Wenn es um die besten Point Guards aller Zeiten in der NBA geht, fallen häufig die Namen Magic Johnson und John Stockton. Oscar Robertson fällt den älteren Semestern noch ein. Der Name Gary Payton fällt dabei seltener. Dabei zählt er nicht nur wegen seiner Defensive absolut zu dieser illustren Liste. Heute wird er 52 Jahre alt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Juli 2017. Alle weiteren Legenden-Geschichten finden sich in unserem Archiv.
George Karl sitzt in seinem Büro. Er ist verzweifelt und seine Verzweiflung hat den gleichen Grund wie die Verzweiflung aller anderen NBA-Coaches im Jahr 1996: Michael Jordan. Aber die Rahmenbedingungen sind keineswegs alltäglich und schon gar nicht allen anderen NBA-Coaches vergönnt.
Es sind die NBA-Finals. Es sieht schlecht aus für Karls Seattle SuperSonics; 0-3 steht es in der Serie gegen die Chicago Bulls. Zuletzt setzte es zuhause eine 22-Punkte-Klatsche. Jordan dominiert die Finals, 31 Punkte im Schnitt, 36 im letzten Spiel in Seattle. Karl muss sich etwas einfallen lassen.
Er beschließt, Gary Payton auf Jordan anzusetzen - ein Risiko! Payton ist ein Stück kleiner als der Shooting Guard der Bulls, dazu locker zehn Kilo leichter. Payton ist allerdings auch vor kurzem zum Defensive Player of the Year gekürt worden, als einziger Point Guard in der Geschichte der NBA. Wenn einer Jordan stoppen kann, dann er. "The Glove" wird er genannt, weil er den Gegner in der Verteidigung einschließt wie ein Baseballhandschuh den Ball.
Jordan macht in den letzten drei Spielen 26, 23 und 22 Punkte. Allesamt Negativ-Rekorde für His Airness. Die Defensive von Payton sorgt dafür, dass das wohl beste Team aller Zeiten zumindest kurzfristig um den Titel bangen muss. Es bleibt allerdings beim Bangen, die Bulls holen sich Titel Nummer 4 in der Jordan-Ära. Karl muss sich im Nachhinein die Frage gefallen lassen, ob er Payton nicht viel früher hätte auf Jordan ansetzen müssen. Dieser wuchs nicht zum ersten Mal an einer Herausforderung.
getty"Wenn du groß bist, wirst du Drogendealer, mein Junge"
Als Payton in einer schwierigen Gegend in Oakland, Kalifornien aufwuchs, sagte seine Mutter immer zu ihm, dass er Drogendealer werden würde. Wie alle anderen damals. Sie wusste, dass sie mit solchen Aussagen an ihn herankommen würde. Dass er es ihr und den Anderen zeigen würde. Dass er nicht so sein würde wie seine Freunde. Payton zeichnet sich schon früh durch einen starken Willen aus, er braucht den Wettbewerb.
Auf den Basketballplätzen seiner Heimat macht er sich schnell einen Namen. An der Highschool bereits ein Star, entscheidet er sich bei der College-Wahl für die Oregon State University. Auch dort gehen die Erfolge weiter, Payton wird 1987 Freshman of the Year, in diverse All-Star-Teams berufen und verlässt 1990 das College als All-American.
Einen kleinen Dämpfer erhält diese Geschichte in seinem zweiten College-Jahr allerdings: Seine Noten gehen in den Keller, es droht der Ausschluss vom Basketball-Programm. Eine Gehirnwäsche des Vaters bringt den jungen Gary wieder in die Spur. Er spielt weiter für die Beavers, bis der nächste Schritt ansteht.
Payton und Kemp: The Original Lob City
1990 wählen ihn die Seattle SuperSonics mit dem zweiten Pick nach Big Man Derrick Coleman aus. Für die nächsten zwölfeinhalb Jahre bestimmt Payton gemeinsam mit Shawn Kemp den Basketball in Seattle. "Wir waren das echte Lob City", sagt Payton später. Ein weiteres Puzzle-Stück, das diese Sonics-Ära prägt, ist die Ankunft von George Karl als Head Coach 1992.
Jahr für Jahr ist ein weiterer Entwicklungsschritt zu erkennen - bei Payton und Kemp individuell und bei der gesamten Mannschaft. 1993 geht es erstmals in die Western Conference Finals. Gegen Charles Barkley und die Phoenix Suns ist nach sieben Spielen Schluss. Im Jahr darauf sind die Sonics das beste Team der NBA, scheiden in der ersten Runde aber sensationell gegen die an acht gesetzten Denver Nuggets aus. 1995 ist in Runde eins gegen die Lakers die Saison beendet, doch dann passt (fast) alles zusammen.
Payton und Kemp sind am Zenit ihrer Leistung angekommen, Detlef Schrempf mehr als nur ein Rollenspieler. Dazu kommt mit Nate McMillan neben Payton ein weiterer Defensivspezialist, unter dem Korb steht Sam Perkins seinen Mann. Das Team gewinnt 64 Spiele und scheitert erst in den Finals an den übermächtigen Bulls.
Payton ist der verbale Anführer dieses Teams - auf und neben dem Feld. Wann immer man ihn in Nahaufnahme im Fernsehen sieht, bewegen sich seine Lippen. The Glove ist vor Reggie Miller der gefürchtetste Trash-Talker der Liga. Noch vor Rasheed Wallace sammelt er die meisten technischen Fouls der NBA-Geschichte.
Bis heute sorgt er für Aufsehen mit seinen Sprüchen. "John Stockton war schwerer zu verteidigen als Michael Jordan", sagt er zum Beispiel. Eine Aussage, die suggeriert, dass irgendetwas schwieriger zu kontrollieren ist als Michael Jordan selbst, ist immer provokativ. Die Erklärung leuchtet aus seiner Sicht jedoch ein. "Stockton war immer gleich, immer ruhig. In Jordans Kopf kam ich viel leichter rein, konnte ihn ablenken." Das erklärt auch die für Jordans Verhältnisse schwache Performance in den Finals 1996.
Gary Payton: Der beste Scoring-PG seiner Zeit
Payton auf seine Defensive und sein loses Mundwerk zu reduzieren, wäre allerdings grob falsch. Im Finals-Jahr legt er als Defensive Player of the Year 19 Punkte, vier Rebounds, 7,5 Assists und 3 Steals pro Spiel auf. In seiner statistisch besten Saison 1999/2000 steigen diese Werte auf 24 Punkte, 6,5 Rebounds und 9 Assists. Weder Stockton, noch Jason Kidd, Chris Paul oder Magic Johnson haben jemals in einer Saison so viele Punkte gemacht.
Letztlich ist es aber weder seine Fähigkeit zu scoren, noch seine Defensive, die Payton zu einer Legende machen, die in dieser Reihe würdig vertreten ist. Es ist sein Wille und seine Intensität. Karl, sechs Jahre lang sein Trainer, kann das am besten in Worte fassen: "Er verlangte den Sieg. Er verlangte den Sieg immer zuerst sich selbst ab. Dann seinen Teammates. Er war außerhalb jeder Norm. Seine Passion war es, dir den Arsch zu versohlen."
Auch seine Art beschreibt Coach Karl treffend: "Wir wollen immer über Spieler reden, die alles still aushalten. Gary hat nichts still ausgehalten. Gary hat alles wütend ausgehalten."
Heute lacht Payton über solche Sätze. Gleichzeitig ärgert er sich, dass er kein besseres Verhältnis zu vielen seiner Gegenspieler hatte. Sein Wesen und sein Spielstil ließen das nicht zu. Und doch sagt er über seinen Trash-Talk, dass Vieles aufgebläht ist: "Manchmal habe ich mich einfach nach ihrem Befinden erkundigt, wie es so zuhause läuft."
Das Missverständnis bei den Lakers
Mit den Sonics geht es nach dem Höhepunkt 1996 schrittweise bergab. In die Finals kommen sie nicht mehr, 1998 überwirft sich Karl mit dem Management und muss gehen. Bereits im Jahr zuvor wurde Kemp zu den Cavaliers getradet und weder er noch die Sonics wurden je wieder zu dem, was sie mal waren.
Der Umbruch trifft schließlich auch Payton. Zur Trade Deadline 2003 - nach Jahren der Mittelmäßigkeit in Seattle, wird er im Tausch für Ray Allen zu den Bucks getradet. Dort hält er es jedoch nur ein halbes Jahr aus. Nach einem weiteren Erstrunden-Aus will Payton nochmal nach einem Ring greifen.
Der Griff geht ins Leere, dabei war der Champagner schon im Herbst kaltgestellt worden. Die Lakers mit Shaquille O'Neal und Kobe Bryant. Karl Malone kommt aus Utah, mit Phil Jackson coacht ein neunfacher NBA-Champion und Payton startet als Point Guard. Ein All-Star-Team hat sich zusammengetan.
Der Ausgang ist bekannt. Shaq und Kobe zanken sich durch die Saison, Malone ist nicht mehr die Naturgewalt aus Utah-Tagen, Payton kommt mit der Triangle Offense von Jackson nicht klar. Zwar legt er mit 35 Jahren noch knapp 15 Punkte und 5,5 Assists auf, doch die Lakers scheitern mit ihrem Über-Team in den Finals klar an den Detroit Pistons um Chauncey Billups und Ben Wallace, dem kompletten Gegenentwurf zu Los Angeles.
Gary Payton: Ringjagd bis zur Erlösung
In der Folgesaison spielt er für ein durchschnittliches Celtics-Team, nachdem er zusammen mit Rick Fox für Chris Mihm, Jumaine Jones und Chucky Atkins dorthin verschifft wurde. Auch dort startet er alle Spiele, trotz seines inzwischen hohen Alters. Ein weiteres Merkmal seiner Karriere: Ausdauer und Beständigkeit.
Nach Malone spielte er in den 90ern die meisten Minuten und verpasste bis zu seiner letzten Saison nur sechs Spiele wegen Verletzungen oder Schonung. 2005 wagt er einen letzten Versuch. Gemeinsam mit Celtic-Kumpel Antoine Walker geht er zu den Miami Heat um Dwyane Wade und Shaquille O'Neal.
Er ist dort zwar nur noch Rollenspieler und Sixth Man, in den Playoffs ist seine Erfahrung jedoch gefragt. Payton startet und trifft einen wichtigen Wurf 29 Sekunden vor dem Ende von Spiel 5, der die Heat mit 3-2 gegen die Dallas Mavericks in Führung bringt. Payton gewinnt endlich seine Championship.
Gary Payton - unbequem?
Mit 38 Jahren hängt er die Sneakers an den Nagel. Seine Persönlichkeit bleibt in Erinnerung. Als Trash-Talker war er in der Liga gefürchtet, sein Selbstbewusstsein von Beginn an enorm. Ein Beispiel: Seine Söhne heißen Gary Payton Jr. und Gary Payton II. Jeder weitere Kommentar überflüssig.
Neunmal wurde er ins All-Defensive First Team gewählt, er gilt als der beste Verteidiger aller Zeiten auf der Point-Guard-Position. Kevin Johnson, selbst kein schlechter Verteidiger, beschreibt es so: "Maurice Cheeks und Derek Harper waren Jungs mit schnellen Händen. Die hatte Gary auch. Er ist aber noch dazu hervorragend im Eins-gegen-Eins und ein großartiger Team-Verteidiger. Gary vereint alle drei Komponenten. Das ist sehr selten."
In der Offensive war Payton kein überragender Schütze, aber deutlich physischer als die meisten seiner Gegenspieler. Mit 1,92 Metern recht groß gewachsen, konnte er seinen Verteidiger im Post bearbeiten und zudem stark zum Korb ziehen. Sein Auge für den Mitspieler, insbesondere für Kemp, war herausragend, was sein Karriereschnitt von 6,7 Assists beweist.
Gary Payton - Mentor und Wohltäter?
Aufgrund seiner eigenen Physis und Spielweise passt ihm die heutige NBA nicht. Wieder mal kommen streitbare Aussagen aus seinem Mund: "Im Grunde genommen läuft in der heutigen NBA alles falsch." Die Regeln begünstigen die Offensive, es gibt keine Defensive mehr, nur noch Run and Gun.
Das mag etwas oberflächlich wirken, doch Payton schert sich nicht darum, was andere dazu denken. Seine persönliche "All-Time-Top-5" kommt ohne Michael Jordan aus. Stattdessen nennt er Bill Russell, Kareem Abdul-Jabbar, Magic Johnson, Wilt Chamberlain und Julius Erving.
Und doch ist das Bild des ewigen Grantlers nur die halbe Wahrheit über Payton. 2013 wird er in die Hall of Fame aufgenommen, seine Rede zeichnet ein selbstironisches, humorvolles Bild vom Glove. In diversen Filmen nahm er sich in der Vergangenheit selbst auf die Schippe.
In späteren Jahren gibt er den Mentor, insbesondere bei den Heat. Für Shaq und Wade war er ein erklärter Lieblings-Mitspieler. Und Payton setzt sich für die Dinge ein, die ihm wichtig sind. Basketball in Seattle zum Beispiel.
Payton will, dass es wieder eine Franchise am Ort des Großteils seiner NBA-Karriere gibt. Dafür ist er in Dokumentationen zu sehen und äußert diesen Wunsch bei allen erdenklichen öffentlichen Auftritten. In klassischer Payton-Manier lehnt er es ab, dass sein Trikot in Oklahoma City unters Hallendach gehängt wird. Es soll in Seattle bleiben.
Die NBA-Statistiken von Gary Payton
Zeitraum | Team | Spiele | Punkte | FG% | Rebounds | Assists | Steals |
90-03 | SuperSonics | 999 | 18,2 | 46,9 | 4,2 | 7,4 | 2,1 |
03 | Bucks | 28 | 19,6 | 46,6 | 3,1 | 7,4 | 1,4 |
03/04 | Lakers | 82 | 14,6 | 47,1 | 4,2 | 5,5 | 1,2 |
04/05 | Celtics | 77 | 11,3 | 46,8 | 3,1 | 6,1 | 1,1 |
05-07 | Heat | 149 | 6,6 | 41 | 2,4 | 3,1 | 0,8 |