Der Trade für Derrick White während der Saison erregte kein riesiges Aufsehen, abgesehen von der Frage, ob die Boston Celtics nicht zu viel für ihn gezahlt haben. Das ist längst vorbei - und nun könnte der Sixth Man auch die Finals mit entscheiden.
Spiel 2 lief zwar definitiv nicht nach ihrem Geschmack, ihre Aufgabe haben die Celtics in der Bay Area dennoch erledigt - ein Spiel wurde geklaut, der Heimvorteil ebenfalls. Es hätte schlechter laufen können, Golden State gewinnt zwar traditionell in jeder Playoff-Serie ein Auswärtsspiel, aber die Celtics in dieser Postseason eben auch, bisher sogar stets mindestens zwei.
Einer der Hauptgründe dafür war und ist Derrick White, der in Spiel 1 der Finals sein bisher vielleicht bestes Spiel im Celtics-Dress machte - mit Sicherheit aber sein wichtigstes. White ist womöglich auch der Schlüsselspieler für den Rest der Serie aus Bostons Perspektive, insbesondere dann, wenn das Knie von Robert Williams III sich nicht schlagartig bessert.
White entfesselt viel im Celtics-Spiel, vor allem das Small-Ball-Lineup, mit dem Boston Spiel 1 dominierte und das von nun an vielleicht noch mehr geritten werden muss. Es ist kein Zufall, dass er laut Cleaning the Glass in den Playoffs nach Al Horford und Jayson Tatum der Celtic mit der besten On/Off-Differenz (+5,8) ist.
Es lässt sich jetzt schon festhalten, dass sein Trade in diesem Jahr der Midseason-Trade war, der den größten Einfluss auf das Titelrennen hatte. Selbst wenn das auf den ersten Blick kaum jemand gedacht hätte. Sein Trade dient auch als Reminder, dass man sich in der (unmittelbaren) Bewertung oft zu sehr auf die falschen Themen konzentriert.
Derrick White: Boston zahlte "zu viel" ...
Kurzer Blick zurück auf die Trade Deadline. Innerhalb weniger Tage wechselten unter anderem James Harden und Ben Simmons, aber auch Kristaps Porzingis, Caris LeVert und Spencer Dinwiddie das Team - mehrere All-Stars und Spieler, die mal 20 Punkte oder mehr pro Spiel auflegten oder auflegen. Allen voran Harden dominierte die Schlagzeilen, verständlich, schließlich wollten die Sixers mit ihm sofort nach den Sternen greifen.
White kam nach seinem Trade auf 11 Punkte im Schnitt, weniger sogar als Josh Richardson (11,4), für den er getradet wurde. Boston gab in dem Deal auch noch Romeo Langford, den eigenen 2022er Erstrundenpick sowie die Rechte für einen Pick-Tausch im Jahr 2028 an San Antonio ab. Auf den ersten Blick sah das nach einem stolzen Preis aus, nicht zwingend nach dem besten Trade der Deadline.
Nur ... es geht eben immer auch um den Kontext, bei jedem Trade. Boston verschiffte damals neben Richardson auch noch Dennis Schröder und holte Daniel Theis zurück, vereinfacht gesagt wurde damit die Rotation gekürzt und abgerundet. Und bei allem Fokus auf das, was White nicht ist, welche Probleme er hatte (30 Prozent Dreier, beispielsweise), ging ein wenig verloren, was er für sein neues Team stattdessen bedeutete.
Derrick White: Scharfer Kontrast zu Dennis Schröder
Gerade der Kontrast mit Schröder ist dabei entscheidend. Nicht nur spielerisch, auch vertraglich: Der Braunschweiger hatte einen auslaufenden Vertrag und damit eine ungeklärte Zukunft, es war wichtig für ihn, sich zu empfehlen, auch im Hinblick auf den nächsten Deal.
Whites Vertrag läuft bis 2025 - er passt damit perfekt zu den Celtics, bei denen jeder Rotationsspieler noch mindestens ein Jahr fix unter Vertrag steht und persönliche Agenden so keine große Rolle spielen müssen. Bei ihm war kein unmittelbarer Druck involviert, kein "es muss sofort funktionieren", wie es etwa bei den Sixers und Harden der Fall war.
Und dann ist da noch die spielerische Komponente. White ist kein Spieler, der die Identität seines neuen Teams transformiert, an den sich jeder erstmal anpassen muss - im Gegenteil: Er gliederte sich bei den Celtics sofort ein. Seine Defense ist überragend und passte perfekt in eine Rotation, in der die Top 7 allesamt All-Defensive-Kaliber mitbringen.
Seine Anwesenheit erlaubt es Head Coach Ime Udoka, den frisch gekürten Defensive Player of the Year Marcus Smart im Lauf des Spiels ansatzweise gleichwertig zu ersetzen - natürlich funktionieren beide auch nebeneinander, da sie switchable sind, auch wenn White nicht so viel Kraft mitbringt wie Smart.
Boston Celtics: "Point Five" als Identität
Auch offensiv nimmt er wenig und gibt viel. White ist ein schneller Decision-Maker, liefert sekundäres Playmaking, hält die Celtics in Bewegung. Auch das ist ein scharfer Kontrast zu Schröder, der ein besserer Scorer ist, aber bisweilen eben dazu tendiert, das Spiel unnötig langsam zu machen, und damit nie wirklich zum "Point Five"-Ansatz Udokas passte.
"Point Five" = eine halbe Sekunde. In dieser Zeit soll ein Basketball-Play initiiert werden, also ein Pass, ein Wurf oder ein Drive erfolgen. Udoka hat diesen Ansatz in seiner Zeit in San Antonio unter Gregg Popovich verinnerlicht und seit Saisonbeginn versucht, ihn den Celtics einzuimpfen - es klappt noch besser, seit der Popovich-Schüler White dabei hilft.
Im Prinzip war schon nach wenigen Tagen zu erkennen, dass White als "Addition durch Subtraktion" funktionierte - suboptimal passende Spieler wurden aus der Rotation subtrahiert, das allein sorgte schon für mehr Klarheit. Insbesondere in den Playoffs zeigte sich jedoch, dass es längst nicht nur das ist. White ist nicht nur ein Lückenfüller, er ist nicht selten auch ein Indikator, wie es für das gesamte Team läuft, und ein Schlüsselspieler.
NBA Finals - Warriors vs. Celtics: Die Serie im Überblick (1-1)
Spiel | Datum | Uhrzeit | Heim | Auswärts | Ergebnis |
1 | 3. Juni | 3 Uhr | Golden State Warriors | Boston Celtics | 108:120 |
2 | 6. Juni | 2 Uhr | Golden State Warriors | Boston Celtics | 107:88 |
3 | 9. Juni | 3 Uhr | Boston Celtics | Golden State Warriors | - |
4 | 11. Juni | 3 Uhr | Boston Celtics | Golden State Warriors | - |
5 | 14. Juni | 3 Uhr | Golden State Warriors | Boston Celtics | - |
6* | 17. Juni | 3 Uhr | Boston Celtics | Golden State Warriors | - |
7* | 20. Juni | 2 Uhr | Golden State Warriors | Boston Celtics | - |
*falls nötig
Für manche Aufgaben gibt es wenige Spieler, die so geeignet sind wie er. Gegen Miami etwa hatte er einen massiven Anteil daran, dass die Off-Ball-Aktionen für Schützen wie Max Strus kaum dauerhaft ein Faktor waren. White ist sehr gut darin, seinen Gegenspieler nicht zu verlieren, er schlängelt sich wie wenige Spieler sonst um Blöcke und hat die Länge, um des Öfteren dann auch noch den Schützen zu blocken.
Diese Qualität macht ihn auch gegen die Warriors und ihre kleinen Guards sehr wertvoll, das hat sich bereits in den ersten beiden Spielen der Finals gezeigt. Golden State ist das beste Off-Ball-Team der NBA und nur im Verbund zu verteidigen, White nimmt dabei jedoch eine Schlüsselrolle ein. Dass etwa Jordan Poole bis dato nicht den gewohnten Einfluss hat, ist zum Teil auch Whites Verdienst. Er ist zudem der beste Curry-Verteidiger, was nicht heißt, dass er Curry abmelden kann - aber er kann ihn immerhin arbeiten lassen.
Die ersten beiden Spiele haben jedoch auch gezeigt: White ist auch offensiv ein entscheidender Faktor - im guten wie im schlechten Sinn. Und das hat nicht zuletzt mit dem defensiven Ansatz der Warriors zu tun.
Derrick White: Der FVV-Bump ist real
In Spiel 1 ließen die Dubs ihn offen stehen, da sie wohl nicht an den VanVleet-Bump glaubten. White bestrafte das sofort: Fünf seiner acht Dreier fielen rein, womit er einen Trend fortsetzte. Vor der Geburt seines Sohnes Hendrix traf er in diesen Playoffs in 15 Spielen zehn Dreier, seither waren es 13 über vier Spiele bei weit über 40 Prozent vom Perimeter.
Der Wurf ist indes nicht die (einzig) entscheidende Komponente, wichtiger ist eigentlich Whites allgemeine Aggressivität. Er neigt manchmal zum Zögern - das darf gegen die Warriors jedoch nicht sein. Die Warriors-Defense basiert auf viel Hilfe und vielen Rotationen, deswegen müssen Entscheidungen entsprechend schnell - und sauber - getroffen werden. Point Five eben.
White ist nach Jayson Tatum und Jaylen Brown der Celtic mit den meisten Drives. Gegen Miami war es nicht selten er, der einer stagnierenden Offense wieder Überraschungsmomente verlieh, indem er zum Korb ging und einen Floater loswurde, seinen Lieblingswurf (30 Prozent seiner Würfe kommen aus der kurzen Mitteldistanz). Das brauchen die Celtics auch gegen Golden State unbedingt.
Die Warriors haben auf Whites Explosion im ersten Spiel reagiert. Zwar zeigte sich vor allem Draymond Green nach außen davon überzeugt, dass die getroffenen Würfe von White, Al Horford und Marcus Smart Ausrutscher waren, die Defense in Spiel 2 sah dennoch anders aus. Offene Würfe wurden kaum noch verschenkt, es gab ziemlich aggressive Closeouts.
Teilweise sogar zu aggressiv. White zeigte mehr als einmal eigentlich die richtige Reaktion, ließ seinen Verteidiger per Pumpfake stehen und ging zum Korb - er traf dann jedoch nichts, auch keine Korbleger. Es war symptomatisch für das gesamte Celtics-Team: Die Dreierquote war okay (15/37 3FG), aus dem Zweipunktbereich ging überhaupt nichts (15/43).
Boston hat nach zwei Spielen überhaupt nur 37 Zweier getroffen, das ist ein Negativrekord über zwei Partien in den Finals. White hatte wenigstens Abschlüsse in Korbnähe, genau wie Tatum (2/10 Zweier) und Brown (2/8) traf er jedoch miserabel (2/9). Dabei hatte das oft gar nicht mit Ringschutz zu tun, stattdessen wurden machbare Würfe vergeben.
Boston Celtics: Small-Ball als (einziges) Rezept?
White ist traditionell kein großartiger Finisher. Es kann jedoch sein, dass die Celtics in dieser Serie genau das von ihm brauchen - dass er Lücken nicht nur reißt, sondern auch konsequent ausnutzt, durch eigene Abschlüsse oder per Ableger. Das ist mitentscheidend dafür, dass die kleinen Lineups funktionieren, die Golden State im ersten Spiel so wehtaten.
Boston ist in dieser Serie womöglich auf Small-Ball angewiesen, nachdem die Celtics in den bisherigen Playoffs oft mit zwei Bigs dominierten. Robert Williams' laterale Geschwindigkeit ist nach den Verletzungen so eingeschränkt, dass seine Rotationen oft einen Ticken zu langsam sind, auch wenn er in Korbnähe weiter ein massiver Störfaktor ist.
Für Grant Williams gibt es physisch nur bedingt ein passendes Matchup. Und Daniel Theis ist verloren, wenn er gleichzeitig mit Curry auf dem Court steht und dieser seine Drop Coverage gezielt attackieren kann. Horford ist die Ausnahme als Switch-Verteidiger mit gutem Wurf, aber selbst er war im zweiten Spiel kein Faktor.
Es kommt hinzu, dass die Lineups mit zwei Bigs einfach nicht genug Spacing bieten und es den Warriors so ermöglichen, den Weg zum Korb konsequent zu verstopfen. Green ist als Help-Defender sowieso nichts anderes als ein Genie - man muss es ihm nicht noch zusätzlich leicht machen, indem man den Court durch das eigene Setup schrumpft.
Ein letztes Beispiel: Horford steht im Dunker Spot, auf der anderen Seite ist Williams als Roll-Man ebenfalls quasi im Weg. Tatums Pass ist auch schlecht, aber warum ermöglichen es die Celtics den Dubs, ihre drei besten Verteidiger quasi direkt in seinen Weg zu stellen?
Derrick White: Vielleicht das finale Puzzleteil
Es wäre insofern verständlich, wenn die Rolle von White im weiteren Verlauf der Serie sogar noch größer wird, dessen Minuten ohnehin bisher in jeder Serie sukzessive nach oben gingen. Wenn beide Teams klein spielen, haben die Celtics Vorteile in Sachen Länge und Athletik, selbst nach der Rückkehr des in Spiel 2 starken Gary Payton II. Sie müssen diese Vorteile nur konsequent ausspielen, keine Möglichkeiten liegen lassen.
White ist das finale Puzzleteil auf dem Weg dorthin - also im Prinzip genau das, was sich ein gutes Team erhofft, wenn es zur Trade Deadline einen Deal einfädelt, um womöglich den nächsten Schritt zu machen, vielleicht sogar Meister zu werden.
Die Celtics sind mit White weiter gekommen als je zuvor mit dem aktuellen Kern - der Deal hat sich jetzt schon längst ausgezahlt und eine Eins verdient, um im Stil der rapiden Trade-Reaktionen zu bleiben. Es geht jetzt nur noch um das Sternchen.
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