Vor elf Jahren wurde Kevin Garnett von den Minnesota Timberwolves zu den Boston Celtics getradet. Nicht nur für die beteiligten Teams war dies ein Wendepunkt, etliche Entwicklungen in der Liga lassen sich noch heute auf diese Transaktion zurückführen. Dabei wäre sie beinahe nicht zustande gekommen ...
NBA-Transaktionen geschehen nie in einem Vakuum. Alles bedingt sich gegenseitig, übt Einfluss aus und ist irgendwie miteinander verworren, weshalb sich gewisse Ereignisse oft bis an einen gewissen Punkt "zurückverfolgen" lassen. Wobei man natürlich kaum jemals an einen Punkt gelangen wird, der definitiv einen Anfang markiert.
Dennoch gibt es besonders signifikante, besonders einschneidende Ereignisse in der NBA-Geschichte. In der jüngeren Historie gibt es dabei kaum eine Transaktion, die so viele verschiedene Teams und Persönlichkeiten, so viele Trends beeinflusst hat wie diejenige, die sich heute, am 31.7.2018, zum elften Mal jährt.
Der Trade von Kevin Garnett von den Minnesota Timberwolves zu den Boston Celtics hat wesentlich mehr bewirkt, als man auf den ersten Blick feststellen könnte. Daher folgt hier ein Versuch, zumindest die wichtigsten Spuren und Pfade nachzuverfolgen. Denn: Überraschend viele von ihnen führen an einem gewissen Punkt wieder zusammen.
Wie kam der Trade von Kevin Garnett zustande?
Wie bei jedem großen Deal muss man auch beim KG-Trade ein Stück weiter vorne beginnen, denn schon früh hätte das Ganze mehrere völlig andere Richtungen einnehmen können. Blicken wir zurück auf den Frühsommer 2007, einige Tage vor dem NBA Draft - in Boston auch bekannt als eine der prekärsten Zeiten der Franchise-Geschichte.
Die Celtics hatten ihre komplette Saison auf den Draft ausgerichtet, will sagen: Sie haben getankt, zu einem Ausmaß, das sogar Sam Hinkie stolz gemacht hätte. 24 Siege holten sie in dieser Saison, die zweitmieseste Bilanz der NBA, auch weil sie ihren einzigen All-Star Paul Pierce nur in 47 Spielen zur Verfügung hatten. Nach Jahren im Mittelmaß erhoffte man sich, via Draft endlich die Wende schaffen zu können.
Mit Kevin Durant und Greg Oden standen dabei zwei Spieler die gesamte Saison über im Fokus, die vor dem Sprung in die NBA standen und bei denen klar war, dass die Draft-Positionen 1 und 2 von ihnen besetzt werden würden.
Boston soll im Gegensatz zu den meisten Teams (richtigerweise) Durant bevorzugt haben, aber eine Rolle spielte das nicht: Die Celtics bekamen bei der Lottery nur den 5. Pick zugesprochen, fielen also weit zurück. Eine ganze Saison des Tankings war für die Katz gewesen, so schien es zumindest.
2007: Die Boston Celtics am Scheideweg
In Boston wurden nun vermehrt Stimmen laut, die eine Entlassung von Head Coach Doc Rivers forderten, außerdem stand auch der damals 29-jährige Pierce kurz davor, um einen Trade zu bitten. General Manager Danny Ainge musste also aktiv werden, sonst hätte relativ bald auch sein Stuhl gewackelt. Der Plan, die Saison quasi abzuschenken, war schließlich seiner gewesen.
Ainge hatte indes noch ein Ass im Ärmel, beziehungsweise einen Spieler, auf den er es schon lange abgesehen hatte. Kevin Garnett. Der MVP von 2004 war bis zu diesem Zeitpunkt immer loyal zu den Minnesota Timberwolves gewesen, nun wartete er jedoch seit 2004 auf eine Playoff-Teilnahme und sah seine Blütezeit auf ihr Ende zugehen, ohne jemals eine echte Titelchance zu haben. Mit nun 31 Jahren hatte er erstmals signalisiert, dass er einem Trade nicht abgeneigt sei, und Ainge witterte endlich seine Chance.
Assets in Form von jungen Spielern und Draft-Picks hatte Ainge, dazu auch ein sehr gutes Verhältnis zum Timberwolves-GM Kevin McHale, seinem ehemaligen Mitspieler und guten Freund. Eigentlich war die Aussicht auf einen Deal trotz der enttäuschenden Lottery also ganz gut - es gab nur ein relativ großes Problem: KG hatte kein Interesse an den Celtics.
Kevin Garnett wäre beinahe bei den Warriors gelandet
Er wollte zu einem Contender und im Idealfall schönes Wetter haben, nicht das zweitschlechteste Team der Liga im kalten Boston. Da er zudem nur noch ein Vertragsjahr hatte und klarstellte, dass er nicht bei den Celtics verlängern würde, sah Ainge zunächst davon ab, seinen No.5-Pick und Al Jefferson, damals das größte Talent der Celtics, für Garnett abzugeben.
Nun nahmen andere Gespräche Fahrt auf. Die Lakers boten Lamar Odom und Andrew Bynum, McHale aber hasste die Lakers und wollte sie nicht wieder zum Contender machen. Ein Deal mit den Warriors für unter anderem Jason Richardson soll praktisch schon beschlossen gewesen sein, wie Chris Mullin später verriet, platzte aber wieder. Die Suns waren interessiert, auch an einem Drei-Team-Trade, der Boston wiederum Shawn Marion gebracht hätte. Die Cavs, die Bulls, die Mavs, alle wollten KG. Aber kein Deal wollte zustande kommen.
Ainge blieb derweil beharrlich und versuchte es auf einem anderen Weg. Er involvierte den No.5-Pick, aus dem übrigens Jeff Green wurde, in einen Trade für den alternden Sonics-Star Ray Allen, der in Boston zunächst nicht gerade gut ankam: Warum opferte man, nur für einen weiteren alten Flügelspieler, einen Teil der Zukunft? Allzu gefährlich wäre ein Team aus Pierce, Allen, Jefferson und dem jungen Rajon Rondo eher noch nicht gewesen.
Ein neues Superteam in Boston
Was dabei jedoch nicht beachtet wurde: Ainge hatte den Allen-Deal eingefädelt, ohne die wichtigsten Assets abgesehen vom No.5-Pick abzugeben. Und zumindest bei Garnett schindete der Trade doch einen gewissen Eindruck - nachdem keiner der anderen Deals realisiert wurde und Ainge beständig mit McHale in Diskussionen blieb, erklärte Garnett sich nach einigem Hin und Her dann doch bereit, sich mit dem Celtics-GM persönlich zu treffen.
Bei diesem Treffen, das die Timberwolves beiden Parteien erst erlauben mussten, sprang der Funke dann doch ziemlich schnell über, und wenige Tage später wurde der Deal tatsächlich durchgeführt: Garnett und sein damaliger Monstervertrag gingen im Tausch für Jefferson, Ryan Gomes, Gerald Green, Theo Ratliff, Sebastian Telfair und zwei Erstrundenpicks nach Boston.
Auf einen Schlag hatte sich das Kräfteverhältnis in der NBA verschoben und es war eine Art "Superteam" entstanden - auch wenn man es damals noch bei dem Ausdruck "Big Three" beließ. Etliche glückliche Umstände hatten dabei geholfen, nicht zuletzt die Freundschaft zwischen McHale und Ainge; wenngleich Jefferson eine Zeit lang wie ein Star wirkte, hätten die Wolves gerade von den Lakers ziemlich sicher ein besseres Paket für ihren langjährigen Franchise Player bekommen können.
Wobei das sicher nicht der einzige Grund war, warum sie noch bis 2018 (!) auf eine weitere Playoff-Teilnahme warten mussten: Mit dem einen 2009er Erstrundenpick, den sie aus Boston bekamen, wählten sie an Position 6 Jonny Flynn - einen Pick später ging ein gewisser Stephen Curry über die Ladentheke.
Der zweite KG-Trade sicherte Bostons Zukunft
Für die Celtics wiederum entwickelte sich der Deal kurz- und langfristig zum Hauptgewinn. Direkt in ihrer ersten Saison gewannen Garnett, Pierce und Allen den Titel gegen die Lakers, die statt Garnett während der Saison Pau Gasol per Trade geholt hatten, 2009 bremste sie eine Verletzung von KG, 2010 erreichten sie erneut die Finals und verloren erst im siebten Spiel bei der Revanche gegen L.A.
Bis 2012 blieben sie im Contender-Kreis und in der Folge wuchs das Profil der Big 3, die ohnehin schon alle auf Hall-of-Fame-Kurs gewesen waren, noch einmal um einiges an - keiner hatte zuvor einen Titel gewonnen, zusammen verkörperten sie für eine gewisse Zeit ein ideales Team, auch wenn am Ende "nur" ein Ring heraussprang. Auch wenn Allen sich als Free Agent schon 2012 verabschiedete.
Ein Jahr später verabschiedete Ainge auch Garnett und Pierce, in diesem Fall aber absichtlich: Der Trade der beiden alternden Stars nach Brooklyn schmerzte zwar, hat Boston jedoch die Zukunft gesichert. Ohne die Picks, die sie damals von den Nets zurückbekamen, hätten sie heute weder Kyrie Irving, noch Jayson Tatum oder Jaylen Brown - oder eine Favoritenrolle im Osten für die Saison 18/19.
Der zweite KG-Trade im Überblick
Brooklyn bekam | Boston bekam |
Kevin Garnett | Keith Bogans |
Paul Pierce | MarShon Brooks |
Jason Terry | Kris Humphires |
D.J. White | Kris Joseph |
1st-Rounder 2017 (Kyle Kuzma) | Gerald Wallace |
2nd-Rounder 2017 (Aleksandar Vezenkov) | 1st-Rounder 2014 (James Young) |
1st-Rounder 2016 (Jaylen Brown) | |
1st-Rounder 2017 (Markelle Fultz) | |
1st-Rounder 2018 (Collin Sexton) |
Die Boston Celtics waren LeBron James im Weg
Das wäre sozusagen die Mikro-Wirkung für die Celtics (und die Nets) - der KG-Trade hat auf einer Makro-Ebene allerdings noch wesentlich mehr bewirkt. Denn dieses Celtics-Team war nicht der einzige, aber zumindest einer der treibenden Faktoren hinter dem nächsten einschneidenden Ereignis in der NBA.
2007 hatte LeBron James mit seinen Cleveland Cavaliers überraschend die NBA Finals erreicht, dort aber chancenlos gegen die San Antonio Spurs verloren. Dennoch schien der damals 23-jährige James prädestiniert, die Eastern Conference über die nächsten Jahre mit den Cavs zu dominieren, zumal nach dem Ende der Pistons und Heat ein wirklich starker Konkurrent fehlte. Doch dann formte sich in Boston ein Team, das in der Folge zu Clevelands Albtraum wurde.
Sowohl 2008 als auch 2010 warfen die Celtics die Cavs aus den Playoffs (2009 war es Orlando), schlimmer als das war aber die Art und Weise: Gerade Pierce und Garnett nahmen jede Gelegenheit wahr, James auf seine Playoff-Misserfolge hinzuweisen und ihn zu demütigen, nicht selten auf ziemlich persönliche Art.
Die Heatles als Reaktion auf die Boston Celtics
Über einige Zeit waren die alten, fiesen Celtics eine Art Schulhof-Rüpel in der Eastern Conference, zumal ihnen der immer besser werdende Rondo auch intern eine Frischzellenkur verpasste. Ihr Championship-Fenster würde zwar nicht ewig geöffnet sein, für den Moment kam James jedoch nicht an ihnen vorbei, auch weil das Front Office der Cavaliers mit allen möglichen Versuchen, ihm einen vernünftigen Supporting Cast an die Seite zu stellen, immer wieder scheiterte.
Boston war 2010 sicherlich nicht der einzige Grund, der LeBron aus Cleveland heraustrieb, eine Rolle spielten die Celtics aber dabei - zumal sie auch gewissermaßen legitimierten, dass sich in Miami ein neues Superteam formen konnte. Zwar waren Pierce, Allen und Garnett deutlich älter und unter anderen Umständen zusammengekommen, eine gewisse Vorbildfunktion hatten sie aber wohl für James, Chris Bosh und Dwyane Wade, die sie alle nicht alleine besiegen konnten.
Es war insofern auch kein Zufall, dass LeBron in den Conference Finals 2012, mit dem Rücken zur Wand bei Spiel 6 in Boston, seinen endgültigen Playoff-Durchbruch feierte und die Celtics-Dämonen erledigen musste, bevor er wenige Wochen später (endlich) seine erste Meisterschaft feiern konnte.
Die Auswirkungen der "Decision"
Was die "Decision" und die "Heatles" dann wiederum über Jahre ausgelöst haben, ist bekannt: Für Superstars ist es heute viel salonfähiger, mal das Team zu wechseln oder Deals anzustreben, die sie mit anderen Superstars zusammenspielen lassen. Die Spieler kontrollieren ihre eigenen Situationen mehr denn je, insbesondere James hat heute wohl mehr Macht als jeder Superstar vor ihm.
Das Superteam-Thema auf die Spitze getrieben hat wiederum Durant, der sich 2016 dem ohnehin schon besten Team der Liga um Stephen Curry (und nicht Jonny Flynn!) in Golden State anschloss und den Rest der Liga damit, zumindest kurzfristig, Schachmatt gesetzt hat. Ausgerechnet Durant.
Der Schmetterlingseffekt
In irgendeinem Parallel-Universum hätten die Celtics 2007 den No.1- oder 2-Pick bekommen, KD gedraftet und diesen zum großen Rivalen von James aufgebaut. Garnett hätte in diesem Universum vielleicht mit Baron Davis bei den Warriors zusammengespielt, Curry wäre ziemlich sicher von einem anderen Team gedraftet worden. Im nächsten Parallel-Universum hätten Ainge und Rivers in Boston ihren Job verloren, Pierce hätte Boston verlassen die Celtics, wie auch der Rest der Liga, eine komplett andere Richtung eingeschlagen.
Die Szenarien lassen sich fast beliebig weiterspinnen, und genau das definiert den Schmetterlingseffekt: Jede Transaktion, so klein sie im Moment auch wirken mag, kann unvorhersehbar große Auswirkungen haben.
Der KG-Trade wirkte schon im Moment alles andere als klein - aber niemand hätte 2007 voraussagen können, wie sehr die NBA durch ihn auch auf der Makro-Ebene auf den Kopf gestellt wurde. Gut möglich, dass diese Auswirkungen auch heute, elf Jahre später, noch längst nicht alle erkennbar sind.