NBA-Kolumne Above the Break: Warum die Boston Celtics noch besser sind als letztes Jahr

Ole Frerks
14. November 202209:57
SPOXgetty
Werbung

Die Boston Celtics galten als einer der Gewinner der Offseason - bis ein Skandal um ihren Head Coach und mehrere Verletzungen alles durcheinander brachten. Nur das Team nicht. Warum der amtierende Ost-Champion noch besser sein kann als in der Vorsaison.

Bei vielen der vermeintlichen Topteams stottert zu Saisonbeginn noch der Motor, darunter sowohl Bostons letzter Playoff-Gegner im Osten (Miami) als auch der amtierende Champion aus Golden State. Es wäre verständlich, wenn das bei den Celtics auch der Fall wäre - schließlich fehlt ihnen in Robert Williams nicht nur ein Schlüsselspieler, sondern sie mussten kurz vor Saisonbeginn aus dem Nichts auch noch ohne ihren bisherigen Head Coach Ime Udoka auskommen, der vom Team für mindestens ein Jahr suspendiert wurde.

Große Anlaufschwierigkeiten hat dessen Nachfolger Joe Mazzulla, der zuvor als Assistant Coach fungierte, allerdings nicht. Boston steht bei 10-3, ohne die beiden "Schönheitsfehler" in Overtime-Niederlagen gegen Cleveland hätten die Celtics aktuell die beste Bilanz der Liga. Dafür haben sie immerhin die längste aktive Siegesserie (6 Spiele) ...

Defensiv ist Boston zwar weit entfernt vom liga-besten Rating der Vorsaison. Aktuell reicht es hier nur für Platz 23. Aber: Cleaning the Glass zufolge erlaubt Boston die richtigen Würfe, lässt kaum Abschlüsse am Ring oder von draußen zu - die gegnerischen Teams sind bisher nur dummerweise brandheiß aus der Mitteldistanz. Normalisiert sich das ein wenig, wird auch das Rating besser aussehen (und es fehlt, nun, die Special Sauce ihrer Defense).

Celtics-Offense: Besser als die KD-Warriors?

Die größere Geschichte ist aktuell aber so oder so eine andere. Die Celtics stellen momentan die beste Offense der NBA-Geschichte (120,4 Punkte pro 100 Ballbesitze). Das mag über die letzten Jahre an Bedeutung verloren haben, weil Offensiv-Ratings ligaweit ansteigen - aber Boston hebt sich selbst von dieser Entwicklung ab.

Die Celtics sind aktuell 2,5 Punkte pro 100 Ballbesitze besser als Rang 2 (Denver) - so groß ist die Distanz ansonsten zwischen Platz 2 und Platz 7. Im Halbfeld ist es sogar noch extremer: Hier trennen die Celtics fast genau 6 Punkte vom zweitplatzierten Dallas ... und über 7 Punkte von den 16/17er Warriors.

Wie kann das sein? Die folgenden Gründe lassen sich identifizieren:

1. Mazzulla mag Mathe

Der neue Coach hat das Augenmerk sogar noch mehr auf die Dreierlinie verfrachtet. Boston nimmt über 44 Prozent seiner Würfe von draußen, das ist Ligaspitze und nochmal fünf Prozent mehr als unter Udoka. Nur fünf Teams nehmen mehr Spot-Up-Würfe als die Celtics, niemand ist dabei ansatzweise so effizient (1,23 Punkte pro Spot-Up-Play!).

Das Team ist momentan kollektiv on fire - Boston verfügt über die drittbeste Dreierquote der Liga, was bei der Frequenz natürlich zu guten Resultaten führt. Aus der festen Rotation treffen alle Schützen außer Marcus Smart (28,3 Prozent) derzeit zwischen 35,7 und 50 Prozent. Das ist absurd, und ganz so extrem auch eher nicht haltbar (wobei einige Spieler auch besser treffen könnten ... egal).

NBA: Die Dreierquoten der Celtics-Rotation

Spielerversuchte Dreier/SpielQuote in %
Jayson Tatum9,538,7
Jaylen Brown735,7
Marcus Smart5,428,6
Al Horford4,647,8
Sam Hauser4,445,6
Derrick White3,539,1
Malcolm Brogdon3,536,8
Grant Williams3,350

Aber: Ein sehr großer Teil dieser Würfe ist tatsächlich auch gut herausgespielt und offen. Die Celtics nehmen sehr selten unvorbereitete Würfe, sondern spielen konsequent Drive-and-Kick und finden gute Abschlüsse, auch von anderen Spots.

Die Celtics sind momentan von jedem Fleck auf dem Court überdurchschnittlich effizient. So kaschieren sie auch, dass sie aktuell nur 30,7 Prozent ihrer Würfe am Ring nehmen (Platz 25 ligaweit) - auch hier gehört allerdings erwähnt, dass der mit Abstand gefährlichste Rim-Runner und Lob-Empfänger momentan eben noch zusieht. Mit Williams kommt früher oder später noch eine weitere Dimension zu dieser Offense hinzu.

2. Die Rotation ist tiefer

Selbst ohne den Center ist das Team aktuell etwas breiter aufgestellt als in der zweiten Saisonhälfte 21/22, als Udoka im Wesentlichen sieben Spieler einsetzte, denen in der Postseason zum Teil die Puste ausging. Die großen Positionen sind zwar nach wie vor recht dünn besetzt, dafür sind vor allem zwei Spieler echte Bereicherungen.

Der erste ist Sam Hauser: Der Zweitjahresprofi ist erstmals ein echter Rotationsspieler und demonstriert, welche Qualität ihn lange in der Liga halten wird. Er ist schlichtweg ein überragender Shooter, trifft 45,6 Prozent seiner Würfe von draußen und wird dabei von Mazzulla immer vielseitiger eingesetzt.

Hauser wird nicht in der Ecke geparkt, sondern ist als Cutter oder Screener ständig unterwegs und schafft dadurch zusätzlich Räume für die anderen Spieler. Es wird sich zeigen, ob er defensiv in den Playoffs standhalten kann, aber wenigstens in der Regular Season sind solche Akteure Gold wert - zumal für ein Gehalt von 1,6 Mio. Dollar.

Wowza, Hauser!nba.com/stats

Der zweite, prominentere Name ist Malcolm Brogdon. Aktuell pausiert der Guard mit Oberschenkelproblemen, zuvor gab er seinem neuen Team aber ziemlich genau das, was noch gefehlt hat: Einen Spieler, der nahezu immer zum Ring kommen kann und der die Offense zur Not auch mal "alleine" schultern kann.

Dafür haben die Celtics ihn geholt - Brogdon spielt in Boston zwar weniger, hat dafür aktuell aber sogar die höchste Usage-Rate seiner Karriere in seinen Minuten. Seine Anwesenheit führt auch (mit) dazu, dass die Celtics mittlerweile fast schon ein Überangebot in einer Disziplin haben, die vor nicht allzu langer Zeit noch ein Problem war.

3. Der Playmaking-Sprung

Es ist etwa ein Jahr her, dass Smart öffentlich sagte, die Stars der Celtics wollten nicht passen - das ist schon lange überhaupt kein Thema mehr. Das liegt zum Teil an Jaylen Brown und Jayson Tatum, aber zu einem sehr großen Teil auch an den Spielern um sie herum.

Die Celtics sind mittlerweile ein Team (überwiegend) voller guter und schneller Decision-Maker. Brogon oder Derrick White zögern kaum, gerade White entscheidet sofort, ob er wirft, passt oder ein Closeout attackiert. Auch Grant Williams ist längst kein reiner Spot-Up-Schütze mehr; viel häufiger als zuvor setzt er den Ball auch mal auf den Boden und geht zum Korb, was ihn schwerer zu verteidigen macht (vielleicht wird es sich rächen, dass man sich in der Offseason nicht auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung einigte - macht Williams so weiter, wird er teuer).

Was daraus folgt, ist eine multidimensionale, schnellere Offensive mit gutem Player- und Ball-Movement - und das über das gesamte Spiel. Denn die Abhängigkeit von der Starting Five reduziert sich durch die Anwesenheit anderer Optionen. Ein Beispiel: Lineups mit Tatum, in denen Brown, Smart und Al Horford auf der Bank sitzen, erzielen fast 130 Punkte pro 100 Ballbesitzen. Diese Lineups waren vergangene Saison schon gut (117), jetzt sind sie galaktisch.

Und wenn wir schon dabei sind, der wichtigste Schritt ...

4. Jayson Tatum ist ein legitimer MVP-Kandidat

Vorweg: Ehe Brown schon wieder unter den Tisch fällt, muss auch sein Saisonstart erwähnt werden. Brown legt ein Career-High bei den Punkten auf (25,3) und ist bei der True Shooting Percentage nah dran, er ist endlich (!) ein guter Freiwurfschütze. Er ist auch ein bärenstarker Tough-Shot-Maker, der kaputte Possessions immer wieder retten kann, und eine Waffe in Transition. Stand jetzt sollte er zum zweiten Mal am All-Star Game teilnehmen dürfen.

Tatum ist trotzdem noch einige Schritte weiter. Nachdem er im Vorjahr erstmals ins All-NBA First Team gewählt wurde, ist Tatum in dieser Saison ein ganzes Stück besser. Tatum scort mehr und effizienter denn je, er leistet sich die niedrigste Turnoverrate seiner Karriere, wirkt schlichtweg auf eine Art und Weise kontrolliert, wie es nur die allerbesten Spieler sein können.

Tatum ist kräftiger geworden und hat an seinem Finishing gearbeitet. Er sucht den Kontakt häufiger und bekommt mittlerweile wohl auch etwas mehr Respekt von den Schiedsrichtern - die Folge sind neun Freiwürfe pro Spiel, mit Abstand Career-High. Und er trifft fast 80 Prozent am Ring, auch das ein Karrierebestwert - Tatum könnte sich noch einen besseren Floater aneignen, abgesehen davon wirkt sein Spiel aktuell nahezu lückenlos, zumal er einer der besten Verteidiger auf seiner Position bleibt.

Auch Tatum profitiert dabei vom zusätzlichen Playmaking um ihn herum. Öfter als in der Vorsaison wird der 24-Jährige von anderen in Szene gesetzt und für leichte Punkte gefüttert. Er ist ein williger Cutter und muss den Ball nicht dominieren, um an seine Abschlüsse zu kommen. Viel davon kommt im Fluss des Spiels, beispielsweise auch, nachdem Off-Ball-Screens für ihn gestellt wurden. Insbesondere Smart, aber auch Williams sind Meister darin.

Leichte Punkte sind spitze!nba.com/stats

Vergangene Saison gingen nur 47 Prozent seiner Field Goals ein Assist voraus, aktuell sind es fast 58 Prozent. Es spricht alles für eine gesunde, unberechenbare Offense. Und wenn es nötig ist, haben die Celtics mit dem Shotmaking von Tatum und Brown logischerweise trotzdem zwei der besten "Brechstangen", die ligaweit zu finden sind ...

Alles in allem ist das ein ziemlich reizvolles, derzeit sogar historisches Paket. Selbst wenn das Shooting mit der Zeit auf jeden Fall etwas abkühlen kann, lässt das die Celtics für den Moment wie eins der Teams aussehen, die in dieser Spielzeit bis zum Ende mitreden sollten. Mehr geht Stand jetzt ohnehin noch nicht.