NBA Legenden-Serie: Magic Johnson - Das unsterbliche Lächeln

Ole Frerks
14. August 202209:53
Magic Johnson nimmt 1987 seinen vierten Meisterschaftsring von David Stern entgegengetty
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Magic Johnson personifizierte Showtime wie kein Zweiter, erfand sich unzählige Male neu und führte die NBA gemeinsam mit Larry Bird in ihr goldenes Zeitalter. Auch die mit Abstand größte Herausforderung seines Lebens hat er gemeistert. Am 14. August wird die Legende der Los Angeles Lakers 63 Jahre alt - SPOX verneigt sich.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 14. August 2015. Alle weiteren Legenden-Storys findet Ihr in unserem Archiv.

Stell' Dir vor, Du bist 20 Jahre alt. Du kamst als Sieger des meistgesehenen College-Finals aller Zeiten in die NBA und hast es mit Deinem neuen Team direkt in die NBA-Finals geschafft. Dein Team führt nach Spiel 5 mit 3-2, doch es gibt ein Problem. Der beste Spieler, der Kapitän Deines Teams, hat sich gerade verletzt und fällt in Spiel 6 aus. Du sitzt im Flug auf die andere Seite des Kontinents und siehst, dass der Platz deines berühmten Mitspielers, einer wandelnden NBA-Legende, frei geblieben ist. Die Mienen deiner Mitspieler strotzen nicht gerade vor Optimismus. Was tust Du?

Es ist auch heute - mehr als 40 Jahre später - nicht wirklich zu ergründen, welche Gedanken in dieser Situation im Kopf von Earvin "Magic" Johnson umherschwirrten. Das Resultat dafür ist bekannt: Er sagte "Have no fear, Magic is here", ging schnurstracks zu seinem Coach Paul Westhead und unterbreitete ihm folgenden Vorschlag: Lass' mich für Cap Center spielen!

Ein kurioser Vorschlag, trotz Magics Größe von 2,06 Metern. Zum einen war das eben immer noch kein Gardemaß für einen Center, zum anderen war Magic Point Guard - vom Naturell her ein Vorbereiter, kein Scorer. "Meint er das ernst?", lautete folglich die Reaktion vom legendären Lakers-Kommentator Chick Hearn.

Er meinte es ernst. Wo andere verzagt hätten, begriff Magic die Situation für sich als Chance. Er wollte es allen zeigen, die an ihm zweifelten - die ihn für einen Showman hielten, der für "Ohs" und "Ahs", aber nicht für Siege sorgen konnte. Die meinten, bei ihm ginge "Style over substance".

Als Magic am nächsten Tag beim Tip-Off tatsächlich Sixers-Center Caldwell Jones beim Jump gegenüberstand, konnten einige es immer noch nicht glauben. Westhead hatte dem Wunsch seines forschen Rookies tatsächlich entsprochen - und damit den Grundstein für eines der bemerkenswertesten Spiele der Geschichte gelegt.

Magic Johnson nimmt 1987 seinen vierten Meisterschaftsring von David Stern entgegengetty

"Magic ist kein Rookie"

"Es war unglaublich, einfach nur unglaublich", sagte Sixers-Superstar Julius "Dr. J" Erving nach dem Spiel. "Ich weiß nicht einmal, ob Kareem so gut hätte spielen können wie Magic heute." Auch Jamaal Wilkes reagierte beeindruckt: "Magic ist kein Rookie. Er ist ein Gewinner, ein Champion. Etwas ganz, ganz Besonderes."

Was war geschehen? Nun - pure Magie. 42 Punkte, 15 Rebounds und 7 Assists legte Magic auf, doch diese Statistiken erzählten nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Er dominierte, spielte in der gleichen Partie als Center, Forward sowie Guard und packte zu Ehren des verletzten Kareem Abdul-Jabbar sogar dessen legendären Skyhook aus.

Seine Leistung war surreal, elektrisierte sein Team und bescherte den Lakers schlussendlich den Titel 1980. Magic gewann den ersten seiner drei Finals-MVPs, nur ein Jahr nachdem er sich mit Michigan State an die Spitze der College-Welt gesetzt hatte. Style over substance? Von wegen. Der frühere ESPN-Guru und Grizzlies-Mitarbeiter John Hollinger (heute The Athletic) ernannte Magics Leistung in diesem Spiel einst zur zweitbesten der gesamten Finals-Geschichte (nach Michael Jordans "Flu Game").

Magic Johnson: Ziehsohn von Jerry Buss

Magics Aufstieg hätte rasanter nicht sein können. Noch nach seinem ersten NBA-Spiel musste Abdul-Jabbar den jungen Rookie fast schon abschütteln, weil er ihn nach dem Sieg so euphorisch umarmte - Abdul-Jabbar dachte sinngemäß: 'Ganz ruhig, Kleiner, wir haben noch 81 von diesen Spielen vor uns.'

Nun stand er bereits nach einer Saison an der Spitze der Liga und hatte mit seiner extrovertierten Art und seinem Charisma in Hollywood den perfekten Ort für sich gefunden - und eingenommen. Sein spektakuläres Spiel - die No-Looks, die Fastbreaks, das unverkennbare Lächeln - hatten ihn umgehend zu einer der Hauptattraktionen der Liga gemacht.

Anders als der enigmatische Abdul-Jabbar liebte der junge Magic aber auch die Gegenwart von Stars aus Film oder Musik und hatte im legendären Lakers-Besitzer Dr. Jerry Buss eine Art "Wingman Deluxe", der ihn in sämtlichen Kreisen vorstellte. Buss nahm eine Art Vaterrolle ein, brachte ihm unglaublich viel über die Geschäftswelt bei und sah in Magic so viel Potenzial, dass er ihm bereits nach dessen zweiter Saison einen 25-Jahres-Vertrag über 25 Millionen Dollar vorlegte.

Kareem Abdul-Jabbar: A Beautiful Mind

Lange vorm Salary Cap war dies der höchstdotierte Vertrag der Sportgeschichte, von 1984 bis 2009 sollte er gelten. Ein Beweis des Vertrauens: Buss wollte den Mann aus Michigan direkt im Lakers-Management haben, sobald er seine aktive Karriere beenden würde.

Magic Johnson: Auf einmal Coach-Killer

Während Magic von der engen Beziehung zu Buss zweifellos profitierte, wurde sie anderswo eher kritisch beäugt. Das galt sowohl für Mitglieder der Presse, die Magic früh in seiner Karriere als nur an sich selbst denkend einschätzten, als auch für einige Mitspieler, denen seine Macht innerhalb der Franchise sauer aufstieß.

Das zeigte sich in den nächsten Jahren. Früh in seiner zweiten Saison verpasste Magic 45 Spiele, kam aber rechtzeitig zu den Playoffs zurück und wollte direkt seine alte Rolle wiederhaben - zum Ärger einiger Mitspieler. Selbst Abdul-Jabbar schrieb später in seiner Autobiographie: "Wir haben den Repeat nicht geschafft, weil Earvin sich verletzte, dann zurückkam und vergessen hatte, was uns vorher ausgezeichnet hatte."

In seiner dritten Saison geriet Magic dann mit Westhead aneinander und forderte angeblich sogar einen Trade, was letztendlich darin resultierte, dass stattdessen der Coach durch seinen gegelten Assistenten namens Pat Riley ersetzt und Magic als Coach-Killer abgestempelt wurde. 'Niemand, der ein Wort gegen Magic sagt, ist bei den Lakers sicher', dachte man damals. Er wurde ligaweit ausgebuht, teilweise sogar von Fans der Lakeshow.

Wie auf einer Achterbahn

Sportlich gab es jedoch wenig zu bemängeln. Magics Stats aus Saison drei sind nahezu einzigartig: 18,6 Punkte, 9,7 Rebounds, 9,5 Assists und 2,7 Steals legte er damals auf und kam damit näher an Oscar Robertsons Triple-Double-Saison heran als jeder andere Spieler vor ihm. Und auch mit den Lakers ging es nach anfänglichen Schwierigkeiten wieder nach oben.

Denn Riley installierte eine deutlich schnellere Offense in Los Angeles - sehr zur Freude seines Point Guards. Nach überragenden Playoffs waren in den Finals erneut die Sixers dran, und Magic erhielt nach einem Triple-Double in Spiel 6 seinen zweiten Finals-MVP-Award in der dritten Saison.

Allein diese drei Jahre, kombiniert mit seiner College-Karriere, würden schon genug Stoff für mehrere Bücher liefern. Doch sie waren erst der Anfang eines beispiellosen Werdegangs. Bill Simmons brachte es in seinem Book of Basketball auf den Punkt: "Man nannte ihn einen Heilsbringer, einen Winner, dann einen Coach-Killer, Choker und Verlierer, und dann war er wieder ein Winner. Dabei hatten seine besten Jahre noch nicht einmal begonnen."

Ein Erfolg nach dem anderen

Diese "besten Jahre" waren von so vielen Aspekten geprägt, dass eine detailgenaue Auflistung des Ganzen diesen Rahmen sprengen würde. Die Kurzform: Mit seiner einzigartigen Interpretation des Point-Guard-Spiels revolutionierte Magic die Liga und sammelte bis 1988 drei weitere Meisterschaften.

Er wurde zwischen 1987 und 1990 dreimal MVP, führte die Liga insgesamt viermal bei den Assists an. Dass er zudem ständig im All-Star-Game auftrat und fester Bestandteil nahezu aller All-NBA First Teams der 80er war, muss man kaum noch erwähnen.

Ein Tiefpunkt der NBA

Aus historischer Perspektive war Magic nämlich für so viel mehr relevant als Awards, Meisterschaften oder Zahlen. Er kam zu einer Zeit in die NBA, als es dieser nicht gut ging. Viele Fans hatten kein großes Interesse mehr an den (ihrer Einschätzung nach) überbezahlten, selbstverliebten, drogensüchtigen und - auch ein wichtiger Aspekt - schwarzen Spielern.

Nach dem Zusammenschluss mit der ABA 1976 erinnerte das Spiel bei vielen Teams zeitweise zudem eher an Streetball als an organisierten Team-Basketball. All diese Faktoren waren mit daran beteiligt, dass die '77er Blazers um deren brillanten (und weißen) Center Bill Walton kurzfristig als Rettung der NBA angesehen wurden, bevor Waltons Körper ihm nur ein Jahr später den Dienst versagte.

Und dann kam 1979 Magic in die Liga, ebenso wie ein gewisser Larry Joe Bird. Beide hatten bereits beim NCAA-Finale im gleichen Jahr gegeneinander gespielt und die Massen dabei wesentlich mehr begeistert als sämtliche NBA-Spiele dieser Jahre. Während ihr Duell Rekordquoten bekam, liefen Spiele der NBA-Finals entweder zeitversetzt - oder wurden gar nicht erst übertragen.

Rettung durch Rivalität

Selbst kühnste Optimisten hätten den Einfluss von Bird und Magic auf die Liga nicht genau voraussagen können, das ist klar. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie allein in den Finals dreimal gegeneinander antraten und von 1980-1988 insgesamt 8 Meisterschaften gewinnen würden. Allerdings verband die beiden eine (teilweise konstruierte) Geschichte, die man sich auch in Hollywood nicht besser hätte ausdenken können.

Hier das schwarze, immer grinsende, extrovertierte Großstadt-Kind, das für die schillerndste Franchise der Liga spielte, mit einem Spitznamen, der ihm an der Highschool verliehen wurde und seitdem zu einer Art Lebenseinstellung wurde. Auf der anderen Seite das weiße, introvertierte Landei, das sich nur für Basketball und Bier interessierte und bei der erfolgreichsten - und in gewisser Weise provinziellsten - Franchise überhaupt, den Boston Celtics, auflief.

Larry Bird: Ein Großmeister auf dem Court

Showtime gegen Celtic Pride, Zauber gegen harte Arbeit, Schwarz gegen Weiß, Magic gegen Bird. Die beiden selbst hat dies nie interessiert; erst verband sie nur Rivalität, dann Respekt, dann eine enge Freundschaft, die bis heute besteht. Mit ihrer Liebe für das Spiel, ihren (bis heute) einzigartigen Spielstilen und eben auch ihren Hautfarben wurden sie trotzdem schlagartig zu den Gesichtern einer ganzen Sportart.

Los Angeles Lakers: Ein goldenes Zeitalter

Und das war eine gute Sache. Erstens, weil sich zwei der besten Spieler aller Zeiten immer wieder gegenseitig pushten, um ihr Maximum herauszukratzen - binnen einer Dekade wechselte die Überhand immer wieder hin und her. Bird wurmt es bis heute, dass Magic zwei Meisterschaften mehr als er gewonnen hat, wie er vor Jahren bei einem gemeinsamen Auftritt bei David Letterman knirschend zugab.

Zum anderen verhalf die Rivalität der beiden Ikonen auch der NBA zu einer neuen Popularität, sie leitete gewissermaßen sogar ein goldenes Zeitalter ein und bereitete den Weg für so vieles, was nach ihr kam. Für den kometenhaften Aufstieg von Michael Jordan und späterer Stars, für etliche Errungenschaften der Ära David Stern und sogar die neuen TV-Deals.

...und dann...

Vieles davon konnte man am 6. November 1991 noch nicht wissen. Alles davon spielte einen Tag später schlagartig keine Rolle mehr. Magic gab auf einer Pressekonferenz bekannt, dass er sich mit HIV infiziert hatte. Kurz zuvor hatte er es bei einer Routine-Untersuchung zufällig erfahren und seinen guten Freund Bird angerufen, nun wandte er sich an die Öffentlichkeit und gab seinen Rücktritt bekannt.

Eine Schocknachricht, die damals niemand wirklich verstand. Es war noch kaum etwas bekannt über die daraus resultierende Krankheit AIDS, vielmehr bestanden die "Informationen" aus Stereotypen: Gefährdet sind nur Homosexuelle und Junkies, HIV und AIDS sind exakt dasselbe und laufen über kurz oder lang auf ein Todesurteil hinaus.

Für Magic war der Schock freilich der größte: Schlagartig ging es nicht mehr um seinen Sport und darum, die neueren Rivalen Isiah Thomas oder MJ auszustechen. Es ging um Leben und Tod. "Ich werde mein Leben dem Kampf gegen diese tödliche Diagnose widmen", kündigte er noch auf derselben Pressekonferenz an.

Magic Johnson: Ein Mix aus Angst und Toleranz

Was darauf folgte, war in Basketball-Kreisen ein Mix aus Trauer, Angst, Toleranz und brüderlichen Gesten. Die Fans etwa wählten ihn 1992 ins All-Star-Game, obwohl er offiziell im Ruhestand war und einige Spieler, unter anderem Karl Malone, öffentlich Bedenken äußerten.

Magic nahm dennoch teil, legte 25 Punkte auf und wurde zum MVP gewählt - am Ende des Spiels traf er einen Dreier und wurde von Spielern beider Teams in die Arme geschlossen. Bis heute der wohl schönste Moment in der Geschichte des All-Star-Weekends. Auch beim legendären Dream Team im selben Jahr war er mit dabei und konnte als Co-Kapitän erstmals seit seiner Jugend mit Bird zusammenspielen - gefeiert wurde er in Barcelona mehr als jeder andere außer MJ.

Direkt danach wollte er eigentlich auch in die NBA zurückkehren, trat von diesem Plan allerdings kurzfristig zurück; viele Spieler in der Liga hatten abermals Bedenken geäußert. Was passiert, falls sich jemand durch eine offene Wunde Magics infiziert? Die Angst und Unwissenheit war in diesem Fall stärker als das Mitgefühl. Er wolle "dem Spiel nicht wehtun", erklärte Magic.

HIV-Infizierter im Spitzensport

Als die Aufklärung über HIV auch dank ihm größer wurde, startete Magic tatsächlich noch mehrere Comebacks, erst in der NBA und später auch in Übersee. Wenngleich diese rein sportlich eher als Fußnoten zu betiteln sind, war ihre Bedeutung doch weitaus größer. Hier war ein HIV-Infizierter, der nicht nur gesund war, sondern auch in der Lage, auf höchstem Niveau Spitzensport zu betreiben.

Bei allen sportlichen und späteren finanziellen Erfolgen Magics, der als Geschäftsmann die Lektionen seines alten Mentors Buss aufgesogen hatte und heute unter anderem die Los Angeles Dodgers aus der MLB besitzt, ist dieser Erfolg im Leben letztendlich sicherlich als größter zu werten.

Botschafter der Aufklärung

Magic ist zu einer Figur geworden, die weit über den Sport hinausgeht. Er wurde zum Gesicht einer Krankheit, inspirierte mit seiner Geschichte Abermillionen von kranken Menschen und sorgte mit Geld und Engagement für die bessere Erforschung und Behandlung. Er reiste um die Welt, klärte Menschen auf, motivierte und arbeitete als Sprecher der Vereinten Nationen.

Heute wird Magic Johnson 63 Jahre alt, über 30 Jahre nach seinem vermeintlichen Todesurteil. Er ist noch immer gesund, führt ein mehr als ausgefülltes Leben und strahlt noch immer wie damals als kleines Kind in Lansing, Michigan.