NBA - Isaiah Thomas startet Comebackversuch: Wie sich der Ex-MVP-Kandidat vom "schlimmsten Jahr" seines Lebens zurückkämpfen will

Lino Wilczewski
24. August 202109:15
Isaiah Thomas avancierte in der Saison 2016/17 bei den Boston Celtics zum MVP-Kandidaten.getty
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Vor vier Jahren mischte Isaiah Thomas im MVP-Rennen mit, ließ trotz herber, persönlicher Schicksalsschläge für die Boston Celtics sein Herz auf dem Court - und wurde dann eiskalt getradet. Eine chronische Hüftverletzung trieb ihn anschließend aus der NBA, nun versucht der zweifache All-Star, sich über Workouts und Auftritte in Amateurligen zurückzukämpfen.

"Sie haben mich aufgegeben", schluchzte Isaiah Thomas in das Handtuch, das seine Tränen vor den Kameras verstecken sollte. Er saß auf dem Boden einer kahlen Kabine in Seattle, aber anders als die triste Szene vermuten ließ, war es keine Melancholie, die dort aus ihm herausbrach.

Im Gegenteil: Der ehemalige MVP-Kandidat hatte gerade 81 Punkte in der Crawsover Pro-Am League aufgelegt - seine Tränen liefen vor Freude darüber, dass es nach all seinen Verletzungen und vier Jahren voller sportlicher Rückschläge endlich wieder bergauf geht. "Ich bin zurück", verkündete IT kurz darauf auf Twitter.

Der Guard meinte damit freilich nicht seine erfolgreiche Rückkehr in diversen Amateurligen. Den Fans dort eine gute Show zu liefern, sei schön und gut, stellte er gegenüber Malika Andrews von ESPN klar. Damit sei es allerdings noch nicht getan.

Der 32-Jährige möchte zurück in die NBA: "Das ist das einzige Ziel! Ich weiß, dass ich das Talent dazu habe. Ich bin endlich gesund. Ich warte nur auf meine Möglichkeit."

Isaiah Thomas: Der Weg zum Kobold

Dieses Ziel zu erreichen, wird schwer. Zuletzt probierte es Thomas mit einem Zehntagesvertrag bei den Pelicans im April 2021. Dreimal durfte er auf der großen NBA-Bühne ran, bevor New Orleans den Vertrag auslaufen ließ. In den vergangenen vier Jahren hat er gerade einmal 87 Spiele bestritten.

Es wäre aber auch nicht das erste Mal, dass Thomas hohe Hürden zu überwinden hätte. Dass er mit seinen 1,75 Metern Körpergröße überhaupt den Sprung in die beste Basketballliga der Welt schaffte, war bereits eine Sensation - dass er sich dort halten würde, eine noch größere.

An letzter Stelle im Draft 2011 von den Sacramento Kings gewählt, startete IT seine Profi-Laufbahn nicht unter den besten Vorzeichen. Die Kings waren auch damals nicht gerade das Paradebeispiel für eine perfekt geführte Organisation, Veteranen im Kader waren Fehlanzeige.

Doch der quirlige Guard brauchte nicht viel Anleitung, um sich in der Liga zurechtzufinden. Schnell verdiente er sich einen Platz in der ersten Fünf, baute seine Punkteausbeute von durchschnittlich 11,5 als Rookie auf 20,3 in seiner dritten Saison aus. Während sein Team im Tabellenkeller der Western Conference herumdümpelte, hatte Thomas sein Profil bis zum Sommer 2014 so weit geschärft, dass die Kings ihn nicht mehr halten konnten und per Sign-and-Trade zu den Suns schickten.

Dort angekommen, blieb ihm trotz guter Leistungen kaum genug Zeit, seine Koffer auszupacken. Das Experiment mit drei Point Guards um Thomas, Goran Dragic und Eric Bledsoe war nur begrenzt erfolgreich, die Suns verschifften ihn nach lediglich 46 Einsätzen gen Boston.

Isaiah Thomas stieg in Boston schnell zum Publikumsliebling auf.getty

Isaiah Thomas: Der King of the Fourth

Mitten in der Saison landete Thomas bei einem Team im Umbruch. Mit Rajon Rondo hatte gerade das letzte Überbleibsel der vergangenen Celtics-Ära die Franchise verlassen, mit Blick auf die zahlreichen Draft-Picks aus dem legendären Boston-Brooklyn-Trade in 2013 war die Devise klar: Gewinnen ist toll, ein paar Niederlagen wären für die Franchise aber mindestens genauso gut zu verkraften.

So richtig aufgegangen ist nur die erste Hälfte dieses Plans. Nach dem Trade für IT wichen die Kelten ab vom Lottery-Kurs (Bilanz bis dahin 20-32), beendeten die reguläre Saison mit 20 Siegen aus 30 Spielen und schafften es überraschend in die Playoffs, wo sie gegen LeBron James und die Cleveland Cavaliers ausschieden.

Doch das war nur ein Vorgeschmack. Die Offensive von Coach Brad Stevens ganz auf Thomas ausgerichtet, erreichte der kleinste Spieler der Liga in den kommenden beiden Spielzeiten neue Höhen, wurde zweimal zum All-Star gewählt und landete beim MVP-Voting der Saison 2016/17, in der er die Celtics mit knapp 29 Punkten und fünf Assists an die Spitze der Eastern Conference führte, auf dem fünften Platz.

Abend für Abend wurden im TD Garden "MVP"-Rufe laut, seine Leistungen im Schlussviertel brachten ihm den Spitznamen "King of the Fourth" ein. Für Thomas war das "alles, was ich immer wollte". Doch lässt sich an dieser Stelle die Geschichte seiner sportlich größten Erfolge leider nicht weitererzählen, ohne auf die schwierigste Phase seines Lebens einzugehen - sowohl auf als auch neben dem Platz.

Bei einem missglückten Korbleger-Versuch landete Timberwolves-Center Karl-Anthony Towns im März 2017 mit vollem Gewicht auf Isaiahs Hüfte. Im ersten Moment erschien die Blessur für IT und den medizinischen Stab nicht gravierend genug, um den ambitionierten Star inmitten des Rennens um den Conference-Thron auf Eis zu legen. Als die Playoffs vor der Tür standen, war ihm aber eigentlich klar, dass die Schmerzen nicht verschwinden würden: "Kein Zweifel, ich hätte die Playoffs aussitzen sollen", gab Thomas später gegenüber Sports Illustrated zu.

Dass er sich stattdessen eine weitere Kortisonspritze in die Hüfte setzen ließ, hatte nicht nur mit sportlichem Ehrgeiz zu tun. Nur einen Tag bevor die Celtics ihre Postseason gegen die Chicago Bulls eröffneten, kam Isaiahs jüngere Schwester Chyna bei einem Autounfall ums Leben - der Basketballcourt wurde sein Rückzugsort.

"Basketball war das Einzige, was es mir erlaubte, für zwei bis drei Stunden einen klaren Kopf zu bekommen," sagte Thomas: "Zuhause hätte ich nur rumgesessen und an meine Schwester gedacht, was nur geschmerzt hätte."

Während IT zwischen den Playoff-Spielen immer wieder quer durchs Land flog, um gemeinsam mit seiner Familie in Seattle zu trauern, führte er sein Team in den gelegentlichen Stunden der Ablenkung mit 23,3 Punkten und 6,7 Assists bis in die Conference-Finals gegen Cleveland - mit seiner 53-Punkte-Performance in Runde 2 gegen Washington als sportlichem Höhepunkt. Erst gegen die Cavs wurde ihm ein Riegel vorgeschoben, die Verletzung war zu schwer, um weiterzuspielen.

So klischeehaft es auch klingen mag, Thomas hatte in diesen Playoffs sein ganzes Herz auf dem Spielfeld gelassen. Der Dank dafür: Nur ein paar Wochen später verschiffte Boston den eigentlichen Publikumsliebling eiskalt im Tausch für Kyrie Irving nach Cleveland. Das Business Basketball in seiner hässlichsten Fratze.

Isaiah Thomas: Das beste und das schlimmste Jahr

"Nichts davon hat irgendeinen Sinn ergeben. Auch heute nicht", sagte Thomas rückblickend. Seine Saison, die so stark begonnen hatte, endete in einem Strudel voller Schmerz: "Das war das beste Jahr meiner Karriere. Und das schlimmste Jahr meines Lebens."

In Cleveland angekommen, stand IT vor der Wahl: Operieren oder nicht operieren? Mit einem lukrativen Maximalvertrag im darauffolgenden Sommer in Aussicht entschied er sich dagegen - zu hoch war das Risiko, durch eine OP die 177 Millionen Dollar zu gefährden. "Es gibt einfach nicht viele 1,75 Meter großen Typen, die es in die NBA schaffen", sagte Thomas. "Ich hatte Angst, Teams würden sagen: 'Okay, wir finden einfach jemand anderen."

Von diesem Punkt ist leider relativ schnell erzählt, wie IT vom All-Star zum Dauer-Free-Agent wurde. Seine Hüfte verschliss immer stärker, Cleveland tradete ihn noch in derselben Saison zu den Lakers, die mehr an seinem auslaufenden Vertrag als an seinen basketballerischen Fähigkeiten interessiert waren, und aus dem erhofften Zahltag wurde nichts.

Stattdessen heuerte er in den kommenden beiden Jahren für jeweils eine Saison und wenig Geld in Denver und Washington an, bis er schließlich Anfang 2020 zu den Clippers getradet wurde, die seinen Vertrag nach nur drei Tagen auflösten.

Isaiah Thomas: "Ich kann wieder dunken"

Eine lange Auszeit, eine längst überfällige Operation und ein Zehntagesvertrag bei den Pelicans später versucht IT in diesem Sommer, Teams durch Workouts und seine Pro-Am-Auftritte davon zu überzeugen, dass er näher am All-Star-Isaiah dran ist als am Isaiah der Denver- und Washington-Jahre - ob man ihm das abkauft, hängt wohl ganz von der Betrachtungsweise ab.

So könnte man etwa bemängeln, dass Thomas mit seinen 81 Punkten in der von Jamal Crawford organisierten Amateurliga nicht unbedingt Verteidigern wie Jrue Holiday oder Kawhi Leonard gegenüberstand, sondern Noah Williams und Jaylyn Richardson - zwar gute College-Basketballer, aber weit entfernt vom NBA-Niveau. Darüber hinaus ist die Liste der kleinen Spieler, die von einer so schweren Verletzung erfolgreich zurückkehrten, nicht allzu lang.

Auf der anderen Seite hat sich die Medizin in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt, laut des zuständigen Chirurgen stehe es um ITs Gesundheit so gut wie lange nicht mehr. Mechanisch sei er wieder auf dem gleichen Stand wie vor seiner Verletzung oder wie Thomas selbst es ausdrückte: "Ich kann wieder dunken. Ich habe seit drei oder vier Jahren nicht mehr gedunkt."

Dazu kommt, dass wohl keine Franchise vom 32-Jährigen erwarten wird, seine Teamkollegen Huckepack zu nehmen und wie zu besten Celtics-Zeiten in die Conference Finals zu schleppen. Die Lakers beispielsweise, für die er bereits ein Workout absolviert haben soll, dürften sich über ein paar Körbe von der Bank sicherlich freuen. Dafür war er selbst bei seiner letzten richtigen Station in Washington noch gut.

Egal ob am Ende des Sommers mehr als ein Workout herausspringt oder nicht - wieder dauerhaft in der NBA Fuß zu fassen, wird nicht leicht für Thomas. Aber es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass er eine hohe Hürde überwunden hätte. Und jetzt kann er immerhin wieder springen.