Rudy Tomjanovich wird heute 72 Jahre alt. Der legendäre Coach musste lange auf seine Aufnahme in die Hall of Fame warten, bis es 2020 endlich so weit war. Dabei wurde sein Name lange mit einem der schlimmsten Skandale der NBA-Geschichte verbunden.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im April 2020.
Es war nicht das erste Rodeo für Rudy Tomjanovich. Seit 2011 ist der 71-Jährige für die Hall of Fame wählbar, bereits 2017 und 2018 war er ein Finalist. Entsprechend angespannt verbrachte er den Samstag: "Es war ein sehr spannender Tag, weil ich schon vorher in dieser Position war und dann die Antwort 'Sorry, nicht in diesem Jahr' bekommen habe", sagte Tomjanovich bei ESPN.
Diesmal jedoch fiel die Antwort anders aus - ausgerechnet in einem Jahrgang, der von NBA-Seite her so viel Starpower wie vermutlich noch nie mitbringt, waren doch mit Kobe, KG und Duncan gleich drei der wohl 20 besten Spieler der NBA-Geschichte mit dabei. Doch Rudy T ist nun ebenfalls einer von ihnen.
"Das erste, was passierte, war ein unglaublicher Seufzer der Erleichterung. Und dann kam langsam - aber umso kräftiger - der komplette Jubel. Wir fahren nach Springfield!", erklärte Tomjanovich. Es war auch an der Zeit dafür.
Rudy Tomjanovich: Meister und Olympia-Sieger
Tomjanovich hat zwar nicht den Namen wie das Star-Trio, er darf aber ein ziemlich einzigartiges Resümee sein Eigen nennen. Beispielsweise erreichte er als einzige Person in der NBA 10.000 Punkte als Spieler und 500 Siege als Coach, gewann als einer von neun Coaches zwei Titel in Serie, holte Olympia-Gold und gewann eine Meisterschaft mit dem bis heute niedrigsten Seeding der NBA-Historie (1995 startete Houston von Platz 6 in die Playoffs). Ein fünfmaliger All-Star war er ebenfalls.
Tatsächlich hatte er über einen gewissen Zeitraum aber einen Namen, der eine ähnlich starke Reaktion hervorrief wie etwa der von Duncan oder Garnett - nur galt das nicht im Positiven. Im Gegenteil. Vielmehr wurde sein Name mit etwas verbunden, das alle Beteiligten - nicht zuletzt er selbst - am liebsten vergessen hätten.
Für eine Zeit lang war Rudy Tomjanovich in erster Linie der Spieler, der auf dem Parkett beinahe gestorben wäre. Der Empfänger des schlimmsten Faustschlags der NBA-Geschichte, der als "The Punch" in die Geschichte einging. Ein Teil des vielleicht größten NBA-Skandals, viele Jahre vor der "Malice at the Palace".
imago imagesWie eine Wassermelone auf Beton
Wir schreiben den 9. Dezember 1977, die Houston Rockets sind bei den Los Angeles Lakers zu Gast. Lakers-Forward und -Enforcer Kermit Washington steigt im Duell gegen Rockets-Center Kevin Kunnert zum Rebound hoch, sichert sich diesen und versucht Kunnert dabei noch wegzuschieben. Kunnert "antwortet" mit zwei Ellbogen-Schwingern, woraufhin Washingtons Teammate Kareem Abdul-Jabbar Kunnert festhält und Washington ihn niederschlägt.
Heute wäre schon eine solche Eskalation fast undenkbar, damals ist sie in der Form noch keine Seltenheit - es ist jedoch noch nicht vorbei. Denn während Washington noch über Kunnert steht, sieht er aus dem Augenwinkel eine Figur im Rockets-Trikot auf ihn zurennen. Es ist Tomjanovich, der seinem Teamkameraden helfen und die Streithähne auseinanderbringen möchte.
Doch Washington sieht sich in Gefahr und geht daher zum Angriff über. Er dreht sich und schlägt mit voller Kraft zu - mitten in das Gesicht des heranstürmenden Tomjanovich. Ein fürchterliches Geräusch entsteht: Abdul-Jabbar beschrieb es später als das Geräusch einer Wassermelone, die aus großer Höhe auf Beton fällt.
Rudy Tomjanovich musste um sein Leben kämpfen
Tomjanovichs Gesicht wird durch den Schlag zertrümmert. Der Einschlag ist so stark, dass der Forward Verletzungen an Genick und Wirbelsäule davonträgt. Während er untersucht wird, kann er langsam austretende Wirbelsäulenflüssigkeit sogar schmecken. Washingtons Schlag ist nur Millimeter davon entfernt, Tomjanovich zu töten.
"Ich habe viele Leute mit deutlich weniger ernsten Verletzungen gesehen, die gestorben sind", sagt der verantwortliche Chirurg später, nachdem Tomjanovichs Gesicht wieder einigermaßen zusammengeflickt ist - und bemüht den unangenehmen Vergleich mit einer in viele Einzelteile zerfallenen Eierschale, die mit Klebeband wiederhergestellt wurde.
In mehreren Not-OPs wird zunächst sichergestellt, dass Tomjanovich überlebt. Über Wochen folgen dann weitere Operationen, um sein Gesicht wiederherzustellen. An Basketball ist zunächst nicht zu denken, während Tomjanovich sich erholt, wird der Fall zum Politikum. Washington muss 10.000 Dollar Strafe zahlen und wird für 26 Spiele suspendiert, damals eine Rekordzahl.
Und die NBA führt erstmals regelmäßige Strafen für Schlägereien ein, nachdem ihre Bosse, um den damaligen Anwalt (und späteren Commissioner) David Stern zu zitieren, realisiert hatten, dass man es "Männern, die so groß und stark sind, nicht erlauben kann, sich gegenseitig zu schlagen." Diese eigentlich nicht bahnbrechende Erkenntnis wäre für Tomjanovich beinahe zu spät gekommen.
Eine Legende der Rockets
Tomjanovich verpasste den Rest der Saison und verklagte die Lakers, am Ende eines langwierigen Zivilprozesses wurden ihm 3 Millionen Dollar zugesprochen. Auf dem Court bewies er ebenfalls Durchhaltevermögen, als er schon für die folgende Saison wieder zurückkehrte und seine fünfte und insgesamt letzte All-Star-Teilnahme erreichte.
Danach folgten zwar nur noch zwei Jahre, weil Komplikationen nach der Verletzung ihm immer wieder zu schaffen machten, dennoch reichte schon seine Zeit als Spieler, um in den Legenden-Kreis der Rockets-Franchise aufgenommen zu werden.
Die Statistiken von Rudy Tomjanovich als Spieler
Team | Spiele | Punkte | Rebounds | Assists | FG% |
San Diego/Houston Rockets | 768 | 17,4 | 8,1 | 2 | 50,1 |
Über elf Saisons trug der Mann aus Hamtramck, Michigan die Farben der Rockets, die nach seiner Rookie-Saison von San Diego nach Houston umzogen, und war bis zu seiner Verletzung der Dauerbrenner auf den Forward-Positionen, konnte scoren und rebounden. Er war auch ein begnadeter Shooter, allerdings in einer Zeit, in der die NBA noch ohne Dreier auskam.
Seine Nr. 45 wurde sowohl von den Rockets als auch den Michigan Wolverines, wo er bis heute Rekordhalter bei den Karriere-Rebounds ist, unter die Hallendecke gezogen. Dabei begann der erfolgreichere Teil seiner Karriere erst nach der Zeit als Spieler.
Rudy T: Vom Spieler zum Coach
1981 beendete der Mann mit kroatischen Wurzeln seine aktive Karriere, blieb den Rockets jedoch erhalten und arbeitete fortan für zwei Jahre als Scout. Es folgten knapp neun Jahre als Assistant Coach für Bill Fitch und Don Chaney, bevor Tomjanovich nach dessen Entlassung im Jahr 1992 erstmals den Posten als Head Coach einnehmen durfte.
Die Rockets hatten zu diesem Zeitpunkt in Hakeem Olajuwon einen absoluten Superstar in ihren Reihen, mit dem sie seit 1985 immer die Playoffs und 1986 sogar überraschend die Finals erreicht hatten. Von 1988 bis 1991 war jedoch viermal in Serie in der ersten Runde Schluss und unter Chaney schien sich das Team in die falsche Richtung zu entwickeln.
Rudy T sollte das abwenden, trotz einer 16-14-Bilanz unter ihm wurden 1992 trotzdem erstmals die Playoffs verpasst. Doch dann begann die erfolgreichste Ära der Franchise-Geschichte. "Es war frustrierend, wie wir zuletzt gespielt haben", wurde er noch 1992 vom Chicago Tribune zitiert. "Dabei haben wir so viel Potenzial. Ich versuche es auf meine Weise und wir werden sehen, was passiert."
Ein "Players' Coach"
Tomjanovich fand mit seinem recht lockeren Coaching-Stil, der ihm den Ruf als "Players' Coach" einbrachte, einen Zugang vor allem zu Olajuwon, den Chaney vor ihm nicht hatte und der zu diesem Zeitpunkt als "etwas schwieriger Charakter" galt. Er stellte den Nigerianer auch spielerisch noch mehr ins Zentrum als sein Vorgänger.
Olajuwon verankerte nicht mehr nur die Defense, eine Spezialität fast aller Tomjanovich-Teams, sondern wurde auch offensiv besser eingesetzt als je zuvor. So paradox das klingt: Obwohl ein Lowpost-Meister der Fixpunkt der Rockets-Offense war, war diese Mitte der 90er durchaus modern.
Denn: Um Olajuwon herum versammelte Houston viel Shooting, um diesem möglichst viel Platz zu schaffen. Als Folge verteilte Hakeem mehr Assists als je zuvor und erreichte auch bei den Punkten seinen persönlichen Peak - und die Rockets landeten von 1993 bis 2001 IMMER in der Top 3 bei den versuchten Dreiern.
getty"Unterschätze nie das Herz eines Champions!"
Schon in der zweiten vollständigen Saison erreichten die Rockets ihren Höhepunkt. Der Rücktritt von Michael Jordan hatte ein Machtvakuum kreiert, in das Olajuwon vordrang: 1994 wurde er MVP und Defensive Player of the Year, letzteres zum zweiten Mal in Serie. Der Nigerianer war der beste Spieler der Liga - und die Rockets wurden zum besten Team. Nach einer 7-Spiele-Abnutzungsschlacht gegen die New York Knicks stemmten Olajuwon und Co. zum ersten Mal in der Franchise-Historie die Larry O'Brien Trophy in die Höhe.
Noch berühmter ist heute jedoch der zweite Titel - denn dieser kam überraschender. Mit der Verpflichtung von Clyde Drexler während der Saison hatten die Rockets ihre Repeat-Ambitionen unterstrichen, doch die Spielzeit 94/95 verlief inkonstant und damit enttäuschend. Houston ging lediglich als sechstplatziertes Team in die Western Conference Playoffs, die Titelkandidaten waren andere.
Doch Tomjanovich verlor den Glauben ebenso wenig wie Olajuwon, der auf dem Weg zum Titel unter anderem den frisch gekürten MVP David Robinson in den Schatten stellte und danach gegen die Orlando Magic um den jungen Shaquille O'Neal seinen zweiten Finals-MVP in Serie eintütete.
"Unterschätze nie das Herz eines Champions!", jubelte Tomjanovich noch in der Halle, nachdem sein Team zum zweiten Mal die Spitze des Olymps erklommen hatte. Auch dieser Ausspruch ging in die Geschichte der Liga ein.
Robert Horry hielt Rudy T für den Besten
Weitere Meisterschaften folgten danach nicht mehr, Tomjanovich arbeitete jedoch unermüdlich weiter, häufte Siege an und landete mehr als einmal aus purer Erschöpfung im Krankenhaus. Gleichzeitig beeindruckte sein Stil ligaweit so sehr, dass mehrere Legenden, darunter Drexler, Charles Barkley und Scottie Pippen, ihren Weg nach Houston fanden, weil sie eben für ihn spielen wollten.
"Er hat es verstanden, dass er, obwohl er der Coach war, manches nicht sehen konnte, was wir auf dem Court gesehen haben", erklärte Ex-Rocket Robert Horry vor Jahren im Players' Tribune. "Er hat uns gefragt, was los ist, wie wir spielen wollten. Nach meiner persönlichen Erfahrung war T der großartigste NBA-Coach."
Große Worte von jemandem, der bekanntlich auch für Phil Jackson und Gregg Popovich gespielt hat. Auch letzterer hat sich jedoch über die Jahre immer wieder für Tomjanovich als Hall-of-Famer ausgesprochen und zuletzt im Dezember betont, dass es ein "Mysterium" sei, warum dieser noch nicht in die Ruhmeshalle aufgenommen wurde.
"The Punch"? Ein Stolperstein
Nun ist es so weit. Tomjanovich, der insgesamt 33 Jahre am Stück bei den Rockets verbrachte, bevor er 2004/05 noch ein 41 Spiele andauerndes Intermezzo bei den Lakers absolvierte und danach mit dem Coaching aufhörte, bekommt endlich seinen Wunsch. Und einen viel schöneren Zusatz zu seinem Namen als "der Typ, der geschlagen wurde", wie er noch als Rockets-Coach laut Eigenaussage lange genannt wurde.
Seinen Frieden mit dem Schockmoment seines Lebens hat Tomjanovich derweil schon lange gemacht. "Es war ein Stolperstein in meinem Leben", sagte er vor Jahren zur Los Angeles Times. "Aber ich habe es überstanden, und vielleicht bin ich dadurch ein besserer Mensch geworden."
Und ein Hall-of-Famer.