Der Zar des Welt-Basketballs

Haruka Gruber
15. Oktober 201321:36
Mike Fratello machte Ukraine zur Überraschungsmannschaft der EuroBasket 2013getty
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In der NBA ist er eine Institution als Coach und TV-Experte. In Europa sorgte er mit der Ukraine für die Sensation schlechthin. Mike Fratello, in den Staaten bekannt unter dem Spitznamen "Czar", über die Ohnmacht an der Seitenlinie und die Lehren aus der "furchtbaren Zeit des amerikanischen Basketballs".

SPOX: Nach einem überaus erfolgreichen Sommer mit der ukrainischen Nationalmannschaft sind Sie in die USA zurückgekehrt und bereiten sich als NBA-Experte auf die kommende Saison vor. Wie schwer fällt die Umstellung?

Mike Fratello: Die Wiedereingewöhnung an die NBA ist nicht so problematisch, wenn überhaupt ist es zeitaufwändig. Ich habe wegen der EM-Vorbereitung mit der Ukraine kaum etwas von der NBA mitbekommen und musste mich erst einmal in alle Depth Charts der Mannschaften einlesen.

SPOX: Und umgekehrt?

Fratello: Ich muss zugeben: Der Übergang von der NBA zum europäischen Basketball ist anspruchsvoller für mich. Im Vergleich zur EM 2011 habe ich mich bei der EM 2013 wesentlich wohler gefühlt, trotzdem bleibt vor allem am Anfang ein gewisses Unbehagen. Es ist so viel anders, im Grunde sind es zwei verschiedene Sportarten. Die Spiellänge ist kürzer, die Schiedsrichter pfeifen anders, vor allem aber die unterschiedliche Auszeit-Regel macht einem zu schaffen. Man hat im FIBA-Basketball weniger Timeouts als in der NBA und hat auch weniger Freiheiten als Trainer, diese zu nehmen. Daher muss man als erstes eine neue Balance im Coaching finden.

SPOX: Warum betonen Sie so sehr die unterschiedliche Auszeit-Regel?

Fratello: Nehmen wir nur unseren Sieg gegen Deutschland: In der Endphase eines knappen Spiels muss sich ein Coach viel mehr auf die Spieler verlassen als in der NBA. Wenn der Trainer die wenigen Auszeiten schon ausgereizt hat, kann er die Uhr nicht stoppen, wenn beispielweise der zweite Freiwurf vorbeigeht, um der Mannschaft neue Anweisungen zu geben. Stattdessen muss er hoffen, dass seine Spieler den Rebound holen und in Sekundenschnelle die richtige Entscheidung treffen. Als Trainer ist man im FIBA-Basketball ohnmächtiger.

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SPOX: Umso beeindruckender ist Ihr Erfolg mit der weitgehend namenlosen Ukraine: Nach dem respektablen Erreichen der Zwischenrunde bei der EM 2011 wurden Sie bei der EM 2013 sensationell Sechster und qualifizierten sich für die WM 2014. Wie ist das zu erklären?

Fratello: Ehrlich gesagt wussten wir selbst nicht, was wir erwarten sollten. In der Vorbereitung hatten wir Probleme, einige unnötige Niederlagen und viele Verletzungssorgen. Die Wochen vor der EM waren ein sehr, sehr langer Prozess. Daher zählt die EM in Slowenien zu den besonderen Momenten meiner Karriere. Nichtsdestotrotz sollte uns immer bewusst sein, dass die Ukraine erst am Beginn eines langen Weges steht und vor allem in der Jugendarbeit einiges nachgeholt werden muss.

SPOX: Wie geht es Center-Talent Alex Len, dem Nummer-5-Pick der Phoenix Suns im diesjährigen Draft?

Fratello: Wir haben mit ihm gesprochen und für die Zukunft hoffe ich, dass er Teil des Programms sein wird. Seine Operation an beiden Knöcheln soll erfolgreich verlaufen sein. Sein Vorteil: Wenn er zur Nationalmannschaft kommt, hat er mit Slava Kravtsov gleich einen Mentor. Slava wird ihm helfen, weil er bereits NBA-Erfahrung in Detroit gesammelt und jetzt an seinem zweiten großen internationalen Turnier teilgenommen hat. Alex wird sein Land gerne vertreten und ich werde ihn in dieser Saison mindestens einmal treffen, um darüber zu sprechen.

SPOX: Es klingt, als ob Sie planen, die Ukraine bei der WM 2014 in Spanien und Heim-EM 2015 weiter zu betreuen?

Fratello: Das hängt von Sasha Volkov ab. Ich plane nur von Jahr für Jahr und sollte er andere Vorstellungen haben, würde ich es verstehen. Das ist ein Teil des Geschäfts, auch wenn ich mit Sasha sehr eng befreundet bin.

SPOX: Sie pflegen seit Jahrzehnten ein enges Verhältnis zu Volkov, ukrainische Basketball-Legende und Präsident des nationalen Verbandes. Stimmt dennoch der Eindruck, dass sie durchaus kontrovers miteinander diskutieren?

Fratello: Als ich 2011 von Sasha kontaktiert wurde, ob ich mir vorstellen könnte, Nationaltrainer der Ukraine zu werden, stellte ich ihm Fragen. Eine Menge Fragen. Sasha hatte seine Mission klar formuliert: Die Ukraine sollte zukünftig auf Augenhöhe mit Europas Topteams spielen. Ich antwortete ihm, dass ich das Ziel teile - aber dafür einige Dinge grundlegend verändert werden müssen. Angefangen damit, dass die Spieler ein besseres Gefühl bekommen.

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SPOX: Ein besseres Gefühl?

Fratello: Damit meine ich, dass ich ein Umfeld wollte, die die Identifikation und die Leistungsbereitschaft fördert. Das gleiche war beim US-Team zu beobachten. Es gab eine Zeit, als es uncool war, für die USA zu spielen. Niemand wollte ein Teil davon sein und jeder sagte sich: "Who cares?" Eine furchtbare Mentalität in einer furchtbaren Zeit des amerikanischen Basketballs. Dann kam Jerry Colangelo, übernahm das Kommando und brachte mit Mike Krzyzewski einen neuen Head Coach und einen neuen Geist rein. Auf einmal wollte jeder ein Teil des US-Teams sein. Daran, wie Jerry die Spieler behandelte, habe ich mir ein Vorbild für die Ukraine genommen. Es beginnt bei vermeintlichen Kleinigkeiten: Wie sind die Reisen organisiert? In was für Hotels übernachtet man? Wie sehen die Trainingsanzüge aus? Wie gut präpariert ist der Trainingscourt? Als Sasha meinem Wunsch zugestimmt hatte, sagte ich sofort zu.

Hier geht's zu Teil II: "Die NBA wird von den Franchise Playern diktiert"

SPOX: Keine Angst vor Misserfolg?

Fratello: Das wichtigste war für mich, dass Sasha mich um diesen Gefallen bat. Wobei: Selbst ohne Sasha hätte es einen großen Reiz ausgeübt: Ich war viel in Europa unterwegs, veranstaltete Coaching Clinics. Allerdings habe ich selbst noch nie außerhalb der Staaten auf einem Top-Level gearbeitet. Ich sah es als Chance, meine Neugierde zu stillen. Und da die Ukrainer die einzigen waren, die fragten, unterschrieb ich den Vertrag.

SPOX: Sie betonen immer wieder die Freundschaft zu Volkov. Woher kommt sie?

Fratello: Die Freundschaft ist sehr besonders. Ich habe ihn 1989 für die Atlanta Hawks gedraftet und ihn in seinem ersten Jahr außerhalb der Sowjetunion trainiert und betreut. Für ihn verlief der Wechsel in die NBA nicht so einfach wie gedacht. Er war ein großartiger Spieler des europäischen Basketballs, nur: In den USA kannte ihn keiner, er hatte Probleme mit der Sprache und er fühlte sich nie richtig wohl, so dass ich ihm nicht so viele Spielminuten geben konnte. Das tat mir sehr leid und ich habe mich um ihn gekümmert, sodass er ein bisschen zu meinem Ziehsohn wurde. Mit der Zeit entstand ein Vertrauensverhältnis und wir gehen komplett ehrlich miteinander um.

SPOX: Warum können sich bis heute einige europäische Top-Spieler nicht an die NBA anpassen?

Fratello: Weil sich selbst 25 Jahre später an der Grundausgangslage nichts verändert hat. Bei der EM habe ich wieder Spieler gesehen, die unglaubliche Basketballer sind. Echte Superstars des Sports. Aber in der NBA können Sie ihr wahres Game nicht zeigen, weil sie sich unbehaglich fühlen.

SPOX: Wen meinen Sie konkret? Einen Vassilis Spanoulis? Einen Rudy Fernandez?

Fratello: Ich könnte Namen nennen, doch ich möchte es nicht. Allgemein gesprochen: Ich bewundere viele europäische Spieler und ich kann nachvollziehen, wie schwer es für sie gewesen sein muss in der NBA. Einerseits wird die Liga von den Franchise Playern diktiert, denen mit ihren großen Verträgen Spielzeiten garantiert sind. Andererseits stehen die Trainer in der NBA unter einem unfassbaren Druck und können sich Niederlagen nicht leisten, weswegen sie lieber auf Altbekanntes zurückgreifen. Daher setzen sie die Europäer nur für 3, 4 Minuten ein - und wenn die wenigen Würfe, die sie bekommen, vorbeigehen, sind sie sofort raus.

SPOX: Wie kam es, dass Sie entgegen des Trends zu den Pionieren gehörten? Ähnlich wie Donnie Nelson haben Sie sich früh um den internationalen Basketball bemüht.

Fratello: Das begann in den 80er Jahren in Atlanta. Der damalige General Manager Stan Kasten, damals ein blutjunger Kerl und mittlerweile Präsident des MLB-Klubs Los Angeles Dodgers, wollte schon damals neue Wege gehen und stellte Rich Kaner ein. Rich zog für ein paar Monate nach Europa und sollte mir eine Liste mit interessanten Spielern zusammenstellen. Damals ging es lange nicht so wissenschaftlich zu wie heutzutage. Dennoch wollten wir uns einen Wissensvorsprung erarbeiten.

SPOX: Aber was genau hatten sie sich erhofft? Der europäische Basketball wurde als drittklassig abgetan.

Fratello: Zu der Zeit gab es im Draft noch 10 Runden. Daher dachte sich Stan, der ein sehr kluger Mann ist: "In den späten Runden gibt es ohnehin keine guten US-Spieler mehr, warum experimentieren wir nicht?" Daher setzten wir darauf, dass wir im Ausland einen Glückstreffer landen, bevor wir unnötig Picks an schlechte College-Abgänger verschleuderten, die uns nichts nutzen. Damals waren wir einer der Vorreiter. Die Allermeisten erinnern sich nicht daran, doch wir waren es, die Arvydas Sabonis als erstes gedraftet hatten.

SPOX: 1985 an Platz 77.

Fratello: Unser Pech: Damals hat man das Recht am ausländischen Spieler verloren, wenn dieser im Jahr des Drafts auf den Wechsel in die NBA verzichtete. Und so kam es: Arvydas hatte Verletzungsprobleme und traute sich nicht zu, sich in der NBA durchzusetzen. Nur ein Jahr später veränderte die NBA die Regeln, sodass die Klubs, die einen ausländischen Spieler draften, die Rechte auch behalten dürfen. Portland draftete ihn also 1986 schon in der ersten Runde an Platz 24, ließ ihn bis 1995 in Europa und holte ihn dann in die NBA. Ich finde es immer noch unfair.

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