehen hatte. Zwar erlebte er sowohl in der ersten Runde gegen die Mavs als auch in der Serie gegen die Nuggets immer mal wieder kurze Hochs, letztlich blieb aber ein katastrophaler Eindruck von George in den Playoffs haften, der sich mit seinem vierten Viertel gegen die Nuggets und einem üblen Dreier gegen die Seite des Backboards nur noch verfestigte.

Wenn die beiden Superstars nicht konstant abliefern, steht so gut wie jedes Team in der Postseason vor Problemen. Die Clippers galten vor der Saison - und vor Beginn der Playoffs - allerdings auch dank ihrer Tiefe als Titelkandidat. Doch auch in dieser Hinsicht muss ein enttäuschendes Fazit gezogen werden, Lou Williams und Sixth Man of the Year Montrezl Harrell waren nah dran an Totalausfällen.

Inwiefern hier die äußeren Umstände eine Rolle gespielt haben, bleibt Spekulation. Beide Bank-Stars verpassten einige Partien nach dem Restart, zunächst in Trauer um verstorbene Familienmitglieder, dann in Quarantäne. In den Playoffs schaffte es keiner der beiden, sich in einen Rhythmus zu spielen, zudem fehlte es an Möglichkeiten, sich als Team einzuspielen.

Zusätzlich berichtete Marc J. Spears von The Undefeated, dass mehrere Clippers-Akteure so müde waren, dass sie kaum länger als drei Minuten am Stück im vierten Viertel durchhielten, bevor sie um eine Verschnaufpause baten. Head Coach Doc Rivers gab zu, dass die Kondition seiner Spieler ein Problem gewesen sei. Rivers muss sich aber auch an die eigene Nase fassen ...

Die Statistiken von Paul George und Kawhi Leonard in den Playoffs 2020

NameSpiele / MinutenPunkteReboundsAssistsFG%3FG%
Kawhi Leonard13 / 39,328,29,35,548,932,9
Paul George13 / 36,820,26,13,839,833,3

Müssen die Clippers über einen neuen Coach nachdenken?

"Wir haben die Erwartungen nicht erfüllt. Ich bin der Coach und ich nehme jede Schuld dafür auf mich", erklärte Doc wenige Minuten nach dem Playoff-Aus seines Teams. Der 58-Jährige wird sich in den kommenden Wochen Fragen gefallen lassen müssen, warum er den Einbruch seines Teams trotz eines 3-1-Vorsprungs in der Serie und trotz zweistelliger Führungen in den Spielen 5, 6 und (!) 7 nicht verhindern konnte.

Für Rivers ist die Erfahrung, eine 3-1-Führung in den Playoffs zu verspielen, im Übrigen keine neue. Er ist der einzige Head Coach in der Geschichte der NBA, dem dies gleich dreimal widerfuhr (mit den Clippers 2015 gegen Rockets und mit den Magic 2003 gegen die Pistons). Ohnehin gelang nur 13 Teams ein solches Comeback, dreimal stand Rivers dabei auf der anderen Seite.

Dieser Umstand muss natürlich nicht zwingend etwas bedeuten, ist aber doch kurios. In der Serie gegen die Nuggets war in erster Linie verwunderlich, warum er Sweet Lou (25,5 Minuten pro Partie) und Harrell (19,1) so viel Einsatzzeit gab, obwohl beide gerade am defensiven Ende des Courts wenig bis gar nichts zum Teamerfolg betrugen.

Generell ließ Rivers Anpassungen in seiner Taktik über die sieben Spiele gegen Denver missen. Stattdessen hielt er zu lange am Altbewährten fest. Marcus Morris kritisierte nach Spiel 6, dass sich die Clippers manchmal zu sehr darauf verließen, "so gut zu spielen, wie wir auf dem Papier sind, anstatt das Spiel wirklich zu Ende zu spielen."

Dies müssen sich einerseits die Spieler selbst ankreiden lassen, der Coach ist aber nicht frei von jeglicher Schuld. Dass die Clippers in der Offseason eine Veränderung an der Seitenlinie vornehmen, erscheint aber aufgrund des Standings von Rivers, der sich in der Bubble auch immer wieder sehr stark zu sozialpolitischen Themen positionierte, innerhalb der Franchise und der Liga zum aktuellen Zeitpunkt eher unwahrscheinlich.

War der Trade für Paul George ein Fehler?

Um den Deal für PG-13 aus dem vergangenen Sommer noch einmal zu rekapitulieren: Für die Dienste des Forwards gingen nicht nur Shai Gilgeous-Alexander und Danilo Gallinari über die Ladentheke, sondern auch drei Clippers-Erstrundenpicks (2022, 2024 und 2026), dazu zwei Picks der Heat (2021 und 2023) und die Thunder erhielten auch noch die Möglicheit, 2023 und 2025 die jeweiligen Erstrundenpicks mit L.A. zu tauschen.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Clippers in Person von SGA einen potenziellen zukünftigen All-Star abgegeben haben, dürfte vor allem das nicht vorhandene Draft-Kapital in den kommenden Jahren den Verantwortlichen Kopfschmerzen bereiten. Erst recht, nachdem das Front Office kurz vor der Trade Deadline auch noch den 2020er Erstrundenpick für Morris nach New York verschiffte.

Es ist verständlich, dass die Clippers alles dafür tun wollten, um Kawhi von einer Unterschrift zu überzeugen, der Preis dafür könnte aber in ein paar Jahren weh tun. Vielleicht sogar schon nächstes Jahr, dann haben sowohl Kawhi als auch George die Möglichkeit, aus ihrem Vertrag in L.A. auszusteigen. Soll heißen: Wenn es schlecht läuft, ist das Titelfenster der Clippers mit der Klaue nur zwei Jahre lang geöffnet. Das erste davon haben sie nun auf blamable Art und Weise weggeworfen.

In der Offseason kann L.A. George eine Vertragsverlängerung mit bis zu drei weiteren Jahren anbieten. Das werden sie sicherlich machen, um das Risiko, 2021 mit leeren Händen dazustehen, zu minimieren. Ob PG-13 das Angebot annimmt, ist allerdings eine ganz andere Frage. Und ob der 30-Jährige den hohen Ansprüchen in der kommenden Spielzeit gerecht wird und die schwache Postseason 2020 vergessen machen kann, ist wieder eine andere.

Letztlich bleibt den Clippers aber nicht viel anderes übrig, als genau dies auszutesten. Sofortige Verstärkung über den Draft zu holen, wird in naher Zukunft erstmal schwierig sein, ein kompletter Rebuild erst recht unmöglich. Die Clippers sind entsprechend im absoluten Win-Now-Modus. Ist auch die Saison 2020/21 nicht von Erfolg gekrönt, könnte es für die Franchise aber ganz schnell wieder bergab gehen.

Was passiert bei den L.A. Clippers in der Offseason?

Um es kurz zu machen: Große Sprünge sind nicht drin und werden offenbar auch nicht erwartet. Laut Brian Windhorst (ESPN) gehen rivalisierende Executives davon aus, dass sich im Sommer 2020 nicht viel am Kader der Clippers ändern wird. Von den wichtigen Rollenspielern laufen nur die Verträge von Harrell und Morris aus, beide sollen dem Bericht zufolge gehalten werden.

Der frisch gebackene Sixth Man of the Year wird wohl deutlich mehr verlangen als sein bisheriges Jahressalär von 6 Millionen Dollar, allerdings hat er sich in den Playoffs nicht mit Ruhm bekleckert. Morris' üppiges Gehalt von 15 Mio. könnte derweil zugunsten eines längerfristigen Vertrags womöglich ein wenig gekürzt werden.

Aber sonst? Den Clippers bleiben auf dem freien Markt kaum Optionen, da für kommende Saison auch ohne Harrell und Morris bereits 115,8 Mio. in den Büchern stehen. Der Salary Cap wurde vor der Corona-Krise auf etwa diese Summe geschätzt, könnte nun aber deutlich darunter liegen.

Somit wird L.A. Free Agents wohl nur mit der Midlevel-Exception locken können, immerhin sollte Teambesitzer Steve Ballmer keine Angst vor der Luxussteuergrenze haben. Vieles deutet aber darauf hin, dass die Clippers mit dem gleichen Personal in der kommenden Saison einen neuen Anlauf starten werden.

Das Playoff-Aus für die L.A. Clippers in der zweiten Runde gegen die Nuggets ist eine herbe Enttäuschung.getty

Das ist insofern keine Überraschung, da L.A. mit diesem Spielermaterial wohl auch in der nächsten Spielzeit als einer der Favoriten auf den ganz großen Wurf gelten wird. Talent ist auf jeder Position vorhanden, der Kader besticht eigentlich durch Vielseitigkeit, Tiefe und die Star-Power an der Spitze. Nur abrufen konnten sie das in den letzten Spielen gegen die Nuggets nicht.

"Keine einzige!", lautete dementsprechend die Antwort von George, welche Veränderungen er im Kader denn gerne sehen würde. "Es ist unser erstes Jahr zusammen. Wir wollen unseren Kader gar nicht verändern. Uns gefällt, was wir hier haben."

Man habe diese Saison nie als "Championship-oder-Bust" wahrgenommen, sagte George, "wir können nur besser werden, je länger wir zusammenspielen und je besser unsere Chemie wird. Ich glaube, das ist wirklich das wichtigste aus dieser Saison: Wir hatten nicht genügend Zeit zusammen." Das soll sich mit der kommenden Spielzeit ändern. Und vielleicht war Schlag vor den Bug in den diesjährigen Playoffs auch genau das, was die Clippers auf dem Weg an die Spitze gebraucht haben.