Themenwoche: College Football und seine Begleiterscheinungen

Pascal De Marco
26. Juni 201809:04
Das Darrell K Royal-Texas Memorial Stadium ist eines von mehreren Stadien mit einem Fassungsvermögen von 100.000 Plätzen.getty
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Das Phänomen College-Football ist eines der bewundernswertesten in der gesamten Sport-Welt. Bis zu 100.000 Zuschauer besuchen die Spiele, die Stimmung während der Samstagnachmittage ist herausragend und die Universitäten verzeichnen hohe Einnahmen. Doch hinter der Fassade sind einige unschöne Begleiterscheinungen verborgen. SPOX gibt im Rahmen einer Themenwoche einen Einblick in die faszinierende Welt des College Football.

Die Vereinigten Staaten sind von Sport besessen. Ihre Sportarten sind lokal und die Unterstützung der Teams meist ortsbezogen. Und wo der professionelle Sport mangels lukrativer Aussichten seinen Weg nicht hinfindet, dort ist häufig der College-Sport die Nummer Eins.

In ihren Städten, Ortschaften und Regionen genießen die Universitäts-Teams enorm hohes Ansehen. Nicht nur bei den Studenten, die die Universität aktuell besuchen, sondern auch bei den Absolventen, die schon vor Generationen den selben Campus überquert und ihre Passion daraufhin an ihre Kinder weitergegeben haben.

Stadien mit einem Fassungsvermögen von über 100.000 Plätzen werden an den Samstagen der zweiten Jahreshälfte gefüllt. Die Athleten der College-Teams sind gefeierte Superstars. Nur lesen ihre Fans auf ihrem Smartphone Berichte über Spieler, denen sie nicht selten tagtäglich über den Weg laufen. In derselben Mensa-Warteschlange vor der Essensausgabe stehen, in derselben Bibliothek lernen und im selben Vorlesungssaal sitzen.

College-Fans müssen außerdem nicht mit dem unangenehmen Gedanken klar kommen, dass die Person, der sie gerade ihre Hoffnung auf den richtigen Spielausgang anvertrauen, ein überbezahlter Siedler ist, der innerhalb eines Jahres mehr Geld einnimmt als der Fan in seinem ganzen Leben wird. College-Spieler sind Hometown-Heroes und das, egal wo sie eigentlich wirklich herkommen.

Wirft man beispielsweise einen Blick nach L.A ., so sind dort nicht die gerade erst zurückgekehrten Rams und schon gleich gar nicht die Chargers aus der NFL die Präferenz der ansässigen Gemeinde. Stattdessen haben sich während der Jahrzehnte ohne NFL-Team in L.A. die USC Trojans und UCLA Bruins als die gefragtesten Teams der Region etabliert. Und während über diese College-Teams in den lokalen Medien und im Sport-Radio debattiert wird wie über die New England Patriots in Boston, tun sich die Rams und Chargers schwer damit, eine Fangemeinde auf die Beine zu stellen.

College-Football. Hier verbringen amerikanische Sport-Fans ihre Samstage im Herbst. Er gibt den Leuten eine Verbindung zu ihrer Familie und zur Gemeinde. Es ist eine Faszination und ein Spektakel, das einen schnell in seinen Bann ziehen kann - und an dem viel mehr hängt, als nur die Spiele am Samstag.

Die Jagd nach den besten Talenten

Football ist Amerikas Sport Nummer Eins und dementsprechend präsent ist die Sportart auch in der Kinderzimmern des Landes. Die Jugend träumt davon, eines Tages Football-Profi zu werden und wie die Vorbilder in der großen NFL zu spielen. Der Weg dorthin ist klar. Über die High School soll es im besten Fall mithilfe eines Stipendiums für ein College in Richtung Profi-Football gehen. Doch ist dies natürlich keinesfalls selbstverständlich.

Das Privileg eines Stipendiums und die gleichzeitige Chance, Division-1-Football am College zu spielen, genießen lediglich drei bis vier Prozent aller High-School-Spieler. Und das obwohl es in der Sportart mehr Stipendien als in jeder anderen gibt. Insgesamt bieten 850 Colleges Football-Programme an und über 80.000 Spieler sind in College-Football-Teams aktiv.

Für High-School-Spieler mit derartigen Absichten beginnt der Rekrutierungsprozess bereits sehr früh; Spieler, die sich in das Schaufenster stellen wollen, setzen nämlich alles daran um eines dieser Stipendien zu bekommen. Schulen, die ihrerseits die begehrtesten Talente haben wollen, betreiben mitunter einen schier unglaublichen Aufwand um das Talent von sich zu überzeugen. Am Ende erwartet die gesamte Nation den National-Signing-Day.

Der ewig lange Rekrutierungs-Prozess

Manche High-School-Spieler werden entdeckt, weil ihre Coaches sie bewerben. Andere dadurch, dass sie durch Zufall auf dem Tape eines anderen Spielers hervorstechen. Wiederum andere überzeugen während Camps. Los geht jedenfalls bereits alles direkt nach dem Eintritt in die Senior High School.

Gute High-School-Coaches schicken Tapes von ihren besten Spielern an Colleges, doch kommt es auch vor, dass dies Familienmitglieder oder Freunde übernehmen. Die Spieler werden dann mit den auch aus YouTube-Videos bekannten Highlight-Tapes beworben, um das Interesse der Schulen zu wecken und sie von einem Besuch zu überzeugen.

Liegt das größere Interesse auf der anderen Seite, so wollen die Schulen beim Talent stets in Erinnerung bleiben. Sie schreiben Briefe, um daran zu erinnern wie prestigeträchtig die Schule sei. Und zwar viele davon: Das 4-Sterne-Talent Alvin Kamara soll einmal 105 Briefe der University of Alabama an einem Tag erhalten haben.

Die Talente werden inoffiziell an die Universitäten zu Besuchen eingeladen. Ihnen soll mit Campus- und Facility-Tours sowie Gesprächen mit aktuellen Spielern aus dem Kader und dem Coaching Staff Honig um den Mund geschmiert werden. Manchmal auch mit einem Besuch bei einem Spiel des Basketball-Teams.

Schlussendlich aber kommt es auf die finalen Gespräche an. Manche Talente und deren Familien wollen die richtigen Dinge vom Bildungs-Programm hören. Anderen geht es um Einsatzzeit oder Position im Team - Lamar Jackson etwa soll sich von den Louisville-Coaches damals eine Zusage abgeholt haben, dass er als Quarterback, und nicht auf einer anderen Position eingesetzt wird. Es ist ein wenig wie im Marketing: Man muss die gefragten Bedürfnisse erkennen. Gute Rekrutierer erkennen diese und setzen darauf, bis die Entscheidung das Talentes schließlich gefällt wurde.

Der National-Signing-Day

Der Tag, an dem die Talente ihre Entscheidung endgültig bekannt geben, ist einer der aufregendsten im College-Football-Kalender. Bis die Talente ihre schriftliche Zusage nämlich nicht eingesandt haben, kann jedes verbale Versprechen wertlos sein.

Der Konkurrenz-Kampf der Top-Schulen spitzt sich jetzt zu. Fans erfahren, welche Spieler sie während ihrer College-Karriere Seite an Seite begleiten und unterstützen werden und selbstverständlich ist dies auch für die Medienlandschaft ein gefundenes Fressen, um Publikum vor die TV-Geräte zu ziehen.

Für die Talente ist der National-Signing-Day der Abschluss eines Kapitels einer langen und anstrengenden Übergangsphase. Die Wahl des falschen Colleges hat schon einigen Nummer-1-Rekruten eine sicher geglaubte NFL-Karriere gekostet. Die Wahl für die beste und passendste Situation könnte der erste Schritt in eine ruhmreiche Karriere und dem Star-Dasein bedeuten, von dem diese Teenager träumen.

Top-Infrastruktur zu hohem Preis

Ruhm und Star-Dasein. Das können in erster Linie die ganz großen Colleges bieten. Stadien mit bis zu 100.000 Plätzen und Trainings- und Inneneinrichtungen, die denen der Profi-Football-Teams aus der NFL in nichts nachstehen. Ein schier unglaubliches Bild, bei der Vorstellung, dass die Rede von Schulen und Ausbildungsstätten ist.

College Football ist ein verlockender Markt. Nicht nur aus traditionellen Gründen ist ein Football-Programm nahezu ein Muss für die Vielzahl der Schulen. Auf dem Markt sind mehrere Milliarden Dollar im Umlauf. Der Blick auf die Infrastruktur bei so vielen Teams spiegelt dies absolut wieder.

Die Realität ist jedoch eine andere. In den Jahren 2005 bis 2009 gab es gerade einmal sieben Colleges, deren Sport-Programme in einem Jahre ein positives Betriebs-Ergebnis - hauptsächlich dank Einnahmen von Spenden, Ticket-Verkäufen, Royaltys, Sponsoren- und TV-Verträgen - abgeworfen haben. Im Jahr 2013 waren es derer zumindest 20. Und zur Erinnerung: Alleine 850 Colleges bieten ein Football-Programm an.

Der durchschnittliche Verlust eines Colleges aus den Power-5-Conferences lag bei 2,3 Millionen Dollar. Der durchschnittliche Verlust aller anderen Schulen mit Football-Programm lag im Jahr 2013 laut einer Studie der NCAA bei Sage und Schreibe 17,6 Millionen Dollar.

Die College-Foobtall-Programme mit den höchsten Einnahmen

RangCollegeEinnahmen 2015/16*Einnahmen 2014/15
1

University of Texas

97.866.741 Dollar97.196.485 Dollar
2University of Tennessee78.073.317 Dollar78.944.930 Dollar
3University of Notre Dame63.577.691 Dollar59.561.592 Dollar
4University of Michigan59.626.476 Dollar60.552.123 Dollar
5University of Oklahoma58.028.247 Dollar58.287.832 Dollar

*aktuellste von der NCAA bekannt gegebene Zahlen

Die Subventions-Hilfe

Wie jedoch finanzieren die Schulen das Programm dann? Um weiterhin als Teil des wichtigsten Entertainments für Colleges partizipieren zu können, bekommen die Schulen Hilfe von der NCAA. Sie sind auf sogenannte "allocated revenues" angewiesen, die der Verband dank seiner generellen Einnahmen, Studenten-Gebühren und mit Hilfe von staatlichen Mitteln ausgeben kann. In anderen Worten subventionieren viele Colleges ihre Sport-Programme, und das teilweise zu erschreckend hohen Anteilen.

Und während die Schulen weiterhin viel Geld für die Aufwertung der Infrastruktur und die Gehälter des Trainerstabs ausgeben - Gehälter für Top-Coaches liegen aktuell bereits bei über fünf Millionen Dollar, Tendenz steigend - so kommt es auch gerne einmal vor, dass die weniger prestigeträchtigen Sport-Programme des Colleges gestrichen werden.

College-Sport kann einen grandiosen Wert dafür haben, eine tolle Atmosphäre in der Gemeinde zu kreieren. Nur die wenigsten Colleges allerdings schaffen es aber, einerseits die Früchte des Programms mit einem derart hohen gesellschaftlichen Stellenwert zu ernten, ohne dabei andererseits enorme Kosten für ihre Schule zu hinterlassen.

Kreischende Fans. ESPN-Interviews. Kostenloses Essen. Elitäre Trainingseinrichtungen.

Wenn Leute an College Football denken, dann denken sie auch an die zahlreichen und glamourösen Vorzüge, die die Sportler-Karriere am College mit sich bringt. Dies allerdings ist nur ein kleiner Teil im Alltag eines College-Football-Spielers.

In Wahrheit geht es viel mehr um harte Arbeit, viel weniger um Pressekonferenzen und noch viel weniger um Freizeit und das normale Leben eines Teenagers. Stattdessen sind zusätzlich zu den alltäglichen Anstrengungen der Spieler und dem Einfluss des Sportler-Daseins auf die Zeit am College auch die Sorgen um die gesundheitlichen Folgen des Spiels aufgrund der fortschreitenden medizinischen Forschung allgegenwärtig.

Und neben dem Thema der gesundheitlichen Langzeiteffekte kommt auch immer wieder das der Ausbeutung auf.

Nach Regelung erhalten College-Spieler kein Gehalt und keine Aufwandsentschädigung, während Fernsehanstalten, Coaches und Sportartikelausrüster ihr Geld in erster Linie dank gerade dieser Athleten einsacken. Dies hat schon zum einen oder anderen Manipulationsskandal geführt und überhaupt: College Football und seine Skandale. Man kommt irgendwie nicht davon los.

Aussichten auf eine Profi-Karriere? Sehr schlecht!

Der Zeitplan des College-Athletes ist ziemlich einschüchternd. Die Athleten sollen ihr bis zu zweistündiges Kraft- und Konditions-Programm vormittags um ihren Zeitplan für die Schule herum managen. Und dies wird präferiert morgens vor dem ersten Kurs erledigt. Zwei Stunden am Tag gehen für Trainingseinheiten mit dem Team von der Uhr und wiederum 45 Minuten für Workouts mit der physischen Abteilung oder für das Taping.

Der durchschnittliche Athlet verbringt 30 Stunden seiner Woche mit dem Bildungs- und 20 Stunden mit dem Trainings-Programm. Das lässt wenig Zeit zur Entspannung, für das soziale Leben oder gar für schulische Zusatzangebote. Viele Athleten können deshalb beispielsweise auch keine Praktika absolvieren, die sie auf einen alternativen Lebensweg vorbereiten könnten.

Denn auch wenn viele an ihr Talent und die athletischen Fähigkeiten glauben, um eines Tages in der NFL zu spielen, so sprechen die Zahlen doch ein anderes Bild. Eines, das die Wahrscheinlichkeit auf eine Profi-Karriere plötzlich verschwindend gering erscheinen lässt: 52 Prozent der College-Football-Spieler nämlich halten es nach einer Umfrage der NCAA für wahrscheinlich, dass sie eines Tages in der NFL spielen. Lediglich zwei Prozent tun dies am Ende auch.

Thema Gesundheit: Ist es das Risiko wert?

Die Bereitschaft, alles für seine Leidenschaft zu geben, ist eine Charakteristik, die viele der Student-Athletes an ihr vorläufiges Ziel gebracht hat: am College spielen zu können. Die aufgeopferte Zeit hat aber nicht nur einen Einfluss auf das restliche Leben der Teenager, sondern auch auf ihre Gesundheit. Und in keiner Sportart ist dies derart drastisch, wie beim Football.

Physische, psychische und neurologische Schäden - das Ausmaß der Gefahren am Footballspiel wird der Öffentlichkeit durch neuste Studien immer weiter in das Bewusstsein gerückt. Die Anzahl an Spielern, die später in ihrem Leben beispielsweise an traumatischen Gehirnschäden leiden, ist schockierend.

Angeschlagene Spieler bekommen entweder nicht genug Zeit um ihre Verletzungen auszuheilen, bevor sie auf das Feld zurückkehren, oder sie vertuschen diese sogar gänzlich. Das Team darf schließlich nicht im Stich gelassen werden und die Spielzeit ist von großer Bedeutung. Eine Profi-Karriere steht auf dem Spiel.

Zusammenstöße mit den Köpfen, die Effekte auf die Wirbelsäule nehmen, angeschlagene Knie und Knöchel sowie Schulterverletzungen; die Antwort der medizinischen Abteilungen sind meist Schmerzmittel. Unmittelbar vor den Spielen erhalten die Spieler einen sogenannten "Shot" in der Gegend der Schmerzstelle um diese zu betäuben. So kann der Athlet spielen, riskiert aber gleichzeitig neue oder eine Verschlimmerung der Verletzung im Bereich seines Körpers, in dem er gerade nichts fühlt.

Auch diese Methoden führen zu drastischen langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit der Personen. Zehntausende von College-Spielern riskieren nicht nur ihre Gesundheit für eine zweiprozentige Chance Profi-Footballer zu werden, sie riskieren auch ihr weiteres Leben. Und das ohne auch nur einen Cent dafür zu erhalten.

Skandale, Skandale, Skandale

Dies wiederum ist einer der Gründe dafür, warum es auch um große NFL-Stars immer wieder größere Skandale aus der College-Zeit zu berichten gibt. Todd Gurley und A.J. Green wurden für vier Spiele gesperrt, weil sie verbotenerweise unterschriebene Wertgegenstände verkauften. Cam Newtons Vater soll von Mississippi State über 100.000 Dollar verlangt haben, dass der Sohnemann für das College spielt. Und Jameis Winston wurde dabei erwischt, wie er Krabbenbeine aus einem Laden gestohlen hat.

Skandale, wie diese und dem von Ohio-State-Star Terrelle Pryor, der 2011 seinen Championship Ring und ein unterschriebenes Jersey für neue Tattoos eintauschte, gehören aber noch zu den harmlosen. Leider sind es auch immer wieder Gewaltüberfälle und sexuelle Übergriffe sowie Drogenkonsum, mit denen sich die Youngster das Leben schwer machen. Und wo man es bei den Teenagern teilweise noch auf die Unerfahrenheit und Leichtsinnigkeit der Jugend zurückführen kann, so sind die Skandale um die Schulen selbst noch weitaus weniger nachzuvollziehen.

Schulen, die Talente mit Sex, Alkohol und Drogen zu sich locken und ihren Spielern Geschenke in Form von Autos, Yachttrips und Schmuck machen sowie Coaches, die aufgrund von sexuellen Übergriffen gegenüber Spielern zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

Der College Football und seine Skandale. Man kommt einfach nicht davon los.

Josh Rosen: Football und Schule? "Nicht zu vereinbaren"

Letzten Endes ist das Spektakel College Football nichts desto trotz eines der größten und aufregendsten in der gesamten Sportwelt. Die Vorzüge, die die Programme ihren Schulen und den Gemeinden bringen, sind keinesfalls von der Hand zu weisen. Die Atmosphäre an den Spieltagen ist elektrisierend und begeistert ganze Gemeinden.

Jedoch gibt es auch ausreichend Grund zur Sorge und Kritik, die teilweise sogar von prominenten Spielern selbst kommt. So wie jüngst vom ehemaligen UCLA-Bruins-Quarterback und Top-10-Pick Josh Rosen: "Football und Schule: Das ist nicht zu vereinbaren. Es geht einfach nicht. Niemand bei Verstand sollte den Zeitplan eines Football-Spielers haben und gleichzeitig zur Schule gehen müssen."