Wer Highlights von Jason Williams im Internet sehen will, kann damit Stunden verbringen und wird vermutlich keine Langeweile verspüren. Der Point Guard bediente seine Mitspieler regelmäßig mit spektakulären Pässen durch die Beine, hinter dem Rücken und sogar mit dem Ellenbogen - "White Chocolate" war jedoch mehr als nur ein NBA-Profi, der teilweise ein anderes Spiel als alle um ihn herum zu spielen schien.
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Von der rechten Hand auf die linke Hand - und dann wieder zurück. Selten war ein so simpler Move wie der Crossover so spektakulär wie am 17. Februar 1999.
Rookie Jason Williams ließ damals Gary Payton, einen der besten Verteidiger aller Zeiten, mit einer Körpertäuschung ganz schlecht aussehen. "The Glove" lief komplett ins Leere und stand noch an der Dreierlinie, als Williams seinen freien Korbleger im Fastbreak bereits getroffen hatte. Der sonst für seinen ständigen Trash Talk bekannte Payton verblieb sprachlos und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
"Ich hatte zuvor schon etwas Angst vor ihm", erinnerte sich Williams später in einem Interview bei House of Highlights: "Ich hatte vorher noch nie gegen ihn gespielt und er war die ganze Zeit am Reden. Chris Webber hat die ganze Zeit zurückgefeuert, aber ich habe nichts gesagt, weil ich Angst hatte."
Viele NBA-Stars berichten im Nachhinein von einem Moment in ihrer Karriere, an dem sie merken, dass sie in der besten Basketballliga der Welt angekommen sind. Der Crossover gegen Payton gilt als solcher Moment für Williams, auch wenn der Point Guard zu diesem Zeitpunkt ganz andere Gedanken hatte. "Ich war selbst erstmal geschockt, dann wollte ich so tun, als hätte ich sowas schon mal gemacht", verriet Williams: "Innerlich habe ich wahrscheinlich schon Freudensprünge gemacht."
gettyJason Williams: Von West Virginia nach Sacramento
Für die Sprünge waren während Williams' Karriere allerdings meistens seine Mitspieler zuständig. Schon an der DuPont Highschool in Belle, West Virginia warf "White Chocolate" regelmäßig Alley-Oops zu einem der dominantesten Athleten der Sportgeschichte, der seine Millionen später jedoch nicht auf einem Basketballfeld verdiente: Randy Moss.
Moss spielte als Wide Receiver unter anderem für die Minnesota Vikings und die New England Patriots in der NFL. Der "Freak" sprang regelmäßig so viel höher als seine Verteidiger, dass er Pässe fing, obwohl seine Gegenspieler direkt zwischen ihm und dem Ball standen. Solch eine Aktion wird bis heute noch als "jemanden mossen" beschrieben. Moss brachte den Posterdunk von der DuPont Highschool in die NFL. "Er hätte auch ein erfolgreicher NBA-Profi werden können, da bin ich mir sicher", betonte Williams.
J-Will spielte nach der Highschool zuerst für die Marshall University und folgte dann im Sommer 1996 seinem Head Coach Billy Donovan an die Florida University. In seiner Junior-Saison brach er den Schulrekord mit 17 Assists in einem Spiel und legte im Durchschnitt 17,1 Punkte, 6,7 Assists und 2,8 Steals pro Spiel auf. Im Februar 1998 wurde er jedoch für den Rest der Saison gesperrt, da er bereits zum dritten Mal beim Konsum von Marihuana erwischt wurde.
Das hielt die Sacramento Kings jedoch nicht davon ab, auf Williams' Talent zu setzen, als sie ihn im NBA Draft 1998 mit dem siebten Pick (also noch vor Dirk Nowitzki) nach Nordkalifornien holten.
All-Star-Wochenende 2000: Der Assist, der keiner war
Die Kings verpflichteten in der Offseason vor der Saison 1998/99 außerdem Vlade Divac, holten Webber per Trade und Peja Stojakovic aus Europa, den sie schon zwei Jahre zuvor gedraftet hatten. Unter Head Coach Rick Adelman und seinem Assistenten Pete Carrill, dem langjährigen Cheftrainer der Princeton University, installierte Sacramento die "Princeton Offense". Die Kings begeisterten Fans fortan mit einem schnellen, uneigennützigen Spielstil, bei dem der Ball viel und oft auch spektakulär verteilt wurde.
Die Bereitschaft, zuerst an den Pass und dann an den eigenen Wurf zu denken, beschränkte sich keineswegs auf Williams, gerade Webber und Divac galten als zwei der besten Passgeber auf ihrer jeweiligen Position. Doch an die Kreativität und das Talent, mit dem Williams Pässe spielte, kommt bis heute kaum ein Spieler ran.
Immer wieder sorgte er in der gesamten Halle für Staunen. Bei der Rising Stars Challenge im Rahmen des All-Star Games 2000 führte J-Dub einen Fastbreak an, zu seiner Rechten lief Nowitzki, links hinter ihm kam Raef LaFrentz von den Denver Nuggets nach. Williams führte den Ball mit der linken Hand hinter dem Rücken entlang und täuschte so den Pass zu Dirkules an.
Selbst dieser Pass wäre für die meisten NBA-Spieler nicht einfach gewesen, Williams hätte damit jedoch keinen der anwesenden Fans überrascht. Stattdessen schlug er mit seinem rechten Ellenbogen gegen den Ball, so dass das Leder zur linken Seite und perfekt in die Hände von LaFrentz flog. Der Big Man wurde gefoult und verwandelte seinen Korbleger nicht - und zerstörte damit eine der spektakulärsten Vorlagen aller Zeiten.
Sacramento Kings: Die größte Show auf Parkett
Bekannt war White Chocolate zu diesem Zeitpunkt schon längst, auch außerhalb Kaliforniens. Seine Nummer 55 schaffte es bereits in seiner Debütsaison in die Top-5 der meistverkauften Trikots. Williams startete alle 50 Spiele der verkürzten Lockout-Saison, mit 12,8 Punkten, 6,0 Assists und 1,9 Steals pro Spiel war er Teil des All-Rookie-Teams. Die Kings beendeten die (verkürzte) Saison mit 27 Siegen und der damit ersten positiven Bilanz seit dem Umzug nach Sacramento im Jahr 1985.
In den nationalen Medien wurde damals zum ersten Mal seit langer Zeit wieder über die Mannschaft aus der Hauptstadt Kaliforniens gesprochen. Die Kings wurden zunehmend populärer, im Februar schafften es Williams, Doug Christie, Peja Stojakovic, Webber und Divac sogar auf das Cover der Sports Illustrated, was damals noch einem Ritterschlag glich.
Die Starting Five der Kings war über dem Titel "Die größte Show auf dem Parkett" und dem Untertitel "Sacramento Kings: So sollte Basketball gespielt werden" abgebildet. Der Name war angelehnt an "Die größte Show auf Rasen", den Spitznamen, den die explosive Offense der NFL-Mannschaft St. Louis Rams um Quarterback Kurt Warner wenige Jahre zuvor erhalten hatte.
Phil Taylor, Autor des Artikels, setzte damals bewusst einen Appell an die Liga und andere Mannschaften, den Spielstil der Kings zu übernehmen und ein Stück weit vom Isolations-Basketball abzukehren, den viele Teams von den Chicago Bulls und Michael Jordan kopieren wollten. "Die Kings geben der NBA die perfekte Möglichkeit, einen gewissen Spielstil zu zelebrieren, anstatt einzelne Spieler", schrieb Taylor.
Ironischerweise wurde Williams immer wieder als spektakulärster Spieler der Kings genannt, obwohl es sein größter Wunsch auf dem Feld schien, seine Mitspieler in Szene zu setzen. "Wenn er auf dem Feld stand, dann gab es immer eine gewisse Erwartungshaltung seitens der Fans, der Kommentatoren und seiner Mannschaftskollegen", erinnerte sich Taylor später im Podcast All Things Kings: "Jeder fragte sich, welche unglaubliche Aktion wir als nächstes sehen würden."
Jason Williams: Vom menschlichen Mixtape zum Floor General
Doch nicht jeder war immer begeistert von Williams' Spielweise. Die zahlreichen Turnover, die Williams früh in seiner Karriere verschuldete, sind nicht in seinen Highlight-Reels zu sehen, verschafften ihm aber regelmäßig längere Denkpausen am Ende der Bank. In seinen drei Jahren bei den Kings folgte durchschnittlich ein Turnover auf nur 2,15 Assists, dazu wurde er Zeit seiner Karriere nie ein wirklich verlässlicher Scorer.
Nach drei Jahren in Sacramento wurde Williams gemeinsam mit Nick Anderson für Mike Bibby und Brent Price zu den Vancouver Grizzlies getradet. Berichten zufolge sahen die Kings Bibby damals als reiferen Aufbauspieler und mit ihm die Chance höher, einen Titel zu gewinnen. Das sah Williams selbst im Nachhinein ähnlich, wie er bei House of Highlights zugab.
Williams hielt jedoch nie sonderlich viel von den Andeutungen, er gehöre eher auf einen Straßenplatz in Harlem als in die NBA. "Ich glaube nicht, dass es 'den Streetball' und den 'NBA-Basketball' gibt", sagte Williams später: "Es ist das gleiche Spiel."
J-Dub schien sich jedoch die Kritik an seinem Spiel zu Herzen genommen haben. Bei den Grizzlies reduzierte er seine Turnover von 3,3 pro Spiel in seiner ersten Saison auf 1,8 pro Partie in seiner vierten Spielzeit in Memphis. Und dann rief plötzlich Shaq an.
Jason Williams' Karrierestatistiken in der NBA
Saison | Mannschaft | Spiele | FG% | FT% | 3P% | Assists | Steals | Turnover | Punkte |
1998/99 | Kings | 50 | 37,4 | 75,2 | 31,0 | 6,0 | 1,9 | 2,9 | 12,8 |
1999/00 | Kings | 81 | 37,3 | 75,3 | 28,7 | 7,3 | 1,4 | 3,7 | 12,3 |
2000/01 | Kings | 77 | 40,7 | 78,9 | 31,5 | 5,4 | 1,2 | 2,1 | 9,4 |
2001/02 | Grizzlies | 65 | 38,2 | 79,2 | 29,5 | 8,0 | 1,7 | 3,3 | 14,8 |
2002/03 | Grizzlies | 76 | 38,8 | 84,0 | 35,4 | 8,3 | 1,2 | 2,2 | 12,1 |
2003/04 | Grizzlies | 72 | 40,7 | 83,7 | 33,0 | 6,8 | 1,3 | 1,9 | 10,9 |
2004/05 | Grizzlies | 71 | 41,3 | 79,2 | 32,4 | 5,6 | 1,1 | 1,8 | 10,1 |
2005/06 | Heat | 59 | 44,2 | 86,7 | 37,2 | 4,9 | 0,9 | 1,7 | 12,3 |
2006/07 | Heat | 61 | 41,3 | 91,3 | 33,9 | 5,3 | 1,0 | 1,6 | 10,9 |
2007/08 | Heat | 67 | 38,4 | 86,3 | 35,3 | 4,6 | 1,2 | 1,4 | 8,8 |
2009/10 | Magic | 82 | 44,4 | 75,6 | 38,0 | 3,6 | 0,6 | 1,1 | 6,0 |
2010/11 | Magic | 16 | 34,2 | - | 30,4 | 1,5 | 0,5 | 0,7 | 2,1 |
2010/11 | Grizzlies | 11 | 31,0 | - | 20,0 | 2,5 | 0,3 | 0,6 | 1,9 |
Gesamt | 788 | 39,8 | 81,3 | 32,7 | 5,9 | 1,2 | 2,1 | 10,5 |
Triumph in Miami
"Mit dem Typen wollte ich schon immer mal spielen", schrieb O'Neal in seiner Autobiografie "Shaq Uncut" über Williams: "Er war ein kleiner, taffer Wichser und konnte den perfekten Lob werfen. Ich hatte Tagträume davon, einen seiner Pässe in den Korb zu hauen." Shaq nutzte seinen Einfluss bei der Miami Heat, um Williams im Rahmen eines der größten Trades der NBA-Geschichte nach Florida zu holen.
Fünf Mannschaften waren insgesamt in das Tauschgeschäft verwickelt, das unter anderem All-Star Antoine Walker, Williams und James Posey in die Mannschaft von Headcoach Pat Riley brachte. Williams und "The Big Diesel" waren über mehrere Sommer hinweg Nachbarn in Orlando und hatten in dieser Zeit die Verbindung aufgebaut, die auch auf dem Feld zu sehen war.
Mit Veteranen wie Shaq, Williams, Walker und Gary Payton sowie dem Youngster Dwyane Wade passte die Chemie im Team, jeder kannte seine Rolle. Williams überließ das Scoring meist seinen Mannschaftskollegen, war jedoch in entscheidenden Momenten zur Stelle. So auch beim Spiel 6 der Eastern Conference Finals, als der Starting Point Guard 10 seiner 11 Würfe aus dem Feld versenkte und den Detroit Pistons 21 Punkte einschenkte. Nach weiteren sechs eher unauffälligen Spielen seinerseits war J-Will Teil einer exklusiven Gesellschaft: "White Chocolate" war NBA-Champion.
Es sollte der Höhepunkt für Williams sein, der später auch noch in Orlando und Memphis spielte. Erwähnenswert waren diese Zeiten aber nur noch bedingt, J-Wills beste Jahre waren schon lange vorbei. So stehen für einen der beliebtesten und spektakulärsten Point Guards letztlich keine All-Star-Nominierungen zu Buche, folgerichtig wird Williams auch nicht in die Hall of Fame eintreten.
Und doch werden Basketball-Fans noch in 20 Jahren über Moves staunen, die er irgendwann mal alleine in einer Halle erfunden, tagelang geübt und dann an seine Mitspieler und Nachfolger weitergegeben hat. Das ist sein Vermächtnis.