"Warum nicht nach den Sternen greifen?"

Martin Klotz
27. September 201611:33
Paul Zipser ist am Beginn eines neuen Karriere-Abschnitts
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Paul Zipser steht vor seiner ersten Saison mit den Chicago Bulls. Der deutsche Forward spricht im Interview über seine Gefühle, den Umzug und den Vergleich zwischen Kobe und MJ. Außerdem berichtet er vom Umgang mit dominanten Spielern und erzählt von seinen Träumen.

SPOX: Paul, 30 Tage sind es noch genau bis zum Saisonstart der Bulls gegen die Boston Celtics. Wie ist die Gefühlslage, wenn Sie daran denken?

Paul Zipser: Aufgeregt. Ich sehe ja auch auf Instagram den Countdown bis zum ersten Spiel und es kribbelt schon ganz ordentlich. Das wird sicher etwas Besonderes, wenn es so weit ist. Aber in der Zwischenzeit freue ich mich erstmal, Chicago zu entdecken, die Vorbereitung, die Herausforderung im Training Camp mit den Stars und den vielen jungen Spielern. Und natürlich freue ich mich einfach darauf, mein neues Team kennenzulernen.

SPOX: Wie sahen der Tage nach der EM-Qualifikation für Sie aus?

Zipser: Nach der Zeit beim DBB musste ich wegen des Visums noch ein paar Tage warten, aber seit fünf Tagen bin ich endlich in Chicago. Erstmal war natürlich wichtig, eine Wohnung zu finden und mir ein Auto zu besorgen. Mit Sicherheit wird noch einiges auf mich zukommen, das ich jetzt noch nicht bedacht habe. Aber das wird schon.

SPOX: Vor dem Draft haben Sie mir im Interview gesagt, Sie wären schon sehr gespannt auf die USA, da Sie vorher noch nicht da waren. Jetzt haben Sie Ihre ersten Trips in die Staaten hinter sich. Was war besonders beeindruckend oder überraschend?

Zipser: Als ich das erste Mal drüben war, hatte ich mir von der Veränderung ehrlich gesagt mehr erwartet. Aber es war cool. Ich war als erstes in New York, damit kann man schon mal starten. (lacht) Dann noch in Houston, New Orleans - und natürlich zur Vertragsunterzeichnung kurz in Chicago. Ich war ja bisher nur Gast, dort zu leben wird noch einmal etwas anderes. Ich bin auch nicht allein, meine Freundin kommt mit und ich denke, dass wir beide das schon gut hinbekommen werden.

SPOX: Wie war für Sie der - erst einmal vorläufige - Abschied aus Deutschland?

Zipser: Ich war leider wenig in München, sodass ich nicht so viel Zeit zum Packen hatte. Meine Freundin kommt erst in etwa einem Monat nach, den Rest in der Wohnung muss sie dann allein machen. Ich habe natürlich alle meine Verträge kündigen müssen: Handy, Versicherungen und so weiter. An diese banalen Dinge wie Kündigungen denkt man nicht, wenn man jahrelang jeden Tag davon träumt, in die NBA zu gehen. Man hat so viele "normale" Dinge zu tun, dass man da auch ein bisschen auf den Boden zurückgeholt wird. Aber ich bin eben auch ein ganz normaler deutscher Bürger, der in die USA umzieht. Ich muss selbst ins Konsulat und mein Visum abholen. Das ist irgendwie auch ganz angenehm.

SPOX: Wie war der Kontakt zu den Verantwortlichen der Bulls und zu Coach Fred Hoiberg seit dem Draft?

Zipser: Als die Verpflichtungen von Dwyane Wade, Rajon Rondo und Robin Lopez durch waren und die Jungs da drüben wieder etwas mehr Zeit hatten, hat man sich gut um mich gekümmert. Jeden zweiten oder dritten Tag hat mir jemand anderes geschrieben, ob das jetzt der Fitness-Trainer, ein Assistant Coach oder Hoiberg selbst war. Ständig haben wir telefoniert und sie wollten einfach, dass es mir gut geht und dass alles vorbereitet ist, wenn ich rüberkomme. Wenn ich etwas brauchte, haben sich gleich drei, vier Leute darum gekümmert. Sie haben gut kommuniziert, ich selbst konnte auch mitreden und das war sehr angenehm.

SPOX: Haben Sie schon erste Spielzüge bekommen oder sogar schon angefangen, das Playbook durchzuarbeiten?

Zipser: Nein, ich habe bisher nur Fitness- und Kraftübungen bekommen. Basketballerisch gab es da im Vorfeld noch nichts. Es wurde natürlich gesagt, was meine Stärken und Schwächen sind und woran ich arbeiten soll, aber das weiß ich ja auch selbst. (lacht)

Bulls-Insider Johnson: "Zipsers Skill-Set fehlt den Bulls"

SPOX: Die Bulls haben eine große Geschichte. Haben Sie sich schon die alten Championship-DVDs gekauft, um mitreden zu können?

Zipser: Dafür war leider noch keine Zeit. Wir hatten ja mit der EM-Qualifikation alle Hände voll zu tun. Aber wenn ich jetzt hier jeden Tag in die Halle gehe und die Trikots und Trophäen sehe, dann weiß ich schon, dass ich mir einige Szenen von früher definitiv nochmal anschauen werde.

SPOX: Wo wir gerade bei den guten alten Zeiten sind: MJ oder Kobe?

Zipser: MJ war leider ein wenig zu früh für mich, ich habe kein Spiel von ihm in voller Länge gesehen. Klar kennt man die Highlights, aber Kobe, Shaq und Allen Iverson waren eher die Helden meiner Jugend. Die Zahlen sprechen aber für Jordan und ihn und seine Spielweise schätze ich mehr als die von Kobe. Daher ist es für mich eigentlich ganz klar: MJ.

SPOX: Jordan hatte bei den großen Erfolgen im Bulls-Trikot immer wichtige Helfer, zum Beispiel Scottie Pippen und Dennis Rodman. Mit welcher Spielweise können Sie sich eher identifizieren?

Legendenserie: Dennis Rodman - Gefangen im eigenen Schatten

Zipser: Pippen hatte viele Qualitäten und hat auch in den Jahren ohne MJ gezeigt, was er kann. Rodman war einer der besten Rollenspieler, die es je gab. Er hat Defense und Rebounding auf dem Court über alles andere gestellt. Das war sein Ding. Heute sieht man es noch viel mehr, dass Spieler speziell nur für eine Aufgabe geholt werden. Man kann in jedem Team genau sagen, wer was zu tun hat. Und Rodman war dafür ein Paradebeispiel, der MJ und Pippen mit seiner Drecksarbeit den Rücken freigehalten hat und dadurch einen wichtigen Anteil an den Meisterschaften hatte.

SPOX: Bevor Sie mit den Bulls selbst um Titel kämpfen können, müssen Sie sich erst einmal im Training Camp für einen Platz in der Rotation empfehlen. Ihre Mitspieler wie Nikola Mirotic, Doug McDermott oder Tony Snell werden dann in gewisser Weise zu Konkurrenten. Was wissen Sie über die anderen Flügelspieler in Chicago?

Zipser: Natürlich kenne ich jeden von ihnen schon ein bisschen, aber wenn man mit ihnen und gegen sie trainiert, lernt man natürlich noch mehr über ihre Stärken und Schwächen. Dazu kommt, dass viele von den Jungs mit solchen Leuten wie Wade, Jimmy Butler oder Rondo noch nicht zusammengespielt haben. Daher wird auch das eine Umstellung. Aber ich werde mich einfach voll reinhauen und alles geben, denn ich freue mich genauso auf den Wettbewerb im Training wie auf die neuen Systeme und den neuen Spielstil. Grundsätzlich werden dort auch fünf Leute auf dem Spielfeld stehen und es gibt einen Ball. Das passt also schon mal. (lacht)

Die Offseason der Chicago Bulls: Zirkustruppe mit Ablaufdatum

SPOX: Rondo, Wade, Butler - das sind schon enorm große Namen für einen Spieler, der bisher in der BBL aktiv war. Wie oft mussten Sie sich schon kneifen, wenn Sie realisieren, dass Sie in nicht einmal einem Monat mit diesen drei Stars in einem Team spielen werden?

Zipser: Mindestens jedes Mal, wenn ich wie jetzt danach gefragt werde. Alle drei sind großartige Spieler, aber im Endeffekt ist es nichts anderes als das Zusammenspiel mit Dirk Nowitzki. Bei der EM 2015 konnte ich mich schon ein bisschen daran gewöhnen. Klar haben sie alle schon viel erreicht, aber jeder von ihnen ist auch nur ein Mitspieler auf dem Feld.

SPOX: Auch nur ein Mitspieler? Sind es nicht gerade die besonderen Spieler und dominanten Charaktere, die einen auf dem Court mitziehen?

Zipser: Ja, durchaus. Aber ich versuche im Gegenteil eher, großartige Spieler auszublenden, wenn ich mit ihnen zusammenspiele. Man kennt natürlich ihre Stärken und weiß zum Beispiel, dass Dirk gut werfen kann. Also versuche ich, ihm so oft wie möglich den Ball in einer guten Wurfposition zu geben. Aber wenn da jemand ist, der auch gut werfen kann und nicht Dirk Nowitzki heißt, dann bekommt der von mir auch den Ball. Große Namen spielen da keine Rolle.

SPOX: Das NBA-Geschäft kann auch hart und erbarmungslos sein. Tibor Pleiß wurde erst kürzlich von den Utah Jazz zu den Philadelphia 76ers getradet und dann entlassen. Machen Sie sich über so etwas auch Gedanken?

Zipser: Natürlich. Man redet darüber und jeder weiß, wie schnell es in der NBA gehen kann. Aber ich denke da vielleicht ein bisschen anders darüber als andere Leute. Klar kann es sein, dass das Training Camp schrecklich läuft, ich mich verletze oder etwas Unvorhergesehenes passiert. Es kann sein, dass die Coaches mich katastrophal finden, wenn sie mich live sehen. Aber auch dann würden sie ihre Gründe haben, daher denke ich über solche Dinge nicht viel nach.

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SPOX: Hat der Kontakt mit Dirk und Dennis Schröder so kurz vor dem Saisonstart zugenommen? Haben Sie die Jungs schon um Tipps und Tricks gebeten?

Zipser: Mit Dennis habe ich schon ein wenig über die Preseason gesprochen, als er kurz in Deutschland war. Wir spielen ja in der Vorbereitung auch gegen seine Atlanta Hawks. Mit Dirk hatte ich zwar auch Kontakt, aber das hatte nichts mit Basketball zu tun. Eher damit, dass meine kleine Schwester nach Würzburg gezogen ist und die beiden sich dort über den Weg gelaufen sind. (lacht)

SPOX: Wenn Sie sich eine Überschrift für Ihre erste NBA-Saison wünschen könnten - wie würde sie lauten?

Zipser: Puh, schwer. Im Detail überlasse ich das doch lieber den Journalisten. Aber es wäre schön, wenn ungefähr so etwas drin vorkommen würde: "Am Anfang war es schwer, aber Zipser hat sich durchgebissen, sich seine Spielzeit erkämpft und das Team hatte immer mehr Erfolg." Das wäre wohl das Maximum. Es ist vielleicht ein Traumziel, aber warum nicht nach den Sternen greifen?

Paul Zipser im Steckbrief