Tracy McGrady will endlich sein Verlierer-Image abstreifen. Aber hat er dieses überhaupt verdient? SPOX stellt die Houston Rockets im Portät vor.
Jetzt mal ehrlich: Wie kann Tracy McGrady abends überhaupt in den Spiegel schauen? Dass er in den Schlaf findet, muss an ein Wunder grenzen, wenn man an all das Schlechte denkt, dass er über die Welt bringt. Finanzkrise, Ozonloch, schlechtes Wetter - im Zweifel ist es T-Macs Schuld.
So oder so ähnlich muss sich McGrady vor der neuen NBA-Saison fühlen. Der 29-Jährige ist der nicht gewürdigte Held in der NBA. Aber so ist das nun mal, wenn man mit zweitem Vornamen "Verlierer" heißt. Kein Star ist in der NBA so als Versager abgestempelt als Tracy "Ich gewinne ums Verrecken keine Playoff-Serie" McGrady. Wie gerecht das ist, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Fakt ist, dass McGrady sieben Chancen hatte, die erste Playoff-Runde zu überstehen. Sieben Mal ging es schief.
Besser als Bryant und James
Für viele Experten ist auch ein zweimaliger NBA-Scoring-Champion deswegen ein Verlierer. Dass sein Punkteschnitt in den Playoffs über seine Karriere hinweg (28,5) besser ist als der von einem gewissen Kobe Bryant (24,3) oder einem gewissen LeBron James (27,5) scheint keinen zu interessieren.
Dass er nebenbei noch reboundet, Assists verteilt und ackert wie ein Berserker bleibt ebenso ungelobt. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass McGrady häufig im Schlussviertel die Kraft fehlt, um dort Spiele alleine zu entscheiden, bringt ihm die nächsten Vorwürfe ein.
Es ist wohl eine Ironie des Schicksals, dass McGrady die Rockets in den vergangenen Jahren genau soweit getragen hat, um dann die ganze Schuld überhaupt abbekommen zu können. Ohne ihn hätte es gar keine Playoffs gegeben in Houston, also auch kein Ausscheiden in der ersten Runde.
Verletzungsgeplagter mit Schlafzimmerblick
Sicherlich hat auch McGrady seinen Anteil an seinem Image. Seine schläfrigen Augen, seine Schwankungen zwischen 40-Punkte-Highlights und BBL-Backstein-Spielen und seine Verletzungsanfälligkeit führen manchmal nicht unbedingt dazu, dass man den Eindruck von einem großen Spieler bekommt.
Als man zu Beginn der Vorbereitungsphase die ersten News aus Houston hörte, wurde es allen Rockets-Fans schon wieder etwas schwummrig. McGrady erzählte von seinem Knie, das nach der Operation im Frühjahr viel langsamer heilen würde als gedacht.
Er berichtete von seiner arthritischen Schulter, die er nach der Saison auf jeden Fall operieren lassen müsse. Alles Sätze, die man von seinem Franchise Player zu Beginn der Preseason nicht hören will. Schon gar nicht, wenn man weiß, wie sehr Verletzungen in den letzten Jahren die Rockets plagten.
Rosa-rote Rockets-Welt
Wenn man aber mal die Schwarzmalerei beiseite lässt und stattdessen sich die Rockets-Welt rosa-rot vorstellt, merkt man schnell, warum dieses Team Hype-Potenzial ohne Ende hat. Wenn man sich vorstellet, wie dieses Team spielen könnte, springen viele begeistert vor dem Fernseher auf und ab.
Punkt 1: McGrady fühlt sich nach den letzten Eindrücken immer besser. Er hat wegen seines Knies zwar noch kein Preseason-Spiel gemacht, aber dafür zum ersten Mal seit langer Zeit zwei Trainings nacheinander durchgestanden. Ohne dass das Knie angeschwollen wäre. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist...
Punkt 2: Yao Ming scheint nach seinem Ermüdungsbruch wieder ganz der Alte zu sein. Nach drei Pech-Jahren muss der Chinese mal wieder von Verletzungen verschont bleiben. Und ist Yao fit, könnte er einer MVP-Saison entgegen steuern.
Punkt 3: Es hat einen Grund, warum Ron Artest in diesem Text erst jetzt vorkommt. Es gab bislang nicht den Hauch eines Anzeichens, dass Ron-Ron in Houston für negative Schlagzeilen sorgen könnte. Ob Artest wirklich geläutert ist oder nicht, weiß nur er, aber eines steht fest: Rockets-Headcoach Rick Adelman hat ein Händchen für Artest und außerdem ist sich dieser seiner großen Chance bewusst, in Houston nach dem Titel greifen zu können. Artest wird keinen Ärger machen und sich auf Basketball konzentrieren. Wenn er das tut, gehört er zu den besten zehn Spielern der NBA. Punkt. Seine Verpflichtung ist gar nicht hoch genug einzuschätzen und steht in einer Kategorie mit Kevin Garnett (Boston) oder Pau Gasol (L.A. Lakers) aus dem Vorjahr.
Punkt 4: Die Kombination aus Artest und Shane Battier ist verteidigungstechnisch unerreicht. "Unsere Defense wird unsere große Stärke. Darauf müssen wir uns verlassen können. Dass wir Ron dazubekommen haben, wird uns helfen", meinte Adelman. Helfen? Eine nette Untertreibung! Ein Team, das schon vorher zu den besten Defenses der NBA zählte, bekommt einen Defensive Player of the Year als Verstärkung. Was ist die Steigerung von Defense? Defensiger, am defensigsten, Rockets 2008/2009!
Punkt 5: Spielmacher Rafer Alston gehört nicht zu den großen Stars, aber die ehemalige Streetball-Legende (Spitzname: Skip to my Lou) passt gut ins System und könnte in der neuen Saison besonders von Artest profitieren. Alston wird als Scorer entlastet, seine Assists sollten zunehmen.
Punkt 6: Mit Neuzugang Brent Barry konnte man einen ganz wichtigen Rollenspieler für die Bank verpflichten. Dazu werden Point Guard Aaron Brooks oder Power Forward Carl Landry immer besser.
Das Meisterschafts-Tor steht offen
"Ich weiß, dass ich dafür kritisiert werde, mein Team in den Playoffs nicht zum Titel zu führen, aber es ist echt verdammt hart, wenn Du die Puzzle-Teile nicht an deiner Seite hast, die man braucht, um das nächste Level zu erreichen. Jetzt habe ich sie. Schauen wir, was passiert", sagt McGrady.
Houston kann die ersten 40 Spiele der Regular Season gewinnen, es ist vollkommen egal. Okay, beeindruckend wäre das ja schon, aber es zählt eben nur, was in den Playoffs passiert. Mehr denn je.
Denn in dieser Saison kommt McGradys erste richtige Chance: Zum ersten Mal gibt es keinen Grund, warum er in den Playoffs keinen Erfolg haben sollte. Das Tor zur Meisterschaft steht ihm und den Rockets offen.
Und man kann sicher sein: Sollte T-Mac die Rockets zum Titel führen, wird aus dem "Versager" im Handumdrehen der bombastische "Siegertyp", für die ihn alle schon immer gehalten haben.
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