Stephen Curry steht zum sechsten Mal in seiner Karriere in den NBA Finals. Seine Leistungen auf dem Weg dorthin wirken auf den ersten Blick gar nicht so beeindruckend - doch das ist ein Trugschluss. In einer Hinsicht ist Curry sogar besser denn je.
Die vergangenen Tage hätten ein Triumphzug sein können, oder eine Jubelarie. Zum sechsten Mal innerhalb von acht Jahren haben die Warriors die Finals erreicht, mit dem gleichen Kern, aber auch neuen Gesichtern, nach zwei Jahren in (relativer) Obskurität und schweren Verletzungen. So richtig ist das aber nicht passiert, jedenfalls nicht uneingeschränkt.
Stattdessen befinden sich die Warriors in einem "Ja, aber-"Run: Ja, sie sind in den Finals, aber so gut waren die Gegner irgendwie ja auch nicht, oder? Gerade bei Stephen Curry geht es dazu auch um die individuellen Leistungen; so stark spielt Steph gerade gar nicht, oder? Das Thema gab es schon über die gesamte Saison, komisch eigentlich, denn so schlecht lief es für Golden State und auch ihn ja nicht.
Seine Zahlen sind tatsächlich gesunken. In der Regular Season ohnehin, nie traf Curry vorher schlechter aus dem Feld (43,7 Prozent) oder von der Dreierlinie (38 Prozent). In den Playoffs ist das nun ähnlich. Currys True Shooting Percentage ist noch immer gut (59,7 Prozent), aber in seinem persönlichen Power Ranking nur auf Rang sechs für eine Postseason. Sein Punkteschnitt war in drei der fünf bisherigen Finals-Jahre höher (25,9).
Es ist also irgendwie verständlich, dass oft davon die Rede ist, dass Steph an seinem Standard gemessen keine überragenden Playoffs spielt. Es ist aber gleichzeitig ... falsch. Beziehungsweise: Es übersieht einiges. Wie so oft in seiner Karriere sind es nicht nur die zählbaren individuellen Statistiken, die zum Gesamtkunstwerk Curry dazugehören.
In einer Hinsicht ist der 34-Jährige sogar besser als je zuvor ...
Stephen Curry: Ein elitärer Verteidiger?
Einer der wesentlichen Gründe, warum die Warriors es erneut bis in die Finals geschafft und auf dem Weg nur vier Spiele verloren haben, ist Currys Defense. Schwer zu glauben, hat er hier doch seit vielen Jahren einen miesen Ruf, dieser ist aber schon lange nicht mehr wirklich gerechtfertigt. Und in diesem Jahr muss dieser Ruf endgültig begraben werden.
Curry und die Warriors wissen, dass er in jeder Serie eine Zielscheibe auf dem Rücken hat, das Thema ist seit Jahren bekannt. Es ist auch naheliegend: Playoff-Basketball ist oft einfach Mismatch-Basketball, und Curry ist nahezu immer der kleinste Spieler seines Teams. Es ist zudem für jeden Gegner ratsam, ihn defensiv zu beschäftigen und dadurch ein kleines bisschen müde zu machen.
Curry ist jedoch darauf vorbereitet - und müde wird er auch selten, nicht zu Unrecht spricht man bei ihm oft vom konditionell wohl besten NBA-Spieler. Das ist oft auf seine Offense bezogen, es ist aber logischerweise auch am anderen Ende relevant. Auch hier betreibt er einen enormen Aufwand und ist viel in Bewegung, teils sogar mit seinen eigenen Regeln.
Stephen Curry: Die Rotationen sitzen
Gegen die Mavericks etwa taten die Warriors zu Beginn alles dafür, um Curry nicht auf Luka Doncic switchen zu müssen. Das hieß aber nicht, dass er nicht aktiver Teil der Defense war, im Gegenteil. Im Pick'n'Roll war es zunächst meist Currys Rolle, sich Doncic zu "zeigen", dann aber zurück zu seinem Gegenspieler zu rotieren ("show and recover").
Die Warriors vermieden es so, Doncic stets das präferierte Matchup zu schenken. Dallas fand Konter darauf - mit anders positionierten Screens etwa, zu selten auch mit schnellem Abspiel und Drive von Doncic - aber gerade zu Beginn der Serie war diese Defense ein probates Mittel, um die ohnehin nicht schnell spielenden Mavs noch ein Stück weiter zu verlangsamen und ihnen Werkzeuge zu nehmen, die noch gegen Phoenix wertvoll waren.
Diese Art von Defense erfordert es, dass sich alle Verteidiger des Teams auf einer Wellenlänge bewegen, dass schnell rotiert wird, dass häufig mehr als ein defensiver Weg erforderlich ist. Curry hat seinen Teil darin herausragend erfüllt, wie etwa dieses Beispiel zeigt, das auch Mo Dakhil (Bleacher Report) sehenswert herausgearbeitet hat.
Stephen Curry: Es geht auch am Ball
Nicht nur der Block am Ende ist relevant - es ist die konstante Bewegung über die gesamte Possession, die die Warriors, die vor allem aber Curry an den Tag legt. Nicht jeder defensive Weg führt zu Resultaten oder Highlight-Plays, aber gegen gute Offensiven ist es der erste Schritt, zumindest immer im Weg zu sein, keine offenen Würfe oder Drives zu erlauben.
Curry ist auch defensiv immer in Bewegung und als Help-Verteidiger sehr oft da, wo er sein muss. Er hat auch in dieser Postseason aber durchaus schon seinen Erfolg am Ball gehabt. Teilweise gegen Doncic, wenn es den Switch eben doch mal gab, teilweise auch in der Serie zuvor gegen Ja Morant.
Hier ist ein Beispiel, als Curry mit einem Block gegen Morant in letzter Minute den Sieg in Spiel 1 sicherte.
Beispiel Nummer zwei: Doncic bekommt den Switch und postet Curry auf, dieser lässt sich zwar wegdrängen, bleibt aber ein Hindernis und ist sogar nah am Steal. Das Resultat ist ein gut verteidigter Dreier, kein leichter Abschluss am Korb.
Warriors: Jeder muss seinen Beitrag leisten
Natürlich gibt es auch Szenen, in denen Curry den Kürzeren zieht - das ist aber nicht der Punkt. Auch forciert er in der Regel nicht allein Fehlwürfe oder Turnover, das ist aber auch nicht der Punkt. Die Warriors sind exzellent darin, ihm zu helfen, ihn auch zu beschützen, gerade mit Spielern wie Draymond Green, Andrew Wiggins oder auch Gary Payton II.
Jede gute Defense sollte ihren Point Guard beziehungsweise sollte jeden Spieler mit einem schwierigen Matchup beschützen. Aber zu einer der besten Defenses (die Warriors belegten Platz zwei in der Regular Season, Platz sieben in den Playoffs) wird man nur, wenn auch dieser Spieler seinen Beitrag leistet, und das tut Curry.
Steph hat kräftige, schnelle Hände und gute Kernfestigkeit, er ist schnell, diszipliniert und nicht so klein, wie er aussieht - das ist oft schon die halbe Miete. Gerade gegen Dillon Brooks und Austin Rivers bekam er einige Male die Hände an den Ball und forcierte Ballverluste, das könnte auch in den Finals wertvoll werden, schließlich sind die Celtics nicht das stärkste Ballhandling-Team und durchaus anfällig für Steals.
Gerade als Helpverteidiger kommt ihm zudem zugute, dass er das Spiel sehr gut liest und versteht, wann er wo sein muss. Jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Draymond (und einigen anderen) färbt sicherlich ab, aber Curry muss diese Wege schon selbst machen. Noch ein letztes Beispiel.
Grundsätzlich wirkt es so, als hätte Curry die Defense mehr denn je zur Priorität erklärt. Curry-"Flüsterer" Marcus Thompson (The Athletic) sagte kürzlich sogar, dass er dafür ein Stück seiner Offense geopfert habe. Vielleicht ist aber auch das ein Trugschluss.
Es wirkt bisweilen tatsächlich so, als würde Curry etwas Energie konservieren. In den ersten beiden Serien dieser Postseason war zu Beginn sogar Jordan Poole der aggressivste Warrior, Denver änderte bisweilen sogar seine Coverage und machte den 22-Jährigen zeitweise zur obersten Priorität der Defense.
Das kennt man in Golden State eigentlich nur aus den Zeiten mit Kevin Durant, aber Poole (18 PPG bei 67 Prozent True Shooting in den Playoffs) hat sich diesen Respekt durchaus erarbeitet. Curry hingegen begann etwas geduldiger (gegen Denver zunächst ja sogar als Bankspieler) und schlug erst dann zu, wenn es nötig war.
Etwa mit dem besagten Matchup-Hunting: Erst im vierten Viertel wurde reihenweise Nikola Jokic attackiert, und später Morant. Gegen Doncic änderte sich dieser Ansatz etwas, aber das Grundprinzip blieb häufig gleich: Erstmal waren andere an der Reihe, dann Curry, der nach Morant (8,4) die zweitmeisten Punkte im vierten Viertel (8,1) in dieser Postseason erzielt hat.
Stephen Curry: Die Gravity bleibt einzigartig
Teilweise musste er auch gar nicht groß als Scorer eingreifen. Im Prinzip ist dies ja das Schöne an der Dubs-Offense beziehungsweise ihrem gesamten Konzept: Die anderen dürfen, sie sollen sogar. Poole kann ein Spiel gewinnen, Klay Thompson sowieso, Wiggins und Kevon Looney (!) haben es in diesen Playoffs auch schon getan.
Sie alle leben in dem Ökosystem, das vor allem Curry (unter eifriger Mitarbeit von Green, Thompson und einigen anderen) über all die Jahre kreiert hat. Jeder Warriors-Spieler profitiert davon, wieder und wieder. Wir haben Currys Gravity über die Jahre schon einige Male thematisiert, deswegen hier nur in Kürze - aber es bleibt aktuell. Siehe hier:
Curry bekommt für diese Szene nicht einmal einen Hockey-Assist. Doch es ist sein Cut, der die Lücke in die Defense reißt, welche Thompson dann ausnutzt. Es ist diese ständige Bewegung, die Curry so schwer zu verteidigen macht, weil er die Defense eben auch ohne Ball permanent weiter beschäftigt und unter Druck setzt.
Kein Spieler der NBA-Geschichte wurde ohne Ball so verteidigt wie Curry - als Resultat gibt es in jedem Spiel unzählige dieser Plays und als weiteres Resultat wird sein Wert nie komplett durch Zahlen auszudrücken sein. Am ehesten durch das Offensiv-Rating, wenn er auf dem Court steht. Und es hat seine Gründe, dass er hier seit zehn Jahren immer mindestens im 89. Perzentil (zumeist noch höher) rangiert.
Stephen Curry: Sein Impact auf die Warriors-Offense
Saison | On/Off-Differenz Offensiv | Perzentil |
12/13 | +10,4 | 98 |
13/14 | +15,2 | 100 |
14/15 | +12,7 | 99 |
15/16 | +14 | 100 |
16/17 | +18,4 | 100 |
17/18 | +15,1 | 100 |
18/19 | +10,9 | 99 |
20/21* | +15,2 | 99 |
21/22 | +5,8 | 89 |
*Saison 19/20 nicht dabei, da verletzt nur 5 Spiele absolviert.
NBA Finals: Wie verteidigen die Celtics gegen Curry?
Vereinfacht gesagt: Da Curry diese Komponente hat, die ihm einzigartig ist, ist jede Analyse a la "eigentlich spielt er nicht so gut" immer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Selbst mit "nur" 38 Prozent von Downtown wird er noch verteidigt wie niemand sonst, deswegen ist auch sein Wert eben größer als der eines gewöhnlichen 26-PPG-Scorers.
Es ist seit Jahren eine enorme Herausforderung für jede Defense, eine Lösung darauf zu finden, wie Curry das Spiel mit und ohne Ball beeinflusst. Wenige Teams in dieser Zeit schienen dafür so prädestiniert zu sein wie diese Celtics, die defensiv quasi keine Angriffsfläche bieten und in Marcus Smart und Derrick White zwei designierte Kettenhunde für ihn haben, die vielleicht sogar wagen könnten (?), ihn in Single Coverage zu verteidigen.
Es wird faszinierend zu sehen, wie die Celtics Curry begegnen. Boston schaffte es gegen Miami sehr gut, das Movement durch viel Switching und auch exzellente Screen Navigation zu nehmen, aber die Warriors stellen durch ihr Shooting hier noch eine andere Herausforderung dar. Es ist kein Zufall, dass die Warriors die beste Offense dieser Postseason stellen.
Wann zeigt sich Supernova-Steph?
Alles kann man dieser Offense nicht nehmen - aber manches wohl schon. Die Celtics haben tatsächlich sechs ihrer letzten sieben Spiele gegen Golden State gewonnen, auch wenn man dazu sagen muss, dass beide Teams in den letzten Jahren etliche verschiedene Iterationen durchlaufen haben.
Curry wiederum hat in seinen letzten drei kompletten Spielen gegen Boston (im vierten verletzte er sich nach kurzer Zeit) 38, 47 und 30 Punkte aufgelegt - ausgeschaltet wurde auch er also nicht. Es wird sich nun zeigen, ob er vielleicht tatsächlich noch etwas Energie aufgespart hat, ob er noch einen weiteren Gang hochschalten kann.
Ob aus dem überragenden Offensivspieler Curry noch immer Supernova-Steph werden kann. Es ist gut möglich, dass die Warriors dies brauchen werden gegen eine Defense, die vor allem im Halbfeld bisher kaum zu knacken war. Und, das ist bei allem Lob natürlich schon richtig: Die klassische Steph-Explosion mit 10 Dreiern in einem Spiel steht in dieser Postseason tatsächlich noch aus.
Stephen Curry: Ein Award fehlt noch ...
Apropos steht aus: Curry hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, mehrfach. Was ihm noch fehlt, ist der Finals-MVP - den er 2015 schon hätte gewinnen sollen. Damals ging der Award an einen exzellenten Rollenspieler in Andre Iguodala, nicht an den Superstar des Teams, dessen Impact vielleicht noch nicht endgültig "verstanden" wurde.
Auch in diesem Jahr gibt es mehrere Kandidaten bei den Dubs, die ihm den Award mit einer guten Serie (falls sie gewinnen, natürlich!) streitig machen könnten - aber das Unverständnis von damals kann es mittlerweile eigentlich nicht mehr geben. Im Erfolgsfall wäre der Dreier-Rekord für Curry am Ende nicht der wichtigste Meilenstein in dieser Saison.
Jeder weiß mittlerweile: Diese Warriors gehen so weit, wie Curry sie trägt. Er ist die spezielle Zutat, die ein gutes Team besonders macht, das Fundament dieser wiederauferstandenen Dynastie, der Tim Duncan unter den Guards. Dafür muss er nicht einmal unbedingt den Ball berühren. Und manchmal kann er sogar defensiv den Unterschied machen.
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